Neoliberal, undemokratisch und militaristisch

Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt, ist es besser, viel besser, als man glaubt. Dort hinten, tief im Westen,  unter der verstaubten Sonne der EU, sitzt das dickköpfige Völkchen  der Iren und traut sich, mit einem Votum von deutlich unter einer Million abgegebener Nein-Stimmen dem 500-Millionen-Koloss Europäische Union die Rote Karte zu zeigen: Wir wollen diese Verfassung nicht! Das Ergebnis ist vielschichtig, viel schwieriger, als es auf den ersten Blick scheint. Wenn man nur flüchtig draufschaut, hat man den Eindruck, es war eine Protestwahl. Gegen die Arbeitslosigkeit beim keltischen Tiger, gegen … und überhaupt. Die Bonzen. Oder so. FR-Leitartiklerin Brigitte Kols spricht von einem „schwarzen Freitag“ für Europa. Die FR-Leser widersprechen: Genau das Gegenteil sei der Fall.

So meint Markus Pflüger aus Trier:

„Gratulation, dies war eine Absage an das Europa der Konzerne und Militärs! Ich bin kein Europa-Gegner, daher bin ich froh, dass die Iren den EU-Reformvertrag abgelehnt haben. Das Europa, das ich will, ein solidarisches, friedliches und ökologisches Europa von unten, wäre durch den Reformvertrag nämlich ganz unmöglich geworden. Ebenso wie der EU-Verfassungsvetrag ist der Reformvertrag neoliberal, undemokratisch und militaristisch. Damit nicht Aufrüstung vor ziviler Konfliktbearbeitung, Wirtschaft vor Menschenrechten und die reichen Länder vor den armen Ländern stehen, ist noch mehr Widerstand von links notwendig. Neben Friedens- und globalisierungskritischer Bewegung müssen endlich auch die Gewerkschaften und Kirchen sich für das andere Europa von unten einsetzen. Das irische Nein, ebenso wie vorher das französische und niederländische, ist der Auftakt dafür. Danke, Irland!“Harald Mittler aus Göggingen:
„Die Leitartikelschreiberin bezeichnet die ‚Neinsager‘, als Sandburgbauer und ‚Angsthasen‘. Mir scheint, sie hatte nicht die Zeit, den so genannten Reformvertrag zu lesen, sonst könnte sie nicht so urteilen. Wir alle wollen Europa, aber ein Europa der Vaterländer, einen Hort von Freiheit und unangetasteten Bürgerrechten. Wie die Deutschen mehr als sechzig Jahre nach dem zweiten Weltkrieg ein Anrecht auf einen souveränen Staat mit einer Verfassung hätten, haben die Menschen Europas das Recht auf Mitsprache bei der Gestaltung der EU. Wer ihnen dieses Recht abspricht, und das tun alle Länder außer Irland, der muss sich vorwerfen lassen, dass sein Tun nicht am Wohl des Volkes orientiert ist, denn sonst brauchte er keine Sorge um die Zustimmung der Bürger zu haben. Wer für das Volk arbeitet, der braucht keine Antiterrorgesetze, der braucht keine kilometerlangen Stacheldrahtzäune zur Abwehr des Volkes um sich herum zu errichten, und dem sind die Menschen auch zugetan. Hier gilt es also, nicht die Wähler zu schelten, wie es der Leitartikel tut, sondern Volksabstimmungen in allen Ländern der EU zu verlangen und endlich die Politik wieder am Wohle des Volkes zu orientieren. Umdenken und nicht Weiter so sind jetzt gefragt!“

Joe Bartsch aus Budenheim:

„Fast gut gebrüllt, Löwe. Fast. Denn das ‚Atomisieren‘ der EU ist eine ‚Leistung‘ der Politik, nicht der Wähler. Es ist beliebt, Entscheidungen gegen das Volk nach Brüssel auslagern – in der Hoffnung, nicht dafür in Haftung genommen zu werden. Aber darum geht es nicht. Die EU präsentiert sich als Hirngespinst neoliberaler Ideologen, die sich einbilden, verschiedenste Kulturen unter dem Mantel des Wettbewerbs friedlich vereinen zu können. Dümmer geht es nimmer, und das einzige Volk, das überhaupt noch abstimmen darf, fällt nicht darauf rein.
Was ist mit der Tatsache, dass das selbstherrliche Establishment ansonsten europaweit mittlerweile einen großen Haufen auf den angeblichen Souverän scheißt? Ist Ihnen das keinen Kommentar wert? Niemand darf abstimmen, aber die Regierenden, die eigentlich nie wissen, worüber sie abstimmen, wissen alles besser? Bullshit! Fakt ist: Die Idee, Europa zu einen, ist nicht neu, aber gut. Es friedlich zu tun, ist eine ganz große Idee. Diese auf dem Altar des Wettbewerbs zu opfern, war und ist einer der dümmsten Einfälle, mit denen das ursprüngliche Konzept zerstört wurde.
Wer bitte will denn eine Obrigkeit wählen, die nichts bewirkt? Die einen nicht schützen kann? Die Iren haben ganz rational gewählt: im Sinne dessen, was die EU in Wirklichkeit ist. Nämlich ein trauriges Abbild eines genialen Gedankens.“

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38 Kommentare zu “Neoliberal, undemokratisch und militaristisch

  1. Es ist schon ein Trauerspiel mit denen, die sich Politiker nennen. Weil sie an ihren Posten und Pöstchen kleben haben sie vollkommen verlernt, für wen sie eigentlich da sind und wer letztendlich auch ihre – sicherlich oberhalb der Hartz IV-Grenze angesiedelten – Einkommen sichert!
    Da ist natürlich die Meinung des „Stimmviehs“ eher hinderlich.
    .. und wenn dann doch mal eine „Gruppe“ ausschert, wird sie halt ausgegrenzt.
    Das motiviert! (oder?)

  2. „Wir sind das Volk!“
    Die Politiker in Irland haben es begriffen und das ihnen anvertraute Volk an der Entscheidung teilhaben lassen. 🙂
    Unsere „Hohen Herrn“ dagegen versuchen uns laufend zu entmündigen und haben auch bisher einen recht guten Erfolg dabei.
    Käme hier demnächst wieder ein Diktator an die Macht, so hätte er seine wahre Freude an dem für ihn gut vorbereiteten Boden in deutschen Landen. 🙁

  3. Meines Erachtens geben die Medien mal wieder ein erschreckend schwaches Bild ab und beschränken ihre Information dahingehend, dass sie gegen die Entscheidung der Iren polemisieren. Inhaltlich kommt wenig bis gar nichts rüber. Man liest Sätze wie: „Irland hat sich als einziges Land gegen den Reformvertrag ausgesprochen“. Richtig wäre: Irland ist das einzige Land, das den Mut hatte, sein Volk abstimmen zu lassen. Das traut sich England z. B. nicht, obwohl es die Regierung im Wahlkampf versprochen hatte (WORTBRUCH!!!!). Damals hieß das Ganze allerdings noch EU-Verfassung und war natürlich etwas ganz anderes.

  4. Es ist ja nicht so, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger den europäischen Gedanken kategorisch ablehnt. Die EU hat durchaus Vorteile. Wer die von Kriegen geprägte Geschichte unseres Kontinents kennt, weiß das. Aber die EU muss sozialer werden und darf nicht, was sie in den Augen vieler nach wie vor ist, vorwiegend eine den Wirtschaftsinteressen dienende Veranstaltung sein. Der Frust auf das real existierende Europa speist sich doch vor allem aus der sozialen Schieflage und der immer größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich. Die Wut fokussiert sich dann zuweilen auf die als abgehoben geltende Brüsseler Bürokratie. Den Herrschenden eins auswischen – das geht via Europa am allerbesten. Die Iren haben es erneut bewiesen, indem sie den Politikern gehörig in die Suppe spuckten. Und Letztere laufen prompt orientierungslos wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen umher.

    Und Thomas-Simon Berths Kritik (#3) an den Medien ist voll und ganz zuzustimmen.

  5. Armes Europa

    Das Bild werde ich nicht los: Unsere 3jährige Tochter, die sich mitten auf einer belebten Verkehrsstraße auf den Boden wirft und mit allen Vieren um sich schlägt, um uns ihren Willen aufzuzwingen. Es kommt wieder angesichts des irischen „Njet!“ und der FR-Leserbriefe vom 17.06. Wie schön, wenn man sich am Desaster „der anderen“ ergötzen und zugleich, wie Herr Pflüger aus Trier, mit Klischees und Reizvokabeln („neoliberal, undemokratisch und militaristisch“) um sich werfen und sich als Super-Europäer gerieren kann! – „Widerstand!“, „solidarisches Europa!“ – gemeinsam mit erzreaktionären irischen „Lebensschützern“, französischen Chauvinisten der Front National und selbstgefälligen Demagogen vom Schlage eines Laurent Fabius!
    Nicht einen einzigen konstruktiven Vorschlag haben die Superdemokraten der französisch-niederländischen Neinsagerfront in 3 Jahren zustande gebracht. Und die Kaczynski-Zwillinge und anderer Erpresser reiben sich die Hände. Doch was kümmert mich der Scherbenhaufen, was kümmert mich die Wirklichkeit, wenn ich das „richtige Bewusstsein“ habe! – Armes Europa!

    Werner Engelmann, Luxemburg

  6. Jetzt wird in einigen Kommentaren davon geredet, dass sich gegen den EU-Vertrag nur 3 Prozent der Wähler ausgesprochen hätten Dabei wird gern vergessen, dass ca 95 Prozent der Wähler gar nicht zur Wahlurne gehen durften. Ansgt müssen sie schon haben die verantwortlichen Politiker. Aber wovor? Soll denn der Souverän – das Volk – nicht an dieser wichtigen Entscheidung teilhaben, die die EU-Staaten vertraglich verpflichtet aufzurüsten, obwohl einige Länder wie Irland, Schweden und Österreich neutral sind. Was das Soziale betrifft liegt da schon einiges im Argen, wie das Urteil des EU-Gerichtshof zur Tariftreue beweist. Jetzt hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales einer Verlängerung der Arbeitszeit bei Bereitschatsdiensten auf bis zu 65 Wochenstunden zugestimmt. Solche sozialen Verbrechen gehören eigentlich bestraft. Und dann wollen die Regierigen die Irländer als Schmuddelkinder in die Ecke stellen. Ich fasse es nicht.

