Lesen macht Menschen klüger? Verbindet gar? Na, möglicherweise können Menschen sich auf gleicher Wellenlänge fühlen, die Camus gelesen haben, Salingers „Fänger im Roggen“ oder meinetwegen auch den ganzen Proust. Aber Harry Potter? Wollen wir mal nicht zu weit gehen! FR-Feuilleton-Chef Arno Widmann ist in seinem Leitartikel „Auch Leser singen böse Lieder“ jedenfalls der Meinung: „Sicher hat Harry Potter in vielen Fällen Kinder dazu gebracht, ein paar Stunden lang statt in die Glotze ins Buch zu schauen. Aber warum sollen wir das feiern? (…) Der fast globale Erfolg Harry Potters führt die Menschen nicht näher zusammen, als sie es heute ohnehin schon sind. Lesen eröffnet einem die Möglichkeit, in die unterschiedlichsten Welten zu reisen. Das ist das Gute daran. Aber es können die schlechtesten, fiesesten, gemeinsten Welten sein. Lesen macht aus uns keine besseren Menschen. Es gibt uns nur mehr Möglichkeiten. Zum Guten wie zum Bösen.“

Dazu schreibt mir Jan Harbeck aus Kellinghusen:

„Aus langjähriger Erfahrung weiß ich, was Jugendliche medial treiben: vorm Fernseher, am PC, an der Playstation. Hat nix mit sinnvollen Anregungen zu tun, die sie zu mündigen, verantwortungsbewussten Bürgern heranwachsen lassen könnten. Und Mama oder Papa lassen die Kiddies lieber vorm Fernseher abhängen, bringen ihnen Videos mit. Dann stören sie nicht. Die Aufmerksamkeitsspanne verkürzt sich auf die 15 Sekunden einer Werbeeinblendung.
Ich habe mich gefreut, als ich erfuhr, wieviele der Jugendliche in meiner Konfirmandengruppe (wenigstens) Harry Potter gelesen – ja, gelesen! – hatten. Denn bisher hatte ich eher den Eindruck, Lesen haben nur Förderschüler gelernt. Der Rest kann/will es nicht.
Ich lehne es ab, einen Film zum Buch zu sehen. Das nimmt mir meine eigene Phantasie. Und wobleibt die Kenntnis der Kultur des Abendlandes, die Geschichte, Kunst, Werte, wenn sie nicht aus der Literatur vermittelt wird? Ich glaube nicht, dass die Medien für die „bösen Lieder“ verantwortlich sind. Diese Diskussion gab es schon in der Comic-Zeit. Es ist grauenvoll zu sehen, wie die Kiddies sich auf dem Schulweg nicht einmal mehr unterhalten, sondern schweigend nebeneinander hergehen – mit den Stöpseln vom MP3-Player im Ohr. Das ist nicht die viel gerühmte multimediale Gemeinschaft: neben-, nicht miteinander.“

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11 Kommentare zu “Neben-, nicht miteinander

  1. Wenn man so den Artikel von Herrn Widmann liest, könnte man auf den Gedanken kommen, er stelle die These auf: „Lesen ist Mumpitz“. Da er – Mitglied der schreibenden Zunft – jedoch von denjenigen lebt, die das, was er so fabriziert, konsumieren (= kaufen und bezahlen und möglicherweise sogar lesen), muss dieser Eindruck – aus logischen Erwägungen heraus – falsch sein.
    Sicherlich ist es falsch, diesen Phasen mystische Züge anzudichten, gar in diesem Zusammenhang von Globalisierung zu faseln (Entschuldigung für dieses Wort, aber „reden“ ist mir zu schwach), aber Tatsache ist doch, dass nicht jeder und zu jeder Zeit für „schöngeistige“ Literatur empfänglich ist (oder hätten Sie gern jeden Tag Sekt und Kaviar?).
    Es gab schon in der jüngeren Vergangenheit ähnliche Beispiele (Tolkien, Ende etc.), also ist das Phänomen doch nichts Neues. Zugegeben, die Dimensionen im Rahmen der Einführung eines Buches hat andere Massstäbe angenommen, aber was ist daran falsch oder verwerflich?
    Lassen Sie doch den Kindern und Jugendlichen (und auch den Erwachsenen, die sich eine entsprechende „Ader“ bewahrt haben) die Möglichkeit, auch in einem nicht ganz realen Umfeld Ihren Träumen nachzugehen: die Realität holt sie ohnehin schnell genug wieder ein.
    Und, dass beim Lesen die Phantasie mehr beansprucht wird als beim „Spielen“ von Videospielen oder gar beim Konsumieren vor der Glotze ist doch wohl unbestritten, oder?

