Friedensvermittlerin zwischen den Blöcken

Die in Minsk für die Ostukraine ausgehandelte Waffenruhe scheint vorerst zu halten. Es gibt einzelne Feuergefechte um den strategisch wichtigen Ort Debalzewo in der Ostukraine, aber die Artillerie, die Raketenwerfer und die Panzer schweigen. Zunächst. Ich will nicht voreilig sein, aber anders als andere Kommentatoren halte ich es für durchaus möglich, dass die Waffenruhe hält — aus einem einfachen Grund: Putin hat alles erreicht, was für ihn kurzfristig erreichbar war. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat ihm dabei geholfen. Mehr ist strategisch für Putin zurzeit nicht drin.

Putins erster Erfolg: Russland erhält die Option erheblichen Einflusses auf die ukrainische Innenpolitik. Der russische Vorschlag eines föderalen Staates Ukraine soll nach dem Minsker Abkommen in Gestalt einer Verfassungsreform umgesetzt werden, die mit den Vertretern der Separatistengebiete abgestimmt werden muss, d.h. die russischsprachige Minderheit in der Ukraine wird größere Mitspracherechte erhalten. Dies wird nicht nur für die beiden „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk gelten, sondern auch für andere Territorien der Ukraine. Gegen eine föderale Organisation der Ukraine ist nichts zu sagen. Deutschland hat in der Vergangenheit beste Erfahrungen mit dem Föderalismus gemacht, auch wenn es hier und da gehakt hat. Man wird abwarten müssen, inwiefern diese Aufwertung der russischsprachigen Minderheit genutzt wird, um die Ukraine innenpolitisch zu blockieren. Wenn es schlecht läuft, hat die Ukraine in Bälde zwei Präsidenten — den im eigenen Land demokratisch gewählten Präsidenten und den Präsidenten Russlands, der über die russische Minderheit mitredet. Zusammengefasst könnte man sagen: Putins Erfolg besteht in einer institutionellen Spaltung der Ukraine. Dieser Konflikt kann nur gelöst werden, indem in der Ukraine Lebensumstände für die Menschen hergestellt werden, welche die Strahlkraft von Mütterchen Russland verblassen lassen.

Putins zweiter Erfolg: Die Ukraine bleibt außenpolitisch ein Spielball zwischen den Mächten. Die russische Doktrin vom „nahen Ausland“ als russischer Einflusssphäre gilt damit unverändert. Ein Nato-Beitritt der Ukraine ist in weiter Ferne, und der Westen ist gut beraten, diesen Beitritt weder kurz- noch mittelfristig zu fördern. Das im Jahr 2014 unterschriebene Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der EU war nicht Gegenstand der Verhandlungen von Minsk. Die Umsetzung des wirtschaftlichen Teils des Abkommens wurde schon 2014 auf Ende 2015 ausgesetzt. Der politische Wille einer solchen Assoziierung ist seitens der EU erkennbar, aber es bestehen schwere juristische Vorbehalte gegenüber der Ukraine, etwa hinsichtlich von Korruption und Oligarchie. Minsk 2 führt nun zu einem weiteren „frozen conflict“ ähnlich denen in Transnistrien/Moldau, Abchasien/Georgien und Südossetien/Georgien. Von diesen (zurzeit) eingefrorenen Konflikten ist der in Ukraine allein schon wegen der wirtschaftlichen Bedeutung der Ukraine der wichtigste.

Putins dritter Erfolg ist vielleicht sein wichtigster: Er hat die USA draußen gehalten. Von jenseits des Atlantiks hallte zwar jede Menge Theaterdonner herüber bezüglich Waffenlieferungen an die Ukraine (welche die Ukraine einem aufschlussreichen FR-Artikel zufolge gar nicht braucht), aber die USA spielten in Minsk keine Rolle. Es ist Putin zwar nicht gelungen, den (seit langem vorhandenen) Spaltpilz so tief zwischen die Nato-Partner zu treiben, dass es zum Zerwürfnis gekommen wäre, aber er hat erreicht, dass es eine rein russisch-ukrainisch-europäische Vereinbarung gegeben hat. Die USA waren außen vor. Damit sind Deutschland und Frankreich diplomatisch aufgewertet (immer vorausgesetzt, die Waffenruhe hält), und in Analogie an ein Wort von Barack Obama könnte man behaupten: Was Europa und Russland — die ganze große eurasische Landmasse — betrifft, sind die USA nicht einmal mehr Regionalmacht. Das bedeutet, dass das diplomatische Gewicht Frankreichs und Deutschlands auch innerhalt der Nato wächst. Das Minsker Abkommen ist daher eine Niederlage der USA.

Markus Beinhauer aus Münster argumentiert ganz anders:

„Jetzt kann sich Angela Merkel und mit ihr die gesamte Bundesregierung also als die Friedensvermittlerin zwischen den Blöcken USA und Rußland präsentieren. Hat schon mal jemand nachgedacht ob in Moskau irgendjemand Merkel als neutrale Person wahrnimmt? Die deutsche Bundesregierung hat genug für die Verschärfung des Konfliktes getan. Wer hat sich nicht alles auf dem Majdan rumgetummelt? Man stelle sich vor auf Demonstrationen in Deutschland gegen die Regierung würden sich russische Politiker hinters Mikrophon stellen.
Die Bundesregierung unterstützte von Anfang an die reaktionäre und nationalistische Politik der Ukraine. Die Frage ob nun Waffen an Kiew geliefert werden ist zweitrangig. Und erinnert sich noch jemand daran an wen die friedliebende Bundesregierung alles Waffen liefert, in welche Konfliktgiebiete? Schon vergessen wo die Bundeswehr überall mit Waffengewalt kämpft? Das ach so friedliche Deutschland befeuert in aller Welt Kriege und Konflikte wenn sie den deutschen Interessen dienen.
Schöner Nebeneffekt der aktuelle Debatte: Die USA taugt wieder prima als omnipräsentes Feindbild für alle politischen Lager von rechts bis links. Natürlich betreiben die USA eine kriegerische Politik zur Wahrung ihrer eigenen Interessen. Aber nicht anderes tun auch Deutschland und Russland.“

Roswitha und Rudolf Erdmann aus Groß-Zimmern:

„Der Bundeskanzlerin Frau Merkel gebührt für Ihre Arbeit in der Ukraine Krise mein allergrößter Respekt
Insbesondere auch dafür, dass sie die militanten Angebote der USA und Nato in die Schranken verwiesen hat und gezeigt hat, dass es auch ohne Waffen geht.
Die stärkste Waffe der Bundeskanzlerin ist wohl Ihre Geduld und ihr Stehvermögen bei ihrem täglichen „36-Stunden-Job“ Ich frage mich, wann schläft die Frau. Wirklich Hut ab!“

M. Schönfeld aus Germering:

„Präsident Poroschenko trägt an erster Stelle die Verantwortung für sein Land und wird sie auch nicht los, wenn es jetzt wieder schiefgeht mit dem Frieden. Er allein kann sein Land aus diesem wohl aussichtslosen Krieg gegen den übermächtigen Nachbarn führen ohne weitere eigene Opfer und plus sogar Gefährdung des Weltfriedens. Als oberster Staatslenker kann er eben seine Verantwortung nicht abstreiten! Merkel/Hollande haben ihm eine Brücke gebaut. Nun wird sich zeigen, ob er überhaupt die nötige Reife für sein Amt hat. Die Ukraine muss selbst lernen mit dem verwandten russischen Bären zu leben, sonst kann sie ihm früher oder später zum Opfer fallen. Einmischung von außen hat schon vielen kleineren Völkern oft Unheil gebracht. Griechenland ist hier ein aktuelles Beispiel.“

Wolfgang Schwaneberg aus Berlin:

„Waffenstillstandsvereinbarungen mit dem russischen Präsident Wladimir Putin sind nicht das Papier wert auf dem sie geschrieben stehen. Während unsere Bundeskanzlerin Frau Merkel, der französische Präsident Hollande und der ukrainische Präsident Poroschenko mit Putin in Kiew einen Waffenstillstand aushandeln, schickt der russische Präsident Putin zur gleichen Zeit über 50 Panzer, mehrere militärische Versorgungsfahrzeuge und Munition über die grüne Grenze in die Ukraine. Die Welt nimmt Herrn Wladimir Putin sein Versprechen nicht mehr ab. Was die Russen einmal haben, geben sie nicht mehr her. Die alte UDSSR lässt grüßen.“

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32 Kommentare zu “Friedensvermittlerin zwischen den Blöcken

  1. @ Bronski

    Ich teile Ihre Hoffnung, dass die Waffenruhe in der Ukraine hält- nicht jedoch Ihren Optimisimus.

