Er kandidiert wieder. Und sie?

Am vergangenen Donnerstag hat unser aller Köhler die Katze aus dem Sack gelassen: Er kandidiert wieder. Er will eine zweite Amtsperiode als Bundespräsident. Komisch, wenn ich mir unser Staatsoberhaupt vorzustellen versuche, habe ich immer Mathias Richling vor Augen – und muss lachen. Wie Richling wohl Gesine Schwan imitieren würde? Die steht nämlich offenbar bereit, gegen Köhler anzutreten, wenn die SPD sie ruft. Und die scheint dazu gewillt. Merkwürdig, dass die SPD sich gerade auf diesem vergleichsweise nebensächlichen Politikfeld zu profilieren versucht. Da gäbe es wohl wichtigere Themen. Jedenfalls gibt es deswegen jetzt wieder Koalitionskrach

Während Kurt Beck der CDU empfiehlt, die Verfassung zu lesen, sieht diese die Zusammenarbeit belastet: „Das, was sich jetzt anbahnt, ist alles nicht hilfreich“, sagt Pofalla. Die SPD sei gegenwärtig handlungsunfähig. Die Wirtschaft sprach sich ebenfalls für Bundespräsident Horst Köhler aus. Wen wundert’s? „Persönlich schätze ich Bundespräsident Horst Köhler sehr, und ich finde es gut, dass er für eine weitere Amtszeit zur Verfügung steht“, sagt DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun (Handelsblatt vom Freitag). Der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbandes BGA, Anton Börner, nannte Köhler „einen welterfahrenen Wirtschaftsexperten“. Köhler war früher Direktor des Internationalen Währungsfonds.

IWF? Das ist doch der Laden, der rund um die Welt eine Volkswirtschaft nach der anderen zu neoliberalen „Reformen“ gezwungen hat?  Da war unser Köhler mal Direktor? War er! Geschäftsführender Direktor am 1. Mai 2002. Bundespräsident ist er seit dem 1. Juli 2004. Davor war er Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes und leitete die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Was seine Aktivität beim IWF angeht, schreibt Wikipedia: „Inwieweit Köhler sich von der Politik seiner Vorgänger gelöst hat, ist unklar, seine Nominierung zum Amt des deutschen Bundespräsidenten durch die später in der Bundestagswahl unterlegene wirtschaftsliberale Koalition aus FDP und CDU verdankte er sicher seinem Ruf als Vertreter dieser politischen Richtung.“

Eine gewagte Behauptung für eine Enzyklopädie, oder?

Zum Gezerre um die Wahl des Bundespräsidenten meint Rüdiger Trebing aus Karben:

„Unser Bundespräsident Horst Köhler hat bisher seine Sache gut gemacht – gemessen an dem Erwartungshorizont, der 2004 bestand. Er ist populär, weil er sympathisch rüberkommt, seine Reden nicht so geschliffen perfekt sind und er den Politikern, auch denen seiner eigenen Partei, bisweilen gehörig den Kopf wäscht. Insofern wäre es kein Beinbruch, wenn Köhler wiedergewählt würde. Dies kann allerdings kein Grund sein, auf eine Gegenkandidatur zu verzichten! Gesine Schwan hat 2004 bei der Wahl einen Achtungserfolg erzielt, sie hat sich als bis dahin Unbekannte in kurzer Zeit bei den Bürgern gut eingeführt. Vielleicht wäre sie tatsächlich die bessere Präsidentin? Dies wüsste man allerdings erst nach der Wahl.
Die Wahl in der Bundesversammlung am 23. Mai 2009 ist geheim. Jedes Mitglied kann dem eigenen Gewissen folgen. Ob Gesine Schwan Stimmen von FDP-Frauen oder Horst Köhler Zustimmung vom Seeheimer Kreis erhält, wird nicht festzustellen sein. Wer jedoch darüber nachdenkt, dass zwei Frauen an der Staatsspitze vielleicht doch eine zu viel seien, darf nicht vergessen, dass im Herbst 2009 auch Bundestagswahl ist – und damit über die Zukunft von Angela Merkel entschieden wird. Aber zum jetzigen Zeitpunkt sind das alles Spekulationen: Horst Köhler hat am Fronleichnams-Tag seine Bereitschaft zur erneuten Kandidatur erklärt. Gesinde Schwan noch nicht.“