  2. @ „H.P“;

    na, ein wenig gilt hierbei auch die weisheit von der reklame und dem spruch mit dem ei des huhns und der ente; von wegen des gackerns: eine ente legt ihr ei schweigend und das huhn verkündet nach dem legen mit lautem gackern, dass ihr ei in`s nest gerollt ist. somit nimmt die welt das wesentlich kleinere ei des huhns als das non plus ultra war und übersieht das größere der ente.
    denn wenn man bedenkt, mit welchem medienrummel bisher alle h.p.-geschichten in die welt gebracht wurden, erinnert das sehr an megagackern der henne!

  3. Recht hat er der Widmann, wenn er schreibt, es gäbe keine Harry-Potter Generation, ebenso wenig wie es eine Blyton – Generation gab.

    Doch Unrecht, wenn er meint, er würde die Menschen nicht näher zusammenführen. Man beobachte nur einmal Kinder und Jugendliche unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Nationalität, wenn sie sich , kaum erst kennengelernt, über den Zauberlehrling Potter unterhalten, ins Gespräch kommen, Gemeinsamkeiten und Sympathien entdecken.

    Ein weiteres Zitat Widmans:“Lesen macht aus uns keine besseren Menschen.“. Oh wie weise . Aber das trifft auf alles zu. Macht Politik bessere Menschen ? Beten ? Journalismus ? Bücherkritik ? Da sagte doch schon Kästner: “Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Also was soll der Spruch dann ? Das Lesen abqualifizieren ? Ich unterstelle ihm lautere Absichten und nehme es demnach nicht an.

    Dennoch glaube ich, dass Lesen von Büchern im Kinder- und Jugendalter “bessere“ Menschen machen kann, weil sie klüger und kritischer werden, sie über den Tellerrand hinaussehen, mit den Helden leiden und sich freuen und somit lernen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Ich behaupte von mir, die Bücher aus der “Ubique Terrarum“ Reihe von Herbert Kranz haben mich maßgeblich in den 1950er und frühen 1960er Jahren beeinflusst, deutlich mehr als die Karl-May Romane, die die Generation zuvor teilweise prägte.

  4. Auch Duscher singen böse Lieder.

    mehr als zehn millionen Duschen im in deutschen Haushalten, und vermutlich hunderte von millionen in aller Welt sind ein Stück Globalisierung aber warum sollen wir das feiern? Das einsame Stehen unter der Dusche hat die Menschen nicht näher zusammengebracht.
    Die naive Vorstellung, das z.B. jeder deutsche Soldat , jeder Soldat vor 1914 oder 1939, hätte er nur eine Handdusche gehabt, niemanden den Schädel eingeschlagen hätte………..usw.
    ………….das Kind, das in der Ecke steht und duscht, mag ruhiger sein (und besser riechen), als das Kind, dass sich mit der blanken hand den Po wischt (oder wischen muß), aber ein besserer Mensch wird es dadurch nicht…………….

    Es ist zum Kotzen, wenn man Leute, die die beste aller Zivilisationstechnik nach der Sprache beherrschen, dass Lesen und Schreiben nämlich, und nur weil sie dies ohne Kampf und Mühe lernen durften, diese Technik in irgend eine unwichtige Ecke weisen und /oder sie mit unterlegenen Techniken gleich stellen. Wer z.B. jemals miterlebt hat, wie drei aufgeweckte Video- und computererprobte 12-Jährige in einer Straßenbahn zusammen stehen und einander verzweifelt zu erklären versuchen, wie die Abseitsregel beim Fußball funktioniert, und es nicht können, dem muß beim Lesen dieses Leid-artikels eigentlich schlecht werden: Alle drei Jungs wissen, wann Sie als Schieri pfeifen müßten, aber sie verfügen nicht über die grammatikalische Werkzeuge, dies einander mitzuteilen.
    Ein solcher Zuhörer bekommt Lust, solche Artikel wie im Betreff genannten, zu Kleister zu verarbeiten und sie dem jeweils verfassenden, sie diesen „Bildungsbürger Verachtenden“ Schreibvirituosen statt des morgendlichen Haferschleims in den Hals zu schaufeln. Man könnte auch noch die Frage stellen, ob Sie ihre eigenen Kinder auch ganz lässig zum modernen Analphabeten mutieren lassen und ob sie glücklich sind, wenn diese sich eine „neue kulturelle Bereicherung“ wie „Kanacksprack“ zum einzigen Mitteilungsmittel gemacht haben und sich mit einer solchen Sprache bei der FR bewerben.
    Man könnte auch fragen, warum solch hochintelligenten Leute nicht wissen, dass nur das Lesen den Grundstock für umfassende Medienkompetenz liefert. Aber es ist schick, dagegen zu sein, zum Beispiel hier gegen einen Zeitartikel, da mach mal halt das große bla, bla bla!
    Thomas Mann, (der es in der Liste der promienten Deutschen nicht mit Herrn Kübelbeck aufnehmen konnte) erwähnt im Dr. Faustus, (Fischertaschenbuch Seite 480ff/Kridwiß) einen Gesprächskreis ähnlicher interlektueller Lemuren und dabei auch folgerichtig Herrn J. Swift, der auf solche Sprachverächter schon sehr früh eine passende Antwort gegeben hat.
    Im übrigen hat der Verfasser des im Betreff genannten Textes recht: Ich bin nicht besser durch das Lesen geworden: Ich möchte meinen Plato, den ich als Mechanikergeselle vor meinen Kollegen am Fließband verstecken mußte, noch heute manchmal jemanden einfach auf den Kopf hauen.
    Mit nur sehr bedingter Hochachtung
    Gerd Paul
    Jahrgang 47
    Volksschüler