  7. @Werner Engelmann (#5)
    Keinen einzigen konstruktiven Vorschlag?

    Die EU leidet zweifellos unter einem Demokratiedefizit. Das liegt nicht allein an den fehlenden Volksabstimmungen in den übrigen Mitgliedstaaten, sondern hauptsächlich an den Institutionen der Gemeinschaft. Das EU-Parlament darf Gesetze, die die EU-Kommission vorlegt, lediglich annehmen oder ablehnen. Die Befugnis, eigene Gesetze einzubringen (Initiativrecht), hat es nicht. Genauso verhält es sich bei der Kommission. Das EU-Parlament darf den Vorschlägen der nationalen Regierungen über deren Besetzung zustimmen, freilich kann es die Kommission im – aus der Sicht der Nationalregierungen – schlimmsten Fall bloß ablehnen. Die Kommission nach eigenem Gusto zusammenstellen, notfalls gegen den Willen der Regierungen der Mitgliedstaaten, darf es nicht. Das EU-Parlament ist folglich ein Papiertiger. Doch das ist genau das Gegenteil dessen, was die meisten EU-Bürger wollen. Das EU-Parlament sollte endlich über die vollen Rechte eines Parlaments verfügen. Außerdem brauchen wir eine EU-Regierung, die nicht im Hinterzimmer ausgehandelt, sondern von den Volksvertretern gewählt wird. Also entweder Direktwahl durch das Volk oder Wahl durch das EU-Parlament.

    Ist das konkret genug?

  8. ich erlaube mir eine Erwiderung auf den Leserbrief von Markus Pflüger.

    Trotz sicher berechtigter Kritik an den Fehlern der Europäischen Union sollten die Kritiker auf platte Polemik (EU = „neoliberal, undemokratisch und militaristisch“) verzichten. Sie laufen sonst Gefahr von der falschen Seite (den Ultranationalisten) Applaus zu erhalten. Die Gründungsmütter und -väter eines friedlichen, zivilen und offenen Europas nach 1945 verdienen Anerkennung, ja Respekt und keinen Faustschlag ins Gesicht durch eine teilweise sehr satte (Wohlstands-) Gesellschaft.

  9. @ michael

    aber genau das ist es doch was der lissabon-vertrag will und soll: mehr demokratie

    mehr kompetenzen fürs eu-parlament, ein klarer abstimmungsmodus zwischen den ländern für künftige entscheidungen, kein faktisches vetorecht mehr für einzelne – das ist doch der richtige weg, das steht doch drin im vertrag von lissabon

    genau die änderungen, die die eu demokratischer machen sollen und die du als fehlend kritisierst, wurden nun von den iren abgelehnt

    schlimm, schlimm

  10. @ thomas (#9):

    Sie übersehen dabei leider völlig den Rattenschwanz an anderen Änderungen. Eben diese sind es, die m.E. völlig zurecht als negativ und nicht tragbar empfunden werden.

  11. @thomas (#9)
    Leider stimmt die Aussage von Dir nicht:

    Gemäß Artikel 17 Abs. 7 des Vertrags von Lissabon (Seite 34 der deutschen Fassung) wird die Kommission vom Europäischen Rat (das sind die Staats- und Regierungschefs) dem EU-Parlament „vorgeschlagen“. Das EU-Parlament selbst kann keine eigene Kommission einsetzen.

    „Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren besteht in der gemeinsamen Annahme einer Verordnung, einer Richtlinie oder eines Beschlusses durch das Europäische Parlament und den Rat auf Vorschlag der Kommission.“ (Artikel 289 Abs. 1 auf Seite 225) Die Betonung liegt „auf Vorschlag der Kommission“. Laut Lissabon-Vertrag darf das EU-Parlament nur im „besonderen“ Gesetzgebungsverfahren initiativ werden (Artikel 289 Abs. 2), diese Verordnungen werden aber auch dann nur „mit Beteiligung“ des Rates beschlossen. Das wäre so, als ob der Bundestag Gesetze nur auf Vorschlag und mit Zustimmung der Bundesregierung beschließen könnte.

    Wo, bitteschön, ist das Mehr an Demokratie, von der Du sprichst?

    Übrigens, falls es jemand interessiert: Der Vertrag von Lissabon ist hier zu bekommen [PDF-Datei mit 3,7 MB].

  12. Lieber Herr Engelmann, neoliberal, undemokratisch, militärisch sind keine Klischees, sondern entsprechen durchaus Text und Intention der EU-Verfassung. So viel ich weiß, ist auch der EURATOM-Vertrag Bestandteil der EU-Verfassung. Er verpflichtet die Mitgliedsländer zur Förderung der Kernenergienutzung, widerspricht also unserem Ausstiegsbeschluss. Entscheidend ist jedoch für mich die Tatsache, dass die Autoren der EU-Verfassung sich nicht für unsere Meinung interessiert haben.

  13. @ michael

    sorry, hab mich wohl nicht klar genug ausgedrückt

    das mehr an demokratie existiert vor allem im vergleich zum status quo. das ist der vertrag von nizza, und nach disem vertrag kann eine einzige regierung die eu handlungsunfähig machen. die kaczinskys haben es vorgemacht. erinnerst dich noch an die aufregungt um die verhandlung zum eu-vertrag? die zhwillinge wollten die polnischen kriegstoten bei ihrem künfitgen stimmgewicht mitgezählt haben. dieser unsinn hätte beinahe die einigung gekostet

    der vertrag von lissabon ist demokratischer. beispiel: verletzung von art 2 der präambel durch mitgliedsstaaten, geregelt in art. 7:

    „(1) Auf begründeten Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments oder der Europäischen Kommission kann der Rat mit der Mehrheit von vier Fünfteln seiner Mitglieder nach Zustimmung des Europäischen Parlaments feststellen, dass die eindeutige Gefahr einer
    schwerwiegenden Verletzung der in Artikel 2 genannten Werte durch einen Mitgliedstaat besteht.
    Der Rat hört, bevor er eine solche Feststellung trifft, den betroffenen Mitgliedstaat und kann Empfehlungen
    an ihn richten, die er nach demselben Verfahren beschließt.“

    hier kann also das parlament mitreden. das war nur ein erstes beispiel dafür, dass künftig viel mehr mitgeredet werden kann. ein weiteres:

    demokratie passiert in der eu des lissabon-vertrags nicht nur auf der ebene des parlaments, sondern auch auf der des rats. das ist nach nizza nicht so, da kann ein einzelner staat alles blockieren. der lissabon-vertrag regelt das anders, vor allem durch § 17 abs. 4_

    „Ab dem 1. November 2014 gilt als qualifizierte Mehrheit eine Mehrheit von mindestens 55 % der Mitglieder des Rates, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedern, sofern die von diesen vertretenen
    Mitgliedstaaten zusammen mindestens 65 % der Bevölkerung der Union ausmachen.“

    fazit: die lissabon-eu ist viel demokratischer als die nizza-eu. ich sage damit nicht, dass sie eine ausgeburt der demokratie ist. aber hallo: das ist doch alles viel besser als nizza

    und jetzt noch was das neoliberale angeht:

    Präambel Art. 3 (3)

    „Die Union errichtet einen Binnenmarkt. Sie wirkt auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität hin. Sie fördert den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt.“

    so, und dazu sollte man wissen, dass schon ludwig erhard den zusammenhang zwischen wettbewerb und sozialer marktwirtschjaft sah. gerade heute leitartikel in der fr zum 60sten geburtstag der sozialen marktwirtschaft. die ist in der krise, keine frage – aber nicht überall, wo wettbewerb draufsteht, ist neoliberalismus drin

    http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/meinung/kommentare/?em_cnt=1353573

  14. Ein Beispiel, wie die Europäische Einigung torpediert wird, hat gerade der EU-Gerichtshof geliefert:
    Freibrief für Sozialdumping
    Zum heutigen Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) gegen das Erzherzogtum Luxemburg (Rechtssache C-319/06):
    Die Kette der arbeitnehmerfeindlichen Urteile will nicht abreißen. Heute hat der europäische Gerichtshof zum vierten Mal innerhalb weniger Monate eine skandalöse Entscheidung zugunsten der europäischen Konzerne und zu Lasten der Beschäftigten getroffen. Nach Ansicht des EuGH steht das luxemburgische Arbeitsrecht im Widerspruch zur Entsenderichtlinie und zur Dienstleistungsfreiheit und muss daher geändert werden. Wer Arbeitnehmer nach Luxemburg entsendet, ist laut EuGH nicht dazu verpflichtet, sich an das luxemburgische Arbeitsrecht zu halten, das eine automatische Anpassung der Löhne an die Lebenshaltungskosten, die Pflicht zur Einhaltung von Tariflöhnen sowie fortschrittliche Bestimmungen bzgl. bezahltem Urlaub, Zeitverträgen, Leih- oder Teilzeitarbeit u.a. vorsieht.

    Dies ist nicht nur ein Angriff auf die luxemburgische Regierung, der das Recht abgesprochen wird, Gesetze zum Schutz aller in Luxemburg tätigen Beschäftigten zu erlassen. Es ist eine massive Attacke auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in ganz Europa! Wie schon in den Fällen Laval, Viking Line und Rüffert hat der EuGH den Grundfreiheiten von Unternehmen Vorrang vor Grundrechten und sozialen Standards eingeräumt. Wieder einmal hat der EuGH den Versuch, gleiche Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten an einem Ort durchzusetzen, für illegal erklärt. Das ist nichts weiter als ein Freibrief für Sozialdumping.

