Der Bumerang kommt zurück nach Europa

Das Phänomen des islamischen Fundamentalismus‘ werden wir wohl so schnell nicht wieder loswerden. Es existiert ja nun auch schon seit bald einem Jahrhundert, seit der Gründung der Muslimbruderschaft m Ägypten der 1920er Jahre. Wann ist es uns eigentlich so richtig bewusst geworden? Mit 9/11? Mit der Entführung der „Landshut“? Das wäre mal wichtig festzustellen. Ebenso wichtig aber erscheint es mir, die Ursachen für den islamischen Fundamentalismus zu erkennen. FR-Leser Johannes Seiler aus Minden versucht einen Beitrag zu dieser Frage.

Der Bumerang kommt zurück nach Europa

Gastbeitrag von  Johannes Seiler

Ich erinnere mich noch gut an meinen Geschichtsunterricht in den 60er Jahren am altsprachlichen Gymnasium: Das Mittelalter glich da einem Abenteuerroman, in dem tapfere, Witwen und Waisen schützende Ritter zwischen Jerusalem und Köln hin und her ritten, um zu helfen und einen heiligen Krieg gegen die fanatischen Mauren zu führen.
Kein Wort damals über das kulturelle Leben in den Kalifaten von Cordoba und Granada, in dem Christen und Juden in einem durch Gesetze geregelten gesellschaftlichen Rahmen weiter ihrem eigenen Glauben nachgehen durften. Kein Wort über die wissenschaftliche, nautische und architektonische Fortschritte, die dort vorangetrieben wurden, während in Aachen der kleine fränkische König nicht einmal lesen und schreiben konnte, von Wasserkultur ganz zu schweigen. Kein Wort über die Nachfahren der Konquistadoren, die in Südamerika selbst die eigenen Leute (Jesuiten diesmal) samt den friedlichen Guarani niedermetzelten, weil sie zwischen die Interessenfronten des spanischen und portugiesischen Königshauses geraten waren.

Nur von schönen Fortschritten, die die Europäer auch in der sogenannten „Neuen Welt“ erzwangen, wurde da wortreich und mit schönem Weihrauchduft geredet. Kein Wort über das Massaker der Spanier in Manila, als doch tatsächlich die chinesischen Tagelöhner (rund 40 000 Menschen, die in erbärmlichen Hütten vor der befestigten Stadt leben mussten), ein paar Cents mehr zu fordern wagten. Da fackelten die christlichen Europäer nicht lange.

Was uns Schülern sonst noch alles nicht erzählt wurde über die weltweiten Gewalttaten der Europäer, würde hier eine zu lange und auch wirklich deprimierende Liste füllen. Leider hatten die Westler damals noch nicht die Fotographie erfunden, sonst gäbe es sicher in irgendeinem abseitigen Archiv auch Bilderserien über die Massenhinrichtungen der Ureinwohner in der Karibik, wenn sie sich nicht taufen lassen wollten, damals.

Als wir dann in der Oberstufe im Geschichtsunterricht tatsächlich bis ins 20. Jahrhundert vordrangen, war aber nach der Weltwirtschaftkrise von 1929 kaum mehr Zeit, ausführlicher über die folgenden Jahre zu berichten. Nun ja. Zum Glück war der Tenor ja ausgesprochen positiv, denn nach den Weltkriegen wandelte sich doch – erst Westeuropa, später dann auch Osteuropa – zu einem demokratischen und friedliebenden Kontinent, der mit dem Zauberwort „Entwicklungshilfe“ die jungen Nationen in Afrika, Asien und Südamerika unterstützen wollte. Kein Wort über die Folgen von Manifest Destiny, kein Diskurs über die Arroganz der weißen Rasse in den letzten fünfhundert Jahren, wohl aber das Bild vom säkularen Samariter, der fast schon an einem Helfersyndrom zu laborieren scheint.

Das ist die Falle oder der Bumerang, der nun zu uns Europäern zurückkommt: Die Welt sollte dankbar sein (vor allem all die Flüchtlinge weltweit!), dass die industrialisierten und durchdemokratisierten Länder des Westens nicht nur das know-how haben, sondern auch den nachhaltigen Willen zu helfen, zu helfen, zu helfen.

Und nun kommt er zurück – gewalttätig, menschenverachtend, sadistisch, teuflisch und isisch, landauf, landab. Aber nicht nur das leckt an unseren so wohl bestellten Gestaden, nein, ein noch viel nachhaltiger wirkender Effekt kommt mit all dem zu uns zurück: Wir erkennen nicht nur nicht die Handschrift dieser gewaltigen Welle, nein, wir sind gleichzeitig auf dem besten Wege, das Gesetz des Handelns aus der Hand zu geben, weil wir unsere Kinder zu Lemmingen der Zauberapparate machen, die sie zu bloßen Spielern und Genießern machen wollen und die schon mehr über uns und unsere geheimen Wünsche wissen, als wir als scheinbar selbstständige Individuen zuzugeben bereit wären.