  5. Der Pisaschock sitzt tief, da erscheint Harry Potter nicht wenigen als von Zauberhand geschickter Retter gegen das Radebrechen und die Genitivlosigkeit unserer Kinder. Eltern wie Pädagogen betrachten erleichtert die lieben Kleinen, die begeistert dicke Bücher verschlingen, dient das Lesen doch –unabhängig vom Inhalt des Textes – der Übung einer wichtigen Kulturtechnik, dem Lesen an sich. Und als zaubernder Aushilfslehrer –da sind sich wohl alle einig- ist Potter gut zu gebrauchen.
    Liest man aufmerksam das FR-Feuilleton, weiß man jedoch, dass es Herrn Widmann genauso wenig um ein gefälliges l´art pour l´art geht, wie es ihm um die Propagierung „Potter für Pisa“ gehen kann.
    Er stellt daher die Frage nach dem inhaltlichen Wirken von Literatur und Kunst.
    Wenn er uns also darauf aufmerksam macht, dass auch Lesen mit derselben Konsumhaltung betrieben werden kann wie das Fernsehen oder das Hören von Musik, ist das nicht als Aufruf gegen das Lesen zu werten, sondern er spricht sich dafür aus, dass sich der Mensch dem Denken und der Auseinandersetzung mit fremden Welten öffne.

  6. Bitte erkläre mir doch einmal jemand den Schluss des Kommentars, in dem es heißt::

    “Es (das frühere Kind ; Anmerkung von mir) wird dann entscheiden – soweit man das überhaupt kann -, ob es offen sein will für andere Leben oder ob es Angst hat und ganz und gar absorbiert davon sein wird, sich einzurichten im eigenen. Ob es das dann fernsehend, lesend, am Walkman oder vor dem Computer tut, ist wurscht. Es wird auf jeden Fall schade sein um diesen Menschen.“

    Ich gebe zu, ich verstehe das nicht. Warum soll es “schade sein“ ? Will er sagen, dass Lesesucht entsteht, weil man gerne liest. Sind Bücher demnach so “gefährlich “ wie Fernseher und Computer und eher “nur für Erwachsene“ ?

    Die Entscheidung, sich im Leben einzurichten hat jeder, egal ob er Bücher oder Comics las oder er nur draußen spielte und kein Interesse an Lektüre zeigte. Er hätte auch einfach als Allgemeinplatz schreiben können “Aus Kindern werden Erwachsene“. Aber diese “Weisheit“ bedarf keines eigenen Kommentars……

  7. @ Susanne,

    potter, doch eigentlich nichts anderes als ein modernes märchen, und das auf dreifache weise. einmal medial und darum wirtschaftlich, dann, in seiner wirkung auf die lesende jugend und die jung gebliebenen; aber in dritterweise eigentlich doch nur die altbekannten „rezepte“ der historischen märchen, die da sind: staunen, ängstigen und hoffnung aufkeimen lassen, alles elemente die spannung des lesers oder hörers zu erzeugen, bzw. zu steigern.
    genau wie die der seinerzeitig von den grimmbrüdern gesammelten erzählmärchen der „kasselerin“ dorothea viemann, mit vermutlich hugenottischem ursprungs.
    aber volle zustimmung, dass alles das, was menschen motiviert – vor allem junge menschen, literatur zu lesen und sei es auch etwas in der form des H.P., so kann, bzw. muss dies nur als positiv zu bewerten sein.

