Mächtige Gewohnheitsrituale

Ich kann schreiben und erzählen, was ich will, schreibt FR-Autorin Katja Thorwarth in ihrer Kolumne über die „Lügenpresse“: Ich bin trotzdem gleichgeschaltet, einfach weil ich Journalist bin und für eine Zeitung arbeite. Und weil jene, die das so genau wissen, entweder das geschlossene Weltbild einer Verschwörungstheorie haben, in dem Journalisten das tun, was ihnen von der Politik gesagt (oder bedeutet oder irgendwie signalisiert) wird. Es ist also nicht meine persönliche Überzeugung, dass — um ein Beispiel zu nennen — Wladimir Putin ein gefährlicher Autokrat ist, sondern ich tue diese Einschätzung kund, weil ich das auf Seminaren der „Atlantik-Brücke“ oder geheimen Schulungen der Nato so gelernt habe. Ebenso ist meine Meinung, dass Obamas Drohnenkrieg ein Faustschlag ins Gesicht des Völkerrechts ist und dass der „war on terror“ das Gegenteil von dem erreicht hat, was er wohl sollte, und ein gigantisches Terroristenzuchtprogramm wurde, nicht frei von mir persönlich gebildet, sondern Ergebnis der Indoktrination durch das Deutsch-russische Forum. Und so weiter.

Man muss als Journalist selbstkritisch sein, sich selbst hinterfragen und danach schauen, wodurch man beeinflusst wird. Denn dass man beeinflusst wird, steht natürlich außer Frage. Trotzdem hat man auch als Journalist Überzeugungen wie jeder Mensch. Aber muss ich mich deswegen auch mit derart plakativen Vorwürfen wie dem der „Lügenpresse“ befassen? Nun ja, das Thema ist nun mal da, also schreibe ich auch was drüber. Und siehe da, auch dazu habe ich eine Meinung: „Lügenpresse“, das schreien vor allem jene, die nicht wahrhaben wollen, dass die Welt außerhalb ihres heimischen Jägerzauns zu komplex ist, als das die beliebten einfachen Lösungen greifen könnten. „Lügenpresse“, das bedeutet nicht unbedingt, dass falsch berichtet würde, sondern es bedeutet, dass nicht das berichtet wird, was diese Leute aus dem Tal der Ahnungslosen für die Realität halten. „Lügenpresse“ bedeutet Realitätsverweigerung durch diese Leute. Es hat eben nicht immer der recht, der am lautesten schreit.

Ernst Girth aus Frankfurt meint:

„Es ist anerkennenswert, dass sich eine Journalistin mit dem Vorwurf „Lügenpresse“ differenziert und nicht polemisch auseinandersetzt. Denn so borniert der Vorwurf von Pegida und AfD auch meist vorgetragen wird muss es ja einen Kern wahrhaftigen Erlebens der Berichterstattung der Medien bei vielen Menschen geben. Ich glaube vielen Journalisten, dass sie rechtschaffen und nicht korrupt recherchieren und berichten. Und trotzdem kennt jeder, der aus dem Beruf ausgeschieden ist, ob als Journalist, Arzt oder Wissenschaftler, die Zweifel im Rückblick auf das berufliche Leben, warum man sich in vielen Situationen nicht so kritisch und konsequent verhalten hat, wie es notwendig gewesen wäre. Der Anpassungsdruck und Gewohnheitsrituale im Beruf sind schon sehr mächtig.
Wer die Macht und den Einfluss der weltumspannenden neoliberalen Thinktanks kennt versteht besser, warum die Schädlichkeit des Rauchens, der Klimawandel oder die Ursachen der Finanzkrise mit Hilfe korrupter Wissenschaftler so lange und erfolgreich vernebelt wurden bis fast jeder TV-Zuschauer oder Zeitungsleser nicht mehr sicher war, was wahr ist. Eigenes unabhängiges Recherchieren in Konkurrenz zum beliebigen Internet wird in wirtschaftlich schlechten Zeiten für Printmedien immer schwieriger. Wie kann es sonst sein, dass erst jetzt nach der hervorragenden Panamapapersrecherche ein Artikel in der FR erscheint („Die größte Steueroase in der Welt sind die USA“), obwohl bereits 2011(!) in dem Buch „Schatzinseln – Wie Steueroasen die Demokratie untergraben“ sehr eindeutig beschrieben worden war, dass für den Welthandel und die Banken die Nutzung von Steueroasen nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel ist?
Ich habe den Eindruck, dass der Vorwurf „Lügenpresse“ zumindest in der seriösen Presse etwas in die richtige Richtung bewegt. Auch die kürzlich veröffentlichte Analyse über die einseitig die griechische Position herabwürdigende Presseberichterstattung während der Griechenlandkrise könnte ein Weckruf für viele Journalisten sein, sich der Gefahr der Anpassung an den immer den Herrschenden dienenden und von ihnen manipulierten Mainstream wieder mehr bewusst zu werden.“

René Schulz aus Burbach:

„Frau Thorwart bietet zwei Theorien an, die der „Lügenpresse“ und die  zugehörige Verschwörungstheorie. Beides kann man nur glauben oder eben  nicht glauben, ich bin da eher glaubensschwach. Ich biete eine andere Theorie an: die der Gruppenegozentrik. Die  Angehörigen vieler Berufsgruppen neigen dazu, die Eindrücke von der Wirklichkeit mit ihren gruppenspezifischen Sichtweisen zu filtern. Ich  bin Ingenieur, und ich weiß, dass Ingenieure vieles vor allen mit  Begriffen wie Leistung und Effizienz beschreiben und bewerten möchten. Analog könnte es doch sein, dass im Bereich der Medien tätige Menschen  gewisse Produkte ihres Berufsstands, PR, Werbung, Propaganda und  Ideologie, viel stärker im Fokus haben, als die dahinter liegenden Fakten.
Ein Beispiel aus Deutschland: Im Zusammenhang mit Südsachsen wird viel  über rechte Ideologie und Propoganda berichtet, aber sehr wenig oder gar  nichts über die hohe Zahl von Wohnungseinbrüchen und Autodiebstählen  nahe der Grenze.
Ein Beispiel aus Syrien: Es wird viel über die Propaganda der  verschiedenen Gruppen berichtet, aber kaum ein Jounalist macht sich mal  die Mühe, uns die verschiedenen Ethnien der Region zu schildern, und das  Bevölkerungswachstum der verschiedenen Ethnien ist auch kein Thema. Wenn mehr Journalisten intellektuell aus ihrer Medienecke herauskommen  würden, bräuchten sie nicht zu befürchten, dass sie „schreiben und  erzählen (können), was sie wollen“.

Michael Rosin aus Schöneck:

„Jean-Jacques Rousseau behauptete „Der Mensch ist von Natur aus gut“ und dass sich das Orientieren am „Außen“ ihn erst schlecht werden lässt. Dies würde ich sofort unterschreiben. Leider leben wir aber nicht in einer Welt, wo die individuelle Förderung eines jeden Einzelnen als das höchste anzustrebende Gut gesehen wird.
Der Artikel  von Frau Thorwarth verharrt meines Erachtens wie so viele zum Thema „Lügenpresse“, AfD, „Rechtsruck“, CSU, etc, auf dem Boden(-Satz) des gesellschaftlichen Tellers. Ich glaube es bedarf eines ganzheitlicheren und schonungsloseren Blickes auf des Zustand unserer Gesellschaft.
Wo kämen wir denn hin, wenn der Mensch nicht mehr manipulierbar wäre? Er/Sie würde sich mehr um sich kümmern, als sich über andere aufzuregen, Sie/Er würde bewusster essen, trinken, konsumieren, leben, Er/Sie würde kritischer sein und weniger Medien konsumieren. Stattdessen werden wir von Geburt an eingepresst in ein leistungsorientiertes Korsett namens „Leben“. Wie in Michael Endes Roman „Momo“ wird uns dabei, bis zur „Rente am Tropf“, die Lebenszeit geraubt. Bis dahin werden wir blöd gehalten oder dafür verkauft.
Zwei kleine Beispiele aus der Frankfurter Rundschau.
— Es gibt unabhängige Untersuchungen, dass der menschliche Körper eine perfekte Regenerationsmachine ist. „Der innere Arzt“ in einem jeden von uns heilt fast alle Krankheiten von selbst. In Ihrer Zeitung darf ein angeblicher Gesundheitsexperte der SPD, Herr Lauterbach, behaupten, Homöopathie ist Scharlatanerie.
— Am 25.4.2016 steht in einem Artikel der FR, die Deutschen seien impfmüde, weil noch nicht bei 100 Prozent der Bevölkerung die Impfbegeisterung eingetzt habe, und es wird dafür geworben, sich und seine Kinder zu impfen.
Die Beispiele ließen sich für die FR fortsetzen. Ist die Frankfurter Rundschau deshalb eine Lügenpresse, wenn sie tendenziöse Berichterstattung praktiziert bzw. falsche Behauptungen veröffentlicht?
Ich glaube, der Großteil derer, die jetzt von „Lügenpresse“ sprechen, waren oder sind Klatschpresse- oder Boulevard-Zeitungsleser. Menschen die die Suche nach dem eigenen Glück aufgegeben haben und stattdessen nur noch nach den „Anderen“ schauen. Leider fast immer nur unter negativen und kritischen Gesichtspunkten. Angetrieben von den indoktrienierten Lebensmaximen nach „Besitz“ und „Konkurrenz“ reiben sich die davon Profitierenden ihre Hände in ihren Schlössern, Yachten, Kirchen, oder Hochsicherheitstrakten. Während ihre „Angestellten“ die gewinnbringenden Manipulationen in Form von Tradition, Religion, Politik oder einfach nur über die Presse Tag für Tag ins Bewustsein der Menschen einsickern lassen. Sie für ihre Ideologien und ihren (Irr-)Glauben schimpfen, demonstrieren aber auch töten lassen.
Nach Rousseau dürften nicht die Industrie bzw die Wirtschaftsverbände entscheiden, in welche Richtung die Gesellschaft sich bewegt, sondern das Volk. Es würde in einer Volksversammlung entscheiden was der „volente generale“, der Gemeinwille, letztendlich wäre. Der Gemeinwille, der für das Gemeinwohl verantwortlich ist, muss dann vom Staat als politischem Körper umgesetzt werden. Und da wären wir wieder im Hier und Jetzt, der panamaischen „Bananen-Demokratie“ Bundesrepublik Deutschland, ihren selbsternannten Volksvertretern und dem möglichen  Aussterben des selbstkritischen investigativen Journalismus.“

Verwandte Themen

53 Kommentare zu “Mächtige Gewohnheitsrituale

  1. Natürlich ist es unverfroren, jemandem zu unterstellen, er hätte keine eigene Meinung oder er vertrete eine fremde Meinung des Geldes oder anderer Gründe wegen. Eine solche Unterstellung ist nicht nur für Journalisten beleidigend, sondern für jeden anderen Bürger auch.

    Nun ist es aber so, daß Arbeitsrecht und Meinungsfreiheit nicht immer Hand in Hand gehen. Besonders interessant, wenn man, wie als Journalist, Meinung als Geschäft betreibt.

    Aber was soll ein Leser dazu sagen?
    Ein Leser kann nur glauben oder spekulieren, ein Politiker nur absichtsvoll und gleichzeitig die Medien als Spielball und als Schläger benutzen.

    Da wird das ganze doch wohl zur Gretchenfrage!
    Nun, liebe Journalisten, in diesem Blog könnt ihr euch anonym äussern!
    Seid Ihr meinungsfrei, abhängig, flunkernd oder lügend?

    (Angehängt mein Lieblingssdemoruf: „Lügenfresse ohne Presse!“)

  2. Vielleicht täusche ich mich und es ist nur ein subjektiver Eindruck. Früher gab es in den Zeitungen eine gewisse Trennung zwischen Information und Kommentar (Meinung). Es gibt zwar heute manchmal noch den Kommentar zu einem Artikel. Doch ist es eigentlich überflüssig, diesen zu lesen, da die Meinung des Journalisten schon im Artikel deutlich zum Ausdruck kommt. In meiner Regionalzeitung kann ich rein informative Artikeln noch finden. In den überregionalen Zeitungen erscheint mir die Trennung zum grössten Teil aufgehoben.
    Mein Eindruck ist, dass Zeitungsjournalisten sich heute nicht mehr als Überbringer einer Nachricht sehen. Vielleicht müssen sie es auch nicht mehr sein, da die elektronischen Medien viel schneller sind.
    Journalisten sehen sich heute als Meinungsbildner (Zitat eines FR-Journalisten). Wenn ein Journalist jedoch einmal seine Meinung kundtut, hat das kaum eine meinungsbildende Wirkung. Also muss er seine Meinung häufig wiederholen. Nur findet sich häufig gar keine neue Information. Also wird der kleinste nichtige Anlass gerne genommen, um seine Meinung zum Thema zu verbreiten.
    Nun scheint es immer noch Leser zu geben, die sich ihre Meinung selber bilden wollen.

  3. Ein typisches Beispiel für Lügenpresse ist für mich das Titelbild der FR vom 12./13. März 2011.
    Vielleicht kann Bronski es für mich hier einstellen

  4. @ Katja Wolf

    Ich habe derzeit keinen Zugriff auf das E-Archiv der Zeit vor der FR-Insolvenz und müsste Sie daher bitten, das Titelbild aus Ihrer Perspektive zu beschreiben.

  5. Jetzt hab‘ ich’s gesehen, so tief im Feierabend. Da es nicht möglich ist, Bilder in Kommentaren hochzuladen, gebe ich hier einen Link zu dem jpg, das Sie mir geschickt haben: –> HIER. Ich habe es in die Medienbibliothek des FR-Blogs geladen.

    Ich glaube, ich weiß auch schon, was Sie daran auszusetzen haben. Sie stören sich an der verniedlichenden Darstellung, nicht wahr?

  6. Überhaupt nicht. Sprechen Sie die Kritik bitte klar aus, damit ich auch entsprechend klar Stellung dazu nehmen kann.

  7. @Bronski:
    das Foto zeigt die sichtbaren Folgen vom Tsunami und Erdbeben. Es suggeriert aber, es seien die Folge einer Atomkatastrophe. Die unzutreffende Verknüpfung weckt aber natürlich die gewünschte Emotion (Hass auf die Kernenergie).