    Ich gebe Ihnen zwar recht darin, dass die russischen Forderungen, die im übrigen seit Beginn der Krise relativ unverändert bestehen, großen Raum in den Vereinbarungen einnehmen.

    Nur sitzen eben immer mehrere Verhandlungspartner am Tisch.

    Wir haben uns zwar angewöhnt, Wohl und Wehe einer Vereinbarung ausschließlich von der Reaktion Putins bzw. der von ihm unterstützten Separatisten gefährdet zu sehen. Doch die Vergangenheit lehrt, dass auch die ukrainische Seite Veeinbarungen nicht einhält, wenn sie ihr nicht in den Kram passen.

    Was das aktuelle Minsk2 Abkommen angeht, bin ich mir nicht sicher, ob die ukrainische Regierung die Kröte „Föderalisierung bzw. weitgehende Dezentralisierung“ schlucken wird. Der Außenminister Klimkin hat ja bereits einen Tag nach Abschluss von Minsk 2 klargestellt, dass Kiew nicht bereit ist, die Kontrolle- wenn auch nur in Teilbereichen, über den Donbass abzugeben.

    Darüber hinaus wurde und wird mir die Agenda der oligarchenfinanzierten Privatmilizen, die grade im Osten der Ukraine tätig sind viel zu weig beachtet- ob sich deren Kommandeure und Unterkommandeure sämtlich an die Vereinbarungen halten, bezweifle ich. Herr Jarosch vom rechten Sektor hat auf seiner Facebookseite ja schonmal ganz offen angekündigt, dass er und seine Leute (die, soweit ich das weiß, Teile der Nationalgarde sind) die Vereinbarung nicht anerkennen und solange weiterkämpfen bis die ganze Ukraine wieder frei ist.

    Auch den von Ihnen Putin zugeschriebenen Erfolg, die USA aus der Ukraine herauszuhalten, sehe ich persönlich nicht so wirklich umgesetzt. Die USA haben angekündigt schon im nächsten Monat Militärausbilder in die Ukraine zu schicken- Waffenlieferungen stehen nach wie vor auch im Raum. Wie wenig die USA mit Minsk 2 zufrieden ist, zeigt auch ihre, gemeinsam mit GBR und gegen den deutschen Außenminister, verkündigte Skepsis gegen die von Russland eingebrachte Resolution im UN-Sicherheitsrat zu Minsk 2.

    Ich glaube ehrlich gesagt nicht daran, dass die USA ihren Einfluss auf die Ukraine, den sie ja alleine schon durch Herrn Jazenjuk ausübt, einfach so aufgeben wird. Das wäre mal etwas wirklich Neues.

    Ich befürchte leider ein anderes Szenario. In und um Debeltzewo wird wohl noch gekämpft- zudem beinhaltet das Minsker Protokoll wohl auch keine eindeutige Festlegung darauf, wie an diesem „Brennpunkt“ nun verfahren werden soll (was daran liegt, dass die eine Seite behauptet, der Gegner sei eingekesselt, dürfe dieses Quasi-Gefängnis nur ohne Waffen verlassen während die Ukraine behauptet, dort würde eine ganz normale Frontlinie verlaufen und selbstverständlich dürften die ukrainischen Kämpfer sich von dieser Frontline mit Waffen zurückziehen (Putin hat übrigens in seiner Pressekonferenz noch in Minsk auf diese „offene Frage“ hingewiesen).

    Es wäre dringend erforderlich, dass die OSZE sich ein Bild von der Lage macht und dann entscheidet, ob es sich um einen Kessel handelt oder nicht.

    Ansonsten wäre das „Scheitern-Szenario“ schon vorprogrammiert: Die ukrainischen ziehen mit Waffen aus Debaltzewo ab und die Separatisten wollen sie nur durchlassen, wenn sie ihre Waffen zurücklassen. Voila die nächste Krise.

    Und da wie üblich dann die Schuld, trotz unübersichtlicher Lage, bei den Separatisten respektive Russland gesucht wird, wird Russland ermahnt, dann sanktioniert und die Ukraine bekommt dann Waffen geliefert.

    Wie gesagt, ich hoffe sehr, dass das nicht passiert- aber solange wir nur die russische Seite in den Blick nehmen, entgeht uns „unter unseren eigenen Fittichen“ das ein oder andere, das eindeutig gegen die Vereinbarung gesagt ist.

    Nehmen wir nur mal die offiziellen ukrainischen Reaktionen:

    Poroschenko tritt nur einen Tag nach Minsk in Uniform vor einige Soldaten hin und sagt (in der Tagesschau zu sehen): „Der Frieden wird nicht in den diplomatischen Hallen sondern in den Schützengräben erkämpft!!“

    Jazenjuk lässt sich in der BILD lang und breit darüber aus, dass man Russland in keinem Fall trauen kann (zwei Tage nach der Vereinbarung)

    Jarosch sagt ganz offiziell, dass er Minsk 2 nicht anerkennt.

    Russland bringt eine UN-Resolution ein, in der Minsk 2 unterstützt werden soll, USA und GBR weigern sich derzeit (noch?) diese Resolution zu unterstützen.

    Ich finde das sind keine ermutigenden Zeichen. Es wäre daher ein großer Fehler, wenn man die Durchsetzung der Vereinbarung nur einer Seite gegenüber mit Strafe bewehren würde. BEIDE Seite müssen wissen, dass Ihnen bei Nichtumsetzung empfindliche wirtschaftliche Nachteile drohen. Setzt man dies nicht auch konsequent gegen die ukrainische Regierung um, wird es mMn schwer, die Waffenruhe aufrechtzuerhalten.

  2. Wenn die Waffenruhe nicht halten sollte, trägt nicht allein, wie viele Presseorgane melden und Leser nachplappern, Putin die Schuld, sondern in großem Maße Poroschenko und die ihn massiv unterstützenden USA nebst EU. Proschenkos Aussage, der Friede werde nicht auf diplomatischer Bühne, sondern in den Schützengräben entschieden, bezeugt, dass er keinen Frieden will, sondern glaubt, Russland – und dies vor allem mit finanzieller Unterstützung der EU anstatt diese Gelder für nützliche Projekte zu verwenden – besiegen zu können.

  3. @ Markus Beinhauer
    Was soll denn jetzt diese Attacke auf Angela Merkel? Wohlgemerkt: Ich habe sie nicht gewählt, aber in diesem Zusammenhang bin ich froh über ihren Vermittlungsversuch. Und wie man ja weiß, hat sie einen besseren Draht zu Putin als die meisten westlichen Politiker, auch wenn sie nicht neutral ist. Seit Beginn der Krise stand sie in regelmäßigem Telefonkontakt mit Putin, ihr und Präsident Hollandes Vorstoß war also keine spontane Idee, um sich wichtig zu machen, sondern entsprang sicher dem Bewusstsein, dass sie noch am ehesten die Chance hätte, vom russischen Präsidenten als Verhandlungspartnerin akzeptiert zu werden. Was wäre Ihnen, Herr Beinhauer, denn lieber gewesen? Dass sich die Welt auf Dauer mit diesem Krieg abgefunden hätte?

  4. @ Frau Ernst:

    Auch wenn Sie mich nicht angesprochen haben, würde ich gerne eine Bemerkung machen.

    Auch ich danke Frau Merkel und Herrn Hollande für ihren Vermittlungsversuch. Aber damit kann sich die Rolle der EU bzw. Deutschlands nicht erschöpfen.

    Wenn ich heute lese, dass die ukrainische Armee sich nun weigert, die schweren Waffen, wie vereinbart zurückzuziehen, obwohl die OSZE heute Morgen erklärt hat, dass die Waffenruhe im wesentlichen eingehalten wird, dann MUSS Frau Merkel jetzt auch- und zwar auch öffentlich um der Wirkung Willen, klar machen, dass Deutschland sämtliche Wirtschaftshilfe an die Ukraine einstellt, wenn sich Kiew einseitig von der Vereinbarung entfernt.

    Sonst bleibt ihre Arbeit dort unvollständig!