  8. @Walthor/6

    Der Satz „Es wird auf jeden Fall schade sein um diesen Menschen“ bezieht sich auf denjenigen, der „ganz und gar absorbiert davon sein wird, sich einzurichten im eigenen“ (Leben).
    Mit dieser Lebenseinstellung -wäre es so Widmann- dann gleichgültig, welchem Medium man sich zuwenden würde.
    Dafür könnte man sich unterschiedliche Gründe denken. Erstens würde dieser Mensch vermutlich den Gegenstand der Lektüre (des Films etc.) schon von vornherein so auswählen, dass er die eigene Welt nicht in Frage stellt. Das Buch, der Film, die Musik würden dann affirmativ wirken wie eine Art Kitt.

    Würde eine solche von Widmann gedachte Person versehentlich doch mal auf ein Werk treffen, das seine geschlossene Welt aufbrechen könnte, wäre eine Abwehrhaltung die logische Folge, eine tiefergehende Auseinandersetzung unmöglich.
    (Vielleicht aber doch-man weiß ja nie)
    Klar, alle Menschen versuchen ihrem Leben eine Struktur zu geben und es in einem mehr oder weniger gestalteten Raum zu packen mit oder ohne Wohnzimmergarnitur. Wie steht es aber um unseren imaginären Raum, hängen die Jalousien ganz unten, kommt wenigstens noch Licht durch die Ritzen?

    Herr Widmann möchte nichts anderes, als uns die Jalousien hochzuziehen und aus dem geistigen Dämmerzustand aufzuwecken mit oder ohne Buch. Das ist seine Aufgabe und darüber sollten wir uns freuen.

    So, genug geschrieben, ich werde mich jetzt auf den Balkon legen und lesen, ein Buch, das mit dem vielversprechenden Satz beginnt:
    „Eines Tages las ich ein Buch, und mein ganzes Leben veränderte sich.“

    Ich sag euch dann, ob es geklappt hat;-)
    Bis bald
    susanne

  9. @ #5.susanne

    Hallo Susanne,

    es ist inzwischen deutlich geworden, dass Arno Widmann zu Ihren Lieblingsredakteuren der neuen FR gehört. Dass Sie dies an seinem Artikel zur letzten Potter-Folge belegen wollen, muss mißlingen:

    Weder propagiert Widmann eine Postion des sich Öffnens für die Welt abhängig oder unabhängig vom speziellen Medium, das die dazu nötige Information bereitstellte, noch bezieht er Stellung gegen oder für den literarischen Text „Harry Potter“ selbst.

    Sein lang geratener Artikel ist ein banaler Aufschrei gegen die „Marketingmaschine“ an sich, die in diesem Fall (stellvertretend aber auch für andere Vermarktungsobjekte) einen Hype erzeuge, der zwar die Auflagenzahlen des Buches, damit den Profit der Produzenten steigere, aber keinen „Mehrwert“ beim Leser (dem Konsumenten) entstehen lasse. Aufladen tut er seinen Kommentar mit den üblichen – natürlich nicht weiter präzisierten – Zutaten bezüglich der Präsenz, Wirkungsmächtigkeit und – im positiven Sinne – Unvermeidlichkeit der neuen Medien. Dabei wird aber an keiner Stelle bewiesen oder erklärt warum, ob, oder wie überhaupt neue Medien (Video, Internet, MP3, etc.) anders wirken als traditionelle (Bücher, Zeitungen!!!). Statt dessen wird alles zu einem Brei des „Sowohl-als-auch“ verrührt, dem als einzige „Erkenntnis“ enstpringe, dass wir letztlich nicht wüssten, wissen könnten, was der einzelne (junge) Mensch mit dem mache, was er da so macht (liest, konsumiert).

    Unwisenschaftlicher geht es wirklich nicht. Der Artikel bleibt, wie gesagt, ein ungerichteter, pointenloser Anwurf gegen die Marketingmaschine, der Widmann selbst – offenbar ohne es zu merken – mit seinem Artikel noch dient. – Das ist schwächster Lamentofeuilletonjournalismus.