Manfred Kirsch aus Neuwied:

„Ganz ohne Zweifel ist die Präsidentenfrage auch eine Machtfrage, und eine Kandidatur Gesine Schwans würde mit dazu beitragen, einen Lagerwahlkampf auszulösen, der sowieso kommen wird und der nicht unbedingt negativ fürs Land sein muss.
Amtsinhaber Horst Köhler ist in vielen Punkten durchaus kritikwürdig und hat sich trotz seiner vordergründigen Beliebtheit immer wieder als Einforderer neoliberaler „Reformen“ betätigt – und damit überhaupt nicht im Interesse der Menschen. Es ist auch eine Frage der Selbstachtung der Sozialdemokratie, wenn sie mit Gesine Schwan antritt. Und es wäre ein Segen für die politische Kultur.
Deutlich zu sehen sind die Parallelen zu 1969, als durch die Wahl Heinemanns ein Stück Machtwechsel in der Bundesrepublik erfolgte. Damals wäre der Gegenkandidat Gerhard Schröder (CDU) nur mit den Stimmen der NPD gewählt worden. Wenn sich diesmal in der Bundesversammlung eine rot-rot-grüne Allianz fände, würden die vier rechtsextremen Vertreter von NPD und DVU zum Zünglein an der Waage werden. Dass diese Gesine Schwan mitwählen würden, ist ja wohl kaum anzunehmen. Ob sich Köhler mit den Stimmen der Rechten zu einer zweiten Amtszeit verhelfen lässt?“

Stefan Meißner aus Potsdam:

„Die SPD-Spitze sollte aus ihrem Vorgehen um die Wiederwahl des Bundespräsidenten auch die Konsequenz für ihren Kanzlerkandidaten ziehen und eine Frau nominieren: Angela Merkel. Dass die zwar eigentlich CDU-Chefin ist, merkt man erstens ihrer inhaltsfreien Gipfel- und Lächelpolitik nicht an, und zweitens macht dies für die praktische SPD-Politik keinen Unterschied. Besser kann man nicht demonstrieren, wie man den Anspruch auf eigenständige Politik aufgegeben hat. Nachdem die SPD mit der Bahnprivatisierung ihre letzten Stammwähler verprellt, wäre dieser Personalvorschlag gegenüber dem ‚Normalwähler‘ gnadenlos ehrlich, man würde der ‚Neuen Mitte‘ die Treue halten und würde, da das noch nicht zur Überwindung der Umfragedelle reichen dürfte, die Republik mit einer kabarettistischen Einlage unterhalten.“

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16 Kommentare zu “Er kandidiert wieder. Und sie?

  1. Wählen als Formsache, so stellt sich offenbar die Union Demokratie vor. Entscheiden, ohne echte Auswahl zu haben. Eine Abstimmung, bei der das Ergebnis von vornherein feststeht. Die Rechte von anderen nur duldend, solange sie den eigenen Interessen nicht in die Quere kommen. Die Wahlveranstaltung selbst als bloße Staffage fürs mehr oder weniger geneigte Publikum. Mit anderen Worten: Eine reine Schauveranstaltung.

    Ich kann durchaus verstehen, wenn ein gewisser Horst Köhler seinen Arbeitsplatz behalten will und deshalb um eine fünfjährige Vertragsverlängerung nachsucht. Aber ich kann auch verstehen, wenn sich Gesine Schwan ebenfalls um diesen gut bezahlten Job bewerben möchte. Attraktive Jobs sind rar. Die Union wiederum hat dafür absolut kein Verständnis. Bedeutet eine Wahl neuerdings wirklich auszuwählen, hört man sie verwundert fragen. Ihrer Auffassung nach scheint nämlich allein die Präsentation von Gegenkandidaten einem verbotener Akt gleichzukommen, insbesondere wenn sie vielleicht noch Chancen haben.