  15. @ Werner

    Wäre schön, wenn du die Quelle benennen würdest, aus der du das hast. Der Text ist doch nicht von dir, oder?

  16. Alle, ja wirklich alle Menschen die ich in D kenne, lehnen den Vertrag ab. Meine Verwandtschaft in F und deren Freunde genauso. Unsere Freunde in GB auch. Und immer ist es derselbe Grund. Nach der verheerenden Geschichte Europas – Europa ja! Aber ein Europa, welches sozial ökologisch und friedlich ist. Ein Europa in dem die kulturelle Vielfalt (Unser Reichtum) gewahrt bleibt. Ein Europa in dem die „monströsen“ Auswüchse des Kapitalismus in Schranken gehalten werden. Ein Europa aller Bürger eben. Und nicht das Europa nur für die „Creative Class“ (Richard Florida).
    Es gibt mittlerweile eine Gruppe, welche sich in einem Raumschiff eingeschlossen hat, und den Draht zu den anderen Bürgern und was diese umtreibt weitestgehend verloren hat:
    Politiker in den Ländern und in Brüssel, Ihre „Befehlsgeber“ in der Wirtschaft und ein großer Teil der mit Ihnen kommunizierenden Journalisten.
    Kein Wunder, dass Viele diese immer selben Predigten, (auch in der FR), wie sie denn gefälligst politisch richtig zu denken hätten, nicht mehr ertragen können!

  17. @thomas (#13)
    Was das Abstimmungsprocedere im Rat angeht, hast Du natürlich recht. Aber in Bezug auf das Parlament hat sich nicht viel geändert. Wir haben in Straßburg nach wie vor eine Volksvertretung, die nur von der Kommission vorgelegte bzw. mit dem Rat abzustimmende Gesetze beschließen kann. Unter Demokratie verstehe ich etwas anderes. Ich denke, die Gewaltenteilung sollte endlich auch in der EU gelten, und dazu gehört eine unabhängige Legislative mit allen entsprechenden Rechten. Die Abstimmungen im Rat werden zwar durch den Vertrag von Lissabon in der Tat leichter, aber dort sind eben bloß die Ansichten der Staats- und Regierungschefs ausschlaggebend.

  18. Europa will doch eine demokratische Institution sein (oder noch werden?). Wenn Demokratie wirklich in der Bedeutung des Begriffes gesehen wird, dann muß diese „Volksherrschaft“ mit Leben erfüllt werden, d.h. plebiszitäre Elemente in allen zur EU gehörenden Staaten. Die Schweizer als Nicht-EU-Mitglied machen es ja prima vor.

    Wie, das Volk hat keine Ahnung, und rennt nur den Bauernfängern und Demagogen hinterher? Da müssen dann „verantwortlich handelnde und denkende“ Politiker dem Volk sagen, was richtig und falsch ist, und es mehr oder weniger sanft in die richtige Richtung befördern!!!???

    Lassen wir ein wenig Utopie walten. Stellen wir uns ein Europa vor, in dem der Entwurf einer europäischen Verfassung in allen Staaten von interessierten und freiwillig mitarbeitenden BürgerInnen diskutiert, debattiert und mitgestaltet wird, bevor er, gegengecheckt auf Fehler und Unstimmigkeiten von Staatsrechtlern, Juristen und sonstigen Fachleuten, von einer Mehrheit von Parlament und Kommission in eine Endform gegossen wird.

    Diese endgültige Form müßte dann wiederum in den einzelnen Ländern nochmals vorgestellt und erläutert werden, warum welche Paragraphen in dieser und nicht anderer Form drin stehen und was sie für Auswirkungen auf staatliche Entscheidungen und auf den Einzelnen hätten.

    Danach würde dieser endgültige Text dann, an einem gemeinsamen Wahltag in ganz Europa, von den wahlberechtigten Bürgern aller Staaten per Volksabstimmung beschlossen, oder abgelehnt werden.

    Könnte ein Sieg der Volksherrschaft sein, und vielleicht über den Frustabbau eines „die machen ja doch, was sie wollen, und ich kann nix ändern“, und über eine Wahlbeteiligung bei Europa-Wahlen von 30% hinaus den einen oder die andere dazu bewegen, sich künftig selbst aktiv in politischen Gruppierungen inner- oder auch außerparlamentarisch zu engagieren.

  19. Um ein vereinigtes Europa zu verwirklichen hat Deutschland das Recht und die Pflicht mit zu wirken.
    Änderungen vertraglicher Grundlagen und Regelungen durch die die Verfassung z.B ergänzt wird ,sollte es immer wie nun anderorts geschehen eine Volksabstimmung mit einfacher Mehrheit geben.
    In allen Angelegenheiten der EU wirken Bundestag -Bundesrat „UND“ das Deutsche Volk mit und müssen so mit zum frühest möglichen Zeitpunkt unterrichtet werden.
    Allein für ein demokratisches Europa von größter Wichtigkeit !
    Alles andere wäre regulieren (regieren) am Europäischem Volk vorbei.
    Das entspricht in keinem Fall der Europäischen Idee und wird langfristig in eine Katastrophe enden.
    Deutschland hat sicher eine Schlüsselstellung bei der Verwirklichung eines geeinten Europa,leider ist unser Erscheinungsbild im Europäischem Ausland nicht das beste und der Michel mit Zipfelmütze gewinnt wieder neue Konturen,so wie wir uns darstellen.
    Zur Zeit bemerken wir nicht wie uns der Boden unter den Füssen weggezogen wird im einene Land.
    Sind wir tatsächlich so dumm und trottelig?
    Die derzeitige Deutsche Politik lässt das Land ausbluten und unsere Wirtschftskraft wird mit aller Gewalt vernichtet.
    Die Medien belügen und betrügen uns Bürger auf ihre Weise,da sie sich anscheinend abhängig fühlen ,ohne es wirklich zu sein.
    Wenn Medienvertreter ihren gesunden Verstand gebaruchen würden ,müssten sie sich längst allesamt von der Regierung abkehren.
    Wenn das nicht bald geschieht wird diese vermeintliche Obrigkeitshörigkeit auch sie abstrafen.
    Wir haben es entgegen vieler Meinungen als Bürger in der Hand und haben es längst ein Gespür,dass es so nicht weiter gehen kann.
    Wie ist es zu erklären ,dass wir mitlerweile als Schlusslicht in der EU da stehen?
    Das wird sich auch nicht durch hochbezahlte Berater ändern weil auch da der Grundsatz gilt:Wes Brot ich fr..esse ,des Lied ich singe.

    Jedes Jahr werden uns die Weisen mit ihren Prognosen vorgestellt.
    Wenn diese Halbweisen wirklich weise wären,dann würden sie die deutlichen Fehlentscheidungen unserer Politiker erkennen und geeignete Vorschläge zu deren Beseitigung machen.
    Die Zahl der Konkurse und Geschäftsaufgaben haben sich verdoppelt!
    Haushalte kommen mit Ihrem Geld nicht mehr zurecht!Daraus erwachsen Kinder mit psychischen Störungen,Verhaltensstörungen,übersteigerter Esslust oder Hungerkuren,Konzentrationsmängel,Lernschwächen und körperliche Frühschäden.
    Die Verantwortung in der BRD oder EU trägt allein die Gesellschaft,die gleichgültig all das hinnehmen,was die Regierenden ihnen auferlegt in der Hoffnung,dass sich alles zum guten wenden wird.
    GLAUBE-Liebe-Hoffnung,sie machen weder satt noch auf Dauer zufrieden.

  20. Im FR-Blog wird zunehmend den Rechtsradikalen der Weg zur Publikation geebnet. Der Blogger „alterbutt“ ist ein Schreiber, der dem NPD-Gedankengut nachhängt. Er schreibt gern vom „Deutschen Volk“, wobei er, wie in Rechtsradikalen Kreisen üblich, das Adjektiv „deutsch“ zum feststehenden Begriff durch die Großschreibung stilisiert.

    „alterbutt“ meint: „Deutschland hat sicher eine Schlüsselstellung bei der Verwirklichung eines geeinten Europa…“. Die NPD möchte adäquat „die Stärkung des europäischen Zentrums durch eine selbstbewußte deutsche Politik…“.

    Die wirtschaftspolitischen Weisheiten von „alterbutt“ werden in diese Worte gekleidet: „Zur Zeit bemerken wir nicht wie uns der Boden unter den Füssen weggezogen wird im einene Land. Sind wir tatsächlich so dumm und trottelig? Die derzeitige Deutsche Politik lässt das Land ausbluten und unsere Wirtschftskraft wird mit aller Gewalt vernichtet.“

    Diese Formulierungen, die in jeder Nationalpostille exakt so dargestellt werden, beschwören die Konnotation von „Blut und Boden“.

    In seinem rechtsradikalen Rundumschlag versteigt „alterbutt“ sich in die NPD-Medienweisheit: „Die Medien belügen und betrügen uns Bürger auf ihre Weise, da sie sich anscheinend abhängig fühlen, ohne es wirklich zu sein.“

    Diese Einschätzung ist eine der gängigsten in nationalen Kreisen. Der Focus berichtet am 23.5.08 über die aus diesen Gedanken resultierenden praktischen politischen Handlungen: „Schon in der Vergangenheit hatte die NPD bei Parteitagen die Berichterstattung durch Pressevertreter massiv behindert: Beim Bundesparteitag in Berlin im Jahre 2006 wurden Pressevertreter nach den Eröffnungsreden der Vorstandsmitglieder stundenweise des Saales verwiesen.“

  21. alterbutt,
    diese Möchtegern-Weisen sind doch nichts anderes als KAffeesatzleser
    .. wie so viele (Meinungs“forschungs“institute etc) auch.

