Das Votum der Wähler mit Füßen getreten

Koalitionstechnisch geht es derzeit rund auf Länderebene. Im Saarland und in Thüringen kommen die erwarteten Bündnisse nicht zustande. Christoph Matschie will lieber mit der CDU; er sieht sich durch einen Mitgliederentscheid gebunden, der sagte: Regieren mit der Linken – ja; unter einem linken Ministerpräsidenten: nein. Und im Saarland ist der Grüne Hubert Ulrich Königsmacher für den bisherigen CDU-Ministerpräsidenten Peter Müller. Dort soll es nach dem Willen der Grünen die erste Jamaika-Koalition aus Schwarz, Gelb und Grün geben. Grund für diese unerwarteten Entwicklungen: Es stimmte auf der persönlichen Ebene nicht. Da können die Wahlprogramme offenbar noch so ähnlich sein. Matschie kann nicht mit Ramelow, Ulrich nicht mit Lafontaine. Schwer vorstellbar ist tatsächlich, dass der charismatische Lafontaine, der ja gern auch mal poltert, sich ohne weiteres in die Landespolitik eingegliedert hätte. Denn dort möchte er gern mitmischen und hat darum seinen Fraktionsvorsitz der Linken im Bundestag aufgegeben. Seine Rückkehr an die Saar habe die Grünen in die Arme von CDU und FDP getrieben, schrieb die FR.

Die FR-Leserinnen und -Leser erregt vor allem der Schwenk der Grünen zu Schwarz-Gelb. Dazu meint Jens Martin aus Osnabrück:

„Die Grünen sind keine linke Partei mehr. Sie verabschieden sich in die Rolle, die in den 70er und 80er Jahren die FDP hatte. Das kann komfortabel sein, weil die Grünen dann häufiger auf der Regierungsbank sitzen.  Doch einen Weg verstellt sich die Partei mit der Entscheidung an der Saar: denjenigen, in Berlin eine glaubwürdige Opposition zu vertreten. Der Zuschlag fürs Saar-Jamaika wird die Grünen in Berlin zahmer werden lassen. Bleiben also SPD und Linke. Die Linke hat mit ihrem 10-Punkte-Programm aktuell ihre Rolle des „Regierung – nicht mit uns!“ festgezurrt und bleibt damit eine teilweise Protestpartei. Bleibt also nur noch die SPD, die sich mit der Selbst-Erneuerung befasst. Diese Einzelstellung bedeutet eine Chance für die Zukunft der SPD.  Diese Chance zu nutzen, wird die Hauptaufgabe der SPD sein.“

Wolfgang Brandner aus Gaiberg:

„Ein Großteil der Wähler der Grünen will den politischen Wechsel, nicht die Zementierung der Machtverhältnisse. Mit der Entscheidung im Saarland begeben sich die Grünen auf die gleiche Abwärtsspirale, auf die sich die SPD vor zwei Jahren in Hessen begab (und mit der Entscheidung in Sachsen fortsetzte) – mit Machtpolitikern an der Spitze, die unfähig und unwillig sind, den vom Wähler gewollten politischen Wechsel herbeizuführen, wird sich ein Teil der Wählerschaft von den Grünen abwenden und der Linken und der Piratenpartei als einzigen noch existierenden Bürgerrechtsparteien zuwenden.“

Gunther Schirmer aus Leipzig:

„Ob und wie lange diese Konstellation klappen wird, sei dahingestellt. Versuchen muss man es. Aber das eigentliche Highlight ist die Ohrfeige für Lafontaine. So verzockt hat sich selten ein Politiker. In der Überzeugung, im Saarland den großen Zampano spielen zu können. Und nun das! Weder in Berlin noch in Saarbrücken wird er noch gebraucht. Im Gegenteil. Durch seinen angekündigten Weggang aus Berlin sieht sich die SPD auf einmal auf linkem Freundschaftskurs. Die Begründung, dass das größte und einzige Hindernis nun weg ist, muss Lafontaine doch ins Mark treffen. Aber eines hat er auf seinem Rachefeldzug gegen die SPD erreicht: Die Sozis sind sowas von kaputt, die können froh sein, wenn ihnen die SED-Nachfolger Asyl gewähren. Welch eine Dramaturgie!“

Dirk Reichel aus Dortmund:

„Zu Ihrem Aufmacher auf der ersten Seite vom Montag fehlen mir wirklich die Worte. Sie schreiben: „Der Chef der Linkspartei hat Rot-Rot-Grün an der Saar verhindert.“ Hat er, er ganz persönlich, das wirklich geschafft? Wenn es so wäre, dann ist es um die politische Willensbildung bei den etablierten Parteien schlecht bestellt. Während die Linke in den Bundesländern bemüht ist, die politische Auseinandersetzung wieder auf Sachthemen zurück zu führen und das eigene Personaltableau hintan stellt – siehe Thüringen und Brandenburg –, ignorieren SPD und Grüne den Wählerwillen zum Wechsel ausdrücklich. Und das nicht etwa aufgrund politischer Meinungsverschiedenheiten, denn zum Beispiel die Grünen sind ja politisch durchaus wandlungsfähig, wie die  Hamburger Grünen bewiesen haben. Politische Entscheidungen werden also nun aufgrund persönlicher Animositäten gefällt. Herr Matschie kann nicht mit diesem und Herr Ulrich  nicht mit jenem Politiker, darum wirft man sich nun in die Arme der CDU, die man im Wahlkampf bekämpft hat und abwählen wollte. Was sagte die Linke noch im Wahlkampf? ‚Wer grün wählt, wird sich schwarz ärgern!'“

