Die Kirche ist nicht bereit, sich grundsätzlich zu ändern

Die katholische Kirche steckt in einer tiefen Krise, nicht nur Deutschland. Nach etlichen Missbrauchsfällen, die nun an die Öffentlichkeit kamen, hat sie ihren die Gesellschaft prägenden Status verloren. Nicht nur in Irland. Auch in den USA, wo sie allerdings nie prägend war, gab es eine Reihe von Skandalen, ebenso wie in Deutschland. Der wohl folgenschwerste drehte sich um die Regensburger Domspatzen, den weltbekannten Knabenchor, eine Institution des deutschen Katholizismus. Was darüber an die Öffentlichkeit kam, hat die Kirche massiv Glaubwürdigkeit und Vertrauen gekostet.

Mit einer Studie über den sexuellen Missbrauch an Minderjährigen will die Deutsche Bischofskonferenz nun versuchen, das Heft des Handelns wieder in die Hand zu bekommen. Diese Studie weist erschütternde Zahlen aus. Zwischen 1946 und 2014 erfasst sie insgesamt 3.677 sexuelle Vergehen durch 1.670 Kleriker an überwiegend männlichen Minderjährigen bis maximal 13 Jahre. In jedem sechsten Fall sei es zur Vergewaltigung gekommen. Die Studie würde kürzlich vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz vorgestellt, Kardinal Reinhard Marx. Sie wurde von unabhängigen Wissenschaftlern verschiedener universitärer Institute erarbeitet und muss sich wahrlich nicht den Vorwurf gefallen lassen, die Dinge nicht zu benennen. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Vorfälle, von denen sie berichtet, verjährt sind und daher nicht mehr juristisch aufgearbeitet werden. Die Opfer haben davon also wahrscheinlich wenig. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Kirche zu dieser Aufarbeitung getrieben werden musste. Immerhin, ein Anfang scheint gemacht.

Mehr aber auch nicht. Die Laienorganisationen „Wir sind Kirche“ und „Eckiger Tisch“ sprechen angesichts dieser Zahlen von der „Spitze des Eisbergs“ und gehen von einer großen Dunkelziffer an Missbrauchsfällen aus. Auch der Forensische Psychiater Harald Dreßing, Koordinator des Forscherverbunds der Universitäten Mannheim, Heidelberg und Gießen, äußert sich so. Er spricht von „unteren Schätzgrößen“. Das tatsächliche Ausmaß der Vergehen dürfte erheblich höher sein. Die Studie erfasst nur eine Stichprobe aus vier Bistümern. Die Archive von 17 weiteren Bistümern blieben den Wissenschaftlern verschlossen. Namen von Tätern wurden nicht genannt.

Es handle sich um ein anhaltendes Problem, sagen die Forscher. Das heißt: Die Gefahr, die Kindern droht, wenn sie in die Obhut von Geistlichen gegeben werden, ist nicht gebannt. Ein „komplexes Zusammenspiel von sexueller Unreife und abgewehrten oder verleugneten homosexuellen Neigungen“ von Priestern in einer „teilweise auch offen homophoben Umgebung“ könne eine Erklärung für das Überwiegen männlicher Opfer beim Missbrauch durch katholische Geistliche bieten“, sagte Dreßing. Solchen Befunden müsse sich die Kirche stellen, wenn sie den Missbrauch ernsthaft und „auch mit dem Mut zur Veränderung“ aufarbeiten wolle.

Kardinal Marx spricht von einem Wendepunkt und von einem „wichtigen Tag für die Geschichte der Kirche in Deutschland“ und stellt Entschädigungszahlungen in Aussicht. Es ist wahr: Die Kirche, nicht nur die katholische, hat an Glaubwürdigkeit verloren. Sie ist bislang noch eine relevante gesellschaftliche Größe, aber dieser Einfluss schwindet. Es erscheint schwer vorstellbar, dass eine Organisation wie insbesondere die katholische Kirche mit ihren jahrtausendealten, archaischen, verkrusteten Strukturen in unserer Gegenwart wieder zur formenden Kraft werden kann. Es wäre nicht schade, wenn sie es nicht kann, wenn diese Gesellschaft sich also von ihr befreien würde. Aber wenn sie wieder zu einer relevanten Kraft werden will, muss sie den Missbrauchsopfern Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ohne Ausflüchte.

Das heißt auch: Die katholische Kirche muss ihre Haltung zur Sexualität radikal überdenken. Sie muss sich fragen: Was ist der Grund dafür, dass sie vielen Pädophile so anziehend erscheint? Offenbar bietet sie Pädophilen nämlich ein System aus Schuld, Reue und Buße an, das es ihnen erlaubt, in der Kirche Unterschlupf zu finden. Strafe scheint dabei wichtig zu sein, um die Schuldgefühle der Akteure zu besänftigen. Um reife Homo- oder Heterosexualität geht es bei allerdem offenkundig nicht, da die Opfer überwiegend Kinder vor der Pubertät sind, nicht gleichberechtigte Sexualpartner. Man muss dies klar sagen: Es geht um Pädophilie – und damit um Aneignung, Überwältigung und Vergewaltigung, um Macht. Ob die Aufhebung des Zölibats allein etwas zu bessern vermag, erscheint mir daher höchst fragwürdig, aber wenn das der Weg ist, der die Kirche ein Verhältnis zur menschlichen Sexualität finden lässt, das endlich Schluss macht mit archaischen Denkweisen, dann muss sie ihn gehen. Es dürfte zu spät sein. Die Kirche hat viel zu lange an diesem Kokolores festgehalten. Zölibat! Was für ein unsäglicher Unsinn!

Balken 4Leserbriefe

Paul R. Woods aus Neumagen-Dhron:

„Missbrauch von Minderjährigen begangen von katholischen Priestern und Laien – was gibt es sonst noch Neues? Denn spätestens seit Jürgen Bartsch, der in einer Einrichtung des Salesianer Don Bosco vor mehr als 50 Jahren zu dem wurde, was dann zur Ermordung von mehreren Kindern führte, hätte jedem bewusst sein müssen, was die katholische Kirche, aber nicht nur sie, an Verbrechen an Minderjährigen beging.
Wenn der Bischof Marx nun sagt „wir haben ihnen nicht zugehört“, dann vertuscht er schon wieder. Es wurde zugehört, was bei Akteneinsicht durch Außenstehende bekannt geworden wäre. Die Opfer wurden eingeschüchtert, gar bedroht, und bestenfalls mit Almosen abgespeist.
Bereits beim Runden Tisch zur Heimerziehung zeigten sich die Kirchen-Vertreter als Bremser und Verharmloser. Einer Prüfergruppe den unmittelbaren Zugang zu den Akten zu verweigern und die Namen der Täter zu verschweigen zeigt, dass die Kirche nicht bereit ist sich grundlegend zu ändern.
Wie sagte gestern eine Frau in den Landesnachrichten des SWR3 RP: „Eher wird ein Verbrecher als Priester eingesetzt, als eine Frau.“ Ergänzend könnte frei aus Genesis zitiert werden: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist – lasst uns ihm eine Gefährtin geben.“ Es täte der katholischen Kirche sicherlich gut, diese Handlung ebenfalls zu vollziehen.“