  22. Wie begründest du, alterbutt, diese „deutsche Vormachtstellung“ beim Errichten eines geeinten Europas? Natürlich tragen wir auf Grund unserer Historie eine besondere Verantwortung für Frieden und Einheit, aber ich sehe keinen Grund, wieso das unter unserer Führung geschehen sollte.

    Auch dein Lamentieren über den angeblichen Zustand Deutschlands halte ich für recht polemisch und wenig konkret, wie wäre es denn mal mit Butter bei die Fische?

  23. Ach Bakunix Dein Vergleich ,mich in die NPD Ecke zu stellen ist so blödsinnig ,dass ich nicht weiter darauf eingehen werde.
    Wenn bei kritischer Betrachtung der derzeitigen Situation jeder gleich in diese Ecke befördert wird sollte man mit Kritik aufhören.
    Natürlich wird es immer Ähnlichkeiten in der Argumentation geben und ausserdem haben auch diese Idioten von der NPD nicht mit allem so Unrecht.
    ROBERT B:
    Ich habe nicht von einer Vormachtstellung geschrieben sondern von einer Schlüsselstellung die sich schon aus der Geschichte aufdrängt und als zweiten Grund sind wir immer schon eine der größten Zahlmeister gewesen und es gilt in diesem Leben immer noch „wer zahlt sollte auch mitreden können“So einfach ist das und hat nichts mit Euren Interpretationen zu tun.
    „Lamentieren über den angeblichen Zustand“
    Ich weis nicht mein lieber wo Du zur Zeit lebst ,aber ich habe schon an andere Stelle auf ca 3 Mill Kinder hingewiesen ,die in Armut leben in der BRD.Allein das reicht polemisch zu Lamentieren oder ?
    Und allein das ist schon genug Butter bei die Fische wie Du so schön schreibst.
    Gern können wir weiter Mißstände hier erläutern ,aber bitte ohne gleich in die rechte Ecke geschoben zu werden.

  24. Alle, die das ach so demokratische Votum der Iren preisen und die EU zu einer plebizitären Volksdemokratie umbauen wollen, sollten sich die Motive der irischen Nein-Sager genau anschauen. Die Psychopathen, die glaubten, die EU würde das Kinderkriegen verbieten und den schon geborenen Mikrochips einpflanzen, können wir erstmal aussen vor lassen.

    Die Iren haben Nein gesagt, weil Sie einen besseren Deal für sich selber wollten. Also EU-Mittel für Irland anstatt für Polen, und mehr Stimmrecht in Rat und Parlament für Irland anstatt für Deutschland.

    Wer einen solchen Mangel an europäischer Solidarität und gemeinsamer Willensbildung gut findet, hat überhaupt nicht verstanden, wie schwer der europäische Integrationsprozess zu organisieren ist. Den Wunsch nach einem wohlhabenden, friedlichen und sozialen Europa hat wohl jeder, aber nur wenige wissen, wie man dahin kommt mit 27 Staaten, 23 Amtssprachen und einer enormen Vielfältigkeit an Traditionen und Kulturen.

    Das geht nur über Institutionen und komplexe Verträge. Guter Wille alleine reicht nicht, zumal dieser sich erfahrungsgemäss beim ersten kleinen Interessenskonflikt auflöst. Das Europa, das der deutsche Michel aus dem Urlaub kennt, ist nicht das wirkliche Europa.

  25. Ich verfrachte hier niemanden in irgendeine Ecke, wieso auch? Aber so billig kommst du mir nicht davon:

    […] ausserdem haben auch diese Idioten von der NPD nicht mit allem so Unrecht.

    Um den Blogfrieden zu wahren, frage ich jetzt nicht nach Aspekten, mit denen die NPDler „nicht Unrecht“ haben. Stattdessen möchte ich schon gerne wissen, aus welcher Geschichte denn diese Schlüsselstellung resultieren sollte.

    Weiterhin scheint dir unklar zu sein, wie die Administration auf EU-Ebene funktioniert. Da gibt es einmal ausgemusterte deutsche Beamte, die man im Inland nicht mehr braucht (möglicherweise Dilbert-Prinzip). Und dann gibt es da Bundesregierungen, die Gesetze, die sie so nie durch den Bundestag oder Bundesrat bekämen, der EU als Richtlinie geben, um sie dann als Gesetze „durchsetzen zu müssen“. Soviel Einfluss haben wir dann also doch — als größter Nettozahler.

    Und mit Butter bei die Fische meinte ich Belege. Wenn die Wirtschaftsweisen Fehlentwicklungen nicht erkennen, dann müsste es doch andere Volkswirte geben, die das erkennen. Dann wird es ja wohl öffentliche Statistiken über die Firmenpleiten geben.

    Schließlich und endlich ist zwar das Feststellen eines Mangels der erste Schritt, aber damit kann man es nicht bewenden lassen, Lösungsvorschläge, Ideen sind gefragt. Wie sieht es damit aus?

  26. Mal eine Klarstellung Richtung @ alterbutt

    Die Idioten von der NPD haben mit allem Unrecht. Sie gehen populistisch mit Themen hausieren, die von einer Reihe von Zeitgenossen mehr oder weniger deutlich als Missstände wahrgenommen werden, und sprechen diese unterschwelligen Strömungen gezielt an. Dabei geht es ihnen nicht um die Lösung dessen, was sie als „Problem“ ansprechen, sondern um das Gegenteil, um die Verschärfung des „Problems“. Wer wird schon den Ast absägen, auf dem er sitzt?

    Deutschland mag eine „Schlüsselstellung bei der Verwirklichung eines geeinten Europas“ haben, aber die wurde von der deutschen Politik stets als eingebunden definiert, als Bündelung der Kräfte mehrerer Staaten (mit Deutschland) als eine Art europäischer Motor. Jeder irrt, der meint, aus den deutschen Nettozahlungen bestimmte Rechte der deutschen Politik ableiten zu dürfen, zu sagen, wo es langzugehen hat. Im Gegenteil: Die deutsche Europapolitik ist gut beraten gewesen, stets diplomatisch aufzutreten und jeden Verdacht zu zerstreuen, Deutschland strebe eine Hegemoniestellung innerhalb der EU an.

    Natürlich sind diplomatische Mittel begrenzt. So scheiterte die Europapolitik – nicht nur die deutsche – früher bisweilen an britischer Hartleibigkeit. Nicht zuletzt diese Erfahrungen haben zu der Einsicht geführt, dass Europa weg muss von Prozessen der Entscheidungsfindung, in denen ein einzelnes Land den Ausschlag geben kann. Ein Grund dafür, warum es den Lissabon-Vertrag gibt.

    Alterbutt, ich denke, du solltest dir genauer überlegen, was du hier schreibst.

    Zur Erinnerung: Das Thema hier ist der Lissabon-Vertrag.

  27. Natürlich ist der Vertragstext von Lissabon ein wesentlicher Fortschritt gegenüber dem von Nizza, was die Arbeitsfähigkeit der europäischen Institutionen anbelangt, aber…. Aber die Einwände all derer, die hier einen mehr wirtschaftsliberalen Kontext sehen, sollten ernst genommen werden. Auf der einen Seite stehen die Verantwortlichen, und all die, die am neuen Text/Inhalt gearbeitet haben, und sich Mühe gegeben haben, möglichst viel „Fortschritt“ einzubauen. Und gestehen wir Ihnen zu, sie haben es, in Anbetracht der Tatsache, das hier 27 Staaten zufrieden sein müssen, ganz gut hinbekommen. Nur ist das eine rein rationelle Geschichte, und all den Europa-Skeptikern allein mit Ratio zu kommen, und die Gefühle außen vor zu lassen, wäre ein Fehler. Was hält die Verantwortlichen eigentlich davor ab, den Menschen in Europa zu erklären, was eigentlich das Ziel und der Zweck ist. Warum will man Europa, so, und nicht auch vielleicht anders? Warum wurde das Soziale so außer acht gelassen? Was ist mit den Themen Umwelt- und Verbraucherschutz? Warum entscheidet z.B. der europäische Gerichtshof in der Regel wirtschaftsfreundlich? Wie nehme ich den Menschen ihre Ängste und warum nehme ich diese Ängste nicht ernst?

    Vielleicht ging die ganze Erweiterung auch vielen zu schnell! Und vielleicht sind die ganzen Institutionen, auch und gerade mit allen vorausgegangenen Skandalen und Korruptionsaffären, für viele unbegreiflich oder sogar ein Wutfaktor? Warum immer noch dieser Wanderzirkus von Brüssel nach Straßburg? Warum immer noch diese hohen Agrarsubventionen, die eher Agrarfabriken zu Gute kommen als dem einzelnen Bio-Landwirt? Warum subventioniert die EU eigentlich Produkte, die jenseits der EU-Grenzen besser und billiger wachsen, wie Tabak oder Bananen?
    Und warum werden die EU-Grenzen nicht definiert, indem man z.B. sagt: Türkei ist EU-Land, aber Israel nicht, etc., und was würde eine Mitgliedschaft der Türkei bedeuten? Welche US-Interessen stecken hinter dem Werben für neue Mitglieder?

    Und was will die EU sein und werden, lediglich eine Wirtschafts-, Währungs- und Zoll-Union oder auch eine Föderation, also ein politischer Bundesstaat, ähnlich den USA?

    Solange alle diese Fragen nicht offen diskutiert und abgehandelt, sondern hinter verschlossenen Türen besprochen werden; solange wird die Europa-Skepsis anhalten oder sich noch verstärken.

  28. Nein, Robert, ich habe nicht in der ZEIT gelesen. Aber ich erhebe natürlich keinen Alleinvertretungsanspruch auf meine Meinung, und weiß, das viele so denken wie ich. Und vielen Dank für den Tipp, und den Link. Mal schauen, ob noch andere Blogger ihre Meinung hierzu kund tun.

  29. Hoffentlich tun hier noch andere Blogger ihre Meinung kund, dafür ist ein Blog doch da.

    Außerdem fällt mir gerade auf, dass mein Beitrag #29 grammatikalisch nicht gerade ein Glanzstück ist.

