Küstenkoalition: Heilfasten hilft nicht immer

Bauchlandung für die SPD: Nach der Schleswig-Holstein-Wahl kann die „Küstenkoalition“ aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband nicht weiterregieren — vor allem wegen der Verluste der SPD. Die Kommentatoren sind sich weitgehend einig: Diese herbe Niederlage hat vor allem mit der Person des Ministerpräsidenten zu tun. FR-Kommentator Bernhard Honnigfort beschreibt den Regierungsstil des Thorsten Albig wie folgt:

„Albig irrte präsidial umher, empfahl seiner SPD, auf einen Kanzlerkandidaten zu verzichten. Sein Wahlkampf war ebenfalls konturlos. Gerechtigkeitsforderungen und Leistungen der abgelaufenen Regierungszeit, angereichert mit rührseligem Gerede über sich: Mutter Kassiererin, Trennung der Eltern, das unbegreifliche Glück, Ministerpräsident geworden zu sein. Dann das eitle Stück in der Bunten, seine Bemerkungen zur gescheiterten Ehe. Ein PR-Desaster mit Ansage.“

Kubicki GüntherEs war also eine fahrlässige Niederlage, die sich vor allem aus der Landespolitik selbst erklärt. Daniel Günther, der junge Herausforderer von der CDU, hat seine Chance ergriffen und wird nun wohl der nächste Ministerpräsident an der Förde. Allerdings kann er nicht allein mit Wolfgang Kubickis FDP regieren, wie er es wohl am liebsten gehabt hätte. Daher gibt es derzeit viele Mutmaßungen über das Verhalten der Grünen, die ihr Ergebnis von vor fünf Jahren ungefähr halten konnten, gegen den Bundestrend. Von ihnen, den Grünen unter Umweltminister Robert Habeck, wird es abhängen, ob Daniel Günther sein Ziel erreicht. Dazu müssten die Grünen in eine „Jamaika-Koalition“ eintreten, benannt nach den Farben der Flagge Jamaikas, Schwarz, Gelb und Grün. Denkbar wäre allerdings immer noch auch eine Ampelkoalition unter Führung der SPD (aber wohl kaum mit dem bisherigen Ministerpräsidenten), doch dazu müsste die FDP sich über den Rahmen hinaus bewegen, den Kubicki ihr bisher gesteckt hat. Sollte es zu einer „Jamaika-Koalition“ kommen, wäre dies der zweite Versuche auf Länderebene. 2009 hat es im Saarland schon einmal eine solche Koalition gegeben, die drei Jahre gehalten hat.

Die Linke hat es nicht in den Kieler Landtag geschafft; sie hat es im strukturkonservativen Norden traditionell schwer. Dass die AfD es nur auf 5,9 Prozent gebracht hat, ist jedoch eine leichte Überraschung. Offenbar sind die Menschen im Norden gelassener als im Osten und Süden und nicht so leicht aufzustacheln. Gleichwohl sind diese 5,9 Prozent für die AfD ein Erfolg. Es ist der zwölfte Landtag in Folge, in den diese zweifelhafte „Alternative für Deutschland“ einziehen darf. Vermutlich ist ihr auch in Nordrhein-Westfalen am kommenden Wochenende der Einzug möglich; die Umfragen sehen sie derzeit zwischen sechs und acht Prozent.

Eine Frage tauchte am Wahlabend immer wieder auf: Wo war eigentlich Martin Schulz, der Kanzlerkandidat der SPD, der die Umfragewerte der Bundes-SPD in lange unerreichte Höhen geschickt hatte? Er stand in Schleswig-Holstein nicht zur Wahl, aber Wahlergebnisse wie dieses schaffen natürlich eine Dynamik, die in einem Wahljahr entscheidend sein kann. Das wird sich in Kürze in NRW zeigen, wo Rot-Grün nach allen bisherigen Umfragen nicht wird fortgesetzt werden können. Für die Bundestagswahl wird es dennoch von strategischer Bedeutung sein, ob Hannelore Kraft Ministerpräsidentin bleiben kann, egal mit welcher Koalition.