  5. Putin hat solange Erfolg, wie sich der Westen von ihm auseinanderdividieren läßt. Putin hat solange Erfolg, wie es eine „Putinversteherei“ gibt, die seine militärische Aggression mit einem Recht auf Einflußspäre verwechselt. Putin hat solange Erfolg, wie seine westlichen Parteigänger die NATO diffamieren. Putin hat solange Erfolg, wie der Westen die von Kiew regierte Ukraine zu schwächen bereit ist. Putin hat solange Erfolg, wie der Westen seine eigenen Werte mißachtet. Putin hat solange Erfolg, wie im Westen ein blinder Anti-Amerikanismus tobt. Putin hat solange Erfolg, wie er über die Naivität des Westens lachen kann. Die nutzt er für sich gnadenlos und hohnlachend aus.

  6. Die schweren Waffen der Separatisten gehören sämtlichst Putin. Putin zieht also seine Waffen nicht zurück ? Verständlich, es ist ja auch Putin´s Krieg.

  7. Wie Der Spiegel schreibt, hat Putin ein Vetorecht der Separatisten gegen die Westeinbindung der Kiew-Ukraine durchgesetzt. Die Separatisten können also per Veto sowohl eine EU- oder ein Nato-Mitgliedschaft der Kiew-Ukraine verhindern. Dieser Vertragsbestandteil kommt einer Unterwerfung von Merkel und Hollande unter das Putin´sche Machtkalkül gleich. Ein Offenbarungseid der Politik des Westens könnte nicht plakativer beschaffen sein. Mit kriegerischen Mitteln macht Putin Nachbarstaaten seinem Willen gefügig und trifft auf ein Duo an Beschwichtigungpolitikern, die ihm dazu noch die Hand reichen. Selbst ein unwiderrufliches Einstellen der Tötungshandlungen infolge eines Stopps jeglicher Kriegsaktivitäten ist nicht mit nennenswerter Verläßlichkit erreicht worden, als die Gebietsarrondierungen der Separatisten längst nicht den angepeilten Umfang erreicht haben. Die Landnahme wird also weitergehen. Putin hat im Osten der Ukraine damit jedes denkbare Ziel erreicht, und selbst der Abschuß der Zivilmaschine wird ihm nicht zur Last gelegt. Putin hatt allen Grund, über den Westen zu spotten. Und er tut es nach Kräften.

    Die Sanktionen kann Putin verkraften, als er sein Volk mit der Rückführung von „heiligem“ russischen Boden entschädigt. Und das Volk jubelt ihm zu.

  8. @ Und HERR GREBE wie hätte Ihre Lösung ausgesehen, wenn Sie schon Merkel und Hollande „Beschwichtigungspolitik“ vorwerfen?

  9. #9. A.H.,

    gern doch. Vollgültige Abtrennung des separatistisch beherrschten Teils des Donbass vom ukrainischen Staatsgebiet mit Zuschlagung zu Rußland. Die Kiew-Ukraine wird dafür unter Nato-Schutz gestellt. Ein militärisches Vordringen russischer Streitkräfte über eine festzulegende Linie nach Westen löst den Verteidungsfall aus. Putin ist alleinig verantwortlich für die Versorgung der Bevölkerung und den Wiederaufbau der kriegszerstörten Region, soweit sich die Menschen nicht dazu entscheiden, in der Ukraine leben zu wollen. Die Ukraine wird die EU-Assoziierung fortsetzen und bis zur Vollmitgliedschaft entwickeln. Putin hat die Ukraine für die Krimannexion zu entschädigen, falls Kiew bereit ist, auf seinen Eigentumsanspruch zu verzichten. Putin kann eventuell mit einer Aufhebung der Wirtschaftssanktionn rechnen.

  10. Herr Grebe, ich wäre auch dazu in der Lage ein paar Wolkenkuckucksheime zu errichten- allerdings würden die jenseits dieses Blogs in sich zusammenfallen.

    Bei Ihnen wäre es ähnlich. Die Ukraine will den Donbass nicht hergeben, ich will nicht für dieses ukrainische Regime den Verteidigungsfall riskieren und Putin wird die Ukraine nicht für die Krim entschädigen.

    Politik ist nicht nur „wünsch dir was“ sondern hat (bekannt, bekannt) auch was mit dem Ansehen der Realitäten zu tun.

  11. Bevor es am Aschermittwoch alle Welt erfährt, sollen Sie es erfahren: Die EU gibt dem Druck von Merkel und Hollande nach und verschärft die Sanktionen gegen Rußland. Die Gashähne werden abgedreht! Nur Ungarn ziert sich noch.

  12. #11. A.H.,

    Sie dürfen meine Überlegungen gern Wolkenkuckucksheime nennen. Ich denke jedoch, ich bin von der Realität nicht so weit entfernt, wie Sie es vielleicht glauben mögen. Due Westanbindung an Europa und die Nato ist das, was Putin verzweifelt verhindern möchte. Er bedient sich dazu der einschüchternden Wirkung, die sein Auftraten als militärischer Aggressor nun einmal schafft. Solange Putin den Westen dadurch in Schach hält, daß er die Ängstlichen und Verzagten im Westen zu seiner propagandistischen Hilfstruppe zu machen versteht, solange dürfte der Keil funktionieren, den er zwecks Verunsicherung nach Westen getrieben hat. Es ist jedoch nicht zu übersehen, daß Putin´s Kalkül auszuspielen beginnt. Es wird sich über kurz und lang eine Front der Abschreckung aufbauen, die Putin im Falle eines militärischen Vorgehens mit einer wirksamen Verteidigung konfrontiert. Putin wird sich darin nicht verheben wollen, denn auf eine dauerhafte Schwächung seiner wirtschaftlichen Potentiale durch einen verschleißenden dauerkrieg wird er es nicht ankommen lassen. Dazu ist er zu rational ! Putin surft auf der Welle des Erfolgs, wie ihn eine Appeasement-bereite Westpolitik einzuräumen bereit ist. Als Machtzyniker und Opportunist ergreift er jeden Strohhalm, der sich ihm bietet. Die Amerikaner werden dem nun langsam ein Ende setzen. Ich kann es ihnen nicht verdenken.

    Die Kiew-Ukraine wird einsehen, daß der Osten des Osten unwiderbringlich verloren ist. Diese Erkenntnis, die ein Schlüssel zum Frieden im Osten ist, muß durch Garantien des Westens gefördert werden. Im übrigen kann Kiew über internationale Gerichte Entschädigungbegehren für russische Gebietsenteignungen betreiben. Russisches Geld und Eigentum kann auf der ganzen Welt beschlagnahmt werden, wenn es ein Gericht so anordnet. So leicht wird Putin mit seinem Raub nicht davonkommen.

  13. Der – wie mir scheint, wohl wesentlichste – „Erfolg Putins“ bei Minsk II fehlt bei Bronskis Analyse:
    Nicht nur, dass Russland „erheblichen Einflusses auf die ukrainische Innenpolitik“ erhält. Die gesamte Grenze der Ukraine zur Russland bleibt unkontrolliert und unkontrollierbar – auch für die OSZE. Abzug schwerer Waffen durch die Ukriaine, während solche gleichzeitig im Osten unkontrolliert geliefert werden? Eine geforderte „Verfassungsreform“ unter dem „Schutz“ immer neuer russischer Waffen, analog zur Krim – wie soll das gehen?

    Bez. Debalzewe fordert A.H. (#2)
    – „Es wäre dringend erforderlich, dass die OSZE sich ein Bild von der Lage macht und dann entscheidet, ob es sich um einen Kessel handelt oder nicht.“
    Warum aber verschweigen Sie, dass eben dies erfolgreich von den Sepatatisten verhindert wird?
    Und weiter:
    – „Es wäre daher ein großer Fehler, wenn man die Durchsetzung der Vereinbarung nur einer Seite gegenüber mit Strafe bewehren würde.“

    Schön, wenn man sich selbst als „ehrlicher Makler“ zwischen verfeindeten Parteien vorkommt, wenn man gegenüber Verlautbarungen beider Seiten Misstrauen hegt. Doch setzt dies auch voraus, zu prüfen, ob die Gleichsetzung der jeweiligen Kriegsrhetorik überhaupt stimmig ist und mit gleicher Akribie die Behauptungen beider Seiten zu überprüfen. Da aber kommt nur schwammiges Wischiwaschi der Art: „Doch die Vergangenheit lehrt, dass auch die ukrainische Seite Vereinbarungen nicht einhält, wenn sie ihr nicht in den Kram passen.“

    Nun bin ich weit davon entfernt, der Grebeschen Rhetorik beizupflichten.
    Wie aber wäre es, sich einmal das vorzunehmen, womit Günter Jauch den russischen Botschafter Grinin konfrontierte: das „vorsichtig ausgedrückt, taktische Verhältnis Putins zur Wahrheit“?
    Statt einer Antwort Grinins hier natürlich Verwirrungsstrategie im Sinne alter sowjetischer Apparatschik-Schule: „Wir haben immer für die friedliche Lösung plädiert.“ Oder: „Wenn Sie Beweise haben, zeigen Sie sie mir.“

    Zunächst: Ist es für die Beurteilung völlig gleichgültig, ob ein Land in einem Nachbarland militärisch interveniert oder ob dieses, das bis vor kurzem noch nicht einmal eine eigene Armee besaß, versucht, zumindest die Kontrolle über sein eigenes Territorium wieder zu erlangen?
    Und wie wäre es, sich zur Abwechslung auch einmal nach den Hintergründen der Arbeitsteilung zwischen einem friedensbeschwörenden Putin, der – so in Ungarn – angeblich „keine militärische Lösung“ für die Ukraine sieht, und den prorussischen Rebellen zu fragen, die inzwischen als Kettenhunde die Kämpfe statt Waffenruhe munter weiterführen?