Dietmut Thilenius aus Bad Soden:

„Das Missbrauchsystem ist mit dem Zölibat verknüpft. Letzteres ist keine biblische Einrichtung, sondern wurde im 4. Jahrhundert in der westlichen Kirche in seiner ausgeprägtesten Form eingeführt. Mit der Heirat eines Priesters ist ein Verlust an Vermögen und an Macht für den Vatikan verknüpft. Die Entscheidungsträger in der westlichen Kirche waren/sind überwiegend ältere Herren, die in der Regel bis zu ihrem Tod ihren Amtssitz behielten und zur Ehelosigkeit verpflichtet sind. Wenn ein Priester dennoch heiratete, verlor er sein Amt. Oder er handelte heimlich. Wirksam gegen Missbrauch wäre die Heiratsmöglichkeit für Priester und die Ordination von Frauen als Priesterinnen. Die Gleichberechtigung der beiden Geschlechter im Priesteramt wäre eine große Bereicherung für das Kirchenvolk und sie wäre nötig für die vielen vakanten Pfarrstellen wegen Priestermangel. Das beste Gegenmittel zu Missbrauch ist Heiraten.

Axel Schneider aus Berlstedt:

„Das Problem schmort ja nun schon seit Jahrhunderten. Bereits im Jahre 1530 sah sich ein ehemaliger Augustinermönch veranlasst, an die ganze Geistlichkeit, zu Augsburg versammelt zum Reichstag, folgende Vermahnung zu richten: Nun, liebe Herren, wollt ihr rechtschaffen sein und recht tun, so zwingt euch in diesem Stück zur Buße wegen all des wüsten, unaussprechlichen Jammers der Unzucht in allerlei Gestalt in aller Welt, welcher aus dieser verfluchten päpstlichen Neuerung erwachsen ist – welche auch euch allem auf dem Hals liegt und liegen bleibt, wenn ihr nicht daran geht und es ändert.“ – Auf dem Lande äußerte man sich in katholischen Gegenden im Hinblick auf den Dorfpfarrer drastischer: „Am Hirn kann er es ja schließlich nicht ausschwitzen!“ Damit ist das Thema erschöpfend behandelt.“

Sigurd Schmidt aus Bad Homburg:

„Die FR –wie eigentlich alle bedeutenden Tageszeitungen – berichtet täglich über neue Erkenntnisse über den Umfang von Kinder-und Jugendlichen Mißbrauch im Rahmen von Einrichtungen unterschiedlichster Art in der katholischen Kirche. Häufig wird das Zölibat als ein Hauptgrund für das widerliche Phänomen genannt. Das greift aber mutmaßlich zu kurz. Es ist vielmehr so, daß die katholische Kirche generell zur Sexualität ein „verkorkstes“ Verhältnis hat. Stichwort: menschliches Fleisch sei per se sündig. Daß sich die katholische Kirche anmaßt, den Gläubigen oder auch nur noch formal der Kirche Zugehörigen eine Sexualethik vorzuschreiben, ist ein Unding. Und es ist ein Unding, wenn der Vatikan die Parole ausgibt, daß der Sexualtrieb ausschließlich der Fortpflanzung und nicht der Lust diene. Es reicht also keineswegs ,nur das Zölibat zu lockern.“

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34 Kommentare zu “Die Kirche ist nicht bereit, sich grundsätzlich zu ändern

  1. Was mich entsetzt ist die Bigotterie. Ein Lehrer der gleichgeschlechtlich heiraten möchte, ein Arzt, der eine 2. Ehe eingeht sind Handlungen, die mit der Kirche und ihrer Lehre nicht vereinbar sind.
    Pädophilie bei Priestern ist was? Das Leben von ihnen anvertrauten Kindern zerstören ist was?
    Mit der Lehre vereinbar? Sünder tue Buße und es wird schon?
    Es ist eine Straftat und die Regelungen die die Kirche mit dem Staat hat, gibt ihnen die Handlungsfreiheit, mit straffällig gewordenen Priestern auf ihre Weise umzugehen.
    Das muss ein Ende haben.

    Der Abschaffung des Zölibats wird der Herrenclub nicht zustimmen und eine Lösung für die Pädophilen in den eigenen Reihen ist es auch nicht.

    Was ich mich oft frage ist, macht Glaube völlig blind, oder geht es nur um Macht.
    Wie kann ein Mensch Priester sein, die Gebote Gottes – nach ihrer Lehre – den Gläubigen als das einzig wahre „verkaufen“ und selbst so schwer sündigen? Ich verstehe es nicht. Ist Priester sein eine Rolle die gespielt wird und dahinter ist was? und dieses Scheinbild muss unter allen Umständen aufrecht erhalten werden?

    Der Einfluss der Kirchen schwindet mehr und mehr. Es ist gut so, da sie unfähig sind zur Veränderung und Erneuerung.

  2. @Ana Hartl
    „… die Regelungen die die Kirche mit dem Staat hat, gibt ihnen die Handlungsfreiheit, mit straffällig gewordenen Priestern auf ihre Weise umzugehen.“
    Um welche Regeln handelt es sich da?

  3. @ Henning Flessner

    Zwischen den 1920er Jahren und 2009 wurden zwischen der katholischen Kirche und den (Bundes)Ländern sogenannte Konkordate geschlossen, die das verfassungsmäßige Recht der kath. Kirche zur eigenständigen Regelung ihrer innerkirchlichen Angelegenheiten festschreiben.
    Entsprechend dem Codex iuris Canonici (Codex des canonischen Rechts) hat die Kirche eigene Kirchengerichte, die Disziplinarverfahren gegen Priester und Ordensleute durchführen. Darunter fallen auch Strafverfahren.
    Wenn also innerhalb der Kirche ein Verdacht auf sexuellen Missbrauch entsteht, muss der Verdächtigte nicht der staatlichen Justiz überantwortet werden, sondern er wird vom Bischof verhört und gegebenenfalls vor ein kirchliches Gericht gestellt und dort verurteilt oder auch nicht. Er wird dort zu Buße und Umkehr angehalten, und die Maximalstrafen bewegen sich zwischen Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz, Gehalts- und Pensionskürzungen oder im schlimmsten Fall Entfernung aus dem Amt. Gefängnisstrafen sieht das kanonische Recht meines Wissens nicht vor. Wo sollten die Delinquenten auch eingesperrt und von wem überwacht werden?

    Im Gegensatz zu staatlichen Gerichtsverfahren, über die die Öffentlichkeit spätestens bei Eröffnung informiert werden muss, sind kanonische Verfahren grundsätzlich geheim. Das öffnet der Vertuschung natürlich Tür und Tor.