Aus der Schleswig-Holstein-Wahl können die Sozis keinen Nektar saugen, weder für NRW noch für den Bund. Es wird weitgehend allein von Martin Schulz abhängen, wie schwungvoll die SPD in den Bundestagswahlkampf geht. Bisher hat er nichts Substanzielles gesagt. Da braucht man sich über die Häme nicht zu wundern, wie sie auch aus manchen Leserbriefen spricht.

fr-balkenLeserbriefe

Sigrid Andersen aus Eutin, meiner Geburtsstadt, meint:

„Die positive Wirkung des Heilfastens, die der schleswig-holsteinische Noch-MP Albig in der „Bunten“ pries, hat sich offensichtlich nicht auf seine Hirnleistung erstreckt. Sonst hätte er als ehemaliger PR-Profi, der immerhin Pressesprecher eines Bundesministers war, niemals sein Privatleben in einer Homestory ausbreitet und dabei mangelnde Augenhöhe zu seiner langjährigen Ehefrau beklagt.
Ist es einfach nur das hormonelle Irresein eines frisch verliebten Mannes jenseits der 50? So wie im Falle Rudolf Scharping, der auf „Bunte“n Bildern dereinst mit seiner Gräfin im Pool turtelte? Daraus hätte man lernen können, lieber Herr Albig.
Was aber lernen wir daraus, wir Frauen und Mädchen in Schleswig-Holstein und in anderen Landen? Einem Kerl den Rücken frei zu halten, damit er Karriere machen kann, zahlt sich nicht aus! Machen wir sie lieber selbst, die Karriere. Und definieren wir die Augenhöhe!“

Alfred Bein aus Neu-Isenburg:

„Als der Stern des Herrn Schulz aus dem EU-Feenreich als Retter der SPD und somit quasi ganz Deutschlands kometengleich aufging, war es Winter. Da steht bekanntlich die Sonne tief. Und wenn die Sonne tief steht, werfen auch Zwerge lange Schatten!
Nun werden aber die Tage länger und der Vorschusslorbeer des Herrn Schulz beginnt – Gott sei Dank – erheblich zu bröckeln. Denn eines darf man nicht vergessen, dieser Herr sitzt seit 1999 im Präsidium und im Parteivorstand der einst „sozialdemokratischen“ Partei und hat somit alle Schandtaten gegen den sozialistischen Geist aus Vergangenheit (z.B. Hartz IV) und Gegenwart (Mütterrente und Rentenangleichung Ost nur aus der Rentenkasse) mitgetragen und somit auch mit zu verantworten. Die Liste der Grausamkeiten wäre beliebig zu verlängern.
Ich finde es jedenfalls höchst befriedigend, dass sich die „hart arbeitenden Menschen“ in diesem Land vor anstehende Wahlen nicht länger von den Luftblasen aus Würselen einlullen lassen und dass die SPD endlich – wenn auch viel zu spät – die Quittung für ihr absolutes Versagen in der Sozialpolitik bekommt.
Wenn dann die Bundestagswahl ansteht, wird der einst strahlende „Komet“ verglüht sein, wie vorher eines Sternschnuppe der Perseiden – wetten?“

Birgit Pausmer aus Elmshorn:

„Die Begeisterung von Herrn Honningfort für Herrn Kubicki ist nicht zu überlesen. Eine hervorstechende Eigenschaft des FDP-Politikers ist die Selbstdarstellung, sie gelingt fast immer. Die Zeit, in der die FDP mit der CDU in der Regierungsverantwortung stand, ist noch nicht lange her, aber die eigenen politischen Entscheidungen scheinen in Vergessenheit geraten zu sein. Die katastrophale Bildungspolitik des FDP-Bildungsministers hat zu einem einmaligen LehrerInnen-Streik in Schleswig-Holstein geführt, denn die Stellen für Lehrkräfte und Polizei wurden drastisch reduziert. Die Forderung nach besserer Ausstattung für Schulen mit dem Ziel der Inklusion wurde abgetan, es brauchte nach Ansicht der CDU nicht mehr pädagogisches Personal, sondern nur eine entsprechende Einstellung. Planungen für die Verkehrsinfrastruktur brauchen viele Jahre, die Anteile an Missständen sind in einer Legislaturperiode mit Sicherheit nicht auszugleichen. Die Chance für eine Politik, wie Herr Kubicki und Herr Günther sie darstellen, hatten sie, in der Realität wurde sie aber nicht genutzt.“

Manfred Alberti aus Wuppertal erzählt eine Fabel:

„Es war einmal ein Fachgeschäft für Radio und Fernsehen. Die Geschäfte liefen sehr schlecht, denn die großen Märkte verkauften Fernseher in riesiger Auswahl und zu viel günstigeren Preisen. Nur noch die alten Nachbarn kauften in dem Fachgeschäft, wenn sie einen neuen Fernseher brauchten. Der Laden war grau und trist, ganz wie die lustlosen Mienen der Mitarbeiter.
Eines Tages wurde ein neuer Einkäufer eingestellt. Da er so fröhlich und optimistisch war, wurde er direkt zum neuen Geschäftsführer berufen. Der fand im Lager einige Paletten mit Radios. In seiner ersten Anzeige bewarb er diese Radios. Und ein Wunder geschah: Die Leute stürmten in den Laden. Junge Leute kamen in Scharen. Anscheind gab es einen großen Bedarf an Radios für die Küche, das Büro, die Werkstatt, die Garage, das Schlafzimmer und den Bastelkeller. Bald waren alle Paletten ausverkauft.
Da wollte der Chef seine Mitarbeiter motivieren, nun weltweit nach Firmen für moderne Radios zu suchen und schnell nachzubestellen. Doch die weigerten sich: „Wir wollen moderne Fernseher verkaufen und keine Radios.“ Alleine eine Kisten mit Radiozubehör gestanden sie dem Chef zu. So blieb der Chef alleine. Und nie mehr wurde für Radios geworben.
Die neuen Kunden waren schnell sehr enttäuscht. Die Jungen blieben weg und das Geschäft war bald wieder das alte: Auf einem grauen trostlosen Weg in die absehbare Pleite.
Liebe SPD, so geht es nicht nur einem Radio- und Fernsehgeschäft, wenn man den ersten Teil seines Namens nur noch für altmodisch hält und die Zeichen der Zeit nicht erkennen will.“

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14 Kommentare zu “Küstenkoalition: Heilfasten hilft nicht immer

  1. Wolfgang Kubicki als Wiedergänger, so überdreht, dass seine Worte – zum Teil kaum verständlich – haspelig übereinander purzelten. Und eine Partei wie die FDP, die eigentlich keiner mehr brauchte, darf jetzt wieder Zünglein an der Waage spielen.

  2. Es kam, wie es kommen musste für die SPD: Die 100 Prozent pro Martin Schulz sind ihm wieder furchtbar auf die Füße gefallen. Das sind so Momente, wo man merkt, dass die Politiker zwar Machtinstinkt besitzen, aber das Näschen für den Zusammenhang von Erfolg und Misserfolg, das haben nur wenige.
    Dass jetzt die Nrw-Wahlen eine Art Vorentscheidung für die Bundeswahlen bedeuten, ist sehr wahrscheinlich.
    Wolfgang Kubicki ist zwar ein Schlitzohr, aber doch auch berechenbar. Mir ist die FDP zehnmal lieber als Zünglein an der Waage als eine AfD.
    Was stimmt (Birgit Pausmer), ist die katastrophale Bildungspolitik und ihre Zerwürfnisse in Schleswig-Holstein.

  3. @ Jürgen Malyssek

    Dass die AfD viel schlimmer ist als die FDP, steht wohl außer Frage. Aber für wen kommt die denn als Koalitionspartner in Frage?