  8. @ Katja Wolf

    Die Verknüpfung ist meines Erachtens nicht unzutreffend, denn die Atomkatastrophe ist die Folge von Erdbeben und Tsunami. Aber der Reihe nach. Hier steht der Vorwurf von „Lügenpresse“ im Raum. Es geht also um Lüge, also um eine Aussage der FR, von der die Redaktion wusste oder ahnen konnte, dass sie falsch ist, die aber trotzdem mit dem Willen veröffentlicht wurde, unsere Leserinnen und Leser zu täuschen. Können wir uns auf diese Definition von „Lüge“ einigen?

    Statt mir gestern Abend das blöde Bayern-Spiel anzusehen, habe ich versucht, den 11. März 2011 und die Bedingungen zu rekapitulieren, zu denen an diesem Tag die Zeitung produziert wurde. Nach Rücksprache mit der (heutigen) Redaktion hat sich folgende Chronologie ergeben. Nachdem Sie das gelesen haben, hat sich der Vorwurf der Lüge hoffentlich in Luft aufgelöst.

    Zur Chronologie der Abläufe am 11. März 2011 in Fukushima muss man die Zeitdifferenz von acht Stunden berücksichtigen. (Zurzeit sind es nur sieben Stunden, da Japan keine Sommerzeit hat.) Das schwere Erdbeben, das die Ursache der folgenden Katastrophe war, ereignete sich Ortszeit 14:47 Uhr, in Deutschland 6:47 Uhr am 11. März.

    Die erste Meldung darüber, dass Nuklearanlagen in Schwierigkeiten gekommen sind, kam um 11:04 unserer Zeit und betraf den Reaktor Onagawa. Dort war ein Feuer ausgebrochen.

    Laut der Chronik des Unglücks auf Wikipedia wurde der nukleare Notstand um 19:03 Uhr ausgerufen, Deutschland 11:03 Uhr. Die Meldung davon kam bei uns um 12:25.

    13:51 kommt die Meldung, dass Anwohner aufgerufen werden, sich in Sicherheit zu bringen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt beginnt in Deutschlands Redaktionen das Kopfzerbrechen darüber, ob in Japan eventuell noch mehr vorgegangen sein könnte als „nur“ ein superstarkes Erdbeben mit Folge-Tsunami. Aus Japan bekommen auch wir von der FR keine Insider-Nachrichten. Auch Korrespondenten vor Ort werten vor allem aus, was die offiziellen Medien bringen, und dann noch, was ihre Kontakte vielleicht sagen.

    Um 14:22 wird gemeldet, dass die UN und das Rote Kreuz sich auf eine Katastrophe vorbereiten. Seltsame Meldung angesichts der bereits berichteten Ausmaße der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe. UN und Rotes Kreuz bereiten sich auf eine Katastrophe vor, die seit rund sieben Stunden bekannt ist? Rätselraten: Was ist in Japan wirklich passiert?

    15:35 kommt die Meldung, dass die Kühlung von Fukushima nur noch per Batterie läuft. Das ist zwei Stunden vor Redaktionsschluss für die Deutschland-Ausgabe der FR. Niemand in unserer Redaktion weiß, was in diesem Moment in Japan genau vor sich geht.

    19:07 wird gemeldet, dass Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) eine Kernschmelze in Fukushima nicht ausschließt. Er dürfte gut informiert sein, jedenfalls besser als die meisten Zeitungsredaktionen und auch als das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Und als wir.

    23:02 kommt die Meldung, dass die Radioaktivität im Kontrollraum von Fukushima 1 auf das Tausendfache des üblichen Werts angestiegen ist. Damit ist klar: Dort läuft gerade eine nukleare Katastrophe ab. Bilder davon gibt es nicht. Der Schlussdienst in der Politikredaktion der FR hat nun 28 Minuten Zeit zu entscheiden, ob die Titelseite geändert werden muss. Ein anderes Bild zu nehmen, bietet sich nicht an, da es bis dato keine Bilder gibt, die den nuklearen Unfall dokumentieren. Solche Bilder werden erst am folgenden Tag um die Welt gehen. Also beschließt der Schlussdienst, das Bild zu lassen, es aber mit einer aktuellen Schlagzeile zu versehen. Er hat in diesen Minuten bis 23:30 Uhr, Redaktionsschluss der Stadtausgabe, deren Titelseite uns hier vorliegt, ohnehin genug damit zu tun, die Inhalte der Zeitung auf den folgenden Seiten im Inneren unter Hochdruck zu aktualisieren.

    Soll heißen: Die Titelseite der FR vom 12.3.11 gibt wieder, was zu Redaktionsschluss des Vorabends der aktuelle Stand war. Dass das Titelbild nicht die Schlagzeile dokumentiert, sondern „nur“ einen der unterhalb davon gelisteten Punkte, musste der Schlussdienst zu diesem Zeitpunkt in Kauf nehmen. Es gab kein Bild, das die Schlagzeile dokumentiert hätte, und trotzdem galt es, die aktuelle Nachricht zu transportieren.

    Die Abläufe sind nachlesbar im Online-Live-Ticker der FR jener Tage, die immer noch online abrufbar sind.

  9. @bronski:
    erst mal Danke für die ausführliche Darstellung. Sie entkräftet meinen Vorwurf jedoch nur bedingt.
    Da die Atomkatastrophe der am auffälligsten und am größten gedruckte Aspekt war, liegt nahe, dass die Assoziation geweckt werden sollte, die auch geweckt wurde. Sie hätte auch gleich groß und – wie die anderen Aspekte auch – auf der linken Seite stehen können.

  10. Noch ein Beispiel zu Fukoshima: im öffentlich rechtlichen Rundfunk war als Rückschau die Aussage zu hören „über 16000 Tote durch Erdbeben, Tsunami und Atomkatastrophe“. Die Aussage „über 16000 Tote durch Erdbeben, Tsunami und Bionadekonsum“ wäre genauso zutreffend gewesen.

  11. @ Katja Wolf

    „Da die Atomkatastrophe der am auffälligsten und am größten gedruckte Aspekt war, liegt nahe, dass die Assoziation geweckt werden sollte, die auch geweckt wurde.“

    Nein. Die Redaktion hat rein nachrichtlich gearbeitet, indem sie versucht hat, die verschiedenen Aspekte der Katastrophe auf der Titelseite zu bündeln. Es gibt Dutzende anderer Titelseiten, die viel klarer Tendenz erkennen lassen – Tendenz allerdings, die man von der FR erwarten kann und auch erwartet. Allein dass Berichterstattung oder meinetwegen auch die Gestaltung einer Titelseite eine Tendenz zeigt, kann man deswegen wohl kaum als Lüge bezeichnen. Die FR hat immer atomkritisch berichtet und hört damit natürlich nicht ausgerechnet bei Fukushima auf, das die Berechtigung dieser Kritik aufs Schlimmste bestätigt hat. Es ist daher aus unserer Sicht gar nicht nötig, eine solche Titelseite mit der Absicht zu gestalten, bestimmte Assoziationen wecken zu wollen. Diese Assoziationen stellen sich im Angesicht der Katastrophe von allein ein.

    Atomkrisch eingestellt — dürfen wir das so offen zeigen? Sollten wir als Tageszeitung nicht versuchen, eine neutrale Haltung einzunehmen?

    Ich bin zu Zeiten zur FR gestoßen, als es noch eine Nachrichtenredaktion gab und als Nachrichten und Politik als unterschiedliche Ressorts auch in der Zeitung erkennbar getrennt waren. Die pure Nachricht hier, die Einordnung dort – diese Trennung wurde als alter Zopf erkannt, da sich die Medienwelt in eine Richtung entwickelte, in der Nachrichten an jeder Ecke zu bekommen waren. Also blieb das übrig, was man Haltung nennt. Wegen dieser Haltung werden Leserinnen und Leser zu Stammleserinnen und Stammlesern und zu AbonnentInnen, nicht wegen der Nachrichten.

    Ich war einmal vom Deutschlandfunk zu einer Radio-Gesprächsrunde eingeladen, in der HörerInnen auch Fragen stellen durften. In der DLF-Redaktion gab es schon vor Beginn der Sendung viel Gelächter, weil Leute angerufen und sich darüber beschwert hatten, dass der DLF „den von dieser roten Zeitung“ – gemeint war ich – überhaupt eingeladen hatte. Da sieht man, was eine Marke ist. Die Haltung der FR ist: Wir stehen an der Seite der Unterprivilegierten, prangern Unrecht an, setzen wir uns für den Erhalt der Lebensgrundlagen der Menschheit ein und sind aus diesem Grund gegen die Risikotechnologie Atomkraft. Wer die FR kauft und liest, der kauft und liest sie aus diesen Gründen.

    Das bedeutet: Wir haben solche Manipulationsversuche, wie Sie sie uns unterstellen, überhaupt nicht nötig. Der Versuch, uns deswegen als „Lügenpresse“ zu diskreditieren, wird nicht gelingen, da wir zu unserer Haltung stehen.

    Dies auch als Antwort auf Henning Flessner, Kommentar vom 3. Mai 2016 um 14:13.

  12. Es täte wahrscheinlich jedem Journalisten gut, sich ernsthaft mit dem Vorwurf Lügenpresse auseinanderzusetzen. Nicht, dass ich davon ausgehe, dass die Journalisten sich dazu verabreden, zu lügen, ich gehe auch nicht davon aus, dass da ein gemeinsamer Plan zur Meinungsmache von innen oder außen kommt (obwohl … s.u.), trotzdem ist es auffällig, wie einheitlich unsere Presse Fakten siebt, wenn die Moral es verlangt. Das heißt nicht, dass ich gegen Moral im Allgemeinen bin, sondern nur gegen eine Moral, die mich auffordert, nicht wahrzunehmen. Sie lässt nämlich keine Abwägung mehr zu.

    Diese besondere Form der Zeitgeistmoral, die auch unter dem Namen political correctness bekannt ist (um Missverständnissen vorzubeugen – dieses Phänomen gibt es in allen (Teil-)Gesellschaften, auch bei Rechten und Rechtsextremen) führt dann dazu, dass es z.B. beim Thema Jungen-Beschneidung leichtfällt, medizinische und juristische Fakten zu übersehen, um nicht in Gefahr zu laufen, als fremdenfeindlich, rassistisch oder gar antisemitisch angesehen zu werden. Damals machte unsere Presse einen fast gleichgeschalteten Eindruck und ich empfinde es als nachgerade erheiternd, dass die AfD hier einschwenkt.

    Sehr gut formulierte Gedanken zu dieser „Gleichschaltung“ (Es ist ja nicht wirklich eine, aber offensichtlich habe da sehr viele die gleiche Schere im Kopf) werden gerade in der FAZ zum Thema Merkel geäußert:
    http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/regierungsstil-merkels-neue-kleider-14212048.html .

    Ein schlechtes Beispiel für Journalismus und für das, worum es hier geht, wird gerade im frblog zelebriert: Da gibt es zur Zeit eine offensichtlich minderwertige neue Partei, und anstatt sie einfach durch saubere Berichterstattung bloßzustellen, gibt es den Aufruf, sie zu „stigmatisieren“. Braucht man doch gar nicht – machen die selbst, man braucht nur drauf zu zeigen, etwa beim Thema Klimaerwärmung. Stattdessen nun ein Sammlungsruf, den Demagogen mit Mitteln der Demagogie entgegenzutreten. Mit einem Anruf an die Moral, um über Teilbereiche dessen, was diese Partei thematisiert nicht inhaltlich reden zu müssen, denn wenn man anfängt, die Realität zu beschreiben, wird man von den Kollegen sofort in die Nähe dieser Partei gerückt – es sei denn man hat die eine richtige Entschuldigung: Man gehört in irgendeiner Weise selbst zur beschriebenen Minderheit. So dürfen Wahrheiten über den Islam von Abdel-Hakim Ourghi oder Ahmad Mansour geschrieben werden, aber auf keinen Fall von Tilman Nagel oder Samuel Schirmbeck (Autsch – die „rechte“ FAZ lies ihn genauso schreiben wie gerade Wolfgang Streeck). Dabei hat erst die Blindheit, die man sich selbst aus PC-Gründen verordnet hat, der AfD die Möglichkeit gegeben, das Thema demagogisch zu nutzen und gleichzeitig anklagend auf den Journalismus zu zeigen.

  13. @ Frank Wohlgemuth

    „Ein schlechtes Beispiel für Journalismus und für das, worum es hier geht, wird gerade im frblog zelebriert: Da gibt es zur Zeit eine offensichtlich minderwertige neue Partei, und anstatt sie einfach durch saubere Berichterstattung bloßzustellen, gibt es den Aufruf, sie zu „stigmatisieren“.“

    Ich möchte in Erinnerung rufen, dass Blogs Meinungsforen sind, und das FR-Blog ist das Forum für die Meinung der FR-Leserinnen und -Leser. Über diese Meinung soll gestritten werden, daher darf sie auch einseitig sein. Der Vorschlag, die AfD zu stigmatisieren, kommt in der Lesermeinung immer wieder vor. Daher stelle ich ihn hier zur Debatte. Den Zusatz, dass dieser Meinungsbeitrag nicht zwangsläufig die Meinung der FR wiedergibt oder der Haltung der FR entspricht, muss ich wohl nicht jedesmal dazuschreiben. Die „saubere Berichterstattung“ kann und will ich als Einzelkämpfer, der mit Meinung arbeitet, meinen Kolleginnen und Kollegen der FR-Redaktion überlassen. Sie ist die Grundlage der Diskussion; daher gibt es in den Einleitungen zu den Meinungsbeiträgen in der Regel Links zur FR-Berichterstattung.

    Bei dieser Gelegenheit will ich ein Wort von Henning Flessner aufgreifen. Er hatte die Vermutung geäußert, dass Journalisten sich „heute als Meinungsbildner“ sähen. Ich glaube, das war nie anders. Schon ein Egon Erwin Kisch hatte eine klare Grundhaltung, nicht weniger der legendäre FR-Chefredakteur Karl Gerold. Das muss man sich immer vergegenwärtigen. Meine Beiträge im FR-Blog sind klare Meinungsbeiträge, die ich als Anstoß für Diskussionen betrachte. Das heißt, ich erwarte nicht, dass meine Meinung einfach übernommen wird, aber ich trete für sie ein, so wie Sie für Ihre Meinung eintreten. Die Meinungsbildung, die Herr Flessner durch die möglichst häufige Wiederholung von Standpunkten durch Journalisten manipuliert wähnt, findet meines Erachtens in Wirklichkeit im Streit über unterschiedliche Meinungen statt. Ich glaube nicht, dass Leserinnen und Leser einer kritischen Zeitung wie der FR so einfach, also allein durch bloße Wiederholung, zu manipulieren sind. Wer FR-Blog liest, kriegt unterschiedlichste Standpunkte mit, wie sich das in einer Demokratie gehört.