    Es gibt also seitens der kirchlichen Institutionen keine Anzeigepflicht von Missbrauchsfällen bei der Staatsanwaltschaft. Seit 2010 existiert aber eine Art innerkirchliche Selbstverpflichtung der mit Missbrauchsfällen befassten kirchlichen Institutionen, mit den staatlichen Untersuchungsbehörden zusammenzuarbeiten, allerdings nur, wenn der/die Geschädigte dem zustimmt. Einfordern kann der Staat das aber meines Wissens nicht.

    Man kann sich vorstellen, wie solche Verfahren abgelaufwen sind und/oder noch ablaufen. Auf die Missbrauchsopfer und ihre Eltern wird moralischer Druck ausgeübt und es werden ihnen eventuell Entschädigungszahlungen gewährt, das Ganze bleibt unter der Decke, um dem guten Ruf der Kirche nicht zu schaden, und weder die staatliche Justiz noch die Öffentlickeit hat Kenntnis darüber oder einen Einfluss darauf, was mit dem Täter geschieht und wie lange er noch sein Unwesen treiben kann.

    Es wird viel über muslimeische Parallelgesellschaften und die Scharia gejammert.
    Hier haben wir eine veritable Paralleljustiz, über die dem Staat jegliche Kontrolle entzogen ist. Es wird Zeit, dass das geändert wird.

  4. @Anna Hartl
    Ich habe den Wikipedia-Artikel «Kirchenrecht», insbesondere den Absatz «Regelungsbereiche», gelesen. Dort steht nichts über Straftaten.
    @Brigitte Ernst
    Wenn ich Sie richtig verstanden habe, werden Straftaten von Priestern nicht vor ordentlichen Gerichten verhandelt, sondern vor Kirchengerichten.
    Nehmen Sie mir es bitte nicht übel, aber bevor ich das entsprechende Gesetz nicht selbst gelesen habe, glaube ich das nicht.
    Ich glaube, dass die Situation anders ist. Der sexuelle Missbrauch wird in der Kirche bekannt und die Kirche ergreift interne Maßnahmen.
    Es gibt in Deutschland keine Pflicht für Privatpersonen begangene Straftaten anzuzeigen. Da weder die Eltern der Kinder noch die Kirchenleute Anzeige erstatten, kommt es zu keinem Strafverfahren. Sollte jedoch jemand eine Strafanzeige stellen, kommt es zu einem Verfahren vor einem ordentlichen Gesetz.
    Was sollte man also ändern? Eine Anzeigepflicht für Straftaten einführen?

  5. Zu Bronskis Einführung:
    „Offenbar bietet sie (die katholische Kirche) Pädophilen nämlich ein System aus Schuld, Reue und Buße an, das es ihnen erlaubt, in der Kirche Unterschlupf zu finden.“

    Dem Gedanken, der in die richtige Richtung weist, muss man schon einmal in Hinblick auf die Komplexität des Sachverhalts nachgehen.

    Zunächst mal zum Vergleich:
    Hans Küng weist in seinem Werk „Credo“ darauf hin, dass „der rassistische Antisemitismus der Nationalsozialisten nicht möglich gewesen wäre ohne den fast 2000jährigen christologisch begründeten Antijudaismus der Kirchen, der katholischen nicht nur, sondern auch der reformatorischen“ (München 1992, S.110)
    Und Drewermann führt die sexuelle Verklemmtheit in der katholischen Kirche auch auf das Dogma von der „Jungfrauengeburt“ zurück, das eine altägyptische Mythologie aufgreift und in biologistischer Verdrehung zur Beweihräucherung der „Jungfau Maria“ nutzt: die Mythologie vom „Pharao Ägyptens“, als Gottkönig wunderbar gezeugt: aus dem Geistgott Amon-Re in der Gestalt des regierenden Königs und der jungfräulichen Königin“ (ebd., S.63)
    Beide weisen nach, dass „Glaubenswahrheiten“ und Dogmen der katholischen Kirche durchsetzt sind mit höchst unchristlichen Elementen, mit diesen fast untrennbar verwoben.
    Beiden wurden für diese „ketzerischen“ Ausführungen die Lehrbefugnis entzogen, sie also quasi aus dem Amt gejagt.

    Die massenhaften sexuellen Verfehlungen katholischer Priester sind mitnichten – wie die katholische Kirche glauben machen möchte – „nur“ individuelle Verfehlungen“. Sie sind Folgen (wie auch der „rassistische Antisemitismus“) einer grundsätzlichen Fehlorientierung katholischer Dogmatik und Glaubenspraxis, die nicht einfach korrigiert oder gar bei Seite geschoben werden kann. Dies verlangt eine grundlegende Revision der Grundorientierung und insbesondere der katholischen Dogmatik.
    Es ist nicht erkennbar, dass die Kirchenhierarchie diese Zusammenhänge überhaupt begriffen hat, geschweige denn zu einer solchen Revision an Haupt und Gliedern bereit wäre.

  6. @Henning Flessner
    Wenn ich mich recht erinnere heißt es im Kirchenrecht „Fehlverhalten“ und wird nach Kirchenrecht geahndet.
    Wenn es unter das Beichtgeheimnis fällt, wird ein Bericht nach Rom gesandt und bleibt innerhalb der Kirche.
    Die zu diesem Thema erschienen Artikel habe ich so verstanden, dass die Kirche alles getan hat, damit es nicht zu Strafanzeigen seitens der Betroffenen kam, um die Kirche zu schützen und im Endeffekt auch die Täter.

  7. @Anna Hartel
    Niemand muss eine begangene Straftat anzeigen. Jeder Täter darf versuchen, sich mit dem Opfer zu einigen. Dabei darf man dem Täter auch helfen. Dafür braucht es auch kein Kirchenrecht.
    Das Kirchenrecht regelt nur innerkirchliche Angelegenheiten. Fehlverhalten wäre z.B., wenn ein Priester heiratet oder ein Diakon sich scheiden lässt. Dazu gehören Straftaten nicht. Die Kirche kann Straftaten noch zusätzlich durch disziplinarische Maßnahmen bestrafen, aber nicht an Stelle des Staates.
    Dies ist die juristische Seite. Inwieweit das Verhalten der Kirche moralisch gerechtfertigt ist, ist eine andere Frage.

  8. @ Henning Flessner

    Es geht hier offenkundig nicht um juristische Aufarbeitung im engeren Sinn. Die Taten sind verjährt, sie wurden zum größten Teil schon vor Jahrzehnten begangen. Die Verengung der Vorgänge auf das rein Juristische vermag die eigentliche Bedeutung dieser Vorfälle nicht zu erfassen.