  4. Guten Abend !

    Ich würde der These, dass es für die SPD nur wichtig ist, dass Hannelore Kraft Ministerpräsidentin bleiben kann „egal mit welcher Koalition“ widersprechen wollen.

    Als Schulz die SPD „übernommen“ hat und sein erstes Wort als Vorsitzender und Spitzenkandidat „Gerechtigkeit“ war, erlebte die SPD einen Hype ungeahnten Ausmaßes.

    Nun muss die SPD und ihr Spitzenkandidat „Gerechtigkeit“ aber ausbuchstabieren und ein Teil dieser Arbeit wird eben über Koalitionspräferenzen erledigt.

    Nachdem es im Saarland nicht für eine mögliche rot-rot-grüne Koalition gereicht hat, weil die Aussicht darauf die Unionswähler in Scharen zu den Urnen getrieben hat, damit die beliebte Annegret Kramp-Karrenbauer nicht abgelöst wird, wurde in den Medien landauf landab die Melodie vom bösen linken Mann (oder der bösen linken Frau) gespielt und fast alle waren sich einig, dass es das nun mit rot-rot-grün war.

    Vor allem aber war sich Schulz einig darin, diese Koalition, die von ihm wenn man ehrlich ist, sowieso nie gemocht wurde (darauf kann man schließen, wenn man sein bisheriges Agieren in der Politik betrachtet), mit der Saarlandwahl gestorben war und fortan machte Schulz der FDP schöne Augen.

    Leider vergisst er dabei, dass sich „Gerechtigkeit“ in einer großen Koalition und erst recht in einer Koalition mit der FDP eben ganz anders ausbuchstabiert als in einer linken Koalition.

    Da sind sich ja auch alle politischen Beobachter einig: Mit rot-rot-grün würde es wohl leicht eine Mehrheit für eine gerechtere Steuerpolitik, für eine wieder paritätische Finanzierung der Sozialsysteme, für die Begrenzung von Leiharbeit, für eine armutsfeste Rente, einen Einstieg in die Bürgerversicherung etc., also für all das, was die Sozialdemokratie unter „Gerechtigkeit“ versteht, geben, dafür würde man sich außen- und sicherheitspolitisch zanken.

    In einer Ampel würde die Außen- und Sicherheitspolitik und wohl auch die Gesellschaftspolitik keine großen Bauchschmerzen machen aber eben dummerweise ausgerechnet die „Gerechtigkeit“, denn all das, was ich oben aufgezählt habe, scheut die FDP wie der Teufel das Weihwasser und wäre selbst mit einer 5% FDP niemals zu vereinbaren.

    Das haben auch die Wähler verstanden – und wenn sich in NRW Hannelore Kraft in eine Koalition mit der FDP „retten“ würde, dann wüsste auch der letzte SPD-Anhänger, dass das mit der Gerechtigkeit, also mit DEM Zugpferd der „frühen Schulz Zeit“ wieder nix werden wird, denn bundespolitisch hat man dann eben wieder keine Alternative zu einem „Weiter so“ entweder in einer fortgesetzten Koalition mit der Union (am wahrscheinlichsten) oder in einer Ampel (daran glaube ich auf Bundesebene eher nicht), in der in bezug auf „Gerechtigkeit“ kein fortschritt zu erzielen sein wird.

    Damit fehlt dann aber wieder die Machtperspektive für die SPD und erst recht die „Veränderungsperspektive“ – und damit auch die Glaubwürdigkeit und dann wird es letztendlich auch wieder an Wählern fehlen – und das leider auch noch vollkommen zu recht.

  5. An Brigitte Ernst: Zünglein an der Waage kann die AfD auch sein, ohne zu koalieren. Indem sie Erfolg hat oder nicht oder auch im Parlament drin bleibt oder rausfliegt. Entsprechend verschieben sich Mehrheitsverhältnisse und Optionen von Koalitionen. Da ich jetzt fest mit einem Wahlerfolg der FDP rechne erübrigt sich erst einmal die Frage einer „Partnerschaft“ mit der AfD. Auf Sicht ist aber alles noch möglich.