    Ein seltsames Demokratieverständnis.

  2. Ich denke, dass er auch wieder gewählt wird. Ob die ?DU aber mit ihm dann froh wird, wage ich zu bezweifeln. Bewiesen hat er das ja schon mehrere mal, als er Gesetze nicht ausfertigte. Die ?PD dagegen sollte auf die Aufstellung einer Kandidatin verzichte. Es könnte der Eindruck enstehen, dass immer dann eine Frau nominiert wird, wenn sie keine Chance hat. Die LINKE wird höchstwarscheinlich eine weitere Kandidatin aufstellen. Da ist die Chance für eine weitere Kandidatin gleich null, es sei denn, dass die LINKE im dritten Wahlgang ihre Kandidatin zurückzieht. Davor aber ist zunächst die Bayernwahl, die so viel verändern kann.

  3. Wie Köhler zu dem Amt beim Weltwährungsfonds kam, hat ja noch eine Vorgeschichte. Ursprünglich war Caio Koch-Weser, Finanzstaatssekretär in der rot-grünen Bundesregierung, dafür ausgeguckt und sah aus wie der designierte neue IWF-Chef, weil seine Kandidatur die europäischen Länder hinter sich hatte. Den USA passte er aber nicht. Statt es auf eine Abstimmung ankommen zu lassen, schafften letztere es tatsächlich, sich mit einem „Kuhhandel“ durchzusetzen: Koch-Weser wurde zurückgezogen und durch einen Kandidaten ersetzt, der inhaltlich offenbar den USA genehm war, aber, um die Europäer das Gesicht waren zu lassen, ebenfalls Deutscher war (als ob es darauf ankäme). So kam Köhler auf diesen mächtigen Posten.

  4. Wenn neben Köhler kein(e)weitere(r)Kandidat(in)antreten würde, könnte man sich den mit einer Wahl verbundenen Aufwand sparen und den Bundeshaushalt entsprechend entlasten. Die Art und Weise, wie Stimmen aus der Union gegen die Absicht der SPD, Gesine Schwan zu nominieren, angiften, kann nur damit erklärt werden, dass sie davon ausgehen, dass der Staat ihr Eigentum ist und selbstverständlich ihr alle Leitungsposten zustehen, selbst wenn sie nächtens im Wohnzimmer des FDP-Vorsitzenden vereinbart wurden. Ich habe noch die Stimme von Ludwig Erhard (!)im Ohr, als er 1954 nach der Landtagswahl in Bayern die Vier-Parteien- Koalition unter Wilhelm Högner – gegen die ohne absolute Mehrheit gewählte CSU – als einen Akt widernatürlicher Unzucht bezeichnete. Das entspricht offenbar auch heute noch der „Denke“ vieler seiner heutigen Parteifreunde.

