Begrenzte Weltsicht und universaler Wahrheitsanspruch

Etwas verspätet möchte ich hier die Debatte über den Wir-Papst eröffnen, Benedikt XVI, bürgerlich Joseph Ratzinger. Ein Konservativer, ein Intellektueller, an dem sich die Geister scheiden. Wie sehr sie sich scheiden, das dokumentierten zwei Debattenbeiträge in der FR. Der Publizist Alan Posener geißelte den anmaßenden Papst, der Theologe Manfred Lütz sieht den Papst als liebenswürdigen Mann und schoss im Übrigen scharf zurück Richtung Posener. Ich möchte die beiden Standpunkte hier nicht komplett wiedergeben, sondern mir nur einen Punkt herausgreifen und Rede und Gegenrede gegeneinanderstellen: den Schulterschluss des Papstes mit dem radikalen Islam, den Posener sieht, wenn er schreibt: 

„Katholiken und Muslime kommen im Dialog der Religionen überdies kaum umhin, Gemeinsamkeiten im Kampf gegen die Kultur des Westens zu erkennen. Gegen einen Dialog – das sei hier betont – ist an sich nichts einzuwenden, vorausgesetzt, er wird unter Gleichen geführt. Sehr wohl aber ist etwas dagegen einzuwenden, dass ein solcher Dialog vor allem zu dem Zweck geführt wird, „gemeinsam einen Kontrapunkt“ gegen die säkulare Kultur des Westens zu setzen, wie das der Augsburger Bischof Walter Mixa am 20. August 2005 vor Muslimen in Köln forderte.

Das Bündnis des Vatikans mit dem radikalen Islam setzt allerdings voraus, dass die offenkundigen Verbindungen zwischen den Lehren des Korans und dem islamistischen Terror ebenso heruntergespielt werden wie die Verbindungen zwischen dem katholischen Antijudaismus und dem nationalsozialistischem Terror. In beiden Fällen muss die Verantwortung auf die gemeinsam zu bekämpfende westliche Gesellschaft abgeschoben werden. Und genau das tut Joseph Ratzinger seit dreißig Jahren mit einer Konsequenz, die man im Dienst einer besseren Sache für bewundernswert erklären könnte. (…)

Wichtiger als der belanglose bis ärgerliche Inhalt (einer gemeinsamen Erklärung des Vatikans mit „führenden iranischen Gelehrten“), der zum Beispiel weder etwas über das Verhältnis zum Judentum noch über das Recht zum Wechsel der Religion noch erst recht zur Anerkennung der Allgemeingültigkeit der Menschenrechte sagt, ist die Frage, mit wem der Vatikan hier verhandelt hat. Leiter der iranischen Delegation war nämlich kein „Gelehrter“, kein Imam oder Ajatollah, sondern Mahdi Mostafavi, zum Zeitpunkt seiner Unterhaltungen im Vatikan erstens Berater des Holocaust-Leugners und Präsidenten der Islamischen Republik, Mahmud Ahmadinedschad, und zweitens stellvertretender Außenminister. Dass der Vatikan genau wusste, mit wem er es zu tun hatte – davon darf man ausgehen.

Damit ist das gemeinsame Papier ein Dokument der Übereinstimmung mit einem Regime, das vermeintliche Ehebrecherinnen steinigt, Schwule an Baukränen erhängt, den Massenselbstmord als politische Waffe erfunden hat, hinter Tausenden von Terrorakten weltweit steckt, mit rücksichtsloser Grausamkeit gegen die Anhänger der Bahai-Religion vorgeht, Wahlergebnisse fälscht, Protest niederknüppelt und mit der Fatwa gegen Salman Rushdie klargemacht hat, dass es die Meinungsfreiheit auch im Westen nicht dulden wird. Dieses Dokument ist politisch um keinen Deut besser als das Konkordat mit Adolf Hitler.“

Darauf erwidert Lütz:

„Dem Vatikan bleibt um des Weltfriedens willen gar nichts anderes übrig, als fast um jeden Preis einen respektvollen Kontakt mit der islamischen Welt zu halten, ohne – siehe die Regensburger Rede – wesentliche Kritikpunkte zu verschweigen. Das geht natürlich nur, indem man auch nach Berührungspunkten sucht und an diesen Stellen Brücken baut. Mit Schulterschluss hat das nichts zu tun. Für den Heißsporn Posener aber ist das Verrat.

