„Wir versuchen uns vorzustellen“, schreibt Stephan Hebel in seinem Text „Lasst ihn doch sitzen„, „welche Energie zur Abfuhr kommt, wenn man einem Wachs-Diktator 63 Jahre nach dem Tod des Originals die Worte ‚Nie wieder Krieg‘ ins unbewegte Gesicht schleudert, um ihm dieses gleich anschließend vom Hals zu reißen.“ Weiter: „Was Frank L. zum handgreiflichen Ausdruck brachte, das ist die Kopflosigkeit, mit der sich Deutschlands Sprech-Elite auch nach 63 Jahren erfreulicher Führerlosigkeit noch zu erregen beliebt.“ Eines steht in jedem Fall fest: Für Madame Tussaud’s Wachsfigurenkabinett konnte es keine bessere Werbung geben. 200.000 Euro soll die Hitler-Wachsfigur wert sein.

Dazu FR-Leser Andreas Amarantidis aus Frankfurt:

„Es ist unheimlich wie sehr unsere Vergangenheit noch in unseren Köpfen steckt. Erschreckend vor allem dann, wenn der Inquisitor, in seiner Position als Ankläger, Richter und Vollstrecker, nur 41 Jahre alt ist und die Vergangenheit garnicht miterlebt hat, die ihm so gut als Grundlage seiner Handlung dient.
Es gibt einen Unterschied zwischen der Bewältigung von Ereignissen und dem neurotischen Festhalten dergleichen. Sich der Vergangenheit bewusst zu sein und sie sich zukünftig beratend zu Nutze zu machen, ist die Bewältigung. Das krankhafte Festhalten ist, sie in Beton zu gießen und die Berliner Erde etwas herunter zu drücken. Oder in das Wachsfigurenkabinett zu stürmen und einem großen Haufen geformten Waches den Kopf abzureißen.
Es war ja nicht so, als hätten wir sein Bild auf den größten Platz der Hauptstadt gehängt und ihn noch Jahrzehnte nach seinem Tod verehrt.
Wer in der Öffentlichkeit die Stimme senkt, wenn er das Wort ‚Nazi‘ oder ‚Hitler‘ ausspricht, wer einer rechtsradikalen Vereinigung beitritt und wer in ein Wachsfigurenkabinett rennt um ein Ausstellungsstück zu enthaupten, das in direktem historischen Zusammenhang mit uns steht, der sorgt dafür, dass wir daran festhalten und es niemals bewältigen.“

Klaus Kampa aus Berlin meint:

„In mir streiten zwei ‚Ebenen‘: a) meine Vernunft, das aufhebende (Hegel) und aufklärische Sein und b) das Anerkennen der beständigen Verdummung (somit Entmündigung) der abendlichen Kulturwertenation. A ist weder medial und noch alltagstauglich, aber bitter nötig. Deshalb schreiben Sie für mich mit, wenn Sie schreiben: ‚Unser Vorschlag: Setzt den Berliner Wachs-Hitler wieder hin, habt keine Angst vor ihm!‘ Nur so gesehen ist ‚Unser Vorschlag‘ unser Vorschlag und wohl unser Da – Sein. Hoffentlich sind wir mehr als zwei!“

Frank-Joachim Bebber aus Pforzheim:

„Typisch! Schnell ‚gelernte‘ Deutsche Geschichte aus unvollständigen deutschen Geschichtsbüchern!
Hätte man alle Verantwortliche des NS-Regimes in Gruppen zu je einer repräsentierenden Wachs-Gestalt m/w um den Wachs Hitler herumgesellt, dann wäre diesem 41jährigen fehlgebildeten ‚Erwachsenen‘ eventuell noch ein Licht aufgegangen. In einem so vollen, aber realistischeren Raum eines Wachsfigurenkabinetts hätte er eine ganze Reihe von Wachsköpfen führender und/oder im Hintergrund agierender und dem NS-Regime mit blutigen Händen dienlichen deutscher Frauen und Männer vom Wachskörper schlagen müssen, und … vielleicht hätte dieser 41jährige beim ersten Anblick aller Gestalten auch einmal erschrocken über seine Unwissenheit und Leichtgläubigkeit nachgedacht und … ihm wäre im vorab die Unsinnigkeit seiner Aktion, einem Wachs Hitler den Kopf abzuschlagen, aufgefallen!“

Verwandte Themen

7 Kommentare zu “Neurotisch?

  1. Schuld an dieser Verwirrung ist bestimmt die Wachsindustrie, die es nicht verhindern konnte (oder gar nicht wollte??), daß solcherlei Konterfeis aus dem bekannten Grundstoff hergestellt werden, diese und andere, bis hin zu Schneemännern mit Docht.

  2. Was soll dieser ganze hysterische Hype um eine große Kerze ? In Hamburg steht sogar eine Wachsfigur aus, die zu Zeiten des Dritten Reichs angefertigt wurde. Neben Stalin und anderen Diktatoren. Und das seit einigen Jahren.

    Anscheinend muss man sich über alles echauffieren…..

  3. Zu diesem Thema, gibt es eigendlich nicht mehr viel zu sagen.
    Die Medien haben sich ja „gegenseitig“ an Kommentaren überboten, nach dieser sinnlosen Aktion.
    Tatsache ist aber: Hitler gehört zur deutschen
    Zeitgeschichte, sowie Politiker vor oder nach ihm auch!

  4. Mich würde interessieren, wie dieser Mann, erst 1967 geboren, zu einem derartigen Gefühlsausbruch – wenn es denn einer war – kommen konnte.
    Gibt es da schon eine Hintergrundgeschichte ?

    Leider wird hier und in ähnlichen Fällen nichts mehr berichtet.

    maderholz

  5. maderholz:
    Ich glaube es war eine einfache Wette ,nicht mehr oder weniger.
    Wurde viel zu Hochgepuscht !!
    Traurige Bilanz: Berühmtheit erlangt man/frau nicht durch Einfachheit und Ehrlichkeit sondern nur duch die Extreme.
    Nachahmung nicht erstrebenswert ,der Kopf hätte zu Lebzeiten entfernt werden müssen ,was leider gescheitert ist.

  6. Nein, alterbutt, Köpfe entfernen ist und bleibt barbarisch. Da trifft schon eher die Überschrift des Threads: Man hätte den Kopf rechtzeitig behandeln sollen, psychoanalytisch, psychiatrisch, was immer den armen A. geheilt hätte.

Kommentarfunktion geschlossen