  30. Ich stimme dem Kommentar von brux (25) voll zu, der sich von anderen mit z.T. fundamentalistischer Tendenz angenehm unterscheidet. Fundamentalistisch heißt hier: allein an hehren Prinzipien einer Gesinnungsethik orientiert (gegen die an sich gewiss nichts einzuwenden ist, z.B. 19: Vorstellungen von Basisdemokratie), doch abgehoben von der Realität. Oder sie erklärt isolierte Einzelforderungen (z.B. 12: Ausstieg aus Kernenergienutzung), die nur ein Ziel von Verhandlungen sein können, zu deren Voraussetzung.
    Die EU ist aber keine Gesinnungs-, sondern eine Verantwortungsgemeinschaft, bei der nur eine Verantwortungsethik weiterhilft, die weltanschauliche Fragen (z.B. „christliches“ Europa) außen vor lässt und im Interesse des gemeinsamen Weges auch mit vermeintlich „schlechteren“ Lösungen leben kann. Kompromissfähigkeit ist nicht nur Voraussetzung für jegliche übernationale Zusammenarbeit, sie verändert im Prozess der Kompromissfindung auch die eigene (oft durch Maximalforderungen geprägte) Position.
    (Beispiel: Ich habe fast ein Jahrzehnt lang an einer Europäischen Schule an der „Harmonisierung“ von Lehrplänen der EU-Länder mitgewirkt, die heute unumstritten sind, gerade von deutschen Kollegen – aus engstirniger nationaler Sicht – aber oft als „Rückschritt“ angesehen wurden. Die vergleichenden OECD-Studien zum Bereich „Schule“ sprechen eine ganz andere Sprache.)
    Entscheidend ist, wie Thomas (13) richtig schreibt, ob ein Vertragswerk einen Fortschritt gegenüber dem Status quo darstellt und offen ist für weitere Verbesserungen, z.B. in der Frage demokratischer Strukturen. Der Vorwurf des „Demokratiedefizits“ ist unhistorisch und geht an der Sache vorbei: Die EU ist ja nicht als übernationales demokratisches Gesamtgebilde entstanden, sondern als wirtschaftliche Interessengemeinschaft (EWG), die es durchaus, trotz nationalstaatlicher Egoismen, geschafft hat, auch politische (EG) und demokratischere Strukturen auszubilden.
    Die Frage ist weiter (auch hier hat Thomas Recht), ob die Voraussetzungen für eine Fortsetzung dieses Prozesses mit einem – sicher unvollkommenen – Vertragswerk (insofern ist Wolfgang Fladung, 28, sicher zuzustimmen) besser sind als zuvor. Das gilt auch hinsichtlich des Vorwurfs des „Neoliberalismus“, der Auswirkungen der Globalisierung, die sich weitgehend unabhängig von politischen Strukturen vollziehen, auf den Lissabonner Vertrag projiziert. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Allein übernationale politische Willensbildung ist in der Lage, diese einzudämmen, und nur eine Konsolidierung der EU im Sinne des Lissabon-Vertrags böte Chancen zur Entwicklung geeigneter Instrumentarien. So verhindern „Gesinnungsethiker“ eben das, was sie anstreben (oder anzustreben vorgeben).
    Der Nizza-Vertrag (Thomas, 13, hat darauf hingewiesen) öffnet nationalen Egoismen Tür und Tor, schreibt Erpressbarkeit und Handlungsunfähigkeit fort und – das ist wohl das Schlimmste – trägt den Keim der Renationalisierung und damit der totalen Auslieferung an global wirkende wirtschaftliche Interessen in sich. Boykott- und Widerstandsszenarien wie die eines Herrn Pflüger (Einführung) nutzen ausschließlich der rechtsradikalen Szene. Ihr „Mitmischern“ ist logische Konsequenz und kein bloßer Schönheitsfehler, der zu vernachlässigen wäre.
    Ähnliches gilt m.E. auch für Illusionen einer „Demokratie von unten“, wie Wolfgang Fladung (19) sie formuliert (oder, schlimmer noch, die konfusen Rundumschläge von alterbutt, 20). Gerade in Deutschland sollte man mit solchen „Utopien“ vorsichtig sein: Auch die Nazis haben (auf ihre Weise) mit „dem Volk“ und „von unten“ regiert. Bei aller Kritik an mangelnder Information (die man nicht allein „den Regierenden“ in die Schuhe schieben kann): Die zum großen Teil konfusen bis lächerlichen Begründungen in der Ablehnungsfront geben wenig Veranlassung, auf eine solche Alternative zu bauen.
    Auf solche hier genannten Widersprüche wollte mein satirischer Beitrag (5) hinweisen. Satire – so Tucholsky – will Widerspruch provozieren, nicht durch Verzerrung oder Übertreibung, sondern durch Weglassen: indem es die Widersprüche hart gegeneinander setzt. Daher geht ein – durchaus willkommener und beabsichtigter – Widerspruch, der mit einer Detailinformation argumentiert (7 und 12), an der Sache vorbei.

  31. da muss ich lachen. kommt einer und erzählt den ewigen neinsagern mal, wie der laden wirklich läuft, und dann meldet sich keiner von denen mehr. so ist das eben, wenn die argumente ausgehen, oder?

    ich finde mich in dem beitrag von werner 1 zu 1 wieder, auch wenn ich das so schön und logisch nicht hätte sagen können

    schade nur, dass die diskussion damit wohl zu ende ist. dagegen kann wohl keiner anstinken

  32. Thomas (33) meinte zum Kommentar von Werner Engelmann (32), damit wäre die Diskussion beendet. Dagegen könne „wohl keiner anstinken“. Ich bin da anderer Meinung: Werner Engelmann wehrt sich gegen fundamentalistische Tendenzen, gegen eine „von jeder Realität abgehobene Gesinnungsethik“, allgemein gegen den Vorwurf eines neoliberalen, undemokratischen und militaristischen Vertragstexte. Die EU sei eine Verantwortungsgemeinschaft, Kompromissfähigkeit die Voraussetzung für übernationale Zusammenarbeit. Wie aber soll z.B. ein Kompromiss zwischen den Forderungen des Art. 1-41:“Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“ und dem Bestreben nach Entmilitarisierung der Außenpolitik, konsequenter Abrüstung und Verbot von Rüstungsexporten aussehen? Welche Kompromissmöglichkeiten bestehen zwischen der bevorzugten Förderung großtechnischer Lösungen in Industrie und Landwirtschaft und der Forderung nach dezentralen Strukturen („Small is beautiful“)? Welcher Kompromiss ist möglich zwischen zentraler, großtechnischer Energieversorgung durch Großkraftwerke und Fusionsreaktoren bis 3000 MW, riesigen Offshore-Windparks mit entsprechenden die Landschaft und Wälder zerschneidenden Überlandleitungen, Solar- und Windstrom aus der Sahara mit aufwendigen HGÜ-Leitungen einerseits und andererseits die Energieversorgung aus dezentralen Anlagen zur Nutzung regenerativer Energien, die Strom und Wärme dort erzeugen, wo sie benötigt werden, und das ohne aufwendige Überlandleitungen. Umweltschützer sprechen von „Kraftwerken in Bürgerhand“, Attac nennt das „power to the people“. Das sind Konzepte, die sich auf Dauer gegenseitig ausschließen und schon aus finanziellen Gründen nicht parallel entwickelt werden können, zwischen denen man sich in einem Vertragswerk entscheiden muss.
    Weiter frage ich mich, was die Kritik an Fladungs „Illusion einer Demokratie von unten“ und der Hinweis auf die Nazis soll. Demokratie setzt Meinungsfreiheit voraus. Im 3. Reich war aber die Äußerung der eigenen Meinung lebensgefährlich. Dass die Nazis „von unten regiert“ hätten, ist daher eine idiotische Aussage. Dieser Hinweis auf die Nazis ist eine schlimme Entgleisung! Der Vermutung, dass die Demokratisierung ein wesentliches Anliegen der Vertragswerke sei, widerspricht die leblose, nicht um Verstehen bemühte Beamtensprache, die kaum Interesse an der Meinung, den Bedürfnissen und Sorgen der europäischen Bevölkerung vermuten lässt.

    Gleichgültig, wie die Iren ihr Nein begründet haben, geben sie den Autoren der Verträge noch mal Gelegenheit, sich über die Kritik „neoliberal, undemokratisch und militaristisch“ Gedanken zu machen. Ob sie diese Gelegenheit nutzen? Ich bin da eher skeptisch.