    An A.H.: Die SPD und ihr Kurzzeitkomet Schulz sind in der Frage der „Gerechtigkeit“ sowieso keinen Schritt weitergekommen. Bisher war es nur Rhetorik und Schulz sucht jetzt schon nach neuen wirtschaftsfreundlichen Definitionen für sein Programm. Seine „hart arbeitenden Menschen“ mit den „aufgekrempelten Ärmeln“ haben sich bereits jetzt schon als Methapher für die Arbeiterklasse in Not und Sorgen verbraucht. Da kommt nix Neues mehr. Der hat zum Auszubuchstabieren von „Gerechtigkeit“ einfach keinen Stoff mehr zur Verfügung.
    Und Hannelore Kraft hat in NRW nun alles andere als erfolgreiche Politik gegen Armut, Stadtteilverelendung (Dortmund-Nord, Essen, Duisburg usw.) und Bildungsnotstand vorzuweisen. SPD und „Veränderungsperspektive“ gleichzusetzen ist Wunschdenken.

  6. Guten Morgen Herr Malyssek !

    Ich stimme IHnen da weitestegehend zu. Nur, der Hype um Schulz dessen Effekt nach den letzten Umfragen für den Bund ja nun wirklich bald absolut rückstandslos verpufft ist, beruhte meiner Meinung nach darauf, dass er es geschafft hat, ihnen wenigstens zu suggerieren, dass das jemand kommen würde, der sich um die „kleinen und hart arbeitenden Leute“ kümmern wird, den Urgedanken der SPD wieder wird aufleben lassen. Er hat ihnen ja nicht zuallererst eine stringentere Außenpolitik o.ä. versprochen.

    Und die Aussicht auf eine dem folgende Politik ist in dem Moment gestorben, in der er (auch gesetzt von vielen Medien, nach der Saarlandwahl kalte Füße bekommen hat und seitdem die einzig denkbare Koalition, in der die SPD die Gerechtigkeitsthemen hätte durchsetzen können, nicht mehr erwähnt und sich demonstrativ anderen Partnern zuwendet.

    Wie weit dieses Gedankengut schon in die Partei hineingeträufelt ist, sieht man daran, dass Ralf Stegner sich nach der S-H-Wahl wenigstnens noch darüber gefreut hat, dass es die SPD geschafft hätte, die Linkspartei aus dem Parlament herauszuhalten und dass Hannelore Kraft ihre Felle inzwischen so weit wegschwimmen sieht, dass auch sie in dieser Woche explizit ausgeschlossen hat, eine Regierung mit der Linken zu bilden. Ja dann bleibt eben nur Opposition oder eine Koalition, in der man den angeblichen Markenkern „Gerechtigkeit für die kleinen, hart arbeitenden Menschen, nicht durchsetzen kann – und das begeistert die Wähler eben nicht (q.e.d.).