Die Behauptung, Benedikt habe ein gestörtes Verhältnis zum westlich-säkularen pluralen Staat, belegt Posener mit keinem Argument. Mir ist allerdings auch keine Formulierung Ratzingers bekannt, auf die man sich da stützen könnte. In den Zeiten vor der Wende unterstützte er ganz im Gegenteil nachdrücklich die schwierige Linie Papst Johannes Pauls II.: einerseits gegen die fundamentalistischen – nämlich Staat und Religion vermischenden – Aspekte der marxistisch inspirierten Befreiungstheologie, andererseits gegen die von den rechten Militärdiktaturen vertretene „Ideologie der nationalen Sicherheit“.“

Zu den beiden Debattenbeiträgen meint Dirk Eisermann aus Offenbach:

„Man muss mit Alan Poseners Artikel nicht in allen Punkten übereinstimmen, aber sein Text ist argumentativ geführt. Das kann man leider von Manfred Lütz’ Replik nicht sagen. Sie führt pauschale, persönliche Angriffe gegen Posener und scheint sich nicht auf dessen FR-Artikel, sondern auf ein Buch  zu beziehen. Anders sind falsche Zitate und fehlerhafte Bezüge nicht zu erklären. Lütz geht  nicht auf die Argumente und Papst-Zitate Poseners ein und verfehlt dessen  Kernaussagen. Sein Text zeigt die Perspektive aus einer in sich begrenzten, auf die eigene Religiosität und Kirche bezogenen Weltsicht. Eine Gegenrede hätte ich mir gehaltvoller und vor allem argumentativ interessant gewünscht!“

Jean Louis Schlim aus München:

„Nicht der Beitrag von Alan Posener hinterließ bei mir eine tiefe Beklemmung, sondern das Lesen der wohl gut gemeinten Rechtfertigung von Manfred Lütz! Den katholischen Theologen gelingt es immer wieder, ungeliebte Wahrheiten so lange zu bearbeiten und den gutwilligen Leser derart zu verwirren, dass er am Ende vollkommen den Durchblick verliert.
Nicht eine gesunde Laisierung ist die größte Gefahr für die katholische Kirche, sondern der immer mehr um sich greifende eifernde Fundamentalismus in den oberen Etagen ihrer Würdenträger.“

Otto Ullrich aus Berlin:

„Die frömmelnden Texte von Manfred Lütz „sind deswegen so langweilig,  weil von vorneherein klar ist, was herauskommt“ (Lütz): eine völlig  kritiklose Lobhudelei auf alles, was die katholische Kirche betrifft.  Wenn Lütz in seinem Denken nur ein wenig souveräner wäre, würde er  wenigstens ein, zwei Kritikpunkte am gegenwärtigen Stellvertreter  Gottes einräumen, wie etwa seine todbringende Auffassung über Kondome. Wenn jemand meint, die Erde sei eine Scheibe, ein Mensch könne über  Wasser laufen und bereits verwesende Leichen wieder zum Leben  erwecken , dann muss man sich in einer aufgeklärten  demokratischen Gesellschaft darüber lustig machen können. Toleranz gegenüber diesem religiösen Blödsinn wäre Feigheit, die  demokratieschädigend ist, wie man in England sieht, wo man Blasphemie   wieder härter bestrafen will.
Irgendwann wird auch Lütz begreifen müssen, dass „das Märchen von  Christus“ (Goethe) kein „universaler Wahrheitsanspruch“ sein kann,    sondern in der Tat nichts anderes wäre als „eine ungeheure Anmaßung“,  wenn man das behauptet. Vielleicht sieht Lütz dann auch, dass der pure  Zufall seiner Geburt in einer christlichen Umgebung verbunden mit  einer frühkindlichen religiösen Indoktrination dazu geführt hat zu  glauben, was er heute glaubt. Wäre er in einem nichtchristlichen Land  aufgewachsen und mit einer anderen Religion frühkindlich indoktriniert worden, würde er einen anderen universalen Wahrheitsanspruch vor sich hertragen.“

Verwandte Themen

5 Kommentare zu “Begrenzte Weltsicht und universaler Wahrheitsanspruch

  1. Als 1989 die Mauer fiel und damit der Kommunismus und die Sowjetunion von der Bildfläche verschwand, hatten wir plötzlich für einige Jahre kein Feindbild mehr.

    Eine große Lehre trat in das politische Leben.

    Dank der Flüge in die Türme in New York 2001,
    haben wir wieder eines. „Religionskrieg“ im 21.Jahrhundert ! Wer hätte das gedacht in den 1970er Jahren.

    Meiner Meinung nach wird viel zu viel über Pabst, Kirchen und deren Ansichten geredet und geschrieben.

    Es gibt wichtere Dinge auf unserer Erde.