    Das ist übrigens ein weiterer Grund, warum ich es für überflüssig halte, mich mit dem „Lügenpresse“-Vorwurf ernsthaft auseinanderzusetzen, wie Sie, Herr Wohlgemuth, es fordern. „Lügenpresse“ an sich ist keine Meinung, sondern ein infantil-vordemokratisches Plakat. Mit einem Plakat kann man nicht diskutieren. Die Art, wie „Pegida“-Teilnehmer sich anfangs jedem Gespräch verweigert haben, spricht für sich. „Lügenpresse“ stimmt schon deswegen nicht, weil jedes Medium, das seine Leserinnen und Leser ernst nimmt, der Kritik, die diese Leserinnen und Leser haben, einen ordentlichen Platz einräumt, zum Beispiel als Leserbriefe. Im FR-Leserforum gibt es häufig Meinungsbeiträge, die kritisch mit der FR ins Gericht gehen. „Lügenpresse“ nimmt das nicht zur Kenntnis, wie so vieles andere auch nicht.

  14. Ich habe schon in der Schule gelernt, dass es wertfreie Berichterstattung nicht gibt und erwarte es daher auch nicht. Ich denke jedoch, dass es möglich sein kann, Zeitungsartikel zu schreiben, die den Leser möglichst sachlich zu informieren versuchen und es ihm überlässt seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Dies leisten die elektronischen Medien mit ihren 30 Sekunden / 140 Zeichen-Meldungen nicht.
    Vielleicht gibt es für diese Art von Qualitätszeitungen keinen Bedarf mehr.
    Bronski hat wohl leider recht, dass die Stammleser ihre Meinung in der FR lesen wollen und nicht mit einer anderen Sicht konfrontiert werden wollen. Ein Leserkommentar „dies will ich in meiner FR nicht lesen“ scheint ja niemanden zu stören. Ich halte ihn für erschreckend. Für mich hat es dies einen religiösen Charakter. Eine Zeitung wie Bronski sie beschreibt, kann ihre Meinung nicht ändern, wenn sich die Fakten ändern. Sie würde ihre Leser (Gläubigen) verlieren.
    Wenn zum zigten Male geschrieben wird, dass 1000 MW Windturbinen ein Kernkraftwerk ersetzen, obwohl die Windturbinen leider nur ein Fünftel des Strom liefern, dann ist das keine Lüge. Der Journalist glaubt das wirklich. Katholiken lügen ja auch nicht, wenn sie an die Jungfrauengeburt glauben.
    Es geht nicht um die Haltung, sondern um verfestigte Meinungen. Ich würde mich wundern, wenn Karl Gerold damals nicht ein Befürworter der Kernenergie gewesen sei, trotz seiner untadeligen Haltung.
    Ich will nicht nur meine Meinung nicht in der FR lesen. Ich kenne sie bereits. Aber ich gehöre wohl nicht mehr zur Zielgruppe. Wie traurig.

  15. Nachtrag:
    Ich erwarte von einer Zeitung eine kritische Haltung, aber nicht immer eine Meinung. Ich habe zu allen Dingen eine Haltung, aber nicht immer eine Meinung.
    Meine Lebenserfahrung hat mich zu dem Schluss kommen lassen, dass die Welt sich leider nicht einfach in Gut und Böse, Schwarz und Weiss einteilen lässt. Es wäre zu schön, wenn es so wäre. Man wüsste immer sofort auf welche Seite man sich zu stellen hat. Leider sehe ich die Welt meistens in verschiedenen Grautönen.
    Eine kritische Haltung bedeutet für mich, dass ich alle wichtigen Facetten darstelle und nicht nur die Sonnen- oder Schattenseite.
    Zum Beispiel haben die erneuerbaren Energien nicht nur Sonnenseiten. Die Schattenseite sind die Biogasanlagen, die erhebliche Probleme erzeugen (hohe Kosten, Vermaisung, verdoppelte Pachtpreise, Deutschland muss neuerdings Brotgetreide einführen). Dies trübt das positive Bild der Energiewende. In Artikeln über die erneuerbaren Energien wird also von den Meinungsbildnern nur über Sonne und Wind geschrieben. Die Biogasanlagen, die 50% mehr Strom erzeugen als alle Solaranlagen, werden einfach nicht erwähnt. Das nenne ich Meinungsbildung, aber nicht kritische Haltung.
    Ein Ingenieur würde schreiben, dass der Fluss A 6000 m3 Wasser führt und davon 6 m3/s für die Kühlung der Industrieanlage B abgezweigt werden. Ein Journalist, der eine Meinung bilden will, schreibt: Für die Kühlung werden dem Fluss jeden Tag gigantische 500 Millionen Liter Wasser entzogen und es darf der Hinweis nicht fehlen, dass dies ein «Institut» in einer «Studie» festgestellt hat. Die Lektüre dieser Studien ist übrigens viel lustiger als Herr Böhmermann.
    Ich behaupte nicht, dass dies alles Absicht ist. Es passiert unbewusst und entspricht vielleicht auch der Erwartungshaltung der meisten Leser.

  16. Herr Flessner, reden wir hier noch über „Lügenpresse“?
    Auch ich will nicht immer meine Meinung in der FR lesen. Ich will zum Beispiel erfahren, wofür die AfD steht und wie sie das rüberbringt. Darüber kriege ich durch die FR kritische Berichte, die mich interessieren und die mich manchmal auf die Palme bringen. Und dann lese ich interessiert den Leitartikel von Thomas Kröter über die Spalter von der AfD, der zweierlei tut: Er ordnet das Geschehen aus der Perspektive Kröters ein, gibt also seine Meinung wieder, und sagt mir gleichzeitig, wie die FR zu diesem Thema steht — denn ein Leitartikel sollte die Linie, die Haltung der Zeitung wiedergeben.
    Ich denke, wir sollten sauberer zwischen Haltung und Meinung unterscheiden. Aus meiner Sicht stelle ich das mal in einem einfachen Schema dar:

    Haltung + Informationen –> Meinung

    Haltung ist etwas, was jeder hat, sogar Pegida-Anhänger. Sie lässt sich nur schwer beeinflussen, wenn sie sich mal gebildet hat. Wie sie sich bildet, ist eine Sache von Erziehung und Ausbildung, Elternhaus, Freundeskreis und anderen Leitbildern. Ich komme zum Beispiel aus einem ursprünglich sozialdemokratischen Elternhaus. Die Art, wie meine Eltern mit Themen wie soziale Gerechtigkeit und Geld umgegangen sind, prägt meine Haltung bis heute.
    Wenn ich vor diesem Hintergrund Berichte zum Beispiel über Hartz IV lese, komme ich persönlich wahrscheinlich schneller zu der Einschätzung, das Hartz-System sei schikanös, als jemand, der in einem betuchten, konservativen Elternhaus aufgewachsen ist, wo die Haltung vorherrschte, dass Wohlstand etwas Selbstverständliches ist und dass, wer ihn nicht hat, ihn auch nicht verdient hat. Oder als jemand aus einem neoliberalen Elternhaus (was es so damals noch nicht gab), der mit der Haltung aufgewachsen ist, dass jeder selbst und ganz allein seines Glückes Schmied und damit auch selbst dafür verantwortlich ist, ob und wie sich seine Leistung lohnt.
    Man kann diese Haltung reflektieren, aber da sie zur Persönlichkeit gehört, ist sie nur schwer zu ändern. Warum sollte sie auch geändert werden? Sie besteht ja immerhin aus Werten, die irgendwann einmal gültig waren und die man für gut hielt.
    Zur Bildung der Meinung braucht man Informationen. Dabei muss eines klar sein: Neutrale Informationen gibt es nicht. Schon die Auswahl von Information, z.B. durch eine Zeitung wie die FR, beinhaltet eine Wertung. Das ist selbstverständlich und war nie anders. Ein FR-Leser wird sich weniger für die Bilanz der Scheffler-Gruppe interessieren als für einen Bericht über neue Palmölplantagen in Indonesien und anderswo, die auf Kosten des Regenwalds entstehen. Für die Energiewende wird er sich immer interessieren. Daher berichten wir auch viel darüber. Seien Sie daher sicher, dass wir auch über die Entwicklung beim Biogas berichten werden.
    Es kann übrigens sein, dass Karl Gerold seinerzeit wirklich ein Befürworter der Kernenergie war. Das wäre aus der Zeit heraus durchaus nachvollziehbar. Gerold starb 1975. Dennoch hätte er sie gewiss nicht unkritisch gesehen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er kritische Einwände gehabt hätte, etwa den, dass mit dem Ausbau der Atomkraft in Deutschland, die ja von den Energieversorgern zunächst gar nicht gewollt war, die Grundlage für eine nukleare Bewaffnung Deutschlands geschaffen werden könnte.

    Sie schreiben:
    „Wenn zum zigten Male geschrieben wird, dass 1000 MW Windturbinen ein Kernkraftwerk ersetzen, obwohl die Windturbinen leider nur ein Fünftel des Strom liefern, dann ist das keine Lüge. Der Journalist glaubt das wirklich.“

    Sie halten uns für leichtgläubig. Nun, bei diesen Werten handelt es sich natürlich um Normwerte: Für diese oder jene Leistung ist ein Windkraftwerk ausgelegt, d.h. die kann es unter günstigen Bedingungen liefern. Ebenso verfahren wir übrigens auch mit Kernkraftwerken. Biblis A z.B. hat eine Nettoleistung von 1167 MW pro Jahr. Diese Zahl wird in der Regel angegeben, obwohl sie nicht einmal entfernt der realen Leistung entspricht. Seit Inbetriebnahme im Jahr 1975 hat Biblis A bis Ende 2014 232,8 TWh abgeliefert (Zahlen nach Wikipedia). Wäre das Kraftwerk durchgängig mit der genannten Nettoleistung gelaufen, hätten es 100 TWh mehr sein müssen, d.h. Biblis A hat ein knappes Drittel der Leistung, für die es ausgelegt ist, nicht erbracht. Natürlich war das Kraftwerk immer wieder heruntergefahren worden, aus den verschiedensten Gründen. Kein Atomkraftwerk läuft ununterbrochen — und auch kein Windkraftwerk. Ist es dann Lüge, die Leistung von Biblis A mit 1167 MW anzugeben?

    Wir reden ja über das Thema „Lügenpresse“. Wenn man mein Schema, das ich oben skizziert habe, also

    Haltung + Informationen –> Meinung

    auf das Thema Kernkraft überträgt, dann haben Sie durch Ausbildung, Beruf und vermutlich eine vom Elternhaus geprägte hohe Technikaffinität schon von klein auf eine völlig andere Grundhaltung zu diesem Thema als ich. Sie werden sich daher neben der FR weitere Informationen beschaffen, um in einer Weise über Kernkraft auf dem Laufenden zu bleiben, die Ihrer Haltung entspricht. Daher gehen unsere Meinungen zu diesem Thema stark auseinander. Mit Lügen hat das alles jedoch nichts zu tun.
    Wenn man das Verdikt „Lügenpresse“ als Meinungsäußerung ansehen will, dann stellt sich, meinem Schema folgend, die Frage nach der Haltung, die dahinter steht, und nach den Informationen, die Leute aufnehmen, die diese Meinung vertreten.

  17. Wie man auf die Idee kommen kann wie über AKW berichtet wird als Beispiel für das Thema Lügenpresse zu nehmen ist für mich nur schwer nach zu vollziehen. Die Tage hat das Thema jemand auf der Leserbriefseite vollkommen zu recht als geniales Schurkenstück bezeichnet.
    Das deutsche Atomgesetz war von Anfang an darauf ausgelegt die Kosten für die Betreiber zu begrenzen und im Zweifel zu dem Steuerzahler rüber zu schieben. In einem gebe ich Herr Flessner recht die Nennleistung von Kraftwerken sagt nicht viel aus und sollte man auch nicht vergleichen. Die richtige Einheit die man vergleichen sollte sind logischerweise die Vollkosten je Kilowattstunde. Dann wird es aber für AKW so langsam schwierig. Aber das soll ja hier nicht das Thema sein. Ich kann mich noch gut erinnern als ich das erste mal mit dem Thema Lügenpresse in Berührung gekommen bin. Als in Bagdad die Soldaten der USA die Statue von Sadam vom Sockel gestoßen hat war meine Tochter zum Schüleraustausch in Portland. Ich habe mit ihr an diesem Abend gesprochen. Sie hat mich gefragt ob zu Hause die Menschen auch auf den Straßen feiern weil sie der Meinung sind das der Krieg aus ist. Das hatte nichts mit dem zu tun was wir in D. an Berichterstattung hatten. Wer hat da gelogen? Ich denke inzwischen niemand. Man hat nur eine Situation völlig unterschiedlich eingeschätzt. Wahrscheinlich ist das mit dem was in Dresden passiert so ähnlich.

  18. Vielleicht noch eine Bemerkung dazu das Herr Flessner gefordert hat das Thema Bioenergie in der FR einmal aufzugreifen . Das würde ich auch begrüßen, weil die Politik da einen großen Fehler jetzt schon seit Jahren macht. Die Bioenergie ist derzeit in der Grundlast eingesetzt. Das muss man fast schon als Schwachsinn bezeichnen. Biogas könnte man problemlos speichern und mit größeren Generatoren als Regelenergie einsetzen. Da könnte sie die Energiewende deutlich beschleunigen und hätte auch die Preisprobleme so nicht mehr. Das die Presse das offensichtlich nicht erkennt kann man aber auch nicht als Lüge bezeichnen.

  19. Die Funktion des Begriffs „Lügenpresse“ in der Propagandamaschine dürfte ja wohl klar sein: Der Feind der Herrschaftslügen war immer schon die Presse, von Gutenberg, der ja wirklich noch „gepresst“ hat, angefangen, bis heute.