  5. Es ist mal wieder so weit. Das Amt und die Person dürfen nicht beschädigt werden, so klingt es mit großem Pathos landauf, landab aus den politischen Sprechabteilungen. Es ist viel von Würde die Rede. Die Wirklichkeit sieht völlig anders aus, und hört sich auch anders an. Im Vorfeld der Diskussion für die nächste Bundespräsidentenwahl fallen erneut alle Hüllen. Von Würde keine Spur. Die politische Szene ist parteiübergreifend mit Heuchelei überflutet. Rücksichtslos wird aufeinander eingeprügelt, als ob es keine Politikverdrossenheit, Wahlverweigerung und schon erschreckend zunehmende Politikerverachtung gäbe. Obwohl es noch nie anders war, in Zeiten der Großen Koalition scheinen mir Würde und Anstand völlig abhanden gekommen zu sein. Es wird geprügelt, geholzt, gedroht, wie es würdeloser und unanständiger nicht sein könnte. Doch irgendwie schließt sich nun der Kreis, was den derzeitigen Amtsinhaber anbelangt, zumal seine „Inthronisierung“, beim Frühstück von drei Parteivorsitzenden beschlossen, ebenfalls nichts mit Würde zu tun hatte, sondern ein schlichtes parteipolitisches Auskungeln war. Nun folgt sozusagen das würdelose Finale.
    Um ein Mindestmaß an würdigem Umgang mit dem Amt und der Person des Bundespräsidenten zu erreichen, müsste es aus dem ausschließlichen Zugriff der Politik und der Parteien herausgeholt werden, beispielsweise mit einer demokratischen Wahl durch das Volk. Das parteipolitische Gezänk spiegelt genau das wieder, worum es in Wahrheit geht: knallharte Partei-Interessen. Das Amt und auch die Person werden parteipolitisch instrumentalisiert, Das wird sich nie ändern, wenn sich nicht die ganze Struktur ändert. Deshalb bin ich dafür, dass keine klassischen Parteipolitiker für das Amt kandidieren, sondern Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben, die noch als Vorbilder wahrgenommen werden. Eine große (Aus-) Wahl gibt es dabei allerdings leider nicht mehr. Ich würde den derzeitigen Präsidenten des BVerfG, Hans-Jürgen Papier, oder auch seine Vorgängerin, Jutta Limbach, dazu zählen. Bei beiden wäre zumindest die Würde in guten Händen. Aber auch dann hätte ich meine Zweifel, ob sich die Politik zügeln könnte und das unsägliche Gezerre nicht doch wieder begänne. Obwohl es sicher eine Radikalkur wäre, es gibt eine Möglichkeit, das würdelose Treiben ein für alle mal zu beenden: Das Amt des Bundespräsidenten abschaffen!

  6. Erinnert sich eigentlich von all den CDU/CSU- und FDP-Leuchten jemand, wie Herr Köhler in sein Amt geschmuggelt wurde? Wie Merkel und Westerwelle, im Glauben an einen Sieg von Schwarz/Gelb bei der nächsten Bundestagswahl, Herrn Köhler in die politische Arena zauberten? Wenn dieser Vorgang damals etwas mit der Würde des Amtes zu tun hatte, dann dürfen all die Marktschreier dieser Parteien weiter ihre kopf- und haltlosen Ratschläge und Beiträge drucken lassen. Weil dem aber absolut nicht so ist, sollten sie um der Sache Willen einfach ihr Maul halten.

  7. Die gereizte Stimmung von CDU/CSU zeigt, dass die SPD mit Gesine Schwan einen treffsicheren Pfeil in ihrem Köcher hat. Denn von einer Bundespräsidentin, die Politik und Wirtschaft nicht nur abstrakt kritisiert, dürften starke Impulse für öffentliche Reform-Debatten ausgehen. Neue Ideen, die Deutschland weiter und eine PR-Bundeskanzlerin ohne Programm womöglich kräftig in die Bredouille brächten. Kein Wunder also, dass Merkels Parteifreunde mächtig Nerven zeigen!

  8. Die aktuellen Wahlergebnisse von Rot-Rot-Grün in Schleswig-Holstein lassen die Hoffnungen dieses Lagers munter sprießen. Wen wundert es, wenn Kurt Beck unter diesen Umständen Gesine Schwan ins Rennen schickt. Ihre Präsidentschaft wäre die ultimative Vorbereitung für einen langfristigen Machtwechsel in Berlin. Das ist einerseits nicht Besonderes, weil Politik schon immer der Kampf um Macht und Einfluss war. Dieses Gezerre wird nur dadurch zu einer Auseinandersetzung der Sonderklasse, weil sie ganz unmittelbar den Fortbestand der großen Koalition in Berlin gefährdet. Ein bisschen Hessen schimmert auch hier durch, weil hier wie dort die Roten nur über die Knallroten an die Macht kommen. Da soll keiner sagen, dass Politik eine langweilige Angelegenheit sei.[KÜRZEL]