  9. @Bronski
    Das sehe ich genauso. Ich habe nur versucht, eine offensichtlich falsche Behauptung richtig zu stellen.
    „Offenbar bietet sie (die katholische Kirche) Pädophilen nämlich ein System aus Schuld, Reue und Buße an, dass es ihnen erlaubt, in der Kirche Unterschlupf zu finden.“
    Auch hier bin ich Ihrer Meinung.
    Herr Engelmann scheint das anders zu sehen. Er scheint zu meinen, dass die Veranlagung, die zu Pädophilie oder sexuellen Missbrauch führt, erst in der Kirche durch ihre Dogmatik und Sexualfeindlichkeit entsteht.
    Meine Befürchtung ist, dass wenn die Kirche sich ändert, zwar der sexuelle Missbrauch in der Kirche abnimmt, weil die Kirche nicht mehr attraktiv für die Täter ist, aber er dann woanders z.B. in Sportvereinen oder in Thailand stattfindet.

  10. @Henning Flessner
    Offensichtlich ist, dass die Missbrauchsfälle innerhalb der Kirche wie Fehlverhalten gehandhabt wurden mit wenig Bewusstsein dafür, welch traumatische Erfahrung dies für die Opfer bedeutet, wovon nicht zuletzt der Vorgang „nur“ einer Versetzung des Täters zeugt.
    Es ist ein „moralisches“ Armutszeugnis zuerst an den Ruf der Kirche zu denken und die Täter zu schützen.
    Sie Herr Flessner klammern sich an Begrifflichkeiten und haben zum Thema selbst wenig zu sagen.

  11. @ Henning Flessner, 30. September, 20:14

    Mir geht es unter anderem aber durchaus um das Problem des Nebeneinander oder der Überschneidungen von staatlichem und kirchlichem Recht. Daraus leitet die katholische Kirche nämlich gerade in Fragen der Sexualmoral das (moralische und juristische) Recht ab, nach ihren eigenen Maßstäben zu urteilen.

    „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, werden Straftaten von Priestern nicht vor ordentlichen Gerichten verhandelt, sondern vor Kirchengerichten.“
    Hier muss ich präzisieren. Es sind nicht alle nach dem Strafgesetzbuch zu ahndenden Straftaten:
    „Die Kongregation für die Glaubenslehre behandelt gemäß Art. 52 der Apostolischen Konstitution Pastor Bonus Straftaten gegen den Glauben und Straftaten gegen die Sitten und solche, die bei der Feier der Sakramente begangen werden, […]“
    (www.lto.de, Professor Dr. Manfred Baldus über die Neuregelung im kirchlichen Strafrecht, 12.08.2010)
    Weiter erklärt Baldus:
    „Artikel 6, § 1: Die der Kongregation für die Glaubenslehre vorbehaltenen schwerwiegenden Vergehen gegen die Sitten sind:
    1° Die von einem Kleriker begangenen Straftaten gegen das sechste Gebot mit einem Minderjährigen unter 18 Jahren; […]
    2° Der Erwerb, die Aufbewahrung und die Verbreitung pornographischer Bilder von Minderjährigen unter 14 Jahren in jedweder Form und mit jedwedem Mittel durch einen Kleriker in übler Absicht. […]“

    Henning Flessner:
    „Der sexuelle Missbrauch wird in der Kirche bekannt und die Kirche ergreift interne Maßnahmen.“
    Ja, wenn die damit befassten Autoritäten es für geboten halten, eröffnen sie ein kirchliches Gerichtsverfahren.

    „Da weder die Eltern der Kindern noch die Kirchenleute Anzeige erstatten, kommt es zu keinem Strafverfahren.“
    Falsch. Es kann zu einem kirchlichen Gerichtsverfahren kommen, dessen Urteil der Staat anerkennen muss.

    Es gibt z.B. den Fall eines Priesters, dessen Missbrauchsvergehen nach staatlichem Recht verjährt war, dem die Kirche aber trotzdem seine Pension (die ja vom Staat bezahlt wird) um 20% kürzte. Er zog vor ein staatliches Gericht und das kirchliche Urteil wurde besätigt. Leider finde ich die Quelle, in der ich über diesen Fall gelesen habe, nicht mehr.

    Henning Flessner, 1. Oktober, 14:18

    „Das Kirchenrecht regelt nur innerkirchliche Angelegenheiten.“

    Das ist eine Definitionsfrage. Das, was die Kirche Vergehen gegen das sechste Gebot, also Unzucht, nennt, fällt nach ihrer Interpretation unter innerkirchliche Angelegenheiten (s. oben).
    Das ist insofern problematisch, als hier tatsächlich eine Paralleljustiz existiert. Was nicht bedeutet, dass diese Taten, wenn sie bei der Staatsanwaltschaft angezeigt werden, nicht auch vor einem weltlichen Gericht verhandelt werden. In diesem Punkt habe ich nicht genau genug recherchiert.

    Noch eine kurze Bemerkung zum Leserbrief von Diemut Thilenius in der Einleitung:

    „Das beste Gegenmittel zum Missbrauch ist Heiraten.“
    Das ist aber arg naiv! Der Ort, an dem die häufigsten Missbrauchsfälle vorkommen, ist die Familie. Wenn es nicht so eine hohe Dunkelziffer gäbe, könnte man die Zahl der missbrauchenden Familienmitglieder (relativ zu ihrer Gesamtzahl) mit der Zahl der missbrauchenden Priester vergleichen. Ich bin nicht sicher, welche Gruppe mehr solcher Straftaten begeht.

  12. @Brigitte Ernst
    Grundlage des Kirchenrechts ist der Paragraph 137 der Weimar Reichsverfassung (wegen Para. 140 GG auch Teil des Grundgesetzes) und dort steht:
    „(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.“
    Sie werden mich nicht überzeugen, also folgen wir besser Bronskis Aufforderung die Juristerei sein zu lassen.
    „seine Pension (die ja vom Staat bezahlt wird)“ Auch das ist nicht richtig, wenn es sich um einen einfachen Priester handelt. Aber bevor Bronski Zustände kriegt, weil wir anfangen über den Reichsdeputationshauptschluß (ich liebe dieses Wort) von 1803 zu diskutieren, lassen wir das besser auch.

  13. @ Henning Flessner

    Ich finde Ihr Vorgehen in diesem Thread höchst ärgerlich. Frau Hartl weist auf das Problem der Sonderrechte der katholischen Kirche im Umgang mit missbrauchenden Priestern hin, und Sie fragen nach, welche Sonderrechte das seien. Daraufhin verweist Sie Frau Hartl auf das Kirchenrecht und ich mache mir die Mühe, Informationen zur kirchlichen Gerichtsbarkeit aus verlässlichen Quellen eizuholen, woraufhin Sie die Ergebnisse meiner Recherchen einfach anzweifeln, ohne sich offenbar mit meinen Quellen auseinandezgersetzt zu haben.