    Die Sinnverdrehung im Sinne aller Propangandisten, wie sie Orwell lange schon aufgedeckt hat, ist, vom Gegner der eigenen Lügen nicht eine Gegenmeinung, sondern die „reine Wahrheit“ zu verlangen.
    Dies zeugt , wenn es ernstgemeint ist, von einer kindlichen Weltsicht, denn daß es eine „reine Wahrheit“ auf Erden nunmal nicht gibt, haben uns die Philosophen ausführlich erklärt.
    Wenn es nur Propaganda ist, so zeugt dies von Perfidie, denn es ist den Propagandisten bekannt, daß es keine Wahrheit gibt und daß sie selbst lediglich „Meinung“ bieten können, noch dazu eine willkürlich zusammengebröselte.

    Eine ebenso legitime, und sei es nur eine zusammengebröselte oder eine fundierte Meinung zur Lüge zu erklären, ist letztlich nur der Versuch, Meinungsfreiheit als eigene Domäne zu beanspruchen, was der Willkür entspricht, und jede Kritik als von vorneherein intentional abzuqualifizieren.

    Daß aber eine Kritik gegen Demokratiefeinde intentional sein darf und sein muß, wird durch die Hintertür als Makel definiert.

    Zeitungen sind nicht dazu da, Wahrheit zu verkünden, sondern bestenfalls Tatsachen, sie sind aber dazu da, Meinungen zu verbreiten und Gegenmeinungen aufrecht zu erhalten und nötigenfalls auch zu schützen.

    Es wäre für „die Presse“ ein leichtes, den Klamauk der PEGIDA etc niederzuschreiben oder zu verschweigen, es ist für sie auch ein Leichtes, Randgestalten hochzujubeln (was ich oft scharf kritisiere).

    Von der Presse „Wahrheit“ zu verlangen, als einen Gegenpol zur „Lüge“ ist schlichtweg kindisch.

    Ganz niedlich wird es dort, wo BILD-Leser von der Presse Wahrhaftigkeit verlangen. Sie lesen ja, wie Bronski anführt, die Zeitung ihres Geistes.

  20. @ BvG, 5. Mai 2016 um 22:48

    „Von der Presse „Wahrheit“ zu verlangen, als einen Gegenpol zur „Lüge“ ist schlichtweg kindisch.“

    – Dieser Einschätzung kann ich mich durchaus anschließen. Solche Erwartung der „reinen Wahrheit“ hat übrigens schon Lessing in der „Ringparabel“ im „Nathan“ als eine fundamentalistische Sicht entlarvt.
    Auch wenn ich Bronskis detaillierte Ausführungen am Beispiel „Fukushima“ durchaus für hilfreich halte: Eine Widerlegung der „Lügenpresse“-Behauptung erübrigt sich. Zu thematisieren wären wohl eher die Befindlichkeiten, die zu einem solchen Pauschalvorwurf führen.
    Andere Punkte, die m.E. zu thematisieren wären:
    – Inwiefern hat sich die Funktion der Printmedien von Nachrichtenübermittlung hin zu Orientierungshilfen verändert? Was bedeutet das für das Verhältnis von „Nachricht“ und „Meinung“, wenn nicht „Objektivität“ eines einzelnen Presseorgans, wohl aber Meinungsvielfalt der Presse insgesamt zu gewährleisten ist?
    – Zu Bronskis Differenzierung zwischen „Haltung“ und „Meinung“ bedarf es m.E. noch einer Konkretisierung des ersteren.

  21. Lieber Bronski,
    ich drücke mich anscheinend immer falsch aus.
    Daher haben Sie nicht verstanden, warum ich den Vergleich von Nennleistungen anstatt von Energie für irreführend halte. Aber lassen wir das, darum geht es nicht.
    Ihre Vermutungen über meine Herkunft treffen übrigens nicht zu. Ich komme aus einer Familie, in der seit fast 100 Jahren SPD gewählt wird und ausser mir sind alle in sozialen Berufen tätig. Aber lassen wir das auch, darum geht es hier auch nicht.
    Um zu erklären, was ich meine, muss ich etwas ausholen. Ich habe seit einigen Jahren ein undefinierbares Unbehagen bei der Lektüre von Zeitungen (nicht nur der FR). Vielleicht vermisste ich die Trennung von Information und Kommentar.
    Meine Regionalzeitung feiert übrigens 70jähriges Jubiläum und druckt alte Seiten nach. Es ist mir eine Freude diese alten Artikel zu lesen, in der Nachricht und Kommentar noch nicht vermischt waren.
    Vor nicht langer Zeit hörte ich dann ein Mitglied der FR-Chefredaktion (ich glaube, dass es im Pressclub war) sagen, Journalisten seien wichtige Meinungsbildner in Deutschland.
    Jetzt könnte es sich um ein Missverständnis handeln. Vielleicht hatte es gemeint, dass Journalisten Meinungsbildner sind, weil es ihre Aufgabe ist, sich eine Meinung bilden.
    Ich habe es aber so verstanden, dass die Journalisten die Meinung der Leser bilden.
    Da kam mir der Gedanke, dass durch entsprechende Auswahl der Themen, eine Beschränkung der Beschreibung nur auf die positiven oder negativen Aspekte und sich wiederholende Kommentare meine Meinung gebildet werden soll.
    Ich sah mich plötzlich als Marionette der Presse und hatte den Eindruck den Grund meines Unbehagens gefunden zu haben.
    Wie ich bereits vorher geschrieben habe, hat das nichts mit Lügen zu tun.
    Ich könnte mir aber vorstellen, dass auch andere Leser dieses Unbehagen teilen. Jetzt gibt es Menschen, die sich nicht differenziert ausdrücken oder wollen und für die ist das dann Lügen.
    Vielleicht sehe ich auch nur Gespenster.

  22. Und da liefert Bronski doch tatsächlich ein Beispiel für beinahe lügenden Journalismus:

    __________________________________________
    „Zum Beispiel, dass er die Schuld für das „Erstarken der AfD bei der CDU sieht. So kann man seine Worte verstehen, wenn er sagt:

    „Die Schuld zuerst bei den anderen Parteien zu suchen, wenn Rechtspopulisten stärker werden, finde ich problematisch.“

    http://frblog.de/kaudermann/
    _________________________________________

    Mit ziemlicher Sicherheit hat Kauder das so nicht gemeint, sondern hat gesagt und sagen wollen, daß nicht immer ein Versagen der Parteien für das Erstarken neuer Parteien und politischer Kräfte verantwortlich ist.
    Demokratische Parteien können, wollen und sollen nicht jeden Schwachsinn bedienen, nur damit dumme und extreme Menschen bei der demokratischen Stange bleiben. Die Strategie von F.J.Strauss ist antiquiert, da sich in jener unvordenklichen Zeit noch die meisten deutschen Bürger geschämt haben, den Grund der deutschen geschichtlichen Schande erneut zur Meinung zu erheben. Nicht umsonst wird betont, daß Faschismus keine Meinung ist. Es ist nicht die Aufgabe der politischen Parteien, solange nach rechts oder links zu rücken, bis alle Dummen oder Extremen sich verstanden fühlen.
    Es ist auch die Pflicht jeden Bürgers, den demokratischen Konsens nicht zu verlassen.
    Einige Bundesbürger benehmen sich mittlerweile wie verwöhnte Demokratiekonsumenten.

    Die Demokratie muß auch deutlich machen, daß es für extreme Positionen in unserer Gesellschaft keinen Platz geben kann.

    Verfassungsmäßig sind die Parteien Teil der Meinungsbildung, so, wie es auch die Presse ist.

    Sie sind aber nicht verantwortlich für die resultierende Meinung. Für diese ist allein der einzelne Bürger verantwortlich und er wird für diese auch geschützt.

    Trotzdem muß sich jeder, der Meinung machen will, für seine Methoden kritisieren lassen, auch für das, wohin diese Methoden führen könnten.

  23. Ich möchte auf meine im letzten Beitrag aufgeworfenen Fragen selbst einige Antworten aus subjektiver Sicht versuchen.

    Henning Flessner schreibt: „Ich will nicht nur meine Meinung nicht in der FR lesen.“ (4. Mai 2016 um 21:12)
    Da gehört er wohl, was die Online-Foren betrifft, zu den Ausnahmen. Denn eben das scheint die vorherrschende Erwartungshaltung von Usern zu sein. Und damit ist auch eine der Ursachen benannt, wie es zu dem Pauschalverdikt „Lügenpresse“ kommt (was mit „Meinung“, die immer Begründungen verlangt, nichts zu tun hat): Nach meinen Beobachtungen wird eben diese Erwartung auf die Presse übertragen. Im Verein mit der Absolutsetzung der eigenen „Meinung“ führt dann die Nichterfüllung der Erwartung zu der aggressiven Pauschalverurteilung. Eine Auseinandersetzung damit, gar eine Rechtfertigung ist unter solchen Bedingungen von vornherein sinnlos.

    Zu Bronskis Formel: Haltung + Information -> Meinung.
    Dies ist mir in dieser Abstraktheit nicht klar. Denn was heißt „Haltung“?
    Sicher nicht eine parteipolitische Orientierung, die sich in ein Rechts-Links-Schema (sowieso fragwürdig) einordnen ließe. Das von Dir, lieber Bronski, angegebene Beispiel der sozialen Prägung, vor allem in der Familie, lässt sich aber auch nicht verallgemeinern.
    Als Jüngster einer kinderreichen Flüchtlingsfamilie ohne Vater aufgewachsen, habe ich z.B. gar keine Prägung erfahren, die etwa politische Weichen gestellt hätte (und Millionen von Menschen teilten nach dem Krieg dieses Schicksal). Prägung sicher in dem Sinne, in einer Notsituation Überlebensstrategien zu entwickeln, oder dem Stolz, „es aus eigener Kraft zu schaffen“. Das aber ist keine politische Vorgabe.
    Bei mir hat sich dies so ausgewirkt, dass ich als Jugendlicher deutlich mehr „rechts“ eingestellt war als etwa heute. „Haltung“ war letzlich Ergebnis eines langen Prozesses der Auseinandersetzung, nicht übernommen, sondern erarbeitet. Z.B. durch Erfahrungen in einer katholischen Studentengemeinde, wo ich beim Versuch, Gegebenheiten etwas grundlegender zu hinterfragen, angeschaut wurde, als wäre ich eben vom Mars eingeflogen.
    „Haltung“ bedeutet für mich heute eine Grundausrüstung an Wertvorstellungen, etwa im Sinne von Verfassungspatriotismus, von sozialer Gerechtigkeit oder auch der akiven Verteidigung von Menschenrechten, die (etwa in der Flüchtlingsfrage) nicht privaten oder nationalen Interessen und schon gar nicht chauvinistischen Schimären geopfert werden dürfen.
    In diesem Zusammenhang spielt nun Presse eine wesentliche Rolle, für mich besonders die FR, die ich nun seit ca. 50 Jahren kenne. Sie war für mich eine wesentliche Hilfe auf dem Weg der Loslösung vom rechten Spektrum über zeitweilige Mitgliedschaft in der FDP (zu Zeiten von K.H. Flach). Meinungsbildend war sie in dem Sinne, als sie Orientierung bot, gerade auch durch die Kommentarteile (und Leserbrief-Seiten).
    Dass dies keine bloße Übernahme von (etwa parteipolitischen) Positionen bedeutet, versteht sich eigentlich von selbst. Zeitweilig habe ich durchaus gehadert, z.B. mit Herrn Bommarius, der zur Beschneidungsproblematik eine ganze Kommentarserie schrieb, in denen er Gegnern pauschal Antisemitismus unterstellte. Und zeitweilig bin ich daher auch aus der Kommentatorenliste der FR herausgeflogen. Was dem nicht im Wege steht, dass ich viele seiner Kommentare durchaus schätze.

    Zur Funktion von Printmedien heute.
    Im Zusammenhang mit der schnellen und umfassenden Informationsübermittlung über Internet und Soziale Medien hat sich m.E. die Funktion der Printmedien verschoben, und zwar in Richtung auf Orientierungshilfe bei der Verarbeitung des Informationsüberflusses. Dass dies (außer bei Parteizeitungen) keine parteipolitische Formierung bedeutet, versteht sich eigentlich von selbst. Hilfreich kann dies dabei auch bei der Auseinandersetzung mit anderen Ansätzen/Grundeinstellungen sein.
    So beobachte ich schon seit einiger Zeit z.B. auch Kommentarfunktionen in Foren, wo sich speziell die AfD-Gemeinde versammelt und sich gegenseitig bestätigt, gegegentlich auch auch Facebook- und Twitterseiten des Front National – wobei mir bisweilen die Haare zu Berge stehen.
    Inwiefern die Verschiebung zu Orientierungshilfe auch eine Veränderung des Verhältnisses von Nachricht und Kommentar bedingt, bedürfte einer getrennten Untersuchung. Prinzipiell wäre die Aufgabe der strikten Trennung keine Gefahr, solange die Haltung/Position des Schreibers erkennbar ist (vgl. dazu Methode der Suggestion von Meinung bei „Bild“) und die Meinungsvielfalt der Presselandschaft inagesamt erhalten bleibt.

    Zum Unwort „Lügenpresse“.
    Dies offenbart m.E. nicht nur Verabsolutierung des eigenen Standpunkts, sondern auch eine Neigung zu Verschwörungstheorien. Daraus folgt auch die Tendenz, oben genannte Grundhaltungen zur Disposition zu stellen, im Sinne pseudodemokratischer Durchsetzung des „Volkswillens“ mit totalitären Tendenzen, dem z.B. Minderheitenschutz und eben auch abweichende Meinung ein Dorn im Auge ist. Im verallgemeinernden Vorwurf der „gelenkten Meinungsmache“ spiegeln sich demnach weit mehr eigene Vorstellungen als konkrete Beobachtungen wider.
    Eine Auseinandersetzung lohnt sich m.E. nur auf einer ganz konkreten Ebene einer problematischen Berichterstattung, etwa in Bezug auf die Ereignisse von Köln.

  24. @Bronski
    „Wer FR-Blog liest, kriegt unterschiedlichste Standpunkte mit, wie sich das in einer Demokratie gehört.

