Die Werte einer Volkspartei

Im Moment werden die Schlagzeilen von den schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen beherrscht. Von der SPD redet niemand. Sie ist jetzt da, wo viele Leserbriefautoren und -autorinnen sie haben wollten: in der Opposition. Zum Regenieren, zur Besinnung. Wird sie nach links rücken, um der Linkspartei Konkurrenz zu machen und ihr altes Wählerpotenzial zurückzugewinnen? Die „Mitte“ ist inzwischen besetzt – von der „sozialdemokratischen“ Kanzlerin Merkel, die allerdings von ihrem neuen Koalitionspartner wieder zurück auf konservatives Terrain gezogen werden könnte.

Der neue SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warnte kürzlich im FR-Interview vor einem solchen Linksruck: „Die Linkspartei will raus aus der Nato, sie ist gegen den Lissabon-Vertrag, sie ist blind für finanzpolitische Verantwortung. Das hat sich seit der Nachricht von Lafontaines Rückzug nicht geändert. Im Gegenteil: Die Linkspartei vermeidet ganz bewusst die Debatte über ein Parteiprogramm, weil sich mit Populismus schick Stimmen fangen lassen.“

Dazu meint E. Kriempardis aus Cambridge (UK):

„Ich bin froh, dass dieses Interview mit F.W. Steinmeier erscheint – denn er hat genau Recht, und diese „Stimme der Vernunft“ zu hören, macht all den  besorgten Rot-Grün-Wählern ein wenig Hoffnung (und auch Mut dranzubleiben). Leider kann ich mir auch schon vorstellen, wie sich andere entweder ärgern oder lustig machen über manche der Antworten. Dabei verkörpern Steinmeiers Ehrlichkeit, Wahrnehmungsvermögen und Realitätsbewusstsein doch genau das, was sich die meisten von Politikern wünschen!
Viele Reaktionen aus der SPD scheinen mir im Gegensatz dazu den Wunsch nach sehr viel mehr Links mit einer Regierungsoption zu verwechseln. Die Bedingungen a) der Parteienlandschaft und b) der Umsetzbarkeit sind aber einiges komplexer. Und es gibt unter den potenziellen Rot-Grün-Wählern durchaus die Bereitschaft, sich auch mit möglichen Einschränkungen und schwierigen Schritten auseinanderzusetzen.
Ich hoffe daher, dass Steinmeier in seiner Partei dauerhaft genügend Unterstützung bekommt.  Wenn sich diese aufgrund von Fehlschlüssen noch deutlicher auflöst als schon geschehen, wird das für mich das Zeichen sein, dass die SPD längerfristig nicht aus der Opposition herauskommt, weil ihr die Mitte davonläuft.“

Karl Wetzel aus Calden:

„In der Reihe der führenden Sozialdemokraten kann der neue SPD-Fraktionschef für sich beanspruchen, dass er zu den Politikern gehört, die die SPD noch wählbar machen. Allerdings muss er aufpassen, dass er wegen seiner Äußerungen zur Linkspartei nicht vom linken Flügel der Sozialdemokraten abserviert wird. Der kommende Parteitag wird zeigen, wie weit seine Gefolgschaft noch ausreichen wird, die SPD vor einem Linksrutsch zu bewahren. Sollte es den Parteilinken gelingen, sich völlig von der Agenda 2010 abzuwenden, dürfte klar sein, dass die gesamte SPD-Führung  aus Parteilinken bestehen wird. Das wäre das Ende von Steinmeier und gleichzeitig eine Abkehr von den Werten der SPD als Volkspartei. Vielleicht sogar ihr Sturz ins Bodenlose.“

Klaus Philipp Mertens aus Frankfurt:

„So spricht einer, der mit Fug und Recht eine Wahl verloren hat. Steinmeier weist eine extrem negative Bilanz auf: Eine Große Koalition, die der SPD keinen Vorteil brachte, eine gestärkte Linke als dauerhaften politischen Konkurrenten und einen nachhaltigen Vertrauensverlust bei den Stammwählern, von denen viele in das Lager der Nichtwähler flüchteten.
23 Prozent der Wählerstimmen für die SPD plus 11 Prozent für die Linke plus 6 bis 8 Prozent der traditionellen SPD-Sympathisanten, die nicht zur Wahl gegangen, aber vielleicht zurückzugewinnen sind, ergeben 40 bis 42 Prozent. Wenn man den Teil der Grünen mitrechnet, der tendenziell für soziale Fragen offen ist, käme man auf 47 bis 49 Prozent für ein rot-rot-grünes Bündnis und damit auf eine strukturelle Regierungsmehrheit.
Innerhalb dieser strategischen Dimensionen liegen die Aufgaben sowohl der künftigen SPD-Bundestagsfraktion als auch der Parteiführung. Steinmeier hingegen träumt von einer Öffnung zu einer Mitte, die es gar nicht gibt. Denn das Lager der so genannten Volksparteien teilt sich in klar konturierte Interessengruppen. Verwerfungen im sozialen Gefüge dieses Landes und eine schwindende soziale Gerechtigkeit schreien geradezu nach echten politischen Alternativen. Die SPD könnte sich an die Spitze einer neuen Bewegung stellen. Doch Steinmeier arbeitet lieber an einem Denkmal für die Agenda 2010.“

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6 Kommentare zu “Die Werte einer Volkspartei

  1. Herrn Mertens ist zuzustimmen. Die ?PD-Fraktion muss sich erst in der Opposition zurecvhtfinden. Da passt eigentölich der Erfinder der HIV-Gesetze nicht in eine Erneuerung. Ebenso muss sich die Fraktion fragen lassen, wann sie denn endlich mit ihrer eigenen Verjüngung anfangen will, wenn nicht jetzt? Da wäre es besser gewesen eine jüngere Abgeodnete ins Präsidium zu entsenden.
    Wie war das noch mal mit dem unaufhaltbaren Ausstieg aus der Atomkraft? Die Wespen werden es den Rot/Grünen schon zeigen, wohin die Reise geht.
    Und was das „mehr Netto vom Brutto“ angeht ist ja auch der WEortbruch schon vor der Koalitionsvereinbarung wohl eine Tatsache.

  2. Ja,ja, die liebe SPD. Wo sie jetzt steht, trägt sie selbsat Schuld.
    Warum muss sie mmer die liegen gelassene Arbeit der anderen machen ? Wie schön wäre es jetzt für sie, wenn die CDU unter Kohl damals so etwas ähnliches wie die Agenda 2010 gemacht hätte ? Die Zeit war damals schon reif dafür.
    Aber nein, sie musste Gesetze fabrizieren, die der eigenen Anhängerschaft am meisten weh tun…
    Mit den Notstandsgesetzen war es ähnlich.

    Ich sehe ja ein, als Volkspartei muss man versuchen, einen Fuß in der Mitte zu halten.
    Aber der andere gehört fest auf die Linke Seite !

  3. Ich erinnere mich immer noch daran, dass die ?PD-Granden einst riefen, die Änderungen des § 116 AfG würden sofort rückgängig gemacvht so sie regieren. Soviel Lügen wie die erzählt haben kann niemand erfinden. Schon früher hiess es immer, wenn auf die ?PD zu sprechen kam: Wer hat uns verraten?

  4. Da bricht eine Partei ihr Wahlversprechen (SPD Wahlprogramm 2002: „Wir bekennen uns zur besonderen Verantwortung gegenüber den Schwächeren in unserer Gesellschaft. Deswegen wollen wir im Rahmen der Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe keine Absenkung der zukünftigen Leistungen auf Sozialhilfeniveau.“) und ist richtiggehend beleidigt, weil der Wähler das nicht mit Zustimmung belohnt. Politiker sind Interessenvertreter des Volkes (wenigstens in der Theorie), über diese Erkenntnis helfen blumige Worte (die SPD hat das Land modernisiert) nicht hinweg. Die Sozialdemokraten haben die Wähler verraten – nicht umgekehrt. Erst wenn sie das erkennt und glaubwürdig verinnerlicht, hat sie vielleicht noch eine Chance. Steinmeier tut so, als habe sich der Wähler gefälligst nach den Wünschen der Politiker zu richten. Demokratie funktioniert aber genau umgekehrt.

  5. @ WTS :

    …Vielleicht hat der linke Fuß zur Zeit etwas Durchblutungsstörungen.
    Doch die lassen sich durch Bewegung leicht beheben.
    Da habe ich Hoffnung. Die Zukunft wird es zeigen…

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