Renate Scheer aus Darmstadt:

„Mit Empörung habe ich zur Kenntnis genommen, dass die Grünen im Saarland mit CDU und FDP ein Bündnis eingehen, d. h. mit den beiden Parteien, die im Wahlkampf mit riesigen Plakaten „Schwarz-Gelb – Nein Danke“ bekämpft wurden.
Schwarz-Gelb steht für Inhalte, die im absoluten Widerspruch zu den Leitlinien der Grünen stehen: Weitere Nutzung der Atomkraft mit den damit einhergehenden Verlängerungen der Laufzeiten,  Lockerung der Gentechnikgesetzgebung und Ausweitung des Einsatzes von Gentechnik, um nur zwei entscheidende Punkte herauszustellen. In Berlin haben Tausende von Menschen für den Ausstieg aus der Atomkraft demonstriert (auch ich). Viele dieser Demonstranten sind vermutlich Wähler der Grünen. All diese Menschen, die Zeit, Kraft und Geld investiert haben, um an solchen Demonstrationen teilzunehmen, müssen sich betrogen fühlen, wenn im Saarland die Grünen jetzt ausgerechnet mit den Parteien koalieren, die das Gegenteil dessen vertreten, wofür die Demonstranten auf die Straße gegangen sind. Die jetzigen Zugeständnisse der saarländischen CDU sind doch nichts als Köder, das wird sich schnell genug herausstellen.
Dass die Bundesgrünen für eine solche Entscheidung Verständnis zeigen, übersteigt mein Verständnis. Richtiger wäre es gewesen, Hubert Ulrich klarzumachen, dass seine Entscheidung nicht nur eine Landesentscheidung ist, sondern die Grünen bundesweit in Misskredit bringt. Die Grünen haben im Saarland das Votum der Wähler mit Füßen getreten.
Ich wähle seit vielen Jahren die Grünen, manchmal mit Bauchschmerzen, aber ich werde mir sehr genau überlegen, ob ich künftig noch grün wählen werde, muss ich doch damit rechnen, dass sie Parteien zur Macht verhelfen, die für mich indiskutabel sind.“

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15 Kommentare zu “Das Votum der Wähler mit Füßen getreten

  1. Der Herr Plaßmann, Karikaturist der FR, hat es vorausgesehen. Seine Zeichnung zeigt die Wahl-Zukunft, damit niemand mehr hintergangen wird.

    Plaßmanns Welt

    Der Mann ist einfach nur gut.

  2. Wenn es stimmt das die Grünen im Saarland ihr Programm zun großen Teil durchsetzen konnten, dann ist es für mich nachvollziehbar das sie diese Koalition eingehen.Es kommt eh nicht darauf an wer regiert sondern darauf was getan wird.

  3. Da haben Sie recht.

    Ich überlege ja auch, wie wer auf solche Analysen des Betruges kommt.

    Ich nehme mal mich. Ich wähle eine Partei wegen diesem, jenem und dem anderem. Die haben gesagt was soll, und das sollen die auch machen. Mit wem sie das hinbekommen ist mir egal, solange es nicht die NPD ist. Da würde ich sogar Lafontaine akzeptieren, auch ein Roland Koch. Die von mir Gewählten würde zwar einen virtuellen Vogel gezeigt bekommen, aber gut, sie müssen es ja wissen. Dann muß ich nur darauf schauen, ob das auch umgesetzt oder zumindest ein paar Schritte dahin unternommen wird.

    Was da mit den Grünen im Saarland war, weiß ich nun nicht so genau. Wenn Lafontaine auf die im Wahlkampf eigekloppt hat, er dann aus dem nichts zurückkommt, kann man nachsehen, daß sie nicht unbedingt mit dem wollen. In Hessen haben sie das vorher gesagt, mit Roland Koch nicht. Irgendwo gibt es auch Grenzen.

  4. Für mich ist das Wahlprogramm einer Partei nicht so wichtig. Natürlich gibt es Punkte die wichtig sind, aber im Endeffekt passiert in einer Legislaturperiode doch viel mehr als die 10 Punkte, die im Wahlprogramm stehen.
    Und besonders bei unvorhersehbaren Ereignissen, wie der Wirtschaftskrise möchte ich eine Partei an der Macht wissen, bei der ich mich halbwegs darauf verlassen kann, dass nicht mit neuen Schulden nur bis über die Wahl gehievt wird, sondern dass ökologische und nachhaltige und gerechte Lösungen gefunden werden.