    Das ist übrigens ein weiterer Grund, warum ich es für überflüssig halte, mich mit dem „Lügenpresse“-Vorwurf ernsthaft auseinanderzusetzen, wie Sie, Herr Wohlgemuth, es fordern. „Lügenpresse“ an sich ist keine Meinung, sondern ein infantil-vordemokratisches Plakat.“ Bronski

    Sich mit einem Vorwurf auseinanderszusetzen, muss weder bedeuten, seine Richtigkeit anzuerkennen, noch muss es heißen, sich mit den Leuten zu unterhalten, die ihn geäußert haben.

    Es wäre z.B. sinnvoll, mal zu untersuchen, wie es kommt, dass dieser Vorwurf doch relativ viel Erfolg hat – es gibt einige Leute, die ihn glauben. Und zwar nicht, weil die, die diesen Vorwurf erheben, selbst so vertrauenswürdig wären (sie sind es überhaupt nicht), sondern weil die Leute eine Diskrepanz zwischen Berichterstattung und eigener Realität erleben.

    Es könnte natürlich sein, dass das nur so ist, weil die eine Seite unter Wahnvorstellungen leidet, aber wahrscheinlicher ist, dass beide Seiten unterschiedliche Bereiche der Realität ausfiltern.

    Dass so ein Ausfiltern in erstaunlichem Maß und ebenso erstaunlicher Einheitlichkeit in der ganzen Presse möglich ist, war Ihnen selbst in der Beschneidungsdiskussion aufgefallen, wenn ich mich richtig erinnere. Es ist schade, dass Sie derartige Effekte z.B. beim Thema Islam nicht einmal in Erwägung zu ziehen scheinen. Soetwas meine ich, wenn ich sage, dass es wahrscheinlich jedem Journalisten gut täte, sich ernsthaft mit dem Vorwurf Lügenpresse auseinanderzusetzen. Es geht darum, sich der Scheren im eigenen Kopf bewusst zu werden. Es geht nicht darum, mit Dummköpfen zu diskutieren.

  25. Nun, Herr Wohlgemuth, wie Sie sicher sehen, setze ich mich hier die ganze Zeit mit dem Vorwurf „Lügenpresse“ auseinander, auch wenn ich behaupte, dies nicht zu tun. In diesem ganzen Thread. Darf ich ein Augenzwinkern hinterherschicken?

    Ich glaube nicht, dass dieser Vorwurf „Lügenpresse“ wirklich erfolgreich ist, auch wenn der geschätzte Leserbriefautor Ernst Girth das meint. Der Anschein, dieser Vorwurf sei ernst zu nehmen, wird vielleicht erst dadurch erweckt, dass die Presse sich betroffen zeigt, weil es offenbar Menschen gibt, die sie nicht erreicht, die sie aber gern erreichen möchte, was nun mal ihr Auftrag ist. Darum macht „die Presse“ solche Threads wie diesen und setzt sich mit ihrem eigenem „Versagen“ auseinander. Ich persönlich glaube nicht, dass „die Presse“ versagt hat. Ich glaube vielmehr, dass viele der Menschen, die diesen Vorwurf erheben, zu bequem sind, um sich mit dem auseinanderzusetzen, was Sie Realität nennen. Sie haben nämlich schon eine Meinung. Und weil sie zu bequem sind, Zeitung zu lesen oder sich mit Standpunkten auseinanderzusetzen, die nicht die ihren sind, schwadronieren sie von „Lügenpresse“.

    „Die Presse“ befindet sich seit Längerem in einem Orientierungsprozess, der ihr durch die Möglichkeiten des Internets aufgezwungen wird und der sie verunsichert. Da können sich nämlich plötzlich haufenweise Protagonisten hinstellen und behaupten, „die Presse“ würde lügen, und dafür gibt es dann viel Beifall, der viele schlichte Gemüter beeindruckt. Werner Engelmann hat diese Mechanismen gut dargestellt. Wir haben dazu vor einer Weile schon einen Blogtalk gemacht, der wohl noch Wellen schlagen wird.

    Wenn wir nun darüber reden, welche unterschiedlichen Bereiche der Realität ausgefiltert werden, sind wir mitten in einer philosophischen Diskussion. Da kann nur eines gelten: Es gibt keine Realität, die mit menschlichen Mitteln vollständig beschreibbar wäre. Nein, falsch, ich korrigiere mich: Menschliche Mittel reichen nicht aus, um Realität vollständig zu beschreiben. Niemals. Es gibt kein ernsthaftes demokratisches Medium dieser Welt, das von sich behaupten könnte (und wollte), dies zu tun. Man kann aber etwas anderes tun: die Unzulänglichkeiten beschreiben.

    Jetzt bin ich gespannt darauf zu erfahren, welche „Scheren“ Sie in meinem Kopf diagnostizieren, wenn ich ein Thema wie „Islam in Deutschland“, das erkennbar von Rechtspopulisten benutzt wird, um Einfluss zu gewinnen, als nachranging betrachte im Verhältnis zu Themen wie Flüchtlings- oder Klimapolitik. Das heißt jedoch nicht, dass ich es ausklammere. Wir haben hier im FR-Blog in all den Jahren wirklich oft über „den Islam“ gesprochen, und zwar durchaus kontrovers und nicht erst, als Ex-Bundespräsident Wulff ihn als zu Deutschland gehörig verortet hatte. Auch die FR hat ständig Berichterstattung über „den Islam“. Ist weiß daher nicht, wo zu diesem Thema angeblich ein „Ausfiltern in erstaunlichem Maß und ebenso erstaunlicher Einheitlichkeit in der ganzen Presse“ passiert. Beim Beschneidungsthema war das allerdings so, richtig. Aber dann kamen Journalisten, die sich intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt haben und die sich gegen den Mainstream positioniert haben. Ich kann hier aber kein Fehlverhalten erkennen, dass das Verdikt „Lügenpresse“ rechtfertigen würde. Wenn wir ehrlich sind, dann sind wir doch alle so: Um ein komplexes Thema beurteilen zu können, müssen wir uns zunächst intensiv damit beschäftigen. Während wir das tun, sind aber schon die Lautsprecher zugange und dominieren die Debatte zunächst. Die nachdenklicheren, leiseren Töne haben es immer schwer gegen die lauten, aber oft sind sie es, die am Ende die Oberhand behalten

  26. Und zu allen weiteren Wortmeldungen: Ich will versuchen, darauf zu antworten. Jetzt habe ich aber zunächst mein — wie ich finde wohlverdientes — Wochenende. Vielleicht finde ich ab Dienstag oder Mittwoch wieder Zeit, hier etwas beizutragen. Falls nicht, liebe Leute, hat Euer Bronski einfach zu viel zu tun.

  27. Schwierig, das alles. Einige Anmerkungen dazu: Über welche Informationen verfügen Journalisten, die über ein Geschehen berichten? Welche Einstellungen ihrerseits beeinflussen eine mögliche Filterung dieser Berichte? Und inwieweit sind sie unabhängig, also müssen nicht auf Verträge, egal ob Festanstellung oder freiberuflich schielen? Und inwieweit hat die Redaktionsleitung bzw. die Geschäftsführung die Möglichkeit zur Unabhängigkeit, oder muß nach Umsatz schielen? Wieweit ist die FR unabhängig, als Ableger der FAZ? Werden Abonnenten, Leser, Anzeigenkunden verschreckt, durch einen Artikel bzw. Kommentar?

    Und die Melange inzwischen: rechts, links, oben, unten, wie weit hat sich alles verwischt? Die AfD ist gegen TTIP, die LINKE genauso, ist das schon Querfront?

    Mir bleibt bei alledem nur noch meine alte, Lieblings-Frage: Qui bonum?

    Inzwischen machen sich die Bürger ja in gewissem Sinne ihre eigene Zeitung, in den sozialen Medien, in Blogs wie diesem, in anderen Postings, und etc. pp. Schwierig, aus allen zugänglichen Infos heraus zu filtern, was stimmt und was Meinungsmache ist – es sei denn, mensch war selbst anwesend. Und selbst dann spielen Lautsprecher-Anlagen gerne einen Streich.

  28. @Bronski
    „Wenn wir ehrlich sind, dann sind wir doch alle so: Um ein komplexes Thema beurteilen zu können, müssen wir uns zunächst intensiv damit beschäftigen. Während wir das tun, sind aber schon die Lautsprecher zugange und dominieren die Debatte zunächst. Die nachdenklicheren, leiseren Töne haben es immer schwer gegen die lauten, aber oft sind sie es, die am Ende die Oberhand behalten“ (Bronski)

    Mal abgesehen, dass da ein altes taktisches Urteil drinsteckt, das in keiner Weise irgendwo bewiesen wurde (wer schreit hat Unrecht) steckt da die Kernaussage zu jeder Urteilskraft drin – man muss sich kundig gemacht haben.

    Geehrter Bronski – es geht mir nicht darum, Sie irgendwelcher Fehler zu überführen, sondern ich habe den Vorschlag gemacht, nach Scheren im Kopf zu suchen, nicht bei Ihnen, beim Journalismus insgesamt, aber auch bei anderen Meinungsführern, die in Politik und Wissenschaft zu suchen sind, um den Erfolg des Begriffes Lügenpresse zu erklären (ok, Sie sagen da sei kein Erfolg, die Wahlerfolge des Duos Pegida AfD sagen mir etwas anderes).

    Um das nicht trocken zu machen, ein Beispiel aus einem Fernsehtalk bei Maischberger in „Die Angstmacher: Wie gefährlich sind Deutschlands Populisten?“.

    Thilo Sarrazin hatte gegen seine Gewohnheit die WZB-Untersuchung von Koopmans richtig zitiert und von 44% Fundamentalisten gesprochen (ca min 20). Albrecht von Lucke kennt diese Untersuchung nicht und widerspricht im Brustton der Überzeugung, dass es doch keine 44% islamistischen Fundamentalisten in Deutschland gäbe (ca Min 26). Ich gehe jetzt davon aus, dass von Lucke insofern redlich ist, hier keinen absichtlichen Strohmann aufzubauen, denn weder Koopmans noch als Zitierender Sarrazin hatten von Islamisten gesprochen – das ist nämlich etwas anderes. Koopmans ist Soziologe und der religiöse Fundamentalismus ist da genau definiert und Koopmans legt auch Wert darauf, diese Definition zu benutzen, wobei er es – etwa im Gegensatz zu dem Orientalisten Nagel unterlässt, Schlüsse von dieser Form der Religiösität auf grundsätzliche Unterschiede in der Demokratiefähigkeit zu ziehen.

    Was wir hier klipp und klar sagen können, ist dass sich von Lucke nicht kundig gemacht hatte, gleichfalls nicht die Talker Elmar Brok, Gregor Gysi und Sandra Maischberger, wenn wir davon ausgehen, dass alle ehrlich genug gewesen wären, von Luckes Fehler zu widersprechen. Alle haben das Vorurteil, beim Thema Religion ohne weitere Information mitreden zu können, denn die sind ja im Wesentlichen alle gleich – glaubt man zu wissen. Das betrifft übrigens nicht nur die hier gerade versammelten Talker, das geht z.T. bis in die Wissenschaft: Die verdammt die Zahlen Koopmans nach einer methodischen Kritik. Unabhängig davon, wie berechtigt diese Kritik wirklich ist***, fällt mir dabei Folgendes auf: Methodenkritik an anderer Leute Arbeit habe ich auch schon geübt, doch am Ende dieser Methodenkritik stand dabei immer eine Abschätzung, wie groß der Einfluss der methodischen Fehler auf das Endergebnis war und in welchen Toleranzen man dieses deshalb sehen muss. Komischerweise unterblieb eine derartige Abschätzung bei allen Kritiken zu Koopmans, die ich in die Hand bekam, was für mich nur einen Schluss zulässt: Es ging nicht um die Methodik, die Fragestellung missfiel und man möchte keine Unterschiede zwischen Religionen bzw. ihren Anhängern untersucht haben. Dabei reicht ein Blick in die jüngere deutsche Geschichte, um zu sehen, welche menschenfeindlichen Züge Religionen annehmen können – das sogenannte 3. Reich mit seinem Völkermord an den Juden war nicht nur aber auch eine christliche Angelegenheit.

    ***
    Auch wenn diese Kritik berechtig sein sollte, führte sie nicht zu einer großen Änderung des Koopmanschen Ergebnisses, was jeder sieht, der gewohnt ist, statistisch zu arbeiten.

    (Wer die Sendung sucht, es ist die vom 28.4. diesen Jahres. Die zitierte Arbeit vom WZB trägt den Titel „Fundamentalismus und Fremdenfeindlichkeit – Muslime und Christen im europäischen Vergleich“)

  29. @W. Fladung
    Mit ihre Frage qui bonum erfassen Sie aber auch nur einen Teil. Menschen handeln nicht nur aus wirtschaftlichen Überlegungen, sondern auch auf Grund von Überzeugungen. Nicht jeder, der keinen wirtschaftlichen Vorteil dabei hat, sagt deshalb schon die Wahrheit. Manche lügen sogar in der Überzeugung, dass der Zweck die Mittel heilige.

  30. So, nun kommen von mir ein paar Statements zu den vorangegangenen Kommentaren. Zuerst

    @ Henning Flessner, 6. Mai 2016 um 21:40

    Natürlich sind Journalisten Meinungsbildner. Nichts anderes ist doch ihr Job! Es ist schön, dass Ihr Unbehagen Sie dies kritisch hat hinterfragen lassen, denn das bedeutet, dass wir unseren Job wohl nicht ganz so schlecht machen, wie „Pegida“ das behauptet. Journalisten sind insofern Meinungsbildner, als Sie an der öffentlichen Meinungsbildung als Lieferanten von Information und Einschätzung teilnehmen. Ohne die Arbeit von Journalisten hätte die Öffentlichkeit keine Grundlage, auf der sie ihre Meinung bilden könnte, und wäre Demagogen und Populisten ausgeliefert. Das ist es ja, was mich an der gegenwärtigen Strukturkrise so beunruhigt: Der Rückhalt der traditionellen Medien schwindet, obwohl sie meiner Meinung nach ihre Arbeit seit 2010 nicht schlechter gemacht haben als noch z.B. in den Achtzigerjahren. Wie damals decken sie Skandale auf, begleiten die Politik kritisch und ordnen die Zeitläufte kommentierend ein. Ohne solche journalistische Arbeit hätten wir z.B. den „Panama Papers“-Skandal nicht. Trotzdem wird dem Journalismus durch „Lügenpresse“-Gegeifere pauschal jede Seriösität und Glaubwürdigkeit abgesprochen, und trotzdem laufen die Leute genau jenen Demagogen und Populisten hinterher, gegen die sie möglicherweise – ich sag’s mal ganz stark – immunisiert wären, wenn sie jene „Lügenpresse“ lesen würden. Das ist doch absurd!