  9. Angesichts leerer Kassen ist es höchste Zeit, das Amt des Bundespräsidenten in der bestehenden Form zur Diskussion zu stellen bzw. abzuschaffen. Ich empfehle das Schweizer Modell: jährliche Rotation des Bundespräsidenten von einem Bundestagsmitglied zum nächsten. Der Bundespräsident wäre dann ein Primus inter pares und könnte weiterhin mit vollem Nachdruck seine Meinung äußern, Silvesteransprachen inclusive. So könnte man einen Riesenapparat sparen, und die jeweiligen Bundespräsidenten wären ohnedies vorhanden. Auch bräuchte es kein Schloss mehr, und die Folgekosten (nach dem Ausscheiden: Büro, Sekretärin, Sicherheitsbeamten, Dienstautos etc.) entfallen auch.
    Dass Ex-Bundespräsidenten nichts Sinnvolles mehr zu sagen haben, hat unlängst einer mehr als hau„ruck“artig bewiesen

  10. Und wo liegt bei all dem der Sinn für uns „Das Volk“??
    Mein Vorschlag wär Helge Schneider .
    Neutral Inteligent und mit hoher Aussagekraft.

    will sagen,es gibt andere Probleme als die Altersversorgung des einen oder anderen Presidenten und Volksvertreter.

  11. Liebe Freunde und Freundinnen der FR, liebe Kommentatoren und lieber Herr Bronski,

    zuletzt sind zur Wiederwahl Köhlers in der FR zwei Kommentare (heute, 27.5 und Sonnabend, 24.5.) erschienen. Beide Kommentare haben eine Auszeichnung verdient, denn sie machen das deutlich, was uns auch bevorstehen könnte: Jamaika, das Lieblingskind aller sich modern gebenden Neoliberalen. Das wäre nun wirklich nichts anderes als die Fortsetzung von Köhlers „Reformen“ mit ein wenig Ziererei am Rande; zwei Sonnenkollektoren gegen die Abschaffung der Erbschaftssteuer. Kann es sein, dass hier die Wahl Köhlers als taktische Vorbereitung auf Jamaika auch bei Ihrem Kommentator positiv bewertet wird? Dann wäre der Kommentator eine Art Sprachrohr von Jamaika-Eliten, die von allem, was in diesem Lande wirklich notwendig und wichtig ist, nicht weniger weit entfernt sind als „Eliten“ ohne Grün? In Gießen, hier gibt es eine solche Jamaika-Koalition, haben die Grünen diese bejubelt als Koalition für die Bildungsbürger – eine schreckliche Vorstellung für den Bund.

    Wie kann man den Populisten Köhler – deshalb ist er ja so beliebt – in dieser Weise würdigen? Seit 2005, als man ihn „erfunden“ hat, hat sich nichts verändert; er bleibt der Mann der Neoliberalen. Daran ändert auch nicht sein vermeintlicher Mut, etwas gegen den neoliberalen Strich zu sagen; pflichtgemäß ein wenig Protest der neoliberalen „Eliten“ gegen seine wohl mit wenig Überzeugung vorgetragenen Mahnungen an die „Manager“ ist alles, was er zu ertragen hat; Frau Merkel will schließlich Kanzlerin in Schwarz-Gelb (Grün) werden, dafür muss man schon ein wenig äußeren Putz auftragen, denn im Elitelager weiß man am Ende ja auch noch, warum Merkel die Wahl 2005 verloren hat. Dies darf nicht wieder passieren; deshalb darf Köhler hin und wieder etwas Beruhigendes einstreuen. Also: hier wird die Realisierung des Parteiprogramms 2005 vorbereitet – dazu braucht man Köhler. Das Ergebnis zukünftiger Köhler-Westerwelle-Merkel – Reformen haben wir im Armutsbericht vor uns; wir haben es in einem unglaublichen Kaufkraftverlust unterer und mittlerer Einkommen vor uns und wir gehen sehenden Auges in einen Sozialstaat, der nur noch darin besteht, 1/3 der Bevölkerung vorm bloßen Verhungern zu schützen; des Rest des Geldes, das zur Verteilung ansteht, benötigt der Investor, für wen, brauche ich nicht zu sagen. Dass die SPD dabei war, macht es nicht besser. Aber jetzt sollte sie mit der Wahl von Frau Schwan dem ein Ende machen.