    Michael Hanfeld schreibt auf Faz.net, 15.02.2015 („Putins Medienfeldzug Agent in eigener Sache „)
    „Putin ist der König der Desinformation: Gezielt streut der russische Präsident Zweifel an jeglicher Berichterstattung des Westens. Die Opfer seiner Politik geraten dabei aus dem Blickfeld.(…) Wladimir Putin indes hat nicht nur die Krim ganz und den Osten der Ukraine schon halb gewonnen. Er hat die Deutungshoheit erlangt.
    Ex-Nato-General Kujat, alles andere als ein „Kriegstreiber“, stimmt uneingeschränkt dessen Einschätzung zu: „Merkel und Hollande betrachten den Krieg nicht als legitimes Mittel der Politik, als Option, Interessen durchzusetzen, Putin schon.“
    Dem scheint man wenig hinzuzufügen zu müssen.

    Beachtenswert sicher auch der Artikel in Faz.net,17.02.2015, von Oliver Kühn (Krieg in der Ukraine Fachleute: „Beschuss kam aus Russland“):
    Danach hat ein Militärblogger „möglicherweise Beweise dafür gefunden, dass die ukrainische Armee im vergangen Sommer von Russland aus beschossen wurde. Moskau hat diese Anschuldigung stets zurückgewiesen. (…) Das Waffen-Recherche-Portal „Bellingcat“ hat für seinen neuesten Bericht öffentlich zugängliche Videos und Satellitenbilder untersucht. Auf den Bildern von „Google Earth“ war ein Feld mit 330 Kratern von Artillerieeinschlägen in der Ostukraine zu sehen. (…)
    Durch dieses Vorgehen haben sie sechs Orte identifiziert, von wo die Raketen abgefeuert worden sein könnten; fünf davon liegen in Russland. Anhand der Satellitenbilder konnte sogar ermittelt werden, dass es sich bei dem eingesetzten Waffensystem wahrscheinlich um den Mehrfachraketenwerfer „Grad“ oder „Tornado“ handelt.“

  14. Hallo Herr Engelmann !

    Ich bin derzeit unterwegs und habe nicht sehr viel Zeit auf Ihren interessanten Beitrag zu antworten.

    Da Sie mich aber an einer Stelle gezielt ansprechen, würde ich gerne zu den beiden Punkten Stellung nehmen:

    1) Separatisten verhindern OSZE-Inspektoren in Debaltzewo.Richtig ist, dass die Separatisten den OSZE-Inspektoren keine Garantien für deren Sicherheit in dem bis gestern noch heiß umkämpften Gebiet geben konnten- das stand gestern auf FR-Online und das ist schon ein Unterschied!

    2) Ihre Behauptung, dass die Gleichsetzung beider Seiten bei der Verletzung von Vereinbarungen nur „Wischiwaschi“ ist, meinen Sie sicher nicht ernst. Ich nenne Ihnen nur ein einziges Beispiel: In der Genfer Vereinbarung und soweit ich weiß (ohne Gewähr) auch in der Minsker Vereinbarung wird gefordert, dass sämtliche „Privatmilizen“ auf dem Gebiet der Ukraine entwaffnet werden sollen. Die ukrainische Armee besteht aber, grade im Donbass zu einem großen Teil aus Privatmilizen, die von irgendwelchen Oligarchen finanziert werden- ein evidenter Verstoß gegen sämtliche Vereinbarungen. Und das ist keinesfalls der einzige Verstoß (siehe die gemeinsame Weigerung von Separatisten und ukrainischer Armee, die schweren Waffen von der Front abzuziehen- angeblich (!) haben die Separatisten begonnen, ihre schweren Waffen von den Frontabschnitten abzuziehen, an denen nicht gekämpft wird, die ukrainische Armee weigert sich bis heute konstant.

    Dass zusätzlich der Geist der Minsker Vereinabrung auch verbal unterlaufen wird, hat Poroschenko gezeigt, indem er in Uniform am Tag nach Minsk 2 vor Soldaten den Satz „Der Frieden wird nicht in diplomatischen Hallen erreicht sondern in den Schützengräben erkämpft.“ gesagt hat (zu sehen, vollkommen unkommentiert, in der Tagesschau).

    Ich sage damit nicht, dass Kiew einseitig die Vereinbarungen bricht, ich habe von Anfang an gesagt- und ich bleibe dabei, BEIDE Seiten brechen die Vereinbarungen- das ist kein wischiwaschi sondern Fakt.

    Dann müssen aber auch beide Seiten gleich behandelt werden.

  15. @ # 14 Werner Engelmann
    Auch in dieser Diskussion kann ich Ihnen weitgehend zustimmen. Ich sehe noch einen weiteren Erfolg Putins Politik und Propaganda: Er hat es geschafft, Russland bzw. „Neurussland“ zum Opfer zu stilisieren, das eine aggressive Nato-Einkreisung und einen von den USA initiierten und von der EU unterstützten faschistischen Putsch in Kiew – leider – mit Militärgewalt abwähren muss. Nun kann man sicherlich Russland nicht das Recht absprechen, seine Interessen und die der russischen Minderheit im Ausland zu vertreten. Wenn wir uns aber weitgehend einig sind, dass für „den Westen“ Krieg kein Mittel der Politik sein darf, warum billigt ein nicht unerheblicher Teil der öffentlichen Meinung und der Publizistik in Deutschland Russland und den „Separatisten“ genau dies zu? Hätte Putin über den Schutz der russischen Bevölkerung auf der Krim und in der Ostukraine und meinetwegen auch um eine Sezession dieser Gebiete und deren Anschluss an Russland nicht verhandeln können, statt das Völkerrecht und bestehende Verträge zu brechen?

    Noch ein Aspekt stört mich an der Diskussion: Sie ignoriert die Geschichte der Staaten Mittel- und Osteuropas. Die Feststellung, dass Deutschland gegenüber Russland die historische Verantwortung für den gegen die UdSSR geführten Vernichtungskrieg trägt, ist richtig. Richtig ist aber auch, dass diese Verantwortung auch gegenüber der Ukraine besteht, auf deren Territorium die meisten Opfer zu beklagen waren. Zur historischen Wahrheit gehört aber auch der von Stalin gegen die Landbevölkerung der Ukraine während der „Kollektivierung“ geführte „Hungerkrieg“ mit etwa einer Million Todesopfern, der dort, anders als im Westen, nicht vergessen wurde. Schließlich ist auch der Hitler-Stalin-Pakt zu nennen, der zur Annexion der baltischen Staaten durch die UdSSR und die Besetzung Polens durch Nazi-Deutschland und die UdSSR führte. Unter dem Blickwinkel dieser historischen Erfahrung ist auch die Osterweiterung der EU und der Nato eine logische Konsequenz für diese Länder, die nicht wieder ungeschützt zwischen dem zur europäischen Macht aufgestiegenen Deutschland und dem sich als Weltmacht verstehenden Russland bleiben wollten.

  16. Es braucht wenig Fantasie vorherzusagen, daß Putin´s Separatisten unter dem Schutz von Minsk II weiter in den ukrainischen Westen vordringen werden. Weder ist der Donbass komplett erobert noch Mariupol genommen und die Landverbindung zur Krim hergestellt.

    Minsk II ist wie ein trojanische Pferd, paradoxerweise vom Westen für die Separatisten bereitgestellt, um ihnen im Schutze des Abkommens zu erlauben, den Krieg schwelbrandgleich weiter nach Westen zu tragen.