    Was Sie, Herr Flessner, dagegen wahrgenommen haben, deute ich als ein Grundgefühl, das jeder mündige Bürger haben sollte, der die Welt mit wachen Augen sieht und eine gute Zeitung liest: ein gewisses Misstrauen, eine Kritikfähigkeit, die u.a. durch unsere journalistische Arbeit möglich wird. Dass sich diese Kritikfähigkeit auch gegen uns Journalisten richtet, ist nicht nur kein Problem, sondern sogar erwünscht. Die Presse als vierte Gewalt kontrolliert die Politik, heißt es – aber wer kontrolliert die Presse? Ihre Leserinnen und Leser, Zuschauerinnen und Zuschauer. Darum ist es gut, dass die FR täglich (meistens) eineinhalb Seiten Leserbriefe hat, auch um die Kritik ihrer Leserinnen und Leser abzubilden.

    Den Auftrag als Meinungsbildner sollten wir Journalisten nicht so verstehen, als dürften wir unsere Meinung anderen aufoktroyieren. Auch nicht durch Weglassen. Wir machen keine Propaganda. Unser Kapital bei unseren Leserinnen und Lesern ist unsere Glaubwürdigkeit, unsere Seriösität. Das beinhaltet, dass wir uns öffentlich der Kritik stellen. Die FR ist in dieser Hinsicht übrigens Vorreiterin gewesen, unter anderem durch dieses Blog, in dem zahllose FR-kritische Beiträge veröffentlicht wurden und in dem die Leserinnen und Leser gelegentlich (immer noch viel zu selten, finde ich) zur öffentlichen Blattkritik eingeladen wurden und werden.

    Doch dafür bekommen wir „Lügenpresse“ zu hören. Ich glaube, es ist so, wie Klaus Philipp Mertens es im Nachbarthread gesagt hat: Pegida und AfD kapern bestimmte Begriffe, so wie die Nazis es auch getan haben, und legen so die Axt an „das System“, das sie bekämpfen — und zeigen damit eindeutig rechtsextreme Motive. Der Angriff auf die Glaubwürdigkeit der Medien ist ein Angriff auf „das System“, denn die Medien sind insofern eine Stütze „des Systems“, als sie zu politischer Aufklärung beitragen und Mündigkeit sowie Kritikfähigkeit fördern.

  31. Als nächstes

    BvG, 6. Mai 2016 um 22:27

    „Und da liefert Bronski doch tatsächlich ein Beispiel für beinahe lügenden Journalismus … Trotzdem muß sich jeder, der Meinung machen will, für seine Methoden kritisieren lassen, auch für das, wohin diese Methoden führen könnten.“

    Genau. Dafür sind wir hier. Wenn ich meine Meinung äußere — ich sagte es oben schon mal –, erwarte ich nicht, dass diese Meinung übernommen wird, sondern im Grunde erwarte ich Widerspruch, denn dann gibt es eine Diskussion, und dann passiert die eigentliche Meinungsbildung. Natürlich bin ich ein streitbarer Typ und reagiere auf Widerspruch möglicherweise mit Widerspruch, wenn er mich nicht überzeugt. Darum spare ich mir eine Reaktion auf den „lügenden Journalismus“.

  32. Alsdann

    @ Wolfgang Fladung, 8. Mai 2016 um 0:09

    Wenn ich Deinen Kommentar lese, glaube ich fast, dass Du immer noch auf der Suche nach Tätern und Opfern bist, nach klaren Verantwortlichkeiten dafür, warum die Welt so schlecht ist, wie sie ist. Ich kann da ein Stück weit folgen, aber die Denke Deines Kommentars führt letztlich in Richtung Verschwörungstheorien, und das finde ich fragwürdig. Ich greife mir daher zwei Punkte aus Deinem Kommentar heraus, zu denen sich klar etwas sagen lässt:

    „Wieweit ist die FR unabhängig, als Ableger der FAZ?“

    Die FR ist kein Ableger der FAZ, sondern inhaltlich und redaktionell von der FAZ völlig unabhängig. Ich wünschte, Du würdest häufiger mal einen Blick in diese Zeitung werfen.

    „Schwierig, aus allen zugänglichen Infos heraus zu filtern, was stimmt und was Meinungsmache ist.“

    Genau. Wobei der Versuch der Meinungsmache immer auch bedeutet, dass sich einige wenige über viele erheben, deren Meinung beeinflusst werden soll.

    PS: Es heißt nicht „Qui bonum“, dondern „Cui bono“.

  33. Und schließlich noch

    @ Frank Wohlgemuth, 9. Mai 2016 um 15:43

    Ich erzähle Ihnen mal was aus der Praxis. Es ist nämlich nicht immer ganz so einfach. Journalisten sind keine Wissenschaftler, und es ist auch nicht ihre Aufgabe, so zu tun, als wären sie es und wüssten in allen Dingen Bescheid, sondern sie sind Beschaffer von Nachrichten und Informationen, sie sind Wühlmäuse, wenn sie einen Skandal wittern, und sie sind Rechercheure. Grundsätzlich sollten sie sich in jede Thematik reinarbeiten können. In der Praxis gibt es das aber nicht so oft, sondern normalerweise kümmern sich in den Redaktionen Fachredakteure um Themenfelder, in die sie sich eingearbeitet haben. So war das jedenfalls in den guten alten Zeiten, vor der Strukturkrise, die alles durcheinander gewirbelt hat. Generalisten, die sich in alle Themen reinwühlen können, sind ziemlich selten. Insofern habe ich den Eindruck, dass Ihr Anspruch zu hoch ist.

    Das von Ihnen zitierte Beispiel Koopmans, über das ich in der Sendung ebenfalls gestolpert bin, illustriert ganz gut, wo ich in Ihrer Haltung das Problem sehe. Es ist ein Problem der Definitionen (und da sind wir auch wieder bei Henning Flessner und seinen Messeinheiten). Wenn nämlich in der Soziologie der Begriff „religiöser Fundamentalismus“ so und so definiert ist, während aber die Öffentlichkeit darunter dies und das versteht, gibt es ein Verständigungsproblem, das unter anderem dazu führt, dass eine Rezension der Sendung nicht mehr sinnvoll erscheint, weil man zunächst einmal erklären müsste: Fundamentalismus gibt es nicht nur im Islam, sondern ist eine „Überzeugung oder eine Geisteshaltung einer sozialen Bewegung, die ihre Interpretation einer inhaltlichen Grundlage (Fundament) als einzig wahr annimmt. Fundamentalismus wird durch eine stark polarisierte Auslegung einer Letztbegründung umgesetzt“. (Zitat nach Wikipedia, der Artikel dort ist gerade in der Qualitätssicherung, Indiz dafür, dass es eben nicht ganz so einfach ist.) Man müsste also sagen: Wir fragen nach Fundamentalismus, und wir fragen nur Muslime, fokussieren uns also auf ein (unterstelltes?) Problem. Derselbe Fragenkatalog wurde nicht zur selben Zeit auch einer repräsentativen Christen-Auswahl vorgelegt?

    Die Koopmans-Sudie fragt nun danach, ob Muslime in Deutschland ihre religiösen Gebote über das Grundgesetz stellen würden. Die genauen Zustimmungswerte können Sie, Herr Wohlgemuth, sicher gern beisteuern? Sie waren jedenfalls erschreckend hoch. Die Frage, wie viele der Muslime diese Grundauffassung auch tatsächlich leben, blieb jedoch aus. Sind diese Muslime also allesamt Fundamentalisten? In „Pegida“-Sprache: Islamisten? Oder ist diese Haltung Ausdruck einer Bigotterie, die wir auch von Katholiken kennen? Sie ehren das Wort Gottes, so wie es ihnen vermittelt wird, verhalten sich im realen Leben aber völlig anders?

    Die Koopmans-Studie wirft Fragen auf, und das ist gut so. Es ist aber nicht die Aufgabe von Journalisten, deren Ergebnisse zu verbreiten, als wäre damit das Ende aller Erkenntnis über die Extremisten gefunden. Da läuft ein Diskussionsprozess innerhalb der Wissenschaft, den Journalisten sich ansehen und über den sie berichten werden. Kritik an der Methodik der Koopmans-Studie ist meines Erachtens völlig berechtigt und dient nur der Klärung der Sachlage.

  34. @Bronski
    „beinahe lügenden Journalismus“
    Ich hatte gesagt „beinahe“!

    Die Interpretation der Äusserungen Kauders war schon sehr eigenwillig und gefärbt, fast absichtlich mißverstehend. Solche intensionalen Interpretationen bringen den Journalismus in Verruf, und dies läßt sich verallgemeinern.
    Zeitungen und Journalisten sollten sich vor solchen Mißinterpretationen hüten, denn sie erzeugen damit die Grundlage zum Vorwurf der „Lügenpresse“.

    Kauder hat nicht gesagt, was Bronski aus dessen Worten herausgelesen hat…

    Im Kontext anzuführen der unsägliche Artikel über Rücktrittsgerüchte bez. S.Gabriel.

    Nur Hörensagen, Gerüchteküche, Zitate aus unseriösen Quellen, Vermutungen und heiße Luft.

    Da wird Presse von selbst lügend…

  35. @Bronski
    „Problem. Derselbe Fragenkatalog wurde nicht zur selben Zeit auch einer repräsentativen Christen-Auswahl vorgelegt?“ (Bronski)
    Problem gelöst, wenn Sie sich nur am Ende meines Beitrages den Titel der Arbeit ansehen – bis zu dem waren sie noch nicht gekommen, als sie schon bereit waren zu antworten. Die Arbeit ist übrigens im Netz verfügbar.

    btw.: Damals gab es noch Zeilen- und Bildhonorare. Ich habe während meines Studiums selbst teilweise als Journalist gejobbt (Kreiszeitung, nur Rosinen, weil ich für gute Bilder bekannt war – das gab auch mehr Geld) Ich pflege meinen Verbindungen von damals noch, heute überregional, und stand auch schon mal (selten, unentgeltlich) bei Fachfragen für die Dokumentation zur Verfügung, wenn man nicht weiterwusste und der verantwortliche Dukumenatarist mich kannte und ahnte, dass ich da helfen könnte, wenn nicht selbst, dann wenigstens mit einer Adresse. Die journalistische Praxis ist mir also bekannt, einschließlich der Tatsache, dass es nur eine Dokumentation dieser Art in Deutschland gibt, auf die Sie bzw. Ihre Radaktion übrigens, gegen Honorar, bei Bedarf wahrscheinlich auch zugreifen.

    Und da sind wir dann auch wieder beim allgemeinen Problem außerhalb dieser Diskussion: Warum werden für einen Talk, der auf Bundesebene ausgestrahlt wird, Journalisten eingeladen, von denen man nicht weiß, wie tief sie in der Materie stecken? Den Fachmann für Islamfragen Abdel-Hakim Ourghi konnte man einmal in einem Interwiew im Nachtmagazin hören – ansonsten nimmt man lieber Leute, die „gefälligere“ Antworten geben. Und von jemandem der Klasse von Luckes würde ich eigentlich erwarten, dass er den Mund zu Arbeiten hält, die er nicht kennt. Gerade wegen meines eigenen Bezuges zum Journalismus empfand ich es als beschämend, dass es in diesem Fall Sarrazin war, der sich auf Ahmad Mansour berief.

    Zurück zum Anknüpfungspunkt: Beim Thema Religion sehe ich bei der überwiegenden Zahl unserer Meinungsmacher gewaltige Scheren am Werk, besonders, wenn es um die Religionen von Minderheiten geht.

  36. @ BvG

    „… fast absichtlich mißverstehend …“

    Na dann haben wir uns ja verstanden. Natürlich hat Kauder das so nicht gemeint. Aber man kann ihn so verstehen. Absichtlich. Natürlich.

    @ Frank Wohlgemuth

    Ich habe in der vergangenen Nacht drei Stunden lang an Antworten auf all die Fragen bzw. Kritik hier im FR-Blog gearbeitet. Bitte sehen Sie es mir nach, dass da am Schluss möglicherweise nicht mehr die volle Sorgfalt gewaltet hat. Dennoch glaube ich, dass mein Einwand („Problem“, siehe oben) an der Stelle, an der ich ihn gebracht habe, ganz richtig platziert war. Ich halte die Aussage „44 Prozent der Muslime sind Fundamenentalisten“ für hochproblematisch – nicht weil sie vor dem Hintergrund der Studie falsch wäre (das kann ich nicht beurteilen, ohne die Studie gelesen zu haben), sondern weil der Begriff „Fundamentalismus“ in der Wissenschaft anders definiert ist als in der öffentlichen Meinung. Natürlich sind wir da vorsichtig. An eine solche Geschichte muss man sehr differenziert herangehen. Ohne Vergleichsgrößen geht das nicht. PI-News zeigt, wie wir es keinesfalls machen werden: Europas Muslime sind Fundamentalisten, hat PI-News schon 2013 über eine andere Studie von Koopmans getitelt. DAS nenne ich „Lügenpresse“.

    Ihre Kritik an der Besetzung mancher Talkrunde teile ich. Ich könnte mir vorstellen, dass die Redaktionen manchmal ziemlich Mühe haben, für ihre Themen auf die Schnelle interessante Gesprächspartner zu organisieren.

    „Die journalistische Praxis ist mir also bekannt, einschließlich der Tatsache, dass es nur eine Dokumentation dieser Art in Deutschland gibt, auf die Sie bzw. Ihre Radaktion übrigens, gegen Honorar, bei Bedarf wahrscheinlich auch zugreifen.“

    Ich habe keine Ahnung, von welcher Dokumentation Sie sprechen.