  33. Lieber Herr Kress!
    Wer sich aufs hohe Ross setzt, um den Blick von oben herab auf die anderen zu genießen, sollte wissen, wie er mit dessen Launen fertig wird, um sich nicht unversehens auf recht schmerzhafte Weise wieder nach unten befördert zu sehen. Und wer (quasi als Catcher und Ringrichter in einer Person) Schläge unter der Gürtellinie verteilt („schlimme Entgleisung“, „idiotische Aussage“), geht deshalb noch lange nicht als Boxchampion aus dem Ring.
    Ich bin wie Sie auch skeptisch – um mit Ihrem Ende anzufangen -, dass die „Autoren der Verträge“ Ihr großzügiges pädagogisches Angebot zu schätzen wissen, sich endlich darüber „Gedanken zu machen“, was Sie offenbar schon lange wissen. Immerhin ein Punkt, in dem wir uns – wenn auch wahrscheinlich aus unterschiedlichen Gründen – einig sind.
    Zur „Kompromissfähigkeit“: Sie führen eine Fülle von Forderungen auf (sicher hätten Sie auf Nachfrage noch hundert weitere), schließen mit dem Schlachtruf von Attac („power to the people“) und fügen (bezogen auf den Lissabon-Vertrag) an: „Das sind Konzepte, die sich auf Dauer gegenseitig ausschließen.“ – In klarem Deutsch ausgedrückt also: nicht einen „besseren“ Vertrag, sondern gar keinen – zumindest solange nicht der Rest Europas sich Ihren Forderungen angeschlossen hat! Warum sagen Sie das nicht klipp und klar? – Vielleicht, weil es zu auffällig wäre, wenn man der EU pauschal „Demokratiedefizit“ vorwirft und selbst – gelinde gesagt – höchst elitären Vorstellungen frönt? Nebenbei: Wie glaubwürdig ist eine Argumentation, die wegen seiner „Unverständlichkeit“ gegen den Lissabon-Vertrag polemisiert und zugleich hundert Detailforderungen präsentiert, die angeblich unbedingt da hinein müssten, damit man an Zustimmung denken könne?
    Von welcher people-power reden Sie? Mit welchen Mitteln soll sie sich durchsetzen? Mit welchen Verbündeten? Da Sie die Argumente der Iren verständlicherweise gar nicht interessieren (Sie bekommen hoffentlich auch Bauchschmerzen bei den „Argumenten“ der „Lebensschützer!“): Wie wär’s mit der Le-Pen-Tochter Marine (von wegen „demokratisch“: „Français d’abord!) oder den Kaczynski-Zwillingen (die über „Radio Mariya“ nicht nur Antisemitismus, sondern zur Untermauerung polnischen Machtanspruchs gleich noch ihre Weltkriegstoten mobilisieren)? – Diese Musterbeispiele für lupenreine Demokraten sitzen auch in ihrem Boot und reiben sich die Hände. Da ich nicht vermute, dass Sie deren Weltbild teilen: Haben Sie sich schon einmal die Frage gestellt, wie Sie die Geister, die Sie rufen, auch wieder loswerden? – Womit wir beim eigentlichen Thema – meiner „idiotischen Aussage“ – wären.
    Zum Hintergrund:
    Michael Schöfer (Nr.4) fasst die unter einem Wust von Scheinlegitimationen versteckten entscheidenden Motive der Neinsager knapp und m.E. durchaus richtig zusammen: „Den Herrschenden eins auswischen – das geht via Europa am allerbesten.“ Also immer drauf gehauen, um seinen Frust loszuwerden, dann fühlt man sich ja befreit – auf wen man haut und ob man dabei nicht alles verschlimmert, ist nebensächlich. Also Politik aus dem Bauch: echt demokratisch? (Ich hatte in Berlin-Kreuzberg eine Schülerin, die sich für ganz engagiert „links“ hielt und am 1. Mai mit den „Autonomen“ türkische Läden zertrümmerte. Auf meine Frage, warum sie das tue, gab sie mir genau zur Antwort, dass sie so ihren Frust loswerden könne. Die war wenigstens ehrlich.)
    Ich bin in der Tat entsetzt, mit welcher Arroganz und Verachtung, aus dem Bauch heraus, hier im Blog über parlamentarische Demokratie geredet wird (die immerhin – nimmt man die Magna Charta als den Ausgangspunkt – über 7 Jahrhunderte brauchte, um sich wenigstens in einem Teil der Welt durchzusetzen). Hierzu nur einige Zitate: „Unsere ‚Hohen Herrn‘ dagegen versuchen uns laufend zu entmündigen“ (2), „Politiker in den Ländern und in Brüssel, ihre ‚Befehlsgeber‘ in der Wirtschaft“ (16) – dem wird entgegengesetzt: „Sieg der Volksherrschaft“ (19), „Deutsches Volk“ und „Europäisches Volk“ (was ist das?), hier (20) offenbar gleichgesetzt, und, last not least, Ihr famoses „power to the people“.
    In einem gebe ich Ihnen Recht: Man soll mit Nazi-Vergleichen – die meist durch Analogien Absichten unterstellen, um, statt sich mit unbequemen Meinungen auseinanderzusetzen, die Person k.o. zu schlagen – äußerst vorsichtig sein, und es wäre in der Tat „idiotisch“ von mir, wenn ein solcher vorläge. Allerdings sollte man richtig lesen, bevor man sich erhitzt. Und man braucht wohl differenziertere Kenntnisse über diese Zeit als die von Ihnen genannten beliebten Rechtfertigungsversuche, Kenntnisse vor allem über verräterische Terminologie, Verschleierungstaktiken und Mechanismen der Machtergreifung und Machterhaltung.
    Zur Erinnerung: Es ging bei meinen Ausführungen um utopische Modelle von „Volksherrschaft“ die in ihrer Abstraktheit wunderschön klingen. Man sollte Wolfgang Fladung (19) für die Offenheit, mit der seine Vorstellungen ausbreitet, keineswegs schelten, sondern ihm dafür danken (ich meine das keineswegs ironisch). Schließlich hat er sich als einziger von dieser Seite überhaupt Gedanken darüber gemacht, wie es denn weiter gehen soll, wenn der Rausch des gelungenen Coups gegen „die Herrschenden“ verflogen ist. Er hat dabei – sicher unfreiwillig – aufgezeigt, wie dürftig es auf dieser Seite aussieht, wenn erst einmal der scheinbar sichere Boden der Politik aus dem hohlen Bauch verlassen wird. Und seine pauschalen
    Vorstellungen von „unten“ und „oben“, seine wohl sehr naive Vorstellung, mit Hilfe einer bloßen Definition deduktiv ein gewachsenes und gerade in Deutschland mit unsäglichem Leid errungenes und historisch besonders begründetes System repräsentativer parlamentarischer Demokratie gewissermaßen im Alleingang aus den Angeln heben zu können und zu dürfen, ist nicht allein sein persönliches Problem, sondern ein gesellschaftliches Phänomen, wie gerade die Reaktionen auf „Irland“ deutlich machen.
    Dass er sich dabei verrennt und auf ein gefährliches Gebiet begibt, liegt an den völlig unausgegorenen und schwammigen Begriffen und Vorstellungen von „Demokratie“ und der deduktiven Methode. Als Gedankenspiel kann und soll man das sicher akzeptieren. Mit Ihren Sprüchen von „power to the people“ aber (weil das Englisch ist, ist es keineswegs besser, sondern nur mit verschleierndem Snobismus aufgemotzt) Tausende von realen und aufopferungsvollen Bemühungen um Versöhnung, Selbsterkenntnis, Verständnis, Vertrauensbildung, Versuchen, „mehr Demokratie zu wagen“ (Willy Brandt!), schließlich um unermüdliche Bemühungen um europäische Integration handstreichartig beiseite zu schieben und mit Etiketten wie „Demokratiedefizit“ versehen, erscheint mir aber als ziemliche Frechheit. Es ist nicht nur unfair und unhistorisch, sondern auch ein höchst gewagtes Unternehmen. (Wie viele Jahre soll denn ein solcher „demokratischer“ Willensbildungsprozess „von unten“ in einem Staatengebilde mit 27 Staaten und fast ebenso vielen Sprachen dauern: 10, 20 50? – Die immer wieder ins Spiel gebrachten Industriemultis – mit denen ich alles andere als sympathisiere – werden sich über das Politikvakuum freuen). Eingespielte und überprüfbare Mechanismen repräsentativer Demokratie – die sogar in einem Staatenbund von 27 sozial, kulturell, sprachlich und historisch höchst unterschiedlichen Einzelstaaten funktionsfähig sein können, ersetzt durch eine dubiose Form der Willensbildung („interessierte und freiwillig mitarbeitende BürgerInnen“) – Wie und durch wen legitimiert? Wie und durch wen zur Rechenschaft zu ziehen? Meinen Sie, die Pressure Groups schlafen? – Für Demagogen ein gefundenes Fressen. –
    Entscheidend ist, dass es Leute gab (und noch gibt), die das „befreiende“ Gefühl des Frustabbaus durchaus zu kanalisieren verstehen, die das Spiel mit den Emotionen gegen „die da oben“ besser beherrschen, als Sie (und manch andere, die sich hier melden) wahr haben wollen. – Was glauben Sie wohl, warum die Nazis als Allererstes die Repräsentative Demokratie buchstäblich in Brand gesetzt und durch ihre „interessierten“ und durchaus „freiwillig mitarbeitenden BürgerInnen“ – sprich: SA-Schlägertrupps – ersetzt haben, also Menschen, die ihre „schlagkräftigen“ Argumente (ich habe geschrieben: „auf ihre Weise“!) „von unten“ gegen „die da oben“ eingebracht haben? Und warum „das Volk“ diesem Treiben so tatenlos zusah? Das hatte damals weit mehr Grund als wir heute, nach Möglichkeiten des Frustabbaus zu suchen und fand diese in Aggression gegen Symbole der Parlamentarischen Demokratie und in der „Utopie“ antikapitalistisch klingender Nazi-Sprüche. – Bestes Anschauungsbeispiel dafür, was so befreiender „Frustabbau“ anrichten kann, wenn entsprechend „begabte“ Demagogen bereit stehen: Goebbels-Rede zum „totalen Krieg“ vom 18.2.43 (kurz nach dem „Desaster“ von Stalingrad – aus Nazi-Sicht): perfekte Inszenierung einer direkten „Volksherrschaft“ ohne „parlamentarischen Klimbim“, die im kollektiven Wahn endet. (Es waren tatsächlich alle Volksgruppen vertreten.)
    Eine „schlimme Entgleisung“ und „idiotische Aussage“, daran zu erinnern, wie „Volksherrschaft“ auch interpretiert werden kann und wie dies – mit bekannten Folgen – auch geschehen ist? Oder bloß unbequem, daran erinnert zu werden, dass man hochfahrende Gedanken besser gelegentlich erdet, damit beim nächsten Blitz nicht gleich alles in Brand gerät?
    Das wärs (obwohl ich noch viel mehr dazu zu sagen hätte). Da ich Ihnen wieder so viele „Entgleisungen“ zugemutet habe, schlage ich vor, Sie nutzen die Gelegenheit, den Zug wieder aufs „richtige“ Gleis zu bringen, indem Sie mir erzählen, wie und nach welchen Spielregeln Sie denn Ihr so „demokratisches“, „antiliberales“ (?) und „antimilitaristisches“ Europa mit den oben genannten super-demokratischen Bündnisgenossen durchsetzen und gestalten wollen. Das wäre verdienstvoll, denn Sie wären der Erste, der dies tut.
    Und zur Erinnerung: Das Thema heißt Lissabon-Vertrag!
    Mit freundlichen Grüßen
    Werner Engelmann, Luxemburg

  34. Lieber Herr Engelmann, für Ihr ausführliches Eingehen auf meinen Beitrag bedanke ich mich. Vor allem möchte ich mich für meine Entgleisungen entschuldigen, die Sie offenbar sehr getroffen haben und die offensichtlich nicht zur Versachlichung unseres Gespräches beigetragen haben. Meine Reaktion hat sicher mit meinen Erlebnissen im 3. Reich zu tun (Jahrgang 22).