    Der Westen ist dabei in die Falle seiner eigenen Illusionen getappt. Merkel und Hollande werden alles tun, um nicht das Scheitern von Minsk II erklären zu müssen. Solange die beiden Staatslenker bereit sind, den Schein des Waffenstillstandserfolgs zu verteidigen, solange werden sich die Separatisten weitgehend unbehelligt von einer geschwächten ukrainischen Armee zu einer Fortsetzung ihres gewaltsamen Vorgehens ermutigt fühlen. Konsequenzen der internationalen Völkergemeinschaft haben weder sie noch Putin zu befürchten, solange die Illusion eines funktionierenden Waffenstillstandsabkommens vom Westen und seiner naiven „Putinversteherei“ gepflegt wird.

    Es ist bedrückend zu sehen, wie der Westen direkt ins Putin´sche Kalkül hineinspielt und ihn zu seinem perfiden Spiel sogar noch ermuntert. Zur Diagnose unfähig und zur Therapie entsprechend. Die Kiew-Ukraine ist dabei zum doppelten Opfer geworden. Zum Opfer der Putin´schen Machtspiele, und zum Opfer der pazifistischen Bellizisten im Westen, die den Krieg durch Verharmlosung, Ignoranz und Hofieren des russischen Potentaten erst zu seinem jetzigen Umfang sich haben entwickeln lassen. Und derjenige, der die Hilfe gebraucht hätte gegen den Aggressor, wurde und wird vom Westen schmählich im Stich gelassen. Die Hilfe hätte bestehen müssen in einem Machtwort und der Androhung des Verteidungsfalls unter dem Shutze der Nato. So aber gießt der Westen mit seinen Sanktionen Feuer in das Putin´sche Bestreben, Kompensation für die Wirtschaftsschäden durch weitere Landnahme und Repatriierung „heiligen“ russischen Bodens zu schaffen. Und das ist Irrsinn mit Methode.

  17. @ JaM

    Ich würde Ihnen gerne eine Frage stellen:

    Seit wann genau ist für den „Westen“ denn „Krieg kein Mittel der Politik“ mehr?

    Ich erinnere mich an Irak, Lybien, Serbien.

    Dementsprechend ist Ihre Grundannahme bzw. Ihre Grundfrage falsch gestellt.

    Richtig müsste es lauten: Wenn auch der Westen Kriege (auch völkerrechtswidrige) zur Durchsetzung seiner Interessen führt (und dies nicht zu Sanktionen bzw. zum Ausschluss aus der G8 führt), warum billigt man Russland dann dieses Recht nicht zu bzw. warum wird Russland dann mit großer moralischer Empörung dafür bestarft und sanltioniert ?

    Wohlgemerkt- ich billige dieses Recht weder Russland noch dem Westen zu!

    Da dies aber BEIDE „Seiten“ immer wieder machen, billige ich dem Westen keine moralische Überlegenheit zu, aus der dieser heraus nun Russland kritisieren und sanktionieren darf.

  18. #18. A.H.,

    ich bin zwar nicht von Ihnen angesprochen worden, sage aber zu Ihrem Beitrag mal ganz en passant, daß Sie Geschichtsklitterung betreiben, wenn Sie die Motive der Amerikaner beim Irakkrieg in irgendeiner Weise gleichsetzen mit den Motiven der Separatisten und unterstützenden russischen Militärs.

    Im ersten Falle ging es immerhin gegen einen blutigen Diktator und Menschenrechtsverbrecher, getrieben vom Schock des 11. September 2001.

    Bei den Separatisten geht es um Gewalt anstelle von Politik. Hier ist mitnichten irgendeine Legitimitation zu erkennen. Insofern verbietet sich jede Gleichsetzung der Separatisten mit den Amerikanern, und die Moral, die Sie zur Gleichsetzung bemühen, ist keine, die ich auch nur mit behandschuhten Fingern anfassen würde.

  19. @ # 18 A.H.
    Sie fragen mich: „Seit wann genau ist für den ‚Westen‘ denn ‚Krieg kein Mittel der Politik‘ mehr? Ich erinnere mich an Irak, Lybien, Serbien. Dementsprechend ist Ihre Grundannahme bzw. Ihre Grundfrage falsch gestellt.“

    Gerne können wir über Irak, Libyen und Serbien oder über das moralische Recht des Westens, Russland zu verurteilen, streiten. Doch das war nicht meine Frage.

    Gefragt habe ich: „Wenn wir uns aber weitgehend einig sind, dass für „den Westen“ Krieg kein Mittel der Politik sein darf, warum billigt ein nicht unerheblicher Teil der öffentlichen Meinung und der Publizistik in Deutschland Russland und den ‚Separatisten‘ genau dies zu?“ Das „wir“ bezog sich auf die öffentliche Meinung und Publizistik in Deutschland, und diese (wie glücklicherweise auch die Politik) sind sich doch tatsächlich einig, dass im Ukrainekonflikt ein Einsatz von militärischer Gewalt seitens der EU und Nato keine Option ist. Ist es also unbillig zu erwarten, dass die öffentliche Meinung und Publizistik das gleiche auch von Russland und den Separatisten fordert?

  20. @ A.H., #15

    Danke für Ihre Antwort. Einiges lässt mich freilich unbefriedigt.

    – „Separatisten verhindern OSZE-Inspektoren in Debaltzewo.Richtig ist, dass die Separatisten den OSZE-Inspektoren keine Garantien für deren Sicherheit in dem bis gestern noch heiß umkämpften Gebiet geben konnten- das stand gestern auf FR-Online und das ist schon ein Unterschied!“

    Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie hier einen entscheidenden Unterschied sehen. Ansonsten hieße das:
    OSZE-Mitarbeiter sind als neutrale Beobachter vor Ort, um Bedingungen für Frieden eruieren. Dagegen hat natürlich ein Putin nichts einzuwenden – solange sie untätig bleiben. Nehmen sie aber ihren Job ernst, dann gleicht das einem Himmelfahrtskommando, und am eigenen Tod sind sie selbst Schuld. Weichen sie der Gewalt, stellt sich ein Grinin bei Günther Jauch hin und fordert mit aufgesetzter Unschuldsmine: „Wenn Sie Beweise haben, zeigen Sie sie mir.“ –
    Das ist Putin-Grininscher Zynismus in Reinform!

    – „Die ukrainische Armee besteht aber, grade im Donbass zu einem großen Teil aus Privatmilizen, die von irgendwelchen Oligarchen finanziert werden- ein evidenter Verstoß gegen sämtliche Vereinbarungen.“

    Eben dieses Problem wurde bei Günther Jauch dem ukrainischen Botschafter vorgelegt. Der gestand (im Unterschied zur Grininschen Verschleierungs-Methode) unumwunden ein, dass solche Milizen existieren. Inwieweit sie von Kiew kontrolliert werden können, blieb freilich offen.
    Natürlich steht dies im Zusammenhang damit, dass im Moment der Übergriffe der separatistischen Soldateska mit russischen Waffen noch nicht einmal eine ukrainische Armee existierte, die zur Verteidigung hätte eingesetzt werden können.
    Adenauer sagte einmal, auf die Verwendung ehemaliger Nazis angesprochen: „Sie schütten schmutziges Wasser nicht weg, wenn Sie kein sauberes haben.“ Bis in Deutschland dieses „saubere Wasser“ da war, hat es Jahrzehnte gedauert – während einer Friedensperiode. Die Ukraine aber soll dies innerhalb von Tagen während des Kampfes um ihre Existenz erledigen. Wobei schon beachtlich ist, in welchem Maße durch Wahlen in kürzester Zeit rechtsradikale Einflüsse reduziert wurden. Frankreich könnte sich daran ein Beispiel nehmen.

    Das soll gleichzusetzen sein mit Putins Unterstützung für die Rebellen?
    Der hat freilich mit seinen Soldaten „auf Urlaub“ in der Ukraine, bestückt mit schweren Waffen aus Second-hand-Läden, ein solches Problem nicht – es sei denn, Mütter gefallener Soldaten fordern massenhaft Rechenschaft bezüglich der schwer eisenhaltigen Luft am „Urlaubsort“ (wozu es leider noch nicht ausreichend gekommen ist).
    Der schwadroniert (und mit ihm deutsche Nachbeter) von den ukrainischen „Faschisten“ (Orginalton Grinin: Krim-Einsatz notwendig zur Unterbindung bevorstehender „ethnischer Säuberungen“!)und bestellt zugleich (u.a). europäische Rechtsradikale als „neutrale Beobachter“.
    Kein Grund für Bedenken?