  37. @ Bronski
    „Dennoch glaube ich, dass mein Einwand („Problem“, siehe oben) an der Stelle, an der ich ihn gebracht habe, ganz richtig platziert war. Ich halte die Aussage „44 Prozent der Muslime sind Fundamenentalisten“ für hochproblematisch – nicht weil sie vor dem Hintergrund der Studie falsch wäre (das kann ich nicht beurteilen, ohne die Studie gelesen zu haben), sondern weil der Begriff „Fundamentalismus“ in der Wissenschaft anders definiert ist als in der öffentlichen Meinung. Natürlich sind wir da vorsichtig. An eine solche Geschichte muss man sehr differenziert herangehen.“ (Bronski)

    Ich gebe Ihnen insofern Recht, als es sich in einer allgemeinen Diskussion gehört hätte, diesen Begriff zu erklären, wie es Koopmans selbst auch in seiner Arbeit tut. Das sind natürlich nicht alles gewalttätige oder im islamistischen Sinn politisch aktive Menschen, das würde nur ein Dummkopf behaupten. Der Anteil an Fundamentalisten unter den europäischen Christen beträgt laut dieser Studie übrigens ca 1/10 des Anteils bei den Muslimen.

    Auf der anderen Seite ist dieses besondere Verhältnis zu religiösen Texten natürlich auch dann prägend für Rezeption der und Reaktion auf die Wirklichkeit, wenn dies nicht bewusst geschieht. Es ist z.B. die Grundlage für die Sicherheit eines George W. Bush, um einen Krieg gegen die „Schurkenstaaten“ zu beginnen, wie es die Grundlage für eine kollektive Empörung über Mohammed-Karikaturen ist oder einer sehr zögerlichen Bereitschaft, Leute der Polizei zu melden, mit denen man die „Rechtgläubigkeit“ teilt. Diese Zuordnungen sind auch nicht so eindeutig, wie manche das vielleicht meinen, was aber richtig ist, ist dass das Spektrum von gleichgültig über gläubig bis zu fundamentalistisch im Islam anders verteilt ist als im europäischen Christentum und dass das Auswirkungen auf viele Entscheidungen hat (Ich hoffe, Sie bemerken, dass ich mich hüte, in diesem Zusammenhang das Wort Christentum ohne das Attribut europäisch zu benutzen. In Afrika kann der Katholizismus noch ziemlich mittelalterlich auftreten und in den USA feiern Evangelisten fröhliche Urständ). Mich hat die Koopmans-Arbeit an die Vorbemerkungen in Tilman Nagels Aufsatz „Kann es einen säkularisierten Islam geben?“ erinnert:
    „Worum es auf den folgenden Seiten geht, ist lediglich die Skizzierung einer solchen Denkweise, deren Verfechter in der veröffentlichten Meinung nicht ohne Einfluss und eifrige Fürsprecher sind, nämlich des Islam. Der Leser möge bei der notwendigerweise gedrängten Darstellung im Auge behalten, dass alles, was vorzutragen ist, für den gläubigen Muslimen kein intellektuelles Spiel ist, sondern seine Existenz unmittelbar und tief berührt. Sich dies vorzustellen, ist für jemanden, der an den postmodernen Synkretismus aus unüberschaubar vielen Religions- und Weltanschauungssplittern gewöhnt ist, kein geringes Ansinnen; aber es ist ihm zuzumuten, sofern er die Herausforderung begreifen will, vor der er steht.“

    Die Sorge, der NPD oder der AfD kein Material liefern zu wollen, ist verständlich, aber sie sollte in nichts anderes münden als in die Präzision der Formulierung. Umgekehrt sollte man aber auch eine Nachricht nicht nur deshalb für falsch halten, weil sie scheinbar aus der rechten Ecke kommt.

  38. Das Thema hier ist eigentlich „Lügenpresse“. Davon sind wir weit entfernt, und ich würde gern wieder dahin kommen. Also will ich mal versuchen, hier einen gewissen Abschluss hinzukriegen.

    Herr Wohlgemuth, Sie tun gerade so, als ob die FR nicht über „den Islam“ oder die Integrationsprobleme berichten würde. Das tun wir aber durchaus und immerzu. Gestern hatten wir ein Gespräch mit dem Islamwissenschaftler Reinhard Schulze zur Frage „Gehört der Islam zu Europa?“ im Blatt. Wir berichten über Muslime in Deutschland: „Viel nebeneinander, wenig miteinander„. Kauders Ruf nach Kontrolle war Thema ebenso wie die Umfrage, wonach sich besonders die Kinder muslimischer Einwanderer gut integriert fühlen. Auch mit Herrn Koopmans hatten wir schon zu tun, u.a. in diesem Interview zur Flüchtlingsproblematik. Aber Ihnen, Herr Wohlgemuth, fehlt die Berichterstattung über diese Studie.

    Es geht nicht darum, dass wir Angst hätte, den Rechten Material zu liefern. Die Rechten sind gut organisiert, gerade die Islamhasser unter ihnen agitieren schon seit vielen Jahren und sind nicht darauf angewiesen, von der FR mit Informationen versorgt zu werden. Worauf es ankommt, ist, dass wir bei der Verbreitung von Informationen größere oder andere Sorgfalt walten lassen, denn uns geht es nicht darum aufzustacheln, sondern zu informieren. Eine Meldung wie „44 Prozent der Muslime sind Fundamentalisten“ werden Sie in der FR niemals zu lesen bekommen, weil wir das Umfeld des Begriffs „Fundamentalist“ berücksichtigen. Viele Leute auch in unserer Leserschaft werden nämlich Attribute wie „gewaltbereit“ oder Eigenschaften wie „Terrorist“ mitdenken, obwohl das gar nicht gemeint ist. Darum halte ich dieses Ergebnis der Studie auch für nicht besonders interessant. Interessant wäre, wenn die Studie einen bestimmten Prozentsatz von tatsächlich gewaltbereiten Muslimen in Deutschland, also von potenziellen Terroristen, nachgewiesen hätte. Das wäre eine Nachricht, über die wir berichten würden. Aber Fundamentalismus … Was glauben Sie, wie viele Lesermails ich täglich bekomme, in denen der christliche Gott zum alleinigen Gott erklärt und die Muslime als missionierungsbedürftig dargestellt werden?

    Dass wir so an das Thema herangehen, hat übrigens auch damit zu tun, dass die wahre „Lügenpresse“, also beispielsweise PI-News, das begriffliche Terrain verseucht hat. Darüber sollten wir reden, finde ich, und vielleicht über Mittel und Wege, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie den falschen Quellen vertrauen, wenn sie dieser „Lügenpresse“ glauben.

  39. @ Bronski
    „Herr Wohlgemuth, Sie tun gerade so, als ob die FR nicht über „den Islam“ oder die Integrationsprobleme berichten würde.“ (Bronski)
    Wenn das so rübergekommen ist, habe ich mich sehr unklar ausgedrückt.

    Ich dachte, dieser Absatz in http://frblog.de/luegenpresse/#comment-40347 sei deutlich gewesen:
    „Geehrter Bronski – es geht mir nicht darum, Sie irgendwelcher Fehler zu überführen, sondern ich habe den Vorschlag gemacht, nach Scheren im Kopf zu suchen, nicht bei Ihnen, beim Journalismus insgesamt, aber auch bei anderen Meinungsführern, die in Politik und Wissenschaft zu suchen sind, um den Erfolg des Begriffes Lügenpresse zu erklären (ok, Sie sagen da sei kein Erfolg, die Wahlerfolge des Duos Pegida AfD sagen mir etwas anderes).“

    Mir ging es darum, auf Filter („Scheren im Kopf“) hinzuweisen, die allgemein bei unseren Meinungsführern so weit verbreitet sind, dass teilweise ähnliche Effekte zustande kommen wie bei einer politischen Gleichschaltung. Kein einziger meiner Beiträge in dieser Diskussion bezieht sich auf die FR, wenn sie nicht direkt genannt ist, und das Beispiel, über das wir uns gerade noch unterhalten haben, habe ich bewusst aus dem Fernsehen und dort aus einer seriösen Sendung genommen.

    Und Islam/Religion war auch nur ein Beispiel für die Problematik political correctness, wie dieser Filter normalerweise genannt wird, und nichts, was ich hier jetzt weiter ausdiskutieren wollte.

    Insofern ist das nach dieser Klarstellung auch für mich abgeschlossen.

  40. Gestern und heute berichteten diverse Radiosender, FAZ online, Spiegel online sowie Focus online über massive Drangsalierungen seitens muslimischer Heimbewohner und Wachleute gegenüber Flüchtlingen, die dem Christentum oder anderen religiösen Minderheiten angehören. Diese seien Beleidigungen, köperlichen bis hin zu sexuellen Übergriffen sowie Todesdrohungen ausgesetzt.
    Die FR hat von diesem Problem nicht berichtet. Sollte das der von Frank Wohlgemuth angesprochenen Schere im Kopf geschuldet sein?

  41. Ich habe einen Vorschlag: Lassen wir das mit der „Lügenpresse“, weil dieses Subjektiv sowieeo meinungsgefärbt ist. Es gibt aber auch keine 100%ige Wahrheitspresse, weil jeder Bericht eben auch meinungsgefärbt ist. Nicht bewußt, oder gewollt, aber von der Einstellung des Berichtenden her beeinflußt. Dieser bemüht sich, wahrheitsgetreu zu berichten, muß sich dabei aber darauf verlassen, das all die Informationen, die er von dpa usw. erhält, auch ungefiltert sind. Kann er das?

    Ein Meinungsbild kann ich also nur für mich bilden, was wiederum auch nur subjektiv sein kann, weil auch alle Infos letztendlich subjektiv sind, wenn ich möglichst viele Infos unterschiedlicher Herkunft miteinander verknüpfe. Aber dies alles ergibt dann wohl ein sicherlich an die objektive Berichterstattung angenähertes Bild; aber absolute Objektivität ist nicht machbar.

    Also bleibt uns nur, uns aus vielen Medien zu informieren, das sich ein, relativ und möglichst, objektives Bild ergibt. Aber wer als Otto Normalverbraucher nimmt sich schon die Zeit dazu, und verschafft sich auch die notwendigen Hintergrund-Informationen, um die Infos zu relativieren, abzuschwächen oder zu verstärken? Mich überfordert dies alles.

    Wenn ich mir das Abdriften unseres Landes in die marktkonforme, neoliberale, und gerechtigkeits-zynische Richtung ansehe, kann ich nur feststellen: da gab es genügend Journalisten, und Medien, welche gegen den Stachel löckten. Allein, es hat nichts genützt. Weil das Hohnlachen der Lobby sich für Wahrheiten nicht interessiert. Weil sie am längeren Hebel sitzen.

    Das ist auch das Schöne an solchen Blogs: Wir dürfen offen reden, kritisieren, sogar Alternativen aufzeigen – allein, es bringt letztendlich nichts. Früher gab es einmal einen Begriff dafür: Hirngewichse.

  42. @Fladung
    Bleibt die Erkenntnis, daß die, die den längeren Hebel haben, einfach mehr Erfolg haben beim Gewichse.

    Meinung ist halt auch ein Markt geworden.

  43. @ Frank Wohlgemuth

    Danke für Ihre Worte. Ich hatte Ihre Einwände durchaus als konstruktiv aufgefasst. Falls das nicht so rübergekommen sein sollte, möchte ich um Entschuldigung bitten. Es kann schon sein, dass ich manchmal zu Überreaktionen neige, wenn ich Kritik als ungerecht empfinde, denn ich sehe ja Tag für Tag, mit welchem Engagement meine Kolleginnen und Kollegen Zeitung machen. Die Bedingungen dafür sind in den vergangenen Jahren nicht einfacher geworden. Aber wir bemühen uns nach Kräften. Hinweise auf Lücken in der Berichterstattung sind willkommen. Sie müssten allerdings nicht immer gleich als Vorwurf vorgetragen oder mit Verdachtsmomenten wie mit der „Schere im Kopf“ garniert werden. Manchmal gibt es ganz profane Gründe, warum wir über dies und das nicht berichten: Kein Platz in der Zeitung wäre so ein Grund. Aber auch in solchen Fällen versuchen wir, relevante Entwicklungen im Blick zu behalten, so dass wir, wenn es einmal mit Berichterstattung nicht geklappt hat, dann beim nächsten Mal dabei sind, wenn das Thema wieder auf der Tagesordnung steht.

    Mit „Schere im Kopf“ bin ich bei

    @ Frau Ernst, Kommentar 10. Mai 2016 um 21:45, wo dieser Vorwurf auftaucht. Dazu sage ich:

    1. Wir haben sehr wohl über die Vorfälle berichtet.

    2. Wir haben auch (vor vier Jahren schon) über die Organisation „Open Doors“ berichtet, welche die fragliche Umfrage erstellt hat. Sie hat ihre Zentrale in Kelkheim bei Frankfurt, steht der Evangelischen Allianz nahe, also evangelischen Fundamentalisten, und mir liegen Hinweise vor, dass sie in Flüchtlingsheimen missioniere. Die Christen, von denen in den Berichten die Rede ist, die Sie ansprechen, scheinen Konvertiten zu sein. Das wäre eine Erklärung für die Probleme in den Heimen.

    3. „Open Doors“ erstellt jährlich den Weltverfolgungsindex und dokumentiert so die Christenverfolgung in verschiedensten Ländern der Welt. Auch die FR hat darüber schon berichtet — leider, muss ich sagen, nachdem ich ein wenig recherchiert habe. Ich gebe einen Link zu einem aufschlussreichen Telepolis-Bericht. Hier hätte der FR etwas mehr „Schere im Kopf“ möglicherweise gut getan. Ich werde dieses Thema in die Redaktion tragen.

    @ Wolfgang Fladung, 10. Mai 2016 um 23:46

    Es ist schon ein bisschen witzig: Wenn ich einen Kommentar von Dir zu lesen beginne, kenne ich bereits nach wenigen Worten sein Ende. Auch diesmal wieder. Wir reden natürlich weiter über „Lügenpresse“. Und von niemandem, keinem Menschen kann verlangt werden, dass er absolute Objektivität erreiche. Ich halte es mit den Kollegen von der Bürgerredaktion, die in einem Blogtalk mal von „verantworteter Meinung“ gesprochen haben. Dieses Konzept beschäftigt mich seitdem, und ich sehe darin zunehmend eine Antwort auf die anonym gepostete Hasslyrik im Internet. Vielleicht arbeite ich dieses Konzept einmal aus, damit wir es weiter diskutieren können.

    Ich halte es jedenfalls nicht für „Hirngewichse“, an sich selbst zu arbeiten. Frank Wohlgemuth hat ganz recht, wenn er genau das von uns Journalisten fordert. Die Konsequenz Deines Kommentars wäre, dass Du Dir letztlich die Kugel geben kannst, weil Du es nicht schaffst, die Welt zu verbessern. Nur: Es ist gar nicht Deine Aufgabe, die Welt zu verbessern. Und ich will jetzt nicht als Nächstes hören: Das hat doch alles keinen Sinn. Schau Dir stattdessen einfach mal wieder „Der Sinn des Lebens“ von Monthy Pythons an.