    Nun zu Ihrem Schreiben: Sie sprechen von meinen höchst elitären Vorstellungen, von hunderten Detailforderungen, die angeblich in den Vertrag hinein müssten, damit man an Zustimmung denken könne. Wie kommen Sie auf Forderungen? Offensichtlich habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Ich forderte überhaupt nichts, sondern versuchte zu zeigen, dass sich beide Verträge einseitig auf Konzepte festlegen, die weder ausdiskutiert noch kaum mehrheitsfähig sind. Das betrifft einmal das Übergewicht militärischer Themen (Dank für Ihren Hinweis auf das Thema „Lissabon-Vertrag“, der allerdings überflüssig ist, da die einzelnen Artikel in beiden Verträgen wortgleich sind. Der von mir zitierte Text findet sich im Lissabon-Vertrag unter EU 1, Art. 42). Wie Umfragen belegen, überwiegt bei der Bevölkerung der Wunsch nach Abrüstung, nach Entmilitarisierung der Außenpolitik und Beendigung von Auslandseinsätzen. Viele fragen sich, wieso eine starke europäische Armee die Welt in Ordnung bringen kann, wo eine noch stärkere US-Army sie gerade in Unordnung bringt? Unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen in der Bevölkerung wird hier durch die Verträge eine Richtung vorgegeben, die vor allem den Intentionen der internationalen Friedensbewegung, der IPPNW, der DFG/VK und vielen weiteren pazifistischen Organisationen widerspricht.

    Das Gleiche gilt für den zweiten von mir angesprochenen Komplex „Industrie und Landwirtschaft“, wo Kompromisse zwischen den Intentionen der Verträge einerseits und den Zielen nationaler wie internationaler Organisationen (Attac, Greenpeace, BUND,…) andererseits nicht vorstellbar sind. Hierzu einige kritische Stimmen: Klaus Töpfer (CDU) kritisiert in der FR vom 18.4.08 die hoch subventionierten Lebensmittelexporte aus der EU, die den Aufbau einer eigenen Landwirtschaft in Afrika blockieren. Jean Ziegler in der FR vom 12.3.08: „Das EU-Agrar-Dumping zerstört die afrikanische Landwirtschaft und treibt die Hungerzahlen in die Höhe“. Beides ist erlaubt, da nach dem Lissabon-Vertrag (AEU 2, Art. 40) die Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik zwar jede Diskriminierung zwischen Erzeugern oder Verbrauchern innerhalb der Union ausschließen, nicht aber außerhalb.

    Nochmals: Die von mir genannten Themen sind keine Forderungen von mir, sondern sollen nur die Diskrepanz zwischen verschiedenen Konzepten und Lebensentwürfen aufzeigen. Eine Konsequenz aus dem dargestellten Dilemma könnte sein, dass man auf etliche Festlegungen in den Verträgen verzichtet und so Freiräume schafft für eigenständige Entwicklungen in einzelnen Mitgliedsländern oder Ländergruppen, die dann bei Bewährung Nachahmer finden, also eine Europäische Union, die offen für Experimente ist. Ein derartiges Um- und Neudenken scheint mir notwendig. Selbst die FAZ schreibt heute (2.7.08) auf S. 1:“Eine öffentliche Debatte über den Sinn und die Ziele der EU ist überfällig.“ Demokratie braucht eben, wie Fladung (19) richtig erkannt hat, viel Zeit. Mit freundlichen Grüßen. Kurt Kress, Frankfurt.

  35. Lieber Herr Kress,
    ich danke Ihnen für Ihre Antwort auf meinen Beitrag (35). Natürlich nehme ich Ihre Entschuldigung an und bitte Sie Ihrerseits um Nachsicht, wenn ich, was Sie persönlich betrifft, bei dem einen oder anderen übers Ziel hinausgeschossen sein sollte. (Ich hatte mehrere Beiträge zugleich im Blick und es ist in der hier gebotenen Kürze nicht so scharf trennbar.) Um es sofort auf den Punkt zu bringen: Über die von Ihnen (und auch von anderen) genannten Ziele könnten wir uns sicher schnell einigen. Es geht aber, scheint mir, bei der ganzen Debatte so gut wie ausschließlich um den richtigen Weg.
    Lassen Sie mich aber – um Missverständnisse möglichst auszuschließen – zuvor etwas zum Problem „persönliche Betroffenheit“ sagen. Ich sehe das zunächst sehr positiv: Ohne sie ist Engagement schwer vorstellbar. Entscheidend ist aber (das meine ich mit „Gesinnungsethikern“), dass diese nicht die Wahrnehmung anderer in ihrer legitimen abweichenden Sicht und ihren berechtigten Interessen blockiert und dass man in der Lage ist, sich ggf. auch zurückzunehmen. Hierzu drei Beispiele:
    1) Betroffenheit und Engagement: Mein Schwiegervater (Jahrgang 20) hat als französischer Offizier 1945 eine elsässische Kleinstadt von den Deutschen befreit. Ich habe mich oft gefragt, was ihn (als Soldat!) dazu befähigt hat, seine älteste Tochter ausgerechnet einem Deutschen zur Frau zu geben, ohne Hass und Ressentiment. Das verpflichtet. Seine Enkelkinder (unsere Kinder) fühlen sich heute in erster Linie nicht mehr als Deutsche oder Franzosen, sondern als Europäer. – Ein erstaunlich positiver Prozess, erfolgreich bewältigt in nur einer Generation! Aber ein Prozess (die Zwanziger Jahre lehren es: siehe Tucholsky), der noch nicht unumkehrbar ist.
    Das ist für mich der entscheidende Punkt in der gegenwärtigen Debatte: Das Ziel heiligt nicht die Mittel, und Idealisten, die vor allem ihr Ziel im Auge haben, finden sich schnell unversehens auf der falschen Seite wieder. (Was übrigens schon in den dreißiger Jahren einigen der prinzipiell „antikapitalistisch“ eingestellten Expressionisten passiert ist, z.B. Gottfried Benn oder Ernst Jünger.) Man muss hier fragen, wie das geschehen kann. Daher meine kritischen Anmerkungen zur schwammigen Begrifflichkeit von Fladung (19). Spätestens die – völlig logischen und vorhersehbaren – Reaktionen hasserfüllter Ewiggestriger vom Schlage der Kaczynski-Zwillinge (siehe FR von heute, 2.7.) zeigen deutlich, wohin die Europa-Reise ohne Lissabon-Vertrag geht. Da müssten bei wohlmeinenden Nein-Sagern eigentlich die Alarmglocken klingeln.
    2) Engagement und Rahmenbedingungen:
    Zum oben genannten europäischen Bewusstsein unserer Kinder haben sicher auch wir unser Scherflein beigetragen, doch das wäre nicht möglich gewesen ohne politische Rahmenbedingungen, hier etwa der deutsch-französische Vertrag. Und wenn ich heute an den Europäischen Institutionen in Luxemburg Menschen aus allen EU-Ländern unterrichten kann, die ihrerseits Offenheit für europäisches Denken in ihre Länder weitertragen, so vor allem auch, weil die vielgescholtenen „Brüsseler Bürokraten“ es ermöglicht haben. (Daher auch meine Wut auf die weit verbreiteten, oft primitiven Vorurteile). Unter diesen Schülern sind u.a. viele Polen, die sich der Kaczynskis schämen. Nicht nur diesen wird, wenn der Integrationsprozess gestoppt wird, der Boden unter den Füßen weggezogen.
    Ein grundlegender Irrtum wohl der meisten Nein-Sager: Verträge sind nicht vor allem Ziel, sondern mehr noch Ausgangspunkt und Basis. Erst das Engagement der Menschen, die eine solche Grundlage brauchen, schafft wirkliche Veränderung. – Wer bitteschön hindert die, die so über „Fremdbestimmung aus Brüssel“ jammern, ihre Vorstellungen einzubringen? Wer es nicht, wie ich z.B., am Arbeitsplatz tun kann, dann eben in Straßburg, evt. auch am Europ. Gerichtshof. (Beispiel: Verurteilung der Berufsverbote in Deutschland – Unsinn, zu behaupten, da sei alles nur bürgerfern und von oben herab.) Und wo wird das im Lissabon-Vertrag untersagt? Das Gegenteil (Thomas, 9 und 13) hat darauf hingewiesen, ist richtig.
    3) Zurücknahme von Engagement und Toleranz
    Auch „alte 68er“ (zu denen ich mich zähle) mussten lernen, was Rudi Dutschke schon wusste: Revolution ist ein langer Marsch durch die Institutionen. Das ist mühsam und manchmal auch frustrierend. Das heißt, sich im gemeinsamen Interesse punktuell zurückzunehmen zu können, ohne das Ziel aufzugeben. Vor allem: auf Trotzreaktionen verzichten, die kurzfristig Erleichterung vom Frust verschaffen mögen, langfristig aber kontraproduktiv und reaktionär sind. (Es ist billig und selbstbetrügerisch, sich am falschen „Gemeinschafts“-Gefühl des Nein-Sagens zu laben und die Augen davor zu verschließen, dass diese Einheit eine Schimäre ist. Dass aus den völlig konträren Motiven niemals produktives Handeln erwachsen kann.) Vor allem aber heißt es, Augenmaß zu behalten, zu unterscheiden zwischen grundsätzlichen und (verhandelbaren) Detailforderungen und zwischen kurzfristigen und langfristigen Zielen. Daher mein Vorwurf des „Elitären“, der nicht auf Sie gemünzt ist, wohl aber auf das Bewusstsein in manchen der von Ihnen genannten NGOs und Bürgerinitiativen. So wertvoll ihre Arbeit in mancher Hinsicht ist: Sie haben sich keiner demokratischen Wahl gestellt, unterliegen keiner demokratischen Kontrolle und es ist nicht hinnehmbar, dass sie sich wie eine Art Neben-oder Ersatzparlament aufführen (wie es im Beitrag 19 von Fladung durchscheint, daher auch meine Warnung in Form des historischen Rückgriffs).
    – Weiterer fundamentaler Widerspruch der Neinsager: Einerseits wird geklagt, dass alles „zu schnell“ geht (was zumindest subjektiv für manches begründet erscheinen mag), andererseits wird (hier auch in erpresserischer Weise) auf sofortige Erfüllung von Forderungen gedrängt, die nur Ergebnis eines langen Diskussions- und Willensbildungsprozesses sein können.
    In diesem Zusammenhang drei kritische Anmerkungen zu Ihren Äußerungen über „militärische Themen“, die Ihnen (verständlicherweise) am Herzen zu liegen scheinen. Ich halte es erstens für überzogen und gefährlich, aus einem Paragraphen (1-41) „Militarismus“ herauszulesen, weil das die tatsächlichen, vergangenen und gegenwärtigen Formen von „Militarismus“ verniedlicht. Zweitens erscheinen mir nach Erfahrungen wie Srebrenica Wunschvorstellungen der 70er Jahre (die ich auch teilte) nicht mehr haltbar. Und drittens sollte man auch in Deutschland zur Kenntnis nehmen, dass die Niederschlagung des Faschismus eine militärische war und sein musste, weil die deutsche Zivilgesellschaft versagt hatte. Wir haben gerade in dieser Hinsicht wenig Veranlassung, als Moralapostel aufzutreten, was im europäischen Rahmen einer Beleidigung derjenigen gleichkommt, denen wir unsere Freiheit verdanken. Wir müssen unsere Schuldkomplexe schon auf andere Weise bewältigen und sollten begreifen, warum z.B. in Frankreich manche Forderungen der Friedensbewegung nur ein müdes Lächeln hervorruft. Europäisch denken heißt zu akzeptieren, dass wir nicht der Nabel der Welt und Menschen, die aufgrund anderer Erfahrungen anders denken, keine „Kriegstreiber“ sind.
    Zum Komplex „Industrie und Landwirtschaft“ spare ich mir lange Ausführungen. Ich sehe das als Ziel genauso, die Frage ist wieder die der Mittel. Wie beim Thema „Globalisierung“ und „soziales Europa“ sehe ich eine Chance für die Herausbildung von Instrumentarien, die auch politisches Gewicht haben müssen, nur in der Bündelung der Kräfte (was eine funktionierende EU voraussetzt) und nicht in der Rückkehr zu nationalen Egoismen.
    Zusammengefasst: Bei manchen durchaus überlegenswerten Vorschlägen und Kritikpunkten, die hier geäußert wurden: Ich kann angesichts der oben angedeuteten Auswirkungen (der Hinweis auf die Kaczynskis ist nur ein Beispiel) keinen erkennen, der ein „Nein“ zum Lissabon-Vertrag rechtfertigen könnte.
    Mit freundlichen Grüßen
    Werner Engelmann