  7. Auch guten Morgen, A.H.!
    Das stimmt natürlich, dass Martin Schulz mit seinen ersten Auftritten als Europa-Mann und zunächst mit hemdsärmelig darstellenden Gerechtigkeitsparolen eine Suggestiv-Wirkung erzeugte. Es wollte ja keiner merken, dass, wenn Schulz von den „hart arbeitenden Menschen“ sprach, er mehr sich selbst meinte als die arbeitende Klasse. Das mag ja mal ein vergangenes Markenzeichen der SPD gewesen sein, die Partei der Arbeiterklasse, aber das ist längst zugeschüttet und lebt nur noch als Legende, die Schulz, Kraft, Nahles & Co. vor sich her tragen.
    Nun ist die Linke auch nicht eine klassische Arbeiterpartei mehr, aber sie ist zur Zeit die einzige politische Kraft, die es ernst meint mit der sozialen Frage.
    Insofern ist es m.E. richtig, was Sie sagen, dass die „einzig denkbare Koalition, in der die SPD die Gerechtigkeitsthemen hätte durchsetzen können, nicht mehr erwähnt und sich demontrativ anderen Partnern zuwendet“.
    Selbst wenn der SPD das Wasser bis zum Hals steht (hic!) – sie meiden die LINKE, wie der Teufel das Weihwasser. Sie wollen es einfach nicht. Es würde sich gegen ihre eigenen Interessen richten. Die seit Jahren herrschende Kultur der SPD ist die des Abstandes zu den Menschen(ganz)unten und natürlich die bestehende Konkurrenzsituation zur Linken, die bis ins Persönliche geht.
    Ich habe zum Beispiel nie ganz verstanden, wie es passieren konnte, dass Ralf Stegner zum linken SPD-Flügel zählt?
    Und das nicht nur deshalb, weil er die Linken gerne aus dem Parlament sehen will.
    Insofern stimme ich, inkl. Hannelore Kraft-Situation, Ihnen in Ihrem letzten Absatz vollends zu.
    Die Vor-Entscheidung wird in NRW fallen.

  8. @ A.H.
    Ich frage mich allmählich, was der Wähler in diesem unserem Land wirklich will. Vielleicht sind es nur die SPD-Parteimitglieder, die Linken und wir paar Hansels und Hanselinen hier im Blog, die an gößerer Gerechtigkeit interessiert sind. Die Mehrheit der Bevölkerung will doch offenbar nur, dass sie weiter mit ihrem SUV durch die Gegend brettern können und ihnen die Flüchtlinge (oder gar die Griechen!) ihren Wohlstand nicht streitig machen. Diejenigen, die von größerer Gerechtigkeit profitieren könnten, gehen ohnehin längst nicht mehr zur Wahl.

  9. Die SPD hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Auf dem Höhepunkt das Schulzhochs habe ich hier geschrieben das ich den Eindruck habe das dieser Mann keine Ahnung hat von was er redet wenn er das Thema Gerechtigkeit anspricht. Außerdem hat er es offensichtlich nicht geschafft hat sich mit den richtigen Beratern abzusprechen.Das ist immer klarer die letzte Zeit geworden. Inzwischen redet er wie Gerhard Schröder wie bei der IHK zu hören. Das wird so nicht funktionieren mit dem Wahlsieg und Kohlelore ist für mich auch nicht eine Person der ich übermäßig nachtrauern werde.

  10. Hallo Frau Ernst !

    Da kann ich Ihnen nicht widersprechen. Und wenn die „abgehängten“ zur Wahl gehen, dann wählen sie in bedauerlicherweise auch noch zu einem nicht geringen Anteil eine „Rattenfängerpartei“, die zwar „Protest“ suggeriert, die wirtschaftlichen Verhältnisse aber eben genau nicht antasten möchte.

    Dennoch glaube ich, dass es, vielleicht doch bis weit in die Mitte hinein, ein gewisses Potential von Wählern gibt, die schon möchten, dass es in diesem Land etwas gerechter zugeht – anders kann ich mir den ursprünglichen Hype um Schulz nicht erklären, denn dieser hat ja sehr bewusst, zunächst die Gerechtigkeitsplatte aufgelegt.

    Aber die Saarlandwahl hat letztendlich vieles wieder verändert. Und da kommen auch die Medien (nicht alle aber eben die meisten „leitmedien“ ins Spiel). Schaut man sich das Ergebnis im Saarland genau an, dann kommen „rot-rot-grün“ auf keineswegs vernichtende 45,43 %, Union und FDP kommen zusammen auf 43,98%. Hätten die Grünen den Sprung über die 5% Hürde geschafft, in dem sie 5 statt 4% geholt hätten, hätte es vermutlich für eine rot-rot-grüne Mehrheit im Saarland gereicht – und das gegen eine überaus populäre Ministerpräsidentin.