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20 Kommentare zu “Der Bumerang kommt zurück nach Europa

  1. Zum Gastbeitrag:

    Der letzte Absatz dieses Schreibens ist reichlich kryptisch, was will uns der Autor mitteilen?
    Einerseits eingangs der friedliche Islam in Spanien, der in der Schule sehr wohl auch in den 60ern gelehrt wurde, und dann der Bumerang des „isischen“ Islams, bis hin zu den „Zauberapparaten“ und „Lemmigen“.
    Da ist ein großer Bogen ohne erkennbare Zusammenhänge gespannt worden.
    Oder ist mein kleines Gehirn überfordert?

  2. Ein merkwürdiger Beitrag. Danach habe Europa den (religiösen) Fundamentalismus hinaus in die Welt gesandt und erlebe nun, daß er in Form des islamischen Fundamentalismus wie ein Bumerang auf seinen Erfinder zurückschlägt. Es trifft also den Richtigen, will der Autor wohl sagen. 500 Jahre „Arroganz der weißen Rasse“ werden nun konsequent abgestraft. Und macht sich über ein Helfersyndrom lustig, daß den Urheber erfaßt habe. Jedoch entgleite ihm die Kontrolle, über sein Handeln selbst zu bstimmen, denn er versackt nun in der digitalen Welt.

    Hat sich der Autor schon von dem schlechten Schulunterricht seiner früheren Jahre erholt ? Wohl kaum.

  3. Ich stimme der Einschätzung des Gastbeitrags von Johannes Seiler durch runB und V.Grebe völlig zu. „Kryptisch“ erscheint mir dabei nicht nur der letzte Absatz. In der Tat scheint Herr Seiler zu glauben, zu einer welthistorischen Gesamteinschätzung auf der Grundlage von völlig ungeprüften Vormeinungen und Pauschalisierungen befähigt und berechtigt zu sein. Nun mag vielleicht sein Geschichtsunterricht durchaus ideologisch gefärbt und insgesamt eine Katastrophe gewesen sein. Das nun einfach ins Gegenteil zu drehen macht die Sache freilich nicht besser und fundierter.
    Da wird pauschalisierend in „wir“-Form von „uns Europäern“ gesprochen – als ob es nie Widersprüche, Klassengegensätze, Kriege zwischen europäischen Nationen gegeben hätte. Da wird Mythisierung im Schulunterricht durch eigene Mythisierung, etwa des Kalifats von Cordoba ersetzt. (Dabei ergäben schon Recherchen bei Wikipedia, etwa über die Spannungen und Diadochenkämpfe der Amiriden, ein etwas anderes Bild.) Da werden demokratische Errungenschaften in perfider Weise als „durchdemokratisiert“ ironisiert und abgewertet. Und da werden hinkende Bilder vom „Bumerang“ und den „Lemmingen“ bemüht, die zum Selbstzweck werden und eine historische Perspektive vortäuschen sollen, die mangels Konsistenz sonst nirgendwo erkennbar ist.
    Ein Urteil aus historischer Sicht über ein solches Elaborat lässt sich leicht fällen: Es erscheint als Dokument der Selbstüberhebung. Das mag – analog zu katholischen Beichtritualen – der Abwehr eigenen schlechten Gewissens dienen, indem alles Übel auf eine „wir“-Gruppe projiziert wird (der man sich, in moralischer Selbstüberhöhung, selbst nicht angehörig fühlt). Der Erkenntniswert aber ist null.
    Weit schwieriger dagegen eine andere Frage: Denn mit der oben aufgezeigten, mehr als problematischen Methodik des Umgangs mit Geschichte und Gegenwart steht Herr Seiler nicht allein. Wie sich etwa an der EU- oder Ukraine-Debatte zeigen lässt, schießen die selbst ernannten „Ideologiekritiker“ nur so aus dem Boden, welche „westliche Ideologie“ mit einer dem Bauchgefühl entwachsene Gegenideologie „entlarven“ zu können meinen. Sich mit diesem Phänomen zu befassen, es auf seine Genese zurückzuverfolgen und zu erklären suchen – das lohnt wohl eher eine Blog-Diskussion.

  4. Für mich gibt es ein Kardinal-Problem mit allen Religionen, und irgendwelchen -ismen, auch wenn diese, zumindest vordergründig, scheinbar nichts mit Religion am Hut haben. Ich würde eher die Gemeinsamkeiten sehen. Egal jetzt, ob Kommunismus, Faschismus, Katholizismus und Islamismus (in ihrer dogmatischen Form und Ausprägung) – allen ist, vereinfacht gesagt, gemeinsam, daß in diesen Nachdenken, informieren, abwägen, im besten „liberalen“ Sinne den anderen „sein lassen“ abgeschafft wurde und wird. Das Ausschließliche wird postuliert, andere Gedanken sind tabu, sündig, gemeingefährlich, die Ordnung zerstörend. Der „Nächste“ wird nur noch geliebt, wenn er der eigenen Meinung ist.