  36. „wohl aber auf das Bewusstsein in manchen der von Ihnen genannten NGOs und Bürgerinitiativen. So wertvoll ihre Arbeit in mancher Hinsicht ist: Sie haben sich keiner demokratischen Wahl gestellt, unterliegen keiner demokratischen Kontrolle und es ist nicht hinnehmbar, dass sie sich wie eine Art Neben-oder Ersatzparlament aufführen (wie es im Beitrag 19 von Fladung durchscheint…“

    Hallo Herr Engelmann,

    ein bißchen spät, meine Replik, und möglicherweise zu spät, weil 3 Tage Abstand dazwischen, aber ich versuche es trotzdem. Wir scheinen in etwa im selben Alter zu sein – ich werde diesen Monat 63 – und daher auch ähnliche Erfahrungen mit dem europäischen, ich sage mal „Reife“-Prozess, gemacht zu haben. Mögen Sie französischen Käse? Auch dieser wird ja durch die Reife immer besser.

    Leider scheint mir beim europäischen Reifungsprozess einiges in den letzten Jahren durcheinander geraten zu sein. Ich war als Jungmann ein begeisterter Europäer, und wenn ich nach meiner Nationalität gefragt wurde, dann antwortete ich „Europäer“. Heute antworte ich „Hesse“ – merken Sie den Unterschied? Europa hatte immer die Chance, in zwei Richtungen zu wachsen, horizontal, also sich in Richtung Nationen verbreiternd, und vertikal, also seine Fähigkeiten und demokratischen Möglichkeiten vertiefend. Mir scheint, die Entscheidung lief seit langem, seit der „Wende“-Zeit, also der Implosion des real existierenden, und zusammengekrachten, (Staats-)Sozialismus, eher auf der horizontalen Ebene.

    Und jetzt kommt das, was nicht nur ich, sondern auch viele andere, die durchaus den Europa-Gedanken begrüßen, und immer begrüßt haben, Bauchschmerzen bereitet: Warum wurde die Häufung der EU-Staaten v o r eine Anpassung sozialer und finanzieller Standards gesetzt? Warum war und ist es immer noch möglich, innerhalb Europas Kapitalflucht zu betreiben, siehe „Finanzplatz“ London? Warum wurde die Agrarlobby so gehätschelt, die doch im wesentlichen nur der Agrarindustrie und den Großbauern das Wort redete, mit allen Auswirkungen auf den einseitig durch Zoll-Standards eingeschränkten Handel mit z.B. afrikanischen Ländern? Was war mit den Korruptions-Skandalen innerhalb der letzten Kommission? Warum gibt es immer noch den Umzugs-Zirkus von Brüssel nach Straßburg? Warum müssen – nicht in allen Ländern – EU-Parlamentarier das Mehrfache von Landes-Parlamentariern verdienen?

    Bin ich jetzt eine „Erbsenzähler“? Sie argumentieren in allem mit der Ratio, na gut, aber vergessen, das Menschen auch Emotionen, Ängste, haben, vor allem, wenn es um Neues geht, und darum, das ihnen weggenommen werden könnte, und nicht gegeben.

    Wo waren unsere Politiker, als es darum ging, einen 350-Seiten-Vertrag vielleicht in eine kürzere Form zu gießen, verständlich für Lieschen Müller? Warum gab es keine Tournee durch deutsche Städte, um Vertrag, Inhalt und Ziele vorzustellen? Warum wird in unseren Schulen der Begriff „Demokratie“ (ja, ein schönes Wort von Whisky-Willy, „mehr Demokratie wagen“) nicht mit Leben erfüllt, und das durchaus mühsame Geschäft erklärt, und für Mitarbeit, Mitgestaltung geworben?

    Ich war von 1972 an aktives, d.h. mit diversen Ämtern be- und vertrautes Mitglied in mehreren Parteien, und dazwischen auch in Bürgerbewegungen, von der SPD über die Grünen zur WASG. Bei der Linkspartei habe ich dann das Handtuch geworfen, weil mir bei STASI- und Mauerschützen-Befürwortern übel wurde. Ich kenne also, oder meine zu kennen, auch die Tricks, und Absprachen, die nicht-öffentlich, also in Hinterzimmern, oder bei der Anfahrt im Auto, liefen. Und, glauben Sie mir, all dies hat meinen Glauben an die von Ihnen für Europa so viel beschworene, und hochgehaltene, Demokratie nicht unbedingt bestärkt.

    Natürlich sind NGO’s, oder andere Bewegungen, nicht durch Wahlen legitimiert. Sie machen ihre Ansprüche aufgrund ihres Gewissens geltend, was nicht das Schlechteste sein muß, weil sie sehr oft genau und gerade über die (schmutzigen) kleinen Geheimnisse aufklären, welche die lt. Ihnen demokratisch legitimierten Volksvertreter gerne für sich behalten würden. Amts-Eid – kann ich nur lachen! Hier sollte im Hintergrund bei der Ableistung aufleuchten, für welche Industrie-Lobby-Gruppe der Abgeordnete tätig ist.

    Und nochmals ein Hinweis auf die plebiszitären Möglichkeiten – sind die Schweizer alle undemokratisch, weil es in ihrem Land diese Möglichkeit gibt? Ist das Vorhandensein einer populistischen Partei ein Grund, auf Plebiszite zu verzichten? Wäre es nicht gerade die urdemokratische Aufgabe eines Staates, seine Bürger so zu informieren, zu bilden, und zur politischen Teilhabe zu bewegen, das bei Volksentscheiden nicht die Bauernfänger die Mehrheit hinter sich scharen?

    Könnte natürlich sein, das Sie selbst in Lohn und Brot bei einer EU-Behörde stehen, und dann auch das „Wes Brot eß ich, des Lied sing ich“, eine Rolle spielt. Die Begeisterungsfähigkeit ihres „europäischen“ Ministerpräsidenten hat ja auch die jenseits von „Abtreibung, nein danke“ liegenden Argumente der irischen Bürger abgebügelt.

    Wir europäischen Bürger möchten gerne „mehr Demokratie wagen“, man muß uns nur auch lassen dürfen.

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