    Trotz dieses mMn sehr knapp Wahlausgangs wurde in nahezu sämtlichen Medien am Tag nach der Wahl der Abgesang auf rot-rot-grün angestimmt. Diese Medienmeinung wurde von der SPD (bzw. von den interessierten Kreisen in der SPD schnellstens aufgenommen und diese Koalition, wie gesagt, die einzige, mit der sich im großen Bereich „Gerechtigkeit“ etwas zugunsten der Mehrheit der Bevölkerung erreichen lassen würde, sofort abgeschrieben und dafür eine „sozialliberale Koalition“ aufs Tapet gehoben).

    Ich glaube daher noch nicht einmal, dass die meisten Bürger in diesem Land kein Interesse an Gerechtigkeitsfragen haben (wiewohl ich auch glaube, dass es durchaus eine ebenfalls große Gruppe in diesem Land gibt, die genau so tickt, wie Sie es beschrieben haben – sonst müssten ja auch mehr Menschen die FR lesen:-) sondern es mangelt eher an einem ehrlichen Angebot. Das übliche „Linksblinken“ der SPD vor irgendwelchen Wahlen kann man doch nicht wirklich ernst nehmen, wenn die einzig mögliche Koalition, die dann auch konsequent das Steuer nach links drehen könnte, abgelehnt wird.

    Im übrigen, wenn ich das noch schreiben darf, weil Sie sich ja auch weiter oben über die FDP geäußert haben. Auch hier spielen die (allermeisten) Medien eine mMn fragwürdige Rolle. Da kandidieren mit Kubicki und Lindner gleich zwei FDP-Männer bei der Landtagswahl und wissen doch beide, dass sie lediglich für ein paar Wochen im Landtag sitzen werden und dann nach Berlin in den Bundestag wechseln werden. Wird das irgendwo hinterfragt? Irgendwie ist das ja schon erstaunlich, dass das kaum einmal thematisiert wird. Und bei der FDP-Programmatik das gleiche Bild. Lindner tourt hier in NRW durchs Land und fordert: Mehr Geld für Bildung, mehr Geld für Ínfrastruktur und gleichzeitig natürlich massive Steuersenkungen (natürlich nur für die kleinen und mittleren Einkommen- dass die kleinen Einkommen kaum Steuern zahlen und unterm Strich natürlich die höchsten Einkommen auch absolut am meisten profitieren (und die Ungleichverteilung in der Gesellschaft dadurch noch größer wird) wird genauso unter den Tisch gekehrt wie die Frage, wie das zusammen denn alles finanziert werden soll- gleichzeitig mehr Ausgaben und weniger Einnahmen durch Steuersenkungen.

    Und das beliebte Argument, der Staat würde ja so viel mehr Geld einnehmen (Stichwort: Rekordeinnahmen) da müsste das doch drin sein, vergisst leider die Tatsache, dass auch die Ausgaben immer höher werden, weil (erstaunlich, erstaunlich) auch Beamte und Angestellte der Länder mehr Geld in der Tasche haben wollen und es alleine schon durch die Inflation immer teurer wird, einen Klassenraum streichen zu lassen, einen Schreibtisch anzuschaffen oder eine Straße zu sanieren (und das wird ja dann noch teurer wenn erstmal auch dort die Privatisierungswelle eingesetzt hat).

    Auch hier wird in den Medien kaum einmal kritisch nachgefragt- im Gegenteil werden die FDP und ihre beiden Granden hofiert wo es nur geht.

    Zurück zum Thema: Ich glaube, dass die Medien auch ein gerüttelt Maß an den Zuständen in diesem Land haben. Bestimmte Konstellationen werden von den Medien abgelehnt (auch Medien sind ja letztlich nur Unternehmen) und dazu zählt auch ein linke Koalition und andere Parteien werden erstaunlich unkritisch betrachtet und behandelt.