    Wo eigentlich bleibt der Einspruch der FR gegen die nur zu durchschaubaren Versuche der neoliberalen Eliten, die SPD die die Kommunistenecke zu stellen? Ich frage Sie einmal: wo ist denn die Alternative zur in der Zwischenzeit unerträglich gewordenen ökonomischen und politischen Elite diese Landes – der Elitebegriff ist vor dem Hintergrund der Ergebnisse dieser Politik natürlich ironisch gesetzt – wenn nicht in einem Bündnis, das doch wohl in der Bevölkerung auf um die 35 % Zustimmung kommt (12 % Linke und 23 % SPD-Wähler, die mindestens das alternative Projekt nicht scheuen würden). 35 %: dies ist keine marginale Ecke mehr. Das sollten wir auch einmal diskutieren: ist der Kapitalismus „naturwüchsig“ mit seiner Globalisierung, also alternativlos und kausal bestimmt quasi als Naturgesetz oder gewinnt öffentlichen Handeln wieder den Vorrang, der der Politik zusteht? Wenn also die „linke Ecke“ nicht die Alternative ist – darüber lässt sich ja reden, was dann? Denn: weiter so geht nicht.

    Polemisch? Nicht weniger als Ihre Kommentare – hier besteht die Polemik im Verschweigen.

    Dr. Hans-Ulrich Hauschild
    Gießen

  12. Nun gut. Ich hab diesen Kommentar an die Angesprochenen weitergeleitet. Außerdem wird er morgen auf der Bronski-Seite veröffentlicht.

    Jetzt interessiert mich eigentlich eher Inhaltliches. Kaum jemand bestreitet, dass Horst Köhler einer der obersten Interessenvertreter neoliberaler Institutionen war. Welche Entscheidungen, welche Fehlentscheidungen fallen in seine Zeit als Direktor des IWF?

    WEED ist das Kürzel für World Economy, Ecology and Development. Es handelt sich um einen eingetragenen Verein mit Büros und Berlin. Dieser Verein unterhält eine Website mit dem Titel „Horst Köhler … und der IWF„. Stichwort „Strukturanpassungsmaßnahmen„.

    „Weil verschuldete Entwicklungsländer“, heißt es auf dieser Seite, „auf Kredite der Finanzinstitutionen angewiesen sind, müssen sie wirtschaftspolitische Vorgaben von IWF und Weltbank akzeptieren. Dabei schaut der Fonds gar nicht erst nach der Erkrankung der Volkswirtschaft, sondern verabreicht in hohen Dosen seine Standardmedizin: Einschränkung der öffentlichen Ausgaben, Deregulierung der Märkte, Privatisierung von Staatsunternehmen und Konzentration auf Exportgüter. Der Staat soll sich möglichst weit aus der Wirtschaft zurückziehen und damit auch aus den sozialen Sicherungssystemen.“

    Das klasissche Muster des Neoliberalismus also, das auch in Deutschland Auswirkungen zeigt (Agenda 2010, Bahnprivatisierung u.v.m.).