    Außerdem weisen Sie Frau Hartl und mich darauf hin, dass ein Kindesmissbrauch nicht bei der Staatsanwaltschaft angezeigt werden müsse. Das ist richtig, allerdings frage ich mich dann, was denn den kirchlichen Institutionen eigentlich vorzuwerfen ist. Es ist unter anderem doch genau die Vertuschung in großem Stil, für die die Kirche heute am Pranger steht. Wenn es ihr gutes Recht war, alles unter der Decke zu halten und nicht einmal den untersuchenden Wissenschaftlern Zugang zu ihren Akten zu gewähren, was gibt es denn dann zu kritisieren? Z.B. von Herrn Paul R. Woods, der bemängelt, dass die Opfer eingeschüchtert und allenfalls mit Almosen abgespeist wurden, um zu verhindern, dass sie öffentlich Anzeige erstatteten.

    Auch Bronski möchte ich darauf hinweisen, dass man die Sonderrechte der Kirche bei diesem Thema nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Genau das Selbstverständnis, dass man eine hermetische Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft ist, die eigenen Gesetzen folgt, hat doch zu diesen Vertuschungen geführt und der Vielzahl der ungeahndeten Missbrauchsfälle Vorschub geleistet. Was die Kirche darunter versteht, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln, sieht man doch an vielen Beispielen. Sie muss sich ja nicht einmal dem in unserer Verfassung verankerten Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter unterwerfen, sondern darf Fauen vom Priesteramt ausschließen. Desgleichen versuchte sie erst unlängst, einen an einem katholischen Krankenhaus beschäftigten katholischen Arzt wegen Eingehens einer zweiten Ehe zu entlassen, was ihr zum Glück vom EuGH untersagt wurde.
    Es ist also diese auf dem Sonderstatus der Kirche fußende Selbstherrlichkeit, die zu diesen Auswüchsen der Vertuschung geführt hat. Man sagte sich, man dürfe diese vermeintlich „inneren Angelegenheiten“ selbst regeln und tat dies dann auch – zum Schaden tausender Kinder.

  14. @ Brigitte Ernst

    Vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Die rechtliche Sonderstellung der Kirche spielt in diesem Kontext selbstverständlich eine Rolle. Es berührt auch das Selbstverständnis der Kirche, nicht weltlicher Gerichtsbarkeit unterworfen zu sein. Das ist insbesondere im Zusammenhang mit künftigen Missbrauchsfällen von Bedeutung. Meine Einlassung vom 1.10., 14:23 Uhr zielte auf die Debatte darüber, wie die Fälle, von denen die Studie berichtete, juristisch aufgearbeitet werden sollten: Da sie verjährt sind, ist das nicht mehr möglich; diese Debatte braucht daher nicht mehr geführt zu werden, was die alten Fälle betrifft.

    In diesem Zusammenhang wäre aber etwas anderes interessant, denn mit der Tatsache, dass diese Fälle juristisch nicht mehr relevant sind, werden diese ja nicht bedeutungslos: Solch Missbrauch wurde nur dadurch möglich, dass er eben nicht angezeigt wurde. Das heißt: Den betroffenen Kindern wurde nicht geglaubt (falls sie sich überhaupt getraut haben, ihre Geschichten zu erzählen). Die Priester besaßen also Rückhalt bei den Eltern, die damit ihrer Verantwortung nicht gerecht wurden. Die Eltern wurden quasi zu Mittätern. Es war eben eine andere Zeit damals, nicht wahr?

  15. @Brigitte Ernst
    Nur weil Sie darauf bestehen.
    „Frau Hartl weist auf das Problem der Sonderrechte der katholischen Kirche im Umgang mit missbrauchenden Priestern hin,“
    Es kommt jemand zur Polizei und möchte einen katholischen Priester wegen sexuellem Missbrauch anzeigen. Daraufhin sagt der Polizist, dass er nicht zuständig sei. Man möge sich an die Kongregation für die Glaubenslehre in Rom wenden.
    Kommt ein Mann und will Anzeige erstatten, weil er von seinem Gegenspieler beim Fußball zusammengeschlagen wurde. Da sagt der Polizist ebenfalls, dass er nicht zuständig sei. Man möge sich an den DFB wenden. Das ist doch Quatsch. Jeder «Verein» kann für seine Mitglieder Regeln aufstellen, wie er sie behandeln will, wenn sie straffällig werden, aber das interessiert die Polizei und den Staatsanwalt herzlich wenig.
    Es gibt diese Sonderrechte mMn nicht. Die Priester unterwerfen sich den Maßnahmen der Kirchen freiwillig. Sie können einfach aus der Kirche austreten und dem Bischof den Mittelfinger zeigen. Wenn ein Sohn wegen sexuellem Missbrauch verurteilt wird und die Eltern daraufhin entscheiden, ihn zu enterben, würden Sie dann auch von einer zu verurteilenden Paralleljustiz sprechen?
    Ich bin der Meinung, dass das Kirchenrecht keine wichtige Rolle spielt. Sexueller Missbrauch findet auch in der Familie statt und dort wurde / wird genauso vertuscht.
    Es scheint aber so zu sein, dass sexuelle Missbrauch bei katholischen Priestern überrepräsentiert ist.
    Die Frage ist, warum das so ist.
    Bronski meinte, dass das katholische Umfeld die Täter anzieht.
    W. Engelmann scheint die These zu vertreten, dass die Zustände innerhalb der Kirche dazu führen, dass Priester Täter werden.
    Für beide Thesen gilt, dass wenn, die Kirche sich ändert, der sexuelle Missbrauch innerhalb der Kirche abnimmt. Wenn W. Engelmann recht hat, reduziert sich der sexuelle Missbrauch. Wenn Bronski recht hat, suchen sich die Täter nur ein neues Umfeld.

  16. Wir können die Debatte über die rechtliche Zuständigkeit abkürzen, denn sie führt vom Thema weg, weil sich diese Frage in der Realität bisher nur in Einzelfällen gestellt hat, in denen dann weltliche Gerichte zuständig waren. Es ist richtig, dass das Kirchenrecht – anders als Herr Flessner meint – in vielen Zusammenhänge eine wichtige Rolle spielt, zum Beispiel im Arbeitsrecht, aber nicht bei Straftaten. Kindesmissbrauch ist ein Delikt, das, wenn es zur Anzeige gebracht wird, von Amts wegen verfolgt wird. Es stimmt auch, dass verurteilte pädokriminelle Priester in der kirchlichen Praxis nicht amtsenthoben, sondern zwangsversetzt wurden, meist auf Stellen, von denen die Kirche annahm, dass es dort nicht zu Wiederholungen kommen könne, was aber trotzdem geschah.

    Zum umfangreichen Artikel „Sexueller Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche“ auf Wikipedia.

    Also: Zuständig für die Strafverfolgung ist auch in solchen Fällen der Rechtsstaat.