    Ich könnte Herren Widmann nur empfehlen, sich kundiger zu machen, bezüglich der gesicherten Erkenntnisse über die durchaus nicht gleichlaufenden Prozesse und Ergebnisse der Verarbeitung „audio-visueller“ neuer Medien und gegenüber der Verarbeitung „reiner“ Sprache (bloßem Text) in gedruckter Form. Weiter sollte er in die Analyse einbeziehen, dass die (zu oft nur banalen, verdummenden) Inhalte auf seiten der neuen Medien überwältigend, ungefragt und nahezu unentrinnbar angeboten werden, während die alten Medien individuell immer erst abgeholt und gelesen (geistig verarbeitet) werden müssen. Ein Buch, das nicht gefällt liest man nicht (weiter), Fernsehen und Internet laufen (meistens) trotzdem weiter und wirken (unbemerkt) ohne bewußte geistige Verarbeitung. „Wirken“ tun beide.

    Über solche Zusammenhänge macht sich die neue FR-Redaktion wenig Gedanken, statt dessen werden bildungsbürgerliche Reflexe beliebig, zeitgeistig (magazinartig) bedient. Der Beitrag von Herrn Paul in diesem Blog (#4)hat da z.B. mehr Substanz als Widmanns Artikel, dort wird eine Meinung durch (Lebens)Erfahrung begründet.

  10. @Herr Theel/9

    Hallo Herr Theel,
    1.) „Weder propagiert Widmann eine Postion des sich Öffnens für die Welt abhängig oder unabhängig vom speziellen Medium, das die dazu nötige Information bereitstellte,“

    In einem Zeitungsartikel wird eine „ Information bereitgestellt“.
    Ließe sich jedoch ein Kunstwerke auf einen Informationsgehalt reduzieren , wäre es keine Kunstwerk. Das gilt für die Literatur, wie die Malerei und den Film und das Theater. Deshalb wählte ich absichtlich die Formulierung : „Er (Widmann) stellt daher die Frage nach dem inhaltlichen Wirken von Literatur und Kunst.“ Ein Kunstwerk hat eine „Aura“, eine Art Kern, den man nicht passgenau versprachlichen kann. Angenommen in einem Film träte eine Frau aus einem Haus. Diesen Akt könnte man sich sehr vielfältig denken. Stellen wir uns vor, der Regisseur würde dieser Aufnahme fünf Minuten widmen. Dies könnte sehr spannend sein, wenn es formal interessant gemacht wäre, das Licht auf dem Gesicht der Figur, die Art wie sich das Muster ihres Hutes auf ihrem Mantelkragen abzeichnet etc. Ihr Gesichtsausdruck könnte uns zum Beispiel eine Ahnung von ihrer Vergangenheit geben, die uns berührt. Verschließt man sich von Vornherein dieser Art von Eindrücken, würde man vermutlich sagen: „Was ist da toll dran, die latscht aus einem Haus und braucht dafür fünf Minuten“.

    2.) „noch bezieht er Stellung gegen oder für den literarischen Text „Harry Potter“ selbst.“

    Stellung gegen oder für den Text „Harry Potter“ bezieht Widmann tatsächlich nicht, habe ich auch nie behauptet.

    3.) „Sein lang geratener Artikel ist ein banaler Aufschrei gegen die „Marketingmaschine“

    Widmann beginnt mit der Herausstellung des Potter-Erfolgs, aber doch nur um dadurch seinen ersten inhaltlichen Gesichtspunkt zu kontrastieren, nämlich : „Der fast globale Erfolg Harry Potters führt die Menschen nicht näher zusammen, als sie es ohnehin schon sind.“ Über diesen Punkt kann man streiten, man kann diese Meinung aber auch so stehen lassen.
    Ihre These von dem „Aufschrei gegen die Marketingmaschinerie“ lässt sich nicht am Text belegen.

    4.) „Unwisenschaftlicher geht es wirklich nicht.“
    Es handelt nicht um keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern um einen subjektiv gefärbten Leitartikel des Feuilleton-Chefs (steht auch drüber).

    5.) „Ein Buch, das nicht gefällt liest man nicht (weiter), Fernsehen und Internet laufen (meistens) trotzdem weiter und wirken (unbemerkt) ohne bewußte geistige Verarbeitung. ‚Wirken’ tun beide.“

    Ich stehe der Dauerberieselung, der sich manche Menschen aussetzen auch sehr kritisch gegenüber, insofern haben Sie hier meine Zustimmung. Herr Widmann hat sich auf diesen weitgefassten Aspekt meines Erachtens nicht bezogen (siehe oben). Nicht zu vergessen wäre jedoch, dass man sich sehr wohl auch mit Büchern betäuben kann. Hatte Dieter Bohlen nicht auch ein Buch geschrieben?
    Ein Film von Antonioni zum Beispiel können Sie nicht einfach konsumieren.
    Mögen Sie Antonioni, Herr Theel?