    Weiter zitiert die Seite Horst Köhler aus einer Rede vor dem Bundestag (02. April 2001, hier dazu das Webarchiv des Deutschen Bundestages):

    „Meine Gesprächspartner in Afrika haben mir insbesondere bestätigt: Das neue Konzept zur Zusammenarbeit von IWF und Weltbank zur Unterstützung umfassender Länderstrategien zur Armutsbekämpfung beginnt Früchte zu tragen.“

    SAPRI steht für „Structural Adjustment Program Review Initiative“, eine Initiative von Weltbank (sic!) und Zivilgesellschaft, die (meines Wissens jährlich) einen Report vorlegt. Im Bericht von 2004 stand folgende erstaunliche Passage (ebenfalls zitiert nach weed):

    „“Ein Faktor hat mehr als jeder andere den Volkswirtschaften geschadet, Armut und Ungleichheit verstärkt und viele Millionen Menschen hungrig gemacht. Es ist dieses Bündel von Maßnahmen, die man Strukturanpassung nennt. […] Daraus ergibt sich die entschiedene Schlussfolgerung: wenn es irgendeine Hoffnung auf sinnvolle Entwicklung in den Ländern des Südens und für eine nachhaltige Reduzierung von Armut und Ungleichheit gibt, müssen die vom Westen inspirierte Doktrin der Strukturanpassung und die neoliberale Wirtschaftspolitik aufhören.“

    Niklas Reese analysiert auf der Attac-Seite „Welt im Privatisierungwahn“ den SAPRI-Report von 2002:

    „Der Zugang zu bezahlbaren und qualitativ hochwertigen Diensten und Versorgungsleistungen habe sich für die Gesellschaft im Ganzen nicht verbessert, die Preise seien jedoch überall gestiegen – so die Studie.
    Das Einkommen der meisten Menschen ist kaum, wenn überhaupt, gestiegen (…) Arbeitslosigkeit, Beschäftigungsunsicherheit und Arbeitsbelastung hätten dagegen zugenommen – und Frauen seien besonders davon betroffen.
    Oft seien Monopolsituationen entstanden, da schwache staatliche Regulierungsmechanismen die privatisierten Unternehmen nur unzureichend kontrollierten. Zudem gerieten strategisch bedeutsame Versorgungsleistungen unter ausländische Kontrolle. Denn nur die großen transnationalen Unternehmen hätten die notwendigen Investitionskapazitäten, Kapitalrücklagen, Technologie und Erfahrung, um große Staatsunternehmen zu übernehmen. Die Folge: „Die Bereitstellung von Versorgungsleistungen wie Strom, Wasser und Telekommunikation richtet sich dann nach ausländischen Kapitalinteressen – und nicht nach Bedürfnissen vor Ort“, so der SAPRI-Report.
    Nur da, wo Privatisierung zur Stärkung kleiner und mittelständischer Unternehmen geführt hat, könne von positiven Folgen die Rede sein. Diese positiven Folgen seien jedoch mehrheitlich nicht auf Privatisierungs- sondern auf Dezentralisierungs- und Regionalisierungseffekte zurückzuführen, da verbrauchernahe Unternehmen an die Stelle nationaler Versorgungsmoloche getreten sind. Die SAPRI-Studie kam zu dem Ergebnis, dass ‚Arbeitsproduktivität nicht von Besitzverhältnissen abhängt, sondern von einem effizienten Management‘. Profitorientierte Großunternehmen sind also nicht die Einzigen, die Effizienz gewährleisten können.“

    Interessante Beobachtung, dass solche Privatisierungen zu Monopolen geführt – Monopole sind genau das Gegenteil vom freien Spiel der Marktkräfte. Zumindest kann also eine Diskrepanz zwischen Köhlers Beobachtungen und dem SAPRI-Bericht feststellen.

    Vielleicht findet ihr mehr?

  13. http://www.attac.de/texte/ldg/privatisierung.php

    Was bedeutet „Privatisierung“?