    Für mich ist es kein Problem, wenn die Grünen eine Koalition mit der CDU eingehen, um wenigstens einen Teil der Ziele durchsetzten zu können. Lieber ein Kompromiss, als eine Neuwahl bei der dann doch wieder Schwarz-Gelb rauskommt.

  5. zu@4
    An was soll man denn eine Partei erkennen die in Zukunft wahrscheinlich vernünftig handelt?
    Mir fällt dazu nur das Wahl und Parteiprogramm ein.

  6. Das ist durchaus ein Problem.
    Natürlich kann man dazu in das Wahlprogramm schauen. Aber genauso wichtig ist es die Vergangenheit einer Partei zu beleuchten. Wenn mir Guido Westerwelle erzählen will, dass er die Ungerechtigkeiten im Sozialstaat ausbügeln will, dann glaub ich nicht, dass er die selben Ungerechtigkeiten meint wie ich. ( http://www.firmenpresse.de/pressinfo116313.html )

  7. Warten wir einfach mal ab, was die Grü+nen im Saarland so durchsetzen werden. Was in der Koalitionsvereinbarung steht, muss dann erstmal gegen die beiden anderen Koalitionspartner durchgesetzt werden. Und darin sehe ich ein Problem der Entscheidung von Ullrich. Der eigentliche WEitz ist das Zugeständnis den Grünen bei drei Abgeordneten zwei Ministerposten zuzugestehen. Wievile wird denn dann die ?DP beansprucne? Und wievile Mionisterposten neben dem Ministerpräsidenten bleiben dann noch der ?DU? Glaubt denn wirklich wer, dass die Grünen da nicht anders behandelt werden weie der sprichwörtlich Appendix?

  8. Hallo,
    also ich bin es langsam leid über das saarland zu diskutieren, letztlich bleibt es ein kleines, kleines bundesland.
    trotzdem: wenn viel grün bei rauskommt, warum nicht jamaika? immer noch besser als mit lafontaine, der zum stimmenfang im osten ausländerfeindliche ressentiments bedient mit „fremdarbeiter nehmen deutschen familienvätern die arbeit weg“. dagegen ist müller ja fast schon nen netter typ.
    ich kann nicht verstehen, dass viele das einfach ignorieren. ich halte das auch für modischen chi-chi in der links-alternativen szene. und dass die cdu nicht im amt bestätigt werden kann, weil sie der wahlverlierer ist, warum dann die SPD mit heiko maas? die hatten ja noch mehr stimmenverluste?
    schade, dass linke ideen mal wieder von kleinkarierten spießbürgern vertreten werden, die trotz der falschen ergebnisse im letzten jahrhundert immer noch nicht verstanden haben, dass man den sozialismus nicht ohne freiheit denken kann.
    gruß

  9. Da mit den Koalitionen ist so eine Sache: Da hat eine Partei in ihrem Namen die Freiheit. Freiheit aber beinhaltet auch Gerechtigkeit. Im Geltungsbereich einer Koalition, an der diese partei beteiligt ist, giobt es einen Skandal an der eine Person beteiligt ist, die auf Betreiben des Koalitionspartners in eine Position gekommen ist, in der diese Person glaubt unantastbar zu sein. So etwas muss eine Partei, die Gerechtigkeit auf ihre Fahnen geschrieben hat, unterbinden, es sei denn sie unterstützt diese Person. Dann ist die Partei aber nicht mehr als „frei“ zu bezeichnen. Aus diesem Grunde kürze ich diese Partei auch schon länger mit dem ? ab.

  10. Die Mehrheitsbeschaffer unter den Koalitionären treibt nur eines um: Wo bekomme ich (und damit meine ich die jeweiligen Parteichefs) den mir genehmen Job am ehesten. Alles andere ist völlig nebensächlich. Matschie ist lieber stellvertretender MP in einer schwarz-roten Regierung als gar nichts unter Rot-Rot-Grün. Gleiches gilt für für den Grünenchef im Saarland. Erst wenn Parteien rechtlich gezwungen werden, vor der Wahl eine verbindliche Koalitionsaussage zu machen, wird sich das ändern. Aber davon träume ich wohl…

  11. Was ist Glaubwürdigkeit und was ist Wählerwillen beides muss bei Machtgelüsten offensichtlich ganz hinten anstehen!. Im Bundestagswahlkampf in ganz Deutschland plakatiert „Schwarz-Gelb nein danke!“. Die Rechnung wird es Spätestens bei den nächsten Wählen geben. Meine Stimme „Nein Danke“

  12. zu@14
    Das bingt uns aber auch nicht weiter. Im Gegenteil kleine aber gut organisierte Gruppen (zB. Bauernverband) gewinnen dann an Einfluß. Für wen das gut ist muß jeder selbst entscheiden.

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