    – „Angeblich (!) haben die Separatisten begonnen, ihre schweren Waffen von den Frontabschnitten abzuziehen, an denen nicht gekämpft wird, die ukrainische Armee weigert sich bis heute konstant.“
    „BEIDE Seiten brechen die Vereinbarungen- das ist kein wischiwaschi sondern Fakt.“

    Fakten? Woher wissen Sie das? –
    Ich möchte Ihnen persönlich nicht zu nahe treten.
    Aber ich finde schon erstaunlich, mit welcher Selbstsicherheit in diesem Konflikt mit „Fakten“ höchst dubioser Herkunft um sich geworfen wird. „Fakten“, mit denen man trefflich jonglieren kann. Man muss nur aus deren unübersehbaren Zahl die für sich „richtigen“ aussuchen, muss nur die für sich unpassenden Hintergründe weglassen – und schon wird aus dem Betreiber einer militärischen Intervention ein „ehrlicher Makler“. Grinin scheint ein Meister dieser Methode zu sein – und nicht einmal ein Röttgen traut sich, ihn zu entlarven.
    Woher die Einbildung, sich quasi als Betrachter einer Reality-Show ein „objektives“ Urteil bilden zu können, während man vielleicht längst in die Propagandamaschine involviert ist? Für „Putin-Versteher“ gilt dies gewiss. Da mag V.Grebe Recht haben: Man kann sich als „Pazifist“ fühlen und dennoch als „Bellizist“ wirken. Und sich dabei noch sehr gut fühlen.
    Denn gestorben wird anderswo. Und den Preis dafür zahlen auf jeden Fall die Ukrainer.

  21. Nachtrag zu #21:

    Auf ntv lief gerade eine Interview mit einem Rebellenführer. „Morgen sind wir in Kiew, und dann in Berlin“ tönt er. Gehört auch zu den „Fakten“.
    Soll ich also lieber vorsorglich meine Koffer packen?

  22. Hat in der Ukraine noch jemand einen genauen Überblick? Verschlungene Kampffronten, an denen sich Söldner, finanziert von reichen Oligarchen neben idealistischen Freiwilligen (Vaterlandsverteidigern), von Russland gesteuerten „Urlaubssoldaten“, echten Separatisten aus der Ostukraine, faschistischen Kämpfern aus der Westukraine, regulären ukrainischen Soldaten und wer weiß noch wer alles tummeln? Hören die alle auf die Minsker Vereinbarungen? Hier wünschte ich mir klare Befehlsstrukturen, obwohl ich die verabscheue. Auch wenn sich die Berichterstatter viel Mühe geben (und sich auch selber in gefährliches Terrain begeben), sie können auch nur kleine Abschnitte beurteilen. Auf der Strecke bleibt die Zivilbevölkerung, deren Lebensleistung brutal zerstört wird, alles was sie sich im Laufe ihres einzigen Lebens aufgebaut haben, ihre Häuser, ihre Tiere werden in kurzer Zeit vernichtet und mit viel Glück retten sie – vielleicht – ihr eigenes Leben, das dann aber nie mehr so sein wird wie vorher. Warum tun wir Menschen uns das in aller Welt an? Warum? Es macht doch keinen Sinn. Diese Frage habe ich mir schon mit 12 gestellt und ich finde auch jetzt keine Antwort. Ich sehe die zerstörten Wohnhäuser, die zertrümmerten Flughäfen und die weinenden Menschen. Und da fällt mir auch nur ein zu rufen: Mensch, hab doch endlich auch mit dir selbst Erbarmen (frei nach…).

  23. ach ja, es ist Bertold Brecht:
    Ach ja, es ist Brecht:

    Ihr, die ihr überlebtet in gestorbenen Städten
    Habt doch nun endlich mit euch selbst Erbarmen!
    Zieht nun in neue Kriege nicht, ihr Armen
    Als ob die alten nicht gelanget hätten:
    Ich bitt euch, habet mit euch selbst Erbarmen!
    Ihr Männer, greift zur Kelle, nicht zum Messer!
    Ihr säßet unter Dächern schließlich jetzt
    Hättet ihr auf das Messer nicht gesetzt
    Und unter Dächern sitzt es sich doch besser.
    Ich bitt euch, greift zur Kelle, nicht zum Messer!
    Ihr Kinder, daß sie euch mit Krieg verschonen
    Müßt ihr um Einsicht eure Eltern bitten.
    Sagt laut, ihr wollt nicht in Ruinen wohnen
    Und nicht das leiden, was sie selber litten:
    Ihr Kinder, dass sie euch mit Krieg verschonen!

    Ihr Mütter, da es euch anheimgegeben
    Den Krieg zu dulden oder nicht zu dulden
    Ich bitt euch, lasset eure Kinder leben!
    Daß sie euch die Geburt und nicht den Tod dann schulden
    Ihr Mütter, lasset eure Kinder leben!
    1949

  24. @ Herr Grebe

    So so es ging im Irak um einen blutigen Diktator und Menschenrechtsverbrecher?

    Meinen Sie den Diktator und Menschenrechtsverbrecher, der von den USA noch hochgerüstet wurde als er die „lustige Idee“ hatte, mal kurz in den Iran der Ayatollahs einzufallen? Solange er sich noch als nützlicher Idiot der USA geriert hat, war das mit den Menschenrechten nicht gar so tragisch- erst als er nicht mehr nach der Pfeife der USA egetanzt hat, hat die USA auf einmal ihr Faible für Menschenrechte entdeckt und den Irak überfallen- völkrerechtlich durch nichts zu rechtfertigen (eine ähnliche Erfahrung durfte im übrigen auch Al-Quaida machen- solange die sich gegen die Russen in Afghanistan gewandt haben, wurden sie augenzwinkernd von den USA unterstützt)

    Also bitte, Geschichtsklitterung betreiben Sie- sonst niemand!

  25. @ JaM

    Okay, dann habe ich Ihre Argumentation missverstanden.

    Trotzdem bleibt es für mich unlogisch. Richtig ist, dass der Westen in diesem Konflikt ein militärisches Eingreifen ablehnt. Aber man kann doch nicht sagen: Wenn der Westen keine Gewalt anwendet, dann darf das auch niemand sonst und wenn der Westen in einem anderen Konflikt Gewalt anwendet, dann dürfen das auch alle anderen.

    Es ist mir schon wichtig klarzustellen, dass der Westen sich in anderen Konflikten sehr wohl „militärischer Gewalt“ zur Durchsetzung seiner Ziele bedient hat. Wenn wir uns da einig sind, ist das doch schonmal was:-).

    Aber mal davon abgesehen, habe ich immer geschrieben, dass ich Putins Verhalten nicht goutiere. Ich halte die Übernahme der Krim für völkerrechtswidrig.

    Ich kann nur die im Westen aufbrandende moralische Empörung, so als ob das nun ein noch nie dagewesenes Ereignis wäre, das man strengstens sanktionieren muss, nicht verstehen. Kommentare die Russland Imperialismus des vorigen Jahrhunderts vorwerfen, den der Westen eben aufgrund seiner eigenen friedfertigen Haltung nicht verstehen kann, halte ich für bigott

  26. Herr Engelmann,

    um eins vorweg klarzustellen: Ich bin keinesfalls der Aufassung, dass Russland sich in diesem Konflikt korrekt verhält.

    Ich bin der Auffassung, dass die Übernahme der Krim völkerrechtlich nicht korrekt war und ich bin mir recht sicher, dass Russland die Separatisten in vielfältiger Form unterstützt (allerdings darf ich darauf hinweisen, dass ich nicht jede Meldung aus Kiew über Zahl und Art gesichteter offizieler russischer Kampfverbände glaube- wenn ich das täte, müssten so viele russische Einheiten in der Ukraine sein, dass der Kampf längst entschieden wäre und die Separatisten tatsächlich in Kiew stehen würden- ich schließe mich da also einer entsprechenden Meinung des ehemaligen NATO Generals Kujat, die dieser in der vorletzten „Günter Jauch Sendung“ geäußert hat).

    Was die russische Seite angeht, haben wir also vielleicht nur marginale Diffenrenzen.

    Ich teile Ihre Einschätzung hinsichtlich der ukrainischen Regierung jedoch keinesfalls- ich sehe diese sehr viel kritischer als Sie- sowohl im Hinblick auf die politische Zusammensetzung als auch (erst recht) im Hinblick auf ihr Handeln in der Ostukraine.