  44. Auch wenn eine Diskussion über einzelne Artikel erhellend sein kann, so vermisse ich doch den Gesamtrahmen der Funktion von Presse heute, den ich es in meinem Beitrag vom 7. Mai 2016, 0:00 angesprochen habe. Ich beziehe mich auf den von Bronski am 7. Mai 2016, 12:16 verlinkten Blogtalk von Oktober 2014. Im Einführungsteil bin ich (ausgehend von Berichten über Hassmails in FR und FAZ) u.a. auf die destruktiven Tendenzen von Internetkommunikation eingegangen und habe den Umgang mit diesen als „gesamtgesellschaftliche Herausforderung“ bezeichnet (letzter Absatz).
    Ich sehe diese Diskussion auch in diesem Rahmen. Allerdings fehlt mir das Aufzeigen bereits bestehender Einwirkungsmöglichkeiten auf Pressearbeit, wie sie der deutsche Pressrat zur Verfügung stellt.
    Im Folgenden beziehe ich mich auf: http://www.presserat.de/presserat/news/pressemitteilungen

    Nach der „Beschwerdeordnung“, §1,1 ist jeder „berechtigt, sich beim Deutschen Presserat allgemein über Veröffentlichungen oder Vorgänge von Presseunternehmen (…) zu beschweren“. In mehrmaligen jährlichen Sitzungen werden diese geprüft und dabei auch regelmßig Rügen ausgesprochen.
    Die gegenwärtige Problematik betreffend, erscheinen die Mitteilungen vom 11. März 2015 (Presserat stellt neue Online-Richtlinien vor) und 09. März 2016 (Keine Änderung im Kodex) besonders interessant. Im letzten wird die Kritik an Richtlinie 12,1 des Pressecodex (Hinweis auf ethnische Minderheiten bei Straftätern nur, „wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht“) nach den Ereignissen von Köln ausdrücklich zurückgewiesen und die Berechtigung dieser Richtlinie im Rahmen des Diskriminierungsverbots bestätigt.
    Ich bin auch dem Vorwurf unzureichender Trennung von Nachrichten und Meinung nachgegangen (in Foren von faz.net kommt dieser regelmäßig, gewöhnlich von erkennbaren AfD-Sympathisanten, wenn sie mit einer Berichterstattung nicht einverstanden sind).
    Eine ausdrückliche Forderung diesbezüglich existiert im „Pressecodex“ nicht. Einige Ziffern gehen aber in diese Richtung. So unter Ziffer 1 (Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde) die Richtlinie 1.2 (Wahlkampfberichterstattung). Hier wird gefordert, dass ein Presse „auch über Auffassungen berichtet, die sie selbst nicht teilt“. Unter Richtlinie 2.2 (Symbolfoto) wird Klarstellung gefordert, ob es sich um ein Symbolfoto oder eine „dokumentarische Abbildung“ handelt. Ähnlich in Richtlinie 2.6 (Leserbriefe) die Forderung, „im Leserbriefteil auch Meinungen zu Wort kommen zu lassen, die die Redaktion nicht teilt“. In Richtlinie 2.7 (Nutzerbeiträge / User-Generated Content) wird zudem darauf verwiesen, dass die Presse „für ihre Angebote trägt Verantwortung, auch für die von Nutzern beigesteuerten Inhalte“.
    Ein Überblick über die Fälle, die in den letzten zwei Jahren bearbeitet wurde, zeigt aber, dass sich keine einzige Beschwerde findet, die in eine dieser Richtungen geht.
    Die mit Abstand häufigsten Rügen (vor allem für BILD und BILD Online) beziehen sich entweder auf unangemessene Gewaltdarstellungen (Richtlinie 8.2 – Opferschutz) oder Verstoß gegen das Verbot von Schleichwerbung (Ziffer 7).
    Dieser Befund ist zumindest ein Indiz dafür, dass diesem Problem entweder nicht die behauptete Relevanz zukommt oder dass es bei den Vorwürfen nicht um Interesse an konkreter Beseitigung von Missständen geht.
    Nach meinem staatsbürgerlichen Verständnis ist mit der Feststellung von Missständen auch die Verpflichtung verbunden, bei Möglichkeiten ihrer Beseitigung mitzuhelfen, wenn man sich nicht dem Verdacht bloßer Propaganda aussetzen will.
    Erschreckend finde ich den Vergleich mit konkreten Befunden, wie ich sie im oben genannten Blogtalk aufgeführt habe, und die inzwischen eingetretene Entwicklung. Diese Befunde bezogen sich auf Forenbeiträge von Frühjahr und Sommer 2014, insbesondere zu den Themen Europa, Ausländer und Ukraine-Krise. Sie stammen also aus der Zeit vor „Pegida“ und „AfD-neu“ oder besser „uralt“. Von „Lügenpresse“ in der verallgemeinerten und zugespitzt aggressiven Form war damals noch nicht die Rede.

  45. @ Bronski

    Ich habe die in FR online veröffentlichten Artikel zum christlichen Hilfswerk Open Doors vom 11.06.2011 und 12.08.2014 gelesen. Vielleicht sollten Sie das auch noch einmal tun. Dort wird von dem Vorworf seitens der Unabhängigen Kelkheimer Wählerinitiative berichtet, es handele sich bei Open Doors um eine fundamentalistische Gruppe. Der Kelkheimer Bürgermeister sowie zwei Vertreter der Evangelischen Kirche widersprachen dem. Es scheint sich lediglich um eine konservative Organuisation zu handeln, die sich die Unterstützung von weltweit verfolgten Christen zur Aufgabe genacht hat. Inkriminierenderes hat offenbar auch die FR nicht gegen Open Doors finden können. Wenn nun deren Untersuchungsergebnisse, dass Christen in deutschen Flüchtlingsheimen drangsaliert würden, in diversen anderen Medien veröffentlicht wird und die FR dieser Meldung nicht traut, hielte ich es für die Pflicht gewissenhafter Journalisten, den Vorwürfen sowohl gegen die Heimbetreiber als auch gegen Open Doors näher auf den Grund zu gehen. Solche alarmierenden Meldungen einfach unter den Tisch fallen zu lassen, ist meiner Ansicht nach keine Lösung.

  46. @ Brigitte Ernst

    „… näher auf den Grund zu gehen …“

    Sie haben mich richtig verstanden. Ich habe unsere Politik-Redaktion über den Fall informiert, und jetzt wollen wir sehen, ob sich jemand hinsetzt und mal ein wenig recherchiert.

  47. @Bronski
    eigentlich bin ich ja schon draußen, aber wo ich das gerade lese:

    Der Begriff fundamentalistisch stammt eindeutig aus der Religionssoziologie. Er wird inzwischen allerdings auch als Kampfbegriff benutzt,dann meistens wohl mit der zusätzlichen Bedeutung gewaltbereit.

    Hier wurde er im Zusammenhang mit Christen benutzt, bei denen die Gewaltbreitschaft zumindest hier in Europa nur sehr schwer zu belegen ist. Aber hier wurde er von der FR anscheinend gedruckt, ohne näher erklärt zu werden. Ist da eine selektive Sensibilität am Werk?

    Meine Vermutung geht dahin, dass die Zuweisung dieses Begriffes an die entsprechende Gruppe nicht von der FR ausgeht und sachlich richtig ist, nur dass die, die sich dagegen wehren, eine andere Vorstellung von seiner Bedeutung haben, weil sie selbst mit diesen Begriff normalerweise auch eine Gewaltbereitschaft verbinden.

    Die Auseinandersetzung geht auch durch die christlichen Kirchen, wie man z.B. hier sehen kann: http://www.ezw-berlin.de/html/15_2473.php
    Hemminger benutzt den Begriff übrigens auch klassisch und begründet, warum er die Einbeziehung der Gewaltbereitschaft ablehnt.

  48. Tja, irgendwie unergiebig.

    Letztlich muß doch der Journalist und dessen Auftraggeber wissen, wieviel Verfälschung, Verschweigen und Verbreiten in so einem begrenzten Medium wie einer Zeitung möglich und nötig ist. Sagen sollte er es halt.

    Ich habe den Eindruck, daß niemand die Wahrheit entdecken will, daß Journalismus, Politik und Laienjournalismus nicht auf der Suche nach Wahrheiten sind, sondern intentionale Meinungen verbreiten wollen, um, laienpädagogisch, also dilettantisch, die Gesellschaft in eine gewünschte Richtung zu bugsieren.

    Nun, da ergibt sich, daß sich Journalisten und Politiker und Laienjournalisten wohl die Einflussnahme von professionellen Pädagogen verbitten würden..et..vice versa.

    Es ist die Domäne der Pädagogen, Meinungen und Kritikfähigkeit in den Menschen zu erzeugen, sie tun dies mit erlerntem und studiertem Handwerks- und Geisteswerkzeug.

    Nun, es mag jeder seine Meinung offen sagen dürfen und auch sagen sollen. Aber dies mit einem Ziel zu tun, das überlasse man doch lieber den Pädagogen.

  49. @ BvG
    Das ist zu kurz gedacht. Wozu dienen denn Meinungsäußerungen und Meinungsaustausch? Da äußert man sich doch nicht sinn- und zweckfrei nach dem Motto: „Schön, dass wir mal drüber geredet haben“. Vielmehr versucht man, durch Informationen und Argumente andere vom eigenen Standpunkt zu überzeugen. Wenn ich z.B. mit einem Pegida-Anhänger diskutiere (wenn das überhaupt möglich ist), versuche ich doch, ihn zu beeinflussen und von seinem (nach Ansicht der Mehrheitsgesellschaft falschen) Standpunkt abzubringen. Das hat natürlich den Charakter von „Belehren“, und das halte ich auch für meine Pflicht als verantwortungsvolle Demokratin. Und ähnlich sehe ich die Aufgabe der Medien: Information, Aufklärung, Meinungsäußerung, Versuch, zu überzeugen.

  50. @B.Ernst
    Selbstverständlich ist das Ziel eines Meinugsaustausches, den anderen zu überzeugen.
    Was ich meinte ist der häufige Vorwurf, die Presse betätige sich „pädagogisch“ im Sinne von „politischer Volksbelehrung“, was ihr nicht so ganz zusteht, oder sehen Sie bei der Presse einen politischen Bildungsauftrag?
    Könnte man drüber reden, ob und wie weit das der Fall sein darf, oder ist.

    Was ich allerdings schon länger kritisiere ist, daß die Presse, oder auch Medien allgemein, sich als „vierte Gewalt im Staate“ präsentieren oder gar so verstehen. Das haltlte ich für äusserst fragwürdig und das könnte zu den (überzogenen) Empfinden der Presse als „Lügenpresse“ beisteuern.
    (Trotzdem sehe ich auch nach wie vor den Propagandazweck hinter diesem Wort, wie ich ihn oben angesprochen habe.)

    Heute abend mehr.

  51. @B.Ernst

    Die Presse wird ja schon sehr lange als „Vierte Gewalt“ im Staate dargestellt, was allerdings einem Lobbyismus gleichkommt, da es sehr fraglich und auch kaum durchschaubar ist, ob und in welchem Maße demokratische Regeln, Gepflogenheiten und Maßstäbe innerhalb der Betriebe bestehen und durchgehalten werden.

    Es ist nunmal so, daß jedes Presseerzeugnis einen Besitzer und Herausgeber hat, der nichts anderem verpflichtet ist, als dem eigenen Ethos oder Nicht-Ethos.
    Auch geben die meisten Presseprodukte damit an, unabhängig zu sein, was objektiv nicht stimmen kann, da kein Journalist von seinem Beruf leben kann, wenn er nicht in irgendeiner Weise marktkonform schreibt. Selbstverständlich gibt es eine Marktvielfalt, aber eine vollständige Marktunabhängigkeit gäbe es nur für Journalisten, die von ihrem Beruf nicht leben müssen oder die so begehrt sind, daß ihnen Gestaltungsfreiheit gewährt wird.

    Letztendlich muß ein Journalist akzeptieren, daß er seine Meinung, Schreibkunst und eine Kunstfigur „Journalist“ verkauft. Dies sind aber bis hierhin nur die normalen, beruflichen Marktmechanismen, die auch ein Schlosser oder Pädagoge zu akzeptieren hat. Die Wirkung und der Wirkungswille der Presse und der Pressetätigen geht aber über den „normalen“ Beruf hinaus. Sie will und muß ethisch lenkend sein, über den privaten oder beruflichen Ethos eines „normalen“ Tätigen hinaus.

    Nun scheint es jedoch legitim, daß eine Berufsgruppe, die sich als „Vierte Gewalt“ sieht (Tut sie das, Bronski?), und als solche agiert, sich denselben „Verdächtigungen“ stellen muß, wie es jeder staatliche Apparat tun muß: Sie muß sich dem Verdacht der Abhängigkeit, der Unredlichkeit, der Manipulation und anderer Verfehlungen stellen, eben weil sie quasi-staatlich handelt. Die Bürger haben das Recht, und sogar die Pflicht , die Regierung stetig auf die wirksame Erfüllung ihrer Aufgaben hin zu überprüfen, sie haben dasgleiche Recht gegenüber Wirtschaftsbetrieben.

    Der „Presse“ wird also nicht weniger zuteil, als was sie für sich selbst gegenüber anderen in Anspruch nimmt, nämlich ständig die Wirksamkeit demokratischer Tugenden zu überprüfen und überprüfen zu dürfen.

    Mit dem „Label“, die „Vierte Gewalt“ im Staate zu sein, macht sich die Presse zum quasi-staatlichen Organ, ohne dessen Regeln, Grenzen und Verpflichtungen akzeptieren zu wollen. Gleichzeitig versucht sie, sich zum quasi-widerständlichen Organ, oder, im Falle weniger linker Medien, sich zum quasi-affirmativen Organ zu machen.

    Dazu kommt der wirtschaftliche Fakt, daß „Meinung“ längst zu einer weltweiten Goldgrube geworden ist und selbst die belanglosesten Verlautbarungen auf die Silbe „bar“ reduziert werden .

    ..
    Soweit

Kommentarfunktion geschlossen