    Privatisierung ist die Einführung gewinnorientierter Steuerung in Bereiche, die bisher an Kriterien des Gemeinwohls ausgerichtet waren. Privatisierung findet in verschiedenen Formen statt: als Überführung öffentlicher in private Unternehmen wie bei der Post, als private Bereitstellung bisher öffentlicher Dienstleistungen – etwa in der Bildung oder der Kultur – und als Übertragung sozialer Sicherung beispielsweise im Gesundheitswesen an private Finanzmärkte oder als Verwandlung von Teilen der Natur wie Wasser oder Genen in Privateigentum.

    Privatisierung wird in der Öffentlichkeit damit begründet, dass private, unter Konkurrenzdruck stehende Unternehmen effizienter arbeiteten als öffentliche Monopole. Tatsächlich führt Privatisierung aber oft dazu, dass öffentliche durch private Monopole ersetzt werden.

    Der Kern des Problems besteht darin, dass für das Verhalten privater Unternehmen nicht das öffentliche Interesse, sondern der einzelwirtschaftliche Gewinn entscheidend ist. Dies veranlasst sie immer wieder dazu, durch drastische Kostensenkungen Arbeitsplätze zu vernichten, Arbeitsbedingungen zu verschlechtern sowie die Qualität und Sicherheit der Versorgung zu vernachlässigen und zu versuchen, Marktanteile vor allem durch Werbung zu erobern. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass es außerordentlich schwierig ist, durch politische Kontrolle dafür zu sorgen, dass private Unternehmen Standards des öffentlichen Interesses einhalten.

    Privatisierung ist eine wesentliche Säule der neoliberalen Globalisierungsstrategie, die sich in den letzten beiden Jahrzehnten weltweit weitgehend durchgesetzt hat. Ihr ökonomischer Hintergrund ist die Suche nach profitablen Anlagen für privates Kapital. Sie zielt daher darauf ab, immer größere Bereiche der Gesellschaft für die private Gewinnmaximierung zu öffnen. Hierdurch werden diejenigen, die nicht genügend Geld haben, von wesentlichen öffentlichen Gütern ausgeschlossen. Das führt zu Entsolidarisierung und sozialer Polarisierung.

    Soziale Sicherheit, Bildung, Gesundheit, Kultur und andere Bereiche, die für das Funktionieren einer demokratischen und solidarischen Gesellschaft notwendig sind, sollten daher prinzipiell dem privaten Gewinnstreben entzogen und öffentlich organisiert und finanziert werden.

    JÖRG HUFFSCHMID

    Erschienen am 2.2.2004 in der taz

  14. Interessant ist ja der konstruierte Widerspruch zwischen „Gewinn“ und „Gemeinwohl“.

    Meines Wissens ist nirgendwo festgeschrieben, daß der Erfolg der „Privaten“, der sich im Profit niederschlägt, auch in deren Taschen landen muß.

  15. Ja, # 12, Dr. Hauschild, volle Zustimmung. Um sich des Geschwafels von Herrn Köhler mal klar zu werden, sollte man sich die Parodien des Kabarettisten Urban Priol antun – da wird Herr Köhler zur Kenntlichkeit entstellt.

    Aber mich widert das Bohai um diese Präsidenten-Wahl einfach an. Ändert sich da und dann was im Land? Wird irgendwas besser? Und selbst wenn Frau Schwan den Menschen, anders, ins Gewissen reden würde – wie ist das mit der, vornehm ausgedrückt, Beratungsresistenz? Es sind einfach nur parteitaktische Spielchen, und die Personen werden letzendlich instrumentalisiert. Keiner auf dem Präsidentenstuhl traut sich doch zu sagen, was Sache ist, weil keiner, der im Entferntesten in diesen Verdacht geriete, was Entscheidentes zu sagen, überhaupt auf diesen Stuhl gehievt würde.

    Verschont uns vor diesen Pfeifen, und spart lieber das Geld, und spendiert es an der nächsten Pommes-Bude den Langzeit-Arbeitslosen.

  16. sag ich doch: Helge Schneider 🙂
    würde zumindes Aufmerksamkeit bei der Jungend wecken!!

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