  2. Den „liebenswürdigen Papst“ meint Manfred Lütz gegen Alan Poseners Vorwurf der „Anmaßung“ verteidigen zu müssen – auf eine alles andere als liebenswürdige Weise. Und indem er eben das tut, was er dem „Ideologen“ Posener vorwirft, eine andere Auffassung als seine als „lächerlich, böswillig oder geistesgestört hinzustellen“, bestätigt er den von Posener geäußerten Verdacht.
    Neben den persönlichen Verunglimpfungen, die seinen Diskussionsstil kennzeichnen, zwei Beispiele:
    Alan Posener kritisiert die Rede Benedikts vor der Generalkonferenz der lateinamerikanischen Bischöfe am 13.5.07, in der er, statt die Massaker der spanischen Conquista an den Indios zu verurteilen und zu bedauern, sie indirekt rechtfertigt, da diese den Indios den Glauben gebracht hätten, nach dem sie sich, „im Stillen“ und „ohne es zu wissen“ gesehnt hätten. – Kein Wort von Herrn Lütz zu dieser ungeheuerlichen Aussage des Papstes, dafür aber der Vorwurf an Herrn Posener, er widerhole nur „alle längst widerlegten schwarzen Legenden“.
    Und Jürgen Habermas muss es sich gefallen lassen, wegen der Empfehlung; „den religiösen Bürger im säkularen Staat als religiösen Bürger ernst zu nehmen“, als Kronzeuge für die Berechtigung eines „universalen Wahrheitsanspruchs des Christentums“ in Beschlag genommen und als Prügel gegen Herrn Posener benutzt zu werden. –
    Dem anderen das Wort im Mund herumzudrehen, ist das ein Merkmal besonders christlicher Tugend, Herr Lütz?
    Ist es verwunderlich, dass Herr Lütz keinerlei Bedenken hegt gegen „Gesprächspartner“ im interreligiösen Dialog wie den Berater des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad (über den er kein Wort verliert), umso mehr aber gegen eine „fundamentalistische“, „marxistisch inspirierte Befreiungstheologie“ – und natürlich gegen einen „Heißsporn“ wie Herrn Posener?
    Auch wenn man den Vergleich des gemeinsamen Papiers mit Vertretern des Islam durch Herrn Posener und dem Konkordat des Vatikans mit Hitler für problematisch hält: Wichtig erscheint sein Hinweis, nicht nur Verbindungen zwischen Lehren des Korans und islamistischem Terror einer öffentlichen Diskussion zugänglich zu machen, sondern auch „Verbindungen zwischen dem katholischen Antijudaismus und dem nationalsozialistischem Terror“ – worauf schon der (vom Papst der Lehrbefugnis enthobene) Theologe Hans Küng hingewiesen hat (so in: Credo, München 1992, S.63).
    Religiöser Fundamentalismus und gesellschaftlicher Fundamentalismus gehen Hand in Hand: Welche Auswirkungen Dogmen wie etwa die Marienideologie auf Denken und Fühlen der Menschen haben, kann man an antisemitischen und antidemokratischen Ausfällen z.B. des polnischen religiösen Hetzsenders „Radio Marija“ studieren.
    Religiöse Dogmen (dies habe ich in meinem soeben erschienenen 3. Band der Roman-Trilogie „Maria“ am Beispiel der Nachkriegsgeneration aufgezeigt) zeugen Schuldkomplexe und verhindern die Auseinandersetzung mit eigener Schuld, indem sie diese verallgemeinern und auf eine religiös-anthropologisch begründete „höhere“ Ebene heben. Als religiöse Dogmen erscheinen sie sakrosankt. Alte Vorurteile und archaische Menschenbilder – so etwa im „Jungfräulichkeits“-Wahn im Frauenbild islamischer Gesellschaften – werden so verewigt und unter bestimmten Voraussetzungen virulent.
    Politischem Fundamentalismus im religiösen Gewand ist nur zu begegnen, wenn das Recht auf Religionskritik gewährleistet und verteidigt wird. Und wenn auch „Glaubenswahrheiten“ nicht – wie Benedikt fordert – als sakrosankt erscheinen.
    Werner Engelmann, Luxemburg

  3. Zu Zeiten der Sowjetdiktatur war es besonders bei Linken weitverbreitet, einen Dialog führen zu wollen mit den Zentralfiguren der „Reiche des Bösen“, unter dem Motto: „Wer miteinander redet, schießt nicht aufeinander“. Diese Dialoge hatten dann auch Resultate, in denen Gemeinsamkeiten auftauchten („… treten wir ein für Abrüstung und Frieden auf der ganzen Welt…“). Diese Vorgänge wurde von rechts her damals oft kritisiert.

    Heute reden also Religionsanhänger des Christentums mit Religionsanhängern oder gar „Religionsanhängern mit politischer Funktion“ des Islam, im Falle des Iran also mit Personen aus einem „Reich des besonders Bösen“. Als Ergebnis gibt es dann Pamphlete, die ebenfalls Gemeinsamkeiten hervorheben (und anderes unter den Tisch fallen lassen). Von atheistischer Seite werden diese Vorgänge manchmal mit Kritik begleitet.

    Meine Güte, die Welt wird auch dies überleben.

Kommentarfunktion geschlossen