  17. @Bronski
    Ich greife Ihr Fragezeichen nach „es war eben eine andere Zeit damals, nicht war“, auf.
    Für Teile dieser Gesellschaft ist es heute vielleicht eine andere Zeit da sich durch den Zugang zu einer Masse an Informationen das Bewusstsein für vieles verändert hat.
    Was die Kirche betrifft, bin ich da nicht sicher, was mich wiederum zu der Frage bringt, wie sieht die Lehre der Kirche heute aus? Welche Inhalte werden den angehenden Priestern vermittelt?
    Am Sonntag las ich, dass Franziskus die Gläubigen aufrief gegen den Einfluss des Teufels zu beten, der einen Keil zwischen Kirche und Gläubige treibt.
    Da beschleicht mich der Gedanke, der Papst ist im Mittelalter unterwegs.
    Die Frau ist nach wie vor die verdammenswerte Verführerin und Kinder sind ohne Taufe unrein, da sie in einem Akt der Sünde entstanden sind usw.?
    Dabei glaube ich mich zu erinnern, das es auch heißt, „gehet hin und vermehret euch!

    Frau Ernst hat schon einen Aspekt angesprochen.“Das Jammern über die muslimische Parallelgesellschaft und die Scharia“ verbunden mit dem Gedanken an Paralleljustiz im Falle der Kirche.
    Ist es nicht auch Zeit, die Lehre der Kirche zu hinterfragen, wie es mit den Lehren des Islam geschieht?

    Ich habe mir darüber selten Gedanken gemacht, da ich vor langer Zeit aus der Kirche ausgetreten bin, wohl aber gedacht habe, dass der Teufel passé ist.
    Und ja, die Fälle sind, so sagt man, verjährt.
    Heißt das, Missbrauch kommt in der Kirche nicht mehr vor oder werden diese Vergehen anders geregelt? Wird den betroffenen Kindern heute eher geglaubt, sodass Eltern nicht mehr zu Mittätern werden? Wird dies ausschließlich innerkirchlich geregelt und ist das dann Paralleljustiz par excellence die dieser Staat zulässt?

  18. @ Brigitte Ernst

    Das ist nicht schwer zu erklären. Offenbar hat es keine offizielle Anzeige gegen den Pater gegeben. Im Text steht ja, dass das Opfer im verhandelten Fall weder gehört noch informiert wurde. Ich schätze den Fall so ein, dass hier der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in einem internen Verfahren unter den Teppich gekehrt werden sollte, so wie das jahrhundertelang gehandhabt worden ist, jedenfalls in den Fällen, in denen solche Verbrechen spruchreif wurden. Hätten das Opfer oder seine Eltern Anzeige erstattet, dann hätte die weltliche Justiz aktiv werden müssen.

  19. Aber dass im Falle einer Straftat von unserer Justiz ein solches internes Gerichtsverfahren geduldet wird, finde ich höchst bedenklich

  20. @Brigitte Ernst
    Wenn ein Fußballspieler seinen Gegenspieler zusammenschlägt, dann bekommt er eventuell nicht nur eine Strafanzeige, sondern vom Sportgericht auch noch eine Spielsperre. Das finde ich nicht bedenklich. Bedenklich wäre es, wenn der Angeklagte sich dem Verfahren nicht entziehen könnte oder Gefängnisstrafen verhängt würden. Der Priester und der Fußballspieler könnten sich beide dem Verfahren entziehen, indem sie den „Verein“ verlassen, was aber natürlich finanzielle Einbußen nach sich zieht.
    Für Beamte gibt es doch, soviel ich weiß, das Disziplinarrecht. Wäre das auch eine nicht akzeptierbare Paralleljustiz?

  21. @ Henning Flessner, 1. Oktober 2018 um 15:18

    „Herr Engelmann scheint das anders zu sehen. Er scheint zu meinen, dass die Veranlagung, die zu Pädophilie oder sexuellen Missbrauch führt, erst in der Kirche durch ihre Dogmatik und Sexualfeindlichkeit entsteht.“

    Ich weiß zwar nicht, wo Sie das herauslesen. Auf jeden Fall haben Sie mich da ziemlich missverstanden.

    Zunächst einmal:
    Dass von der katholischen Kirche so auf Pädophilie und Homosexualität abgehoben wird, ist ein Indiz für den Versuch, eigene Verantwortung abzuschieben und dazu auch Vorurteile in der Bevölkerung zu nutzen.
    Zudem ist das auch falsch.
    Nach verschiedenen Studien stellt „der Anteil pädophiler Täter bei weitem nicht den Hauptanteil am sexuellen Kindesmissbrauch dar“. Diese schwanken zwischen 2 und maximal 20 % (Wikipedia).
    Dementsprechend ist davon auszugehen, dass auch hier Pädophilie nur ein Randphänomen darstellt und sich die Kernfrage nach der Fähigkeit und den Möglichkeiten des Umgangs von Priestern mit ganz „gewöhnlicher“ Sexualität stellt. Und damit auch nach den entsprechenden, durch kirchliche Dogmatik und Sexualverdrängung vorgegebenen, Rahmenbedingungen.
    Das erklärt wohl auch den Boykott dieser Untersuchung durch eine größere Zahl (namentlich nicht genannter) Bistümer und das Verfahren der Anonymisierung. Denn so kann der Klärung dieser Frage gar nicht nachgegangen werden.

    Zur Entstehung von Pädophilie:
    Dazu findet sich bei Wikipedia ein Hinweis auf die Sexualmedizin, nach der „die Entwicklung der Sexualität im Wesentlichen mit dem Ende der Pubertät abgeschlossen ist und eine grundsätzliche Änderung der pädophilen Sexualpräferenz nicht möglich ist“.
    Im Artikel „Homosexualität“ wird unter „Ursachen der Ausbildung der sexuellen Orientierung“ auf zwei Hauptthesen verwiesen: „Schon vor der Geburt festgelegt“ einerseits, „gewisse Identifikationsprozesse in der frühen Kindheit oder auch besondere Abläufe in der Pubertätsphase“ andererseits.
    Einigkeit herrscht darin, dass eine sexuelle „Umpolung“, gar im Erwachsenenalter (wie schon von Nazis versucht), völlig unmöglich und gefährlich ist. Dieser Unfug wird nur noch von „christlichen“ Fundamentalisten, besonders Evangelikalen – entsprechend ihrer Auffassung von Homosexualität als „Krankheit“ – als Angebot der „Heilung“ verbreitet, was in Kalifornien sogar unter Strafe gestellt wurde.
    Man kann wohl davon ausgehen, dass der Fall bei Pädophilie als einer „primären sexuellen Ausrichtung“ ähnlich liegt.

    Zu behaupten, dass sexuelle Orientierung und Missbrauch „erst in der Kirche durch ihre Dogmatik und Sexualfeindlichkeit entsteht“, wäre dementsprechend also Unsinn.
    Was aber nicht heißt, dass dies auf das die Sexualität betreffende Verhalten von Priestern keinen erheblichen Einfluss hätte.