    Erfreulicherweise schreiben Sie ja selber, dass es in der Ukraine diverse Privatmilizen im Einsatz gibt. Wie auch immer Sie das begründen, es ist gemäß der Genfer Vereinbarung und Minsk 1 nicht zulässig, dass Privatmilizen in den Reihen der ukrainischen Armee kämpfen, weil nach diesen Vereinbarungen sämtliche „Privatmilizen“ entwaffnet und nach Hause geschikct werden sollten. Das ist nunmal so und da Sie selber ja einräumen, dass es diese Milizen gibt, ist die kein wischiwaschi sondern ein evidenter Beweis dafür, dass auch seitens Kiews die Vereinbarungen nicht umgesetzt worden sind.

    Insofern richten sich auch Ihre Urteile über meine angeblich aus dubiosen Quellen stammenden Fakten von selber.

    Sie glauben doch nicht ernsthaft, diese Frage würde mich wirklich einmal interessieren, dass die ukrainische Seite mit all ihren unbekannten Milizen, die Vereinbarungen immer einhält und nur das Reich des Bösen diese bricht. Ich will Ihnen auch nicht zu nahe treten aber dafür muss man schon sehr viel Faz.net lesen:-).

    Glauben SIe ernsthaft, dass die Separatisten in von ihnen selber gehaltene Städte schießen, wobei dann Zivilisten getötet werden? Doch wohl nicht wirklich.

    Ich bin zu 100% davon überzeugt (und glauben Sie mir, meine Überzeugung speist sich nicht aus dubiosen Quellen), dass BEIDE Seiten die Vereinbarungen brechen, weil BEIDE Seiten irgendwo im Hinterkopf haben, dass man diesen Konflikt militärisch wird gewinnen können. Ich glaube nicht an den Kampf „gut gegen böse“- wir haben uns an anderer Stelle ja schon einmal über die angeblichen Werte des Westens unterhalten- ohne uns einigen zu können.

    Diese Spinnerei wird auf dem Rücken der unbeteiligten und unschuldigen Zivilisten beider Lager ausgetragen- ein unhaltbarer Zustand, den man nur beenden kann, wenn man auf BEIDE Seiten Druck ausübt. Das ist nunmal meine Meinung- und bitte glauben Sie nicht, dass Sie im Gegensatz zu mir sorgfältiger recherchieren oder bessere Informationsquellen haben. Vielleicht haben Sie eine ANDERE Meinung aber sicher keine BESSER FUNDIERTE!

  27. #25. A.H.,

    tja, auch die Amerikaner machen eben Fehler. Haben Sie doch zunächst Saddam gestützt, um einen in ihren Augen noch größeren Schurken zu bekämpfen. Später haben sie gemerkt, welchen Erzschurken sie dadurch großgemacht haben, und sie haben unter dem Schock des 11. September stehend diesen Fehler dann zu korrigieren versucht.

    Entscheidend ist das Motiv, das die Amerikaner dabei geleitet hat, nämlich ein größeres Übel durch Inkaufnahme eines kleineren Übels zu bekämpfen. Dies stellt in moralischer Hinsicht eine Handlungslegitimierung dar, selbst wenn die Handlung mit dem Völkerrecht kollidiert.

    Den Separatisten in der Ostukraine jedoch fehlt es im Unterschied zu den Amerikanern an jeglicher moralischer Legitimität zum Ersatz von Politik durch Gewalt. Die Gleichsetzung fällt Ihnen nun schrecklich auf die Füße. Sie sind selber schuld, wenn es Ihnen nun wehtut.

  28. Herr Grebe- und wer oder was das kleinere Übel ist, bestimmt nochmal wer?
    Verbunden mit der Frage, wer denn genau entscheidet, wann etwas (in Ihrer Diktion) eine „moralische Handlungslegitimierung“ darstellt, für die man dann auch getrost das Völkerrecht brechen kann?

    Ich nehme Ihren Beitrag mal als „humoristisch gemeint“- sonst wäre er nur schwer erträglich;-).

    Ein schönes WE wünsche ich Ihnen!

  29. @ A.H., #27

    – „Diese Spinnerei wird auf dem Rücken der unbeteiligten und unschuldigen Zivilisten beider Lager ausgetragen – ein unhaltbarer Zustand, den man nur beenden kann, wenn man auf BEIDE Seiten Druck ausübt. Das ist nunmal meine Meinung – und bitte glauben Sie nicht, dass Sie im Gegensatz zu mir sorgfältiger recherchieren oder bessere Informationsquellen haben.“

    1. Teil: volle Zustimmung
    2. Teil („Druck“): Das wäre zu präzisieren.
    3. Teil: Das glaube ich ganz und gar nicht. Ich stimme im Gegenteil I.Werner voll und ganz zu, wenn Sie schreibt: „Hat in der Ukraine noch jemand einen genauen Überblick?“
    Eben dies bezweifle ich, und das meine ich auch im letzten Teil meiner Ausführungen, wobei ich mich nicht auf Sie beziehe, sondern auf Beobachtungen in der medialen Diskussion. Vor allem auf dieses dumme Gerede von „gut“ und „böse“, das ja die Behauptung impliziert, man habe selbst nicht nur diesen Überblick, sondern auch das Recht, ein moralisches Urteil abzugeben. Wobei es vorwiegend darum geht, andere zu diskreditieren statt sich mit der Sache auseinanderzusetzen – besonders deutlich im Topos der angeblichen Diabolisierung Putins. Für solche Mätzchen erscheint mir die Sache viel zu ernst.
    Zu 2:
    Die Formel „auf beide Seiten Druck ausüben“ erscheint mir aus zwei Gründen wenig hilfreich.
    Erstens geht dies – wie in #21 ausgeführt – von einer hier unzutreffenden formalen Gleichsetzung der gegnerischen Positionen aus. Zweitens erweckt dies den Anschein, man könne, als vermeintlich Unbeteiligter, den beiden Seiten gewissermaßen von einer höheren Warte aus Bedingungen oktroyieren, ohne genaue Analyse, was dies für die jeweilige Seite bedeutet und und ob diese überhaupt erfüllbar sind.
    Nun stellt sich für die ukrainische Seite in völlig anderer Weise als für Russland nicht etwa nur die Frage eines Gesichtsverlusts, es steht – über die Hauptfrage des eigenen Blutzolls hinaus – die eigene staatliche Existenz auf dem Spiel.
    Was also sollte „Druck ausüben“ für die ukrainische Seite bedeuten? Drohung mit Verweigerung einer Wiederaufbauhilfe? Verlangen der Selbstaufgabe nationaler Souveränität? Weitere Destabilisierung? – Das wird ja alles schon von Putin auf seine Weise erledigt. Mit ehrlicher Vermittlung in einem Konflikt hätte das nichts mehr zu tun. Es wäre eher ein Diktat.
    Am Versailler Friedensdiktat kann studiert werden, was solches bedeuten kann. Ohne einen Vergleich anzustreben (hier hat ja die Gier nach Revanche eine ganz andere Rolle gespielt): Man kann an den Entwicklungen der Weimarer Republik ablesen, wie verheerend sich ein Verhalten auswirkt, das nur die eigenen Forderungen im Blick hat, sich um die Frage deren Erfüllbarkeit aber nicht einen Deut schert (etwa Ruhrbesetzung).

    Noch einen schönen Sonntag!

  30. Herr Engelmann, ich denke wir sind uns einig (auch was die Frage des Überblicks über die wirkliche Lage in der Ukraine angeht)!

    Nur der Punkt „Druck ausüben“ scheint noch strittig zu sein.

    Sie stellen in Ihrer Argumentation darauf ab, dass man beide Seiten alleine schon deshalb nicht gleich behandeln darf, weil sie moralische Unterschiede zwischen der Haltung Russlands bzw. der von Russland unterstützten Rebellen und der ukrainischen Regierung sehen (sie sehen die Gleichsetzung als unzutreffend an).

    Ich würde aber sagen, dass dies im konkreten Fall unerheblich ist.

    In diesem Krieg ringen (mindestens) zwei Parteien miteinander, die vollkommen unterschiedliche Interessen zu haben scheinen. Nun könnte man sich, wie Sie offenbar, daran machen und die unterschiedlichen Interessen bewerten- nur bringt das die Ukraine den Frieden nicht näher!