    Und wenn dann noch die SPD darauf eingeht, dann bekommt sie die Rechnung präsentiert. Mir erscheint es so, dass der lange sicher geltende Wahlsieg für die SPD in NRW von Tag zu Tag wackliger wird und wenn man dann noch mögliche Verbündete schon vor der Wahl von jeder Zusammenarbeit ausschließt, dann hat die SPD es wohl doch noch immer nicht begriffen- und die „Hanseln und Hanselinnen“, die sich für mehr Gerechtigkeit interessieren schauen weiterhin in die Röhre (oder wenigstens in die FR).

  11. Vielleicht noch ein kleine Ergänzung:

    Es war zwar sehr ehrenwert von Herrn Stegner die Verantwortung für das desaströse Wahlergebnis der SPD in S-H in die Verantwortung von Herrn Albig zu drücken (der sicher auch alles andere als geschickt agiert hat- seit Scharping sollte sich doch bei der SPD rumgesprochen haben, dass Interviews in der BUNTEN nicht karrierefördernd sind:-) – aber wenn man sich die Entwicklung der Umfragezahlen auf Bundesebene anschaut, dann ist auch dort vom Schulzeffekt nichts übrig geblieben. Infratest Dimap sieht die Union in der gestrigen Umfrage wieder 10% vor der SPD. Und damit hat Albig nun nichts zu tun. Da stimme ich dann Herrn Malyssek und hans zu (und genau wie hans bin ich der Auffassung, dass Frau Kraft sich durch die Absage einer Koalition mit der Linken lediglich in eine große Koalition retten will und dort mit der SPD wenigstens den MP stellen möchte – das halte ich persönlich dann aber für zu wenig ambitioniert, zeigt aber mMn, dass die SPD den Kampf gegen merkel letztendlich schon verloren gibt, wie immer in den letzten Jahren.

  12. A.H.
    Die wundersame Auferstehung der in meinen Augen eigentlich obsoleten FDP ist mir ein Rätsel. Die haben nicht einmal, wie die SPD, ein neues Gesicht für ihre Wahlplakate zur Bundestagswahl finden können, sondern bieten alten Wein in alten Schläuchen. Vor allem beten sie immer noch das abgeleierte Mantra von den Steuersenkungen (die Sie schon erwähnt haben) und der Eigenverantwortung herunter. Anscheinend glaubt der eine oder andere Wähler tatsächlich, gleichzeitig mit der wundersamen Haarvermehrung AUF Lindners Kopf habe auch die Substanz IN demselben zugenommen.
    Aber noch sitzt diese Partei nicht im NRW-Landtag und auch nicht im Bundestag, schließlich wäre es nicht das erste Mal, dass Wahlen anders ausfallen, als es die Progosen vorausgesagt haben.
    Aber die Vorstellung, die Linke könne erfolgreich in einer Regierung mitarbeiten, scheint den westdeutschen Wählern immer noch Bauchschmerzen zu verursachen. Das Fiasko mit Ypsilanti liegt noch nicht lange zurück.

  13. zu Brigitte Ernst
    Ich habe die FDP nie als Tod gesehen. Diese Partei kat klare Stammwähler und wenn sie ihr Potential ausschöpft ist sie für 6-8% gut.Das sind in erster Linie Freiberufler wie Rechtsanwälte, Ärzte, Architekten und Apotheker. Diese Leute sind sehr gut organisiert und auch oft Parteimitglied. Vor der letzten Bundestagswahl hat die FDP den Gesundheitsminister gestellt, der dann die Stammwähler teilweise enttäuscht hat. Deshalb sind sie raus geflogen. Dass das nicht dauerhaft ist war erwartbar leider. Wenn eine SPD am liebsten mit solch einer Partei koalieren will gibt es eigentlich keinen Grund mehr sie zu wählen.Vielleicht noch als kleinstes Übel, aber auch das ist nicht sicher siehe Schröder. Er war wohl das größte Übel für den kleinen Mann. Es spricht für sich wenn die CDU die Agenda 2010 so lobt. Das wäre unter Kohl nie so gekommen.

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