    Dies detaillierter zu klären (was ich im gedanklichen Austausch mit Eugen Drewermann versucht hatte) bedarf aber aufgrund seiner Komplexität eines gesonderten (wohl eher umfangreicheren) Beitrags.

  22. @Werner Engelmann
    «Die massenhaften sexuellen Verfehlungen katholischer Priester sind [..]. […] Folgen […] einer grundsätzlichen Fehlorientierung katholischer Dogmatik und Glaubenspraxis,…“
    Die meisten Täter würden also unter anderen Bedingungen die Taten nicht begehen. Eine Änderung der katholischen Dogmatik und Glaubenspraxis würde den sexuellen Missbrauch wohl nicht beseitigen, aber sexueller Missbrauch käme dann in der Kirche nicht häufiger vor als im Rest der Gesellschaft.
    Haben Sie es so gemeint?

  23. @ Henning Flessner

    Disziplinarverfahren werden von staatlichen Disziplinargerichten gegen Beamte durchgeführt. Diese Disziplinargerichte sind spezielle Kammern bei Verwaltungsgerichten. Die Verfahren werden durchgeführt von staatlichen Richtern und evtl. Beamtenbeisitzern. Von Paralleljustiz kann also nicht gesprochen werden, weil die Verfahren im Auftrag des Staates unter staatlicher Aufsicht stattfinden.
    Kirchengerichte dagegen unterliegen nicht der staatlichen Oberaufsicht. Kirchliche Gerichtsverfahren werden nicht von staatlich eingesetzten Richtern durchgeführt, deshalb handelt es sich um Paralleljustiz.

  24. @Brigitte Ernst
    Was würden Sie den ändern wollen? Das Kirchenrecht abschaffen? Die katholische Dogmatik ändern? Versprechen Sie sich davon eine Reduzierung des sexuellen Missbrauchs?

  25. @ Henning Flessner

    Ich halte es in einer modernen Demokratie nicht für zeitgemäß, wenn religiöse Vereinigungen Sonderrechte besitzen, die ihnen erlauben, neben der staatlichen Gerichtsbarkeit eine eigene zu unterhalten. Im säkularen Staat muss die Rechtsprechung allein staatlichen Gerichten vorbehalten sein.
    Das würde die Vertuschung erschweren und hätte in der Vergangenheit eine frühere Entfernung der Täter aus dem Amt ermöglicht und damit die Zahl der Übergriffe verringert.

  26. @Brigitte Ernst
    «Das würde die Vertuschung erschweren und hätte in der Vergangenheit eine frühere Entfernung der Täter aus dem Amt ermöglicht und damit die Zahl der Übergriffe verringert.“
    Sie meinen also, wenn es das Kirchenrecht nicht gegeben hätte, wären die Opfer zur Polizei gegangen.
    Kann sein, muss aber nicht. Ich denke, dass die Opfer eher aus Scham geschwiegen haben. Bei einem öffentlichen Prozess dringt häufig etwas nach draußen und das wollten die Opfer wohl auch nicht.

  27. @ Henning Flessner

    Staatliche Schulen mussten seit Beginn der BRD aufgrund ihrer Fürsorgepflicht den Schülern gegenüber mutmaßliche Missbrauchsfälle den Jugendämtern melden, die dann tätig werden und die Opfer beraten und an Therapeuten vermitteln konnten, auch wenn erstere aus Scham nicht vor Gericht gehen wollten. Das alles wurde seitens der kirchlichen Schulen und Institutionen weitgehend unterlassen, zum Schaden der Opfer.
    Erst seit 2010, als das Ausmaß der Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen bekannt geworden war, wurde diese Meldepflicht auch auf Privatschulen ausgeweitet. Ich weiß allerdings nicht, mit welchen Sanktionen Privatschulen zu rechnen haben, wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommen.

  28. Zum Problem der Prägung sexuellen Verhaltens durch kirchlichen Dogmatismus.

    Bronski hat eingangs auf die Einschätzung des Forensischen Psychiaters Harald Dreßing hingewiesen:
    Ein „komplexes Zusammenspiel von sexueller Unreife und abgewehrten oder verleugneten homosexuellen Neigungen“ von Priestern in einer „teilweise auch offen homophoben Umgebung“ könne eine Erklärung für das Überwiegen männlicher Opfer beim Missbrauch durch katholische Geistliche bieten“.

    Eben dem gilt es nachzugehen. Mit einer Diskussion über Strafrecht allein kommt man nicht weiter. Vor allem nicht, wenn aufgrund jahrelanger Vertuschung die Fälle längst verjährt sind.

    Das paradoxe Wirken katholischer Dogmatik und Sexualfeindlichkeit wird z.B. am Fall David Berger deutlich, der sich unter das vermeintlich „schützende“ Dach katholischer Dogmatik flüchtete und jahrelang versuchte, eigene „Sündhaftigkeit“ als Homosexueller dadurch zu bekämpfen, dass er (bevor er sich outete) als Mitglied des polnischen „Ritterordens der Gottesmutter von Jasna Góra“, u.a. in kreuz.net, besonders heftige homophobe Attacken ritt, und der heute im rechtsextremen Spektrum gelandet ist.

    Dass solche Paradoxie – wenn auch nicht notwendiger Weise – auch zu sexuellem Missbrauch führen kann, wird erklärbar, wenn man als Teil dieses „Schutzraums“ die (zumindest subjektive, oft auch faktische) Unangreifbarkeit als Angehöriger des Klerus in einer streng hierarchischen klerikalen Männergesellschaft berücksichtigt.
    Auch, wenn aufgrund vor allem in klerikalen Kreisen weiter fortbestehende Homophobie die Problematik verschärft, sollte die Diskussion aber nicht auf homosexuelle oder pädophile Priester eingeengt werden. Die im katholischen Dogmatismus perpetuierte Sexualfeindlichkeit präformiert jede Form von sexuellem Verhalten und stellt die Weichen in Richtung auf Suche nach Formen der Entlastung bzw. Ersatzbefriedigung.
    Als Beispiel für solche seit langem tradierte sexuelle Deformation sei „Der Hofmeister“ von Jakob Michael Lenz genannt, in dem die Selbstkastration des Privatlehrers Läuffer vom Schulmeister mit den Worten gerühmt wird: „Das ist die Bahn, auf der Ihr eine Leuchte der Kirche, ein Stern erster Größe, ein Kirchenvater selbst werden könnt.“