    Um zu einem Frieden zu kommen müssen sich die beiden Parteien an einen Tisch setzen und ihre Forderungen austauschen und dann versuchen, Kompromisse zu erzielen- welche Seite dabei mehr Zugeständnisse machen muss, entscheidet sich in der Realpolitik nicht an der höheren Moral sondern (vielleicht bedauerlicherweise) an den realen Machtverhältnissen.

    Wenn dann aber eine Einigung gefunden worden ist, dann müssen sich auch beide Seiten daran halten- es kann dann nachher nicht die eine Seite kommen und sagen „Ich habe aber die Moral auf meiner Seite- also halte ich die getroffene Vereinbarung nicht ein!“

    Ich sehe das aber so, dass sich BEIDE Seiten (nochmal: Es liegt mir fern so zu tun als ob die Rebellen oder Russland Engel sind!!) in der Vergangenheit nicht an die Vereinbarungen gehalten haben (wiewohl es heute am Sonntag die erfreuliche Meldung gibt, dass man sich zwischen den Kombattanten auf den Rückzug der schweren Waffen geeinigt hat). Warum ich das so sehe, habe ich ja schon ausgeführt.

    Nun bin ich aber sehr dezidiert der Meinung, dass man eine Vereinbarung nicht dadurch umsetzen kann, dass man eine Seite für deren Verfehlungen (zurecht!) sanktioniert und der anderen Seite für deren Verfehlungen keinerlei Konsequenzen drohen.

    Wohlgemerkt, es geht nicht um das Einhalten von außen „oktroyierter“ Vereinbarungen sondern um die von den jeweiligen Verhandlungsführern BEIDER Seiten ausgehandelten und unterschriebenen Bedingungen. Ich sehe auch die Föderalisierung bzw. Dezentralisierung der Ukraine, die in Minsk beschlossen wurde- anders als Sie offenbar- nicht als „aufsspielsetzen der staatlichen Existenz der Ukraine“.

    Ich habe noch die Hoffnung, dass Minsk 2 zu einem Ende des Blutvergießens in der Ukraine führt- aber das wird nur funktionieren, wenn sich BEIDE Seiten an die Vereinbarung halten und wenn BEIDE Seiten damit rechnen müssen, bei Nichteinhaltung der Vereinbarung empfindlche Nachteile zu erleiden. Gegen Russland wurden bereits Wirtschaftssanktionen (und auch politische Sanktionen) in Kraft gesetzt, die, wenn ich den Berichten über die Schwierigkeiten der russischen Wirtschaft Glauben schenken darf, ja auch Wirkung zeigen.

    Selbstverständlich bin ich der Auffassung, dass eine Kiewer Regierung, die sich ebenfalls nicht genauestens an die einzelnen Punkte, der von ihr selber ausgehandelten und unterzeichneten Vereinbarung hält, ebenfalls sanktioniert werden müsste- ich sehe dabei durchaus die Möglichkeit, die vereinbarten Zahlungen, auch seitens der EU, auszusetzen.

    Ich halte eine entsprechende Drohung mit empfindlichen wirtschaftlichen Nachteilen für die Ukraine sogar für zwingend erforderlich, weil man damit Poroschenkos Position gegenüber den Hardlinern in Kiew stärken würde, die ihm ja jetzt schon so eine Art „Vaterlandsverrat“ vorwerfen, nur weil er mit Russland verhandelt hat. Wenn auch den Hardlinern klar wird, dass die Ukraine verliert, wenn sie den Weg von Minsk 2 verlässt, können sie Poroschenko nicht mehr so leicht angehen und unter Druck setzen, weil sie damit die wirtschaftliche Gesundung der Ukraine gefährden würden- ein Argument, dass vielleicht vor allem die Oligarchen, die ihre Privatmilizen sehr zahlreich in der Ostkraine einsetzen, überzeugen dürften, profitieren sie doch erheblich von einer wirtschaftlich erstarkenden Ukraine.

    In diesem Sinne hoffe ich, dass Minsk 2 nunmehr umgesetzt wird und die Leute auch in der Ostukraine wieder in Ruhe leben dürfen!

    Auch Ihnen noch einen schönen Sonntag!

  31. Hallo, A.H.!

    Sich gegenseitig zur Präzisierung zu nötigen, scheint sich doch zu lohnen. Ich meine, dass es sich bei unserer unterschiedlichen Sicht nur noch um Details handelt. Dennoch sollen auch die ausdiskutiert werden.

    – „In diesem Sinne hoffe ich, dass Minsk 2 nunmehr umgesetzt wird und die Leute auch in der Ostukraine wieder in Ruhe leben dürfen!“
    Absolute Zustimmung. Hier ist wohl keine weitere Diskussion nötig.

    – „Sie stellen in Ihrer Argumentation darauf ab, dass man beide Seiten alleine schon deshalb nicht gleich behandeln darf, weil sie moralische Unterschiede zwischen der Haltung Russlands bzw. der von Russland unterstützten Rebellen und der ukrainischen Regierung sehen (sie sehen die Gleichsetzung als unzutreffend an).“
    Ich habe den Eindruck, dass Sie hier meine Argumentation missverstehen. Ich sehe das keineswegs als moralisches, sondern als politisches Problem. Zunächst im Sinne des Völkerrechts, aber auch unter machtpolitischem Aspekt. Akzeptanz von Interventions- bzw. Einflussphärenpolitik hätte – unabhängig von der Situation in der Ukraine – Rückwirkugen auf die weltpolitische Lage. Darüberhinaus ist natürlich von Bedeutung, wer mit welchen Verletzungen des Abkommens beginnt und die andere Seite nötigt, „gleichzuziehen“. Die Informationen bez. „Geländegewinne“ nach dem Abkommen, erst Debalzewe, nun, wie es heißt, Vorrücken der Rebellen nach Mariupol, sprechen hier eine deutliche Sprache.
    Als abschreckendes Beispiel das gerade bei „Berlin direkt“ gesendete Interview mit Bernd Riexinger:
    Forderung der Linken nach sofortiger Beendigung von Sanktionen, ungeachtet des Vorrückens der Rebellen. Trotz wiederholter Nachfrage hierzu natürlich keine Stellungnahme. Bei solcher Doppelzüngigkeit kommt dann vielleicht doch „Moral“ ins Spiel, aber auf einer sehr pragmatischen Ebene: da eine solche jede Form von Vereinbarungen untergräbt.

    – „Ich sehe auch die Föderalisierung bzw. Dezentralisierung der Ukraine, die in Minsk beschlossen wurde- anders als Sie offenbar- nicht als “aufsspielsetzen der staatlichen Existenz der Ukraine”.
    Zustimmung in der Sache, insbesondere was diesbezüglich Fehler der Vergangenheit betrifft. Ob dies Gegenstand von Sanktionen sein kann, bezweifle ich. Diese wären bei eindeutigen Verstößen (etwa einseitiger Weigerung des Abzugs schwerer Waffen) ins Auge zu fassen.
    Es ist mir jetzt entfallen, an welcher Stelle des Minsker Abkommens die Frage der Föderalisierung rangiert. Auf jeden Fall vor dem der Sicherung der Ostgrenze, was ein Ding der Unmöglichkeit ist: Unter der Drohung weiterer unkontrollierter Waffenlieferungen an die Rebellen wäre dies eine bloße Farce (siehe Krim), liefe faktisch also auf Absicherung des russischen Einflusses hinaus. (Darauf habe ich bereits in #14 hingewiesen.)
    Es erscheint mir selbstverständlich, dass die Ukraine dies nur unter verlässlicher Absicherung der Grenzen, also gesicherter Respektierung auch durch russische und Rebellenseite bewerkstelligen kann. Das meine ich mit Respektierung der Souveränität statt formalistischer Gleichsetzung.

    – „Ich halte eine entsprechende Drohung mit empfindlichen wirtschaftlichen Nachteilen für die Ukraine sogar für zwingend erforderlich, weil man damit Poroschenkos Position gegenüber den Hardlinern in Kiew stärken würde.“
    Prinzipiell werden Abkommen nur mit Regierungen vereinbart, nicht mit anderen dubiosen Kräften. Es bedarf keiner Betonung, dass diese, bei einem Regierungswechsel, auch weiterhin einzuhalten wären. Deshalb sehe ich nicht, warum es diesbezüglich einer Drohung bedürfte. Zudem meine ich, dass etwa die Föderalisierung auch in wohlverstandenem ukrainischen Interesse zur Verringerung innerer Spannungen ist. Dies deutlich zu machen, ist der Hinweis etwa auf das deutsche Modell der deutlich bessere Weg gegenüber Drohungen.

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