    Mit freundl. Grüßen
    Susanne

  11. @ #10. Kommentar von: susanne

    Hallo Susanne,

    ich will den Text von Widmann und die Ihren (#5, #10) genau lesen:

    Widmann stellt zunächst den großen ökonomischen Erfolg des Rowling-Werks fest um dann – für mich etwas sehr überraschend die These aufzustellen, dass Lesen weder bessere Menschen macht noch dieselben enger zusammenführt als z.B. die neuen Medien so etwas täten. Man kann Widmann dabei aber nicht, wie Sie anzunehmen scheinen, im Ernst unterstellen, dass er die erste Beobachtung („den ökonomischen Erfolg“) als Begründung für seine folgende These („Lesen macht keine besseren Menschen“) heranzöge. Seine These zaubert er aus dem Hut und wird sie nie inhaltlich belegen, fängt quasi ein neues Thema an, ohne das erste ausgeführt zu haben.

    Da bleibt für mich nur die Folgerung, dass er die profitorientierte Marketingkampagne beklagt (warum sonst sollte er sich über den Reichtum der Rowling auslassen (verdient Sie das Geld überhaupt oder nur in dieser Höhe nicht?), ihrem Werk oder der besonderen Wirkung des gedruckten und dann gelesenen Wortes (der Kunst allgemein) aber keine besondere Bedeutung zumisst, solche Themen (auch) nicht weiter diskutiert.

    Wenn Sie sagen, Widmann würde „die Frage nach dem inhaltlichen Wirken von Literatur und Kunst“ stellen, kann ich das am Text nicht wirklich ablesen: Widmann räumt zwar ein, dass Literatur (von der übrigen Kunst ist keine wirkliche Rede) Wirkung auf Menschen habe, nur sei diese unvorhersehbar (unerklärbar?) und es scheint ihm (deswegen?) nicht wichtig, Unterschiede der Rezeption und ihrer Folgen dabei festzustellen. Das ist nur trivial und führt zu der von mir beklagten breiigen Unschärfe.

    Was die „Wissenschaftlichkeit“ angeht, so muss auch die subjektiv gefärbte Interpretation, die eben argumentativ begründete Meinung im Journalismus wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Dies gilt auch und gerade, wenn Arno Widmanns Meinung im Zeitungsartikel zur Information für den Leser wird. Da in diesem Fall kein logischer, inhaltlicher, interpretativer Zusammenhang zwischen Widmanns Anfangsbeobachtung und seiner danach unbegründet bleibenden These ausgewiesen wird, kann ich von Unwissenschaftlichkeit sprechen. Aber vielleicht reichte es auch, nur zu sagen, dass Widmann Trivialitäten, bzw. unbewiesene Behauptungen unverbunden aneinanderreiht und damit uninteressant bleibt (neues FR-Niveau).

    Wenn ich vom „Lesen“ und „Konsummmieren“ in quasi einem Atemzug sprach, so zeichnete ich dabei die Linie Widmanns nach, der hier keinen Unterschied macht. Ich bestehe sehr wohl auf dem Unterschied zwischen geistigem Verarbeiten und bloßem Herunterschlucken und wieder Ausscheiden. Hier wird es nämlich spannend. Wir beide stimmen darin überein, dass Widmann sich dafür nicht interessiert hat.

    Schließlich: Ein „Buch“ von Dieter Bohlen kann man gar nicht im bisher intendierten Sinne „lesen“, denn dazu müste es einen Inhalt, eine Botschaft haben, der/die zu begreifen, zu verstehen wäre. Dort werden aber allenfalls Haltungen, Meinungen bestätigt, die der Lesende in der Regel schon hat. Er wird nur bestätigt, wird sich deswegen nicht ändern (entwickeln). Liest ein anderer solche Texte und erkennt Sie als ideologisch affirmativ, könnte er sie aber als solche kenntlich machen, sie kritisierend als hohl entlarven; dann hätte er auch solch ein Buch wirklich gelesen.

    Ich interressiere mich übrigens für und mag das Werk Antonionis. Er selbst und sein Werk waren das Gegenteil von hohl, ideologisch oder affirmativ, sie waren revolutionär.

    Mit freundlichen Grüßen

    Uwe Theel

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