    Den psychologischen Auswirkungen solcher Sexualfeindlichkeit und Dogmatik bin ich selbst im 3. Band meiner Romantrilogie nachgegangen.
    Persönliche Veranlassung dazu war die Rückversetzung eines katholischen Priesters in den Laienstand in meinem französischen Bekanntenkreis. Von ihm habe ich einiges von den Leiden an „verleugneten Neigungen“ (nach Dreßing), auch von – nicht nur sexueller – Unreife erfahren. Leiden, das z.B. in Frankreich durch eine in streng katholischen Familien verbreitete Tradition zustande kommt, auch durch entsprechenden moralischen Druck, mindestens eines der Kinder, vorzugsweise einen Jungen, dem „geistlichen Dienst“ zu „weihen“. Dies war auch bei den Großeltern meiner Frau der Fall.
    In dem genannten Fall konnte der Priester ein Gelübde seines Vaters glaubhaft machen, was auch in der katholischen Kirche aufgrund mangelnder „Berufung für das Priesteramt“ zur Rückversetzung in den Laienstand führen kann.
    Des Weiteren hatte ich als 11jähriger selbst Kontakt mit einem jungen katholischen Geistlichen. Der ließ mich (da schon am Gymnasium) nach der Messe in die Sakristei rufen, um mich kennenzulernen. Danach waren wir mehrmals zusammen im Wald zur Beobachtung von Vögeln.
    Ob er pädophile Neigungen hatte, weiß ich nicht. Zumindest kam es zu keiner sexuellen Annäherung. Offensichtlich war aber, dass er meine Nähe suchte und genoss. Dies entspricht auch der Einschätzung etwa von Volkmar Sigusch, dass das eigene Leben als „unvollständig und emotional destabilisierend“ zu begreifen den “ Wunsch nach emotionaler Nähe“ nährt, aber nicht notwendiger Weise zu sexuellen Handlungen führen muss (Wikipedia). Dies setzt wohl noch tiefere unbewältigte Spannungen und vor allem die Gewissheit der Straffreiheit von Verfehlungen voraus.

    Zur Rolle der Dogmatik (Kurzfassung der Ausführungen des Romans):
    Die Darstellung erfolgt im Roman in dialogischer Form bzw. in erlebter Rede eines Künstlers, einem ehemaligen Priester, den die Protagonistin am Jahrmarkt kennengelernt hat. Ein „Outing“ (Form einer „Beichte“), bei dem er sein „Leiden an sich selbst“ schildert und das, trotz großer Aufgeschlossenheit, die seltsame Scheu aus seinen widersprüchlichen Erfahrungen als Priester erklärt.
    Schuldgefühle aufgrund sexueller Neigungen („Sündhaftigkeit“, „Erbsünde“) werden in widersprüchlicher Weise im geistlichen Dienst kompensiert, dem durchaus erotische Anziehungskraft zukommt (Priestergewand, Rituale, Weihrauch u.a.). Durch Sexualverdrängung und Dogmengläubigkeit (z.B. „Jungfräulichkeits“-Dogma) spaltet sich das Frauenbild auf in die „unbefleckte Jungfau“ einerseits, die „Hure“ andererseits, auf die eigene „sündhafte“ Neigungen projiziert werden.
    Psychologisch gesprochen ein Rückfall in vorpubertäre Formen der „Mutter“-Bindung, welcher die eigenen Schuldgefühle nicht beseitigt, sondern noch verstärkt, zu ideologischer Verkrampfung führt und einen unbefangenen Umgang mit Frauen sehr erschwert.

    Aus der Stellungnahme von Eugen Drewermann (9.6.2009, ich hatte mit ihm bei einer mehrtägigen Tagung zu psychoanalytischer Deutung von Märchen über mein Projekt gesprochen und ihm einige Kapitel zur Kontrolle der Aussagen zugeschickt):
    „…bin ich beeindruckt, mit welcher Selbstverständlichkeit und wie einfacher Sprache Sie psychisch äußerst komplexe Tatbestände zu schildern vermögen (S. 57 ff. z.B.!) – als wenn Logarithmen natürliche Zahlen wären…! Darüber bin ich begeistert, und das lässt mich wünschen, dass Ihre Arbeit gedruckt wird…“
    (Die genannten Seiten beziehen sich auf die Ausführungen zu angeführten Kernaussagen.)

    Auf die Erweiterung der Problematik, Suche nach möglicher Triebabfuhr unter dem „Schutz“ kirchlicher Hierarchie, also eines Machtgefälles, was zu sexuellen Übergriffen führen kann, habe ich im Zusammenhang des Romans verzichtet. Diese zu erklären setzt aber die Kenntnis der ausgeführten psychischen Ursachen voraus.
    Dagegen wird in der Konfrontation mit dem Bischof die klerikale dogmatische Gegenposition näher beleuchtet. Diese orientiert sich an Drewermanns (über 500 Seiten starker) Dokumentation „Worum es eigentlich geht“ über das Verfahren des Paderborner Erzbischofs gegen ihn in der Sache des Entzugs der Lehrerlaubnis.
    Darin wird die Unfähigkeit einer dogmenverhafteten katholischen Kirche exemplarisch verdeutlicht, Bedingungen zu verstehen, unter denen sich Missbrauchsverlangen entwickelt, geschweige denn wirkliche Empathie mit Missbrauchsopfern zu empfinden und Abhilfe zu schaffen.

  29. Das Überwiegen männlicher Opfer kann unter anderem auch den einfachen Grund haben, dass in katholischen Internaten eine strenge Geschlechtertrennung herrscht. Mädchen werden in diesen Schulen von Ordensfrauen unterrichtet und betreut, Jungen von männlichen Klerikern. Mädchen stehen potenziellen Sextätern also weniger „zur Verfügung“.

  30. Seit einigen Wochen ist der Missbrauchsskandal der Kirche wieder einmal Thema. Ich möchte zunächst festhalten, dass „die Kirche“ Namen hat. Es sind ja nicht die Gläubigen, sondern die, die sich selbst als „gute Hirten“ der Gläubigen sehen.
    Jetzt werden missbrauchte Opfer wieder um Verzeihung, Vergebung oder Entschuldigung gebeten. Freiburgs Erzbischof Burger bekennt sich immerhin zur Schuld der „Kirche“, sagt auch, sie hat versagt. Gemeint sein können nur seine „Mitbrüder“. Kardinal Marx sagt „Wir haben den Opfern nicht zugehört.“ Institutionelles Versagen wird eingeräumt, sogar Entschädigung für Opfer sexueller Gewalt soll es geben.
    Mir kommt das alles sehr bekannt vor. In Zeitungsausschnitten der Frankfurter Rundschau, der ZEIT und der Rheinischen Post von März und April 2010 (!) (das war die Zeit, in der die Bischöfe ihren Mitbruder Mixa drängten, seine Ämter als Augsburger und Militärbischof aufzugeben) lese ich: „Erzbischof Robert Zollitsch (damals Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz) hat Fehler im Umgang mit Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche eingeräumt. Der ‚helfende Blick für die Opfer‘ sei in der Vergangenheit nicht genügend gegeben gewesen. (FR vom 3. bis 5. April 2010)
    Was ist denn in den vergangenen acht Jahren außer Absichtsbekundungen geschehen? Nichts bis gar nichts, was weitere Missbräuche verhindern könnte.

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