    Die Prägungen erfolgen zunächst in der Familie, dann in Schule und Gesellschaft. Herrscht dort mehr als Duldsamkeit, also Toleranz hin zum Verständnis, hat die Radikalisierung wenig Chancen. Verstärkend kommt immer hinzu: ist man (oder vermeint zu sein) auf der Gewinner- oder Verlierer-Seite. Ein Gewinner braucht sich nicht zu überhöhen, er ist schon oben, oder zumindest auf dem Weg. Für einen Verlierer gibt es dann nur die Möglichkeit, sich mit anderen Verlierern zusammen zu tun, aus der vermeintlich starken Gemeinschaft dann irgendeine vermeintliche Kraft zu schöpfen und sich dadurch doch irgendwie zum Gewinner zu stilisieren. Natürlich sind auch immer „die Anderen“ schuldig, an meiner Misere, an meinem Abstieg, oder verhindertem Aufstieg. Und sich in der Gemeinschaft dann zu bestärken, gibt Kraft, Mut, und das Gefühl, doch irgendwie auf der richtigen Straße zu sein.

    Wenn alle gottlos sind, hebe ich mich durch meine Gläubigkeit empor. Wenn alle Alkohol trinken oder leicht bekleidet flanieren, bin ich anders durch meine Abstinenz und Verhüllung. Und wenn mir auf Erden kein Paradies mehr winkt, verlege ich dieses eben in die Dimension nach meiner Auferstehung. Ich kann dumm sein wie Bohnenstroh, häßlich wie ein Betonmischer, arm wie eine Kirchenmaus – den 72 Jungfrauen ist das egal, sie werden mich ewig lieben und mir dienstbar sein.

    Ich habe eine inzwischen 86jährige Tante, eine Schönstätter Marienschwester. Früher durchaus liberal, inzwischen Fundamentalistin. Alles, was am Dogma nagen könnte, wohl auch der neue Franziskus, ist sündig. Sie würde gut zu den IS-Leuten passen.

    Und noch eine Vermutung, auf die Gefahr hin, von der falschen Seite Beifall zu erhalten. Ich las die Tage von einer 22jährigen Syrerin, hochschwanger und mit 3 kleinen Kindern auf der Flucht in die Türkei. Da ist meine Frage: wird möglicherweise doch einmal darüber nachgedacht, vor der Zeugung, welche Chancen diese Kinder haben werden? Und verstärken sich die Probleme zwischen den Gemeinschaften, nicht nur Religionsgemeinschaften, womöglich nicht dadurch, daß alle sich vermehrend immer stärker, öfter, und gewaltsamer die Plätze um Futtertröge und Ressourcen streitig machen. Wir erleben dies in Europa ja auch, wenn auch – noch – in abgeschwächter Form. Immer mehr Superreiche, denen es aber schnurz ist, wenn sie mit und durch ihren Reichtum immer mehr Superarme produzieren.

    Ich freue mich auf Kommentare.

  5. Zu Johannes Seiler und dem friedfertigem Islam:

    Nur ein paar Zahlen zur Geschichte Europas

    Belagerung von Konstantinopel (Byzanz) 717 – 718
    Tours und Poitiers 732
    Fall von Konstantinopel 1453
    Lepanto Seeschlacht 1571
    Erste Belagerung Wiens 1529
    Zweite Belagerung Wiens 1683

    Die Geschichte Europas verlief nicht friedlich und der Islam, repräsentiert durch die Mauren und Osmanen, war keineswegs friedfertig.

    Der Bumerang eines fundamentalistischen Islams hat uns schon längst erreicht, bedingt u. a. durch eine zunehmende Militanz des Islams, durch Zuwanderung, durch Flüchtlinge, Asylbewerber und Gastarbeiter. Die jüngsten Auseinandersetzungen in Celle und Hamburg sind ein Beleg hierfür.
    Es steht außer Frage, dass die große Mehrheit der Flüchtlinge, Asylbewerber und Gastarbeiter friedlich ist und den Schutz des deutschen Staates zu schätzen weiß.
    Aber es genügen einige hundert gewaltbereite Leute, die einen Stellvertreterkrieg zu führen bereit sind, unser Gemeinwesen grundlegend zu erschüttern.

    Es bedarf keiner besonderen Hellsichtigkeit, zu erahnen, welche Probleme auf Deutschland zukommen werden, wenn die Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber weiterhin so rasch ansteigen wird. In diesem Jahr angeblich 200.000 und im kommenden Jahr 300.000

    Eine entsprechende Reaktion in der Bevölkerung wird nicht lange auf sich warten lassen, vor allem vor dem Hintergrund mangelnder Bereitschaft anderer europäischer Staaten, sich angemessen an der Aufnahme dieser Menschen zu beteiligen.

    In Schweden hat bereits latent eine Diskussion über die anfallenden Kosten dieser Politik begonnen. Mit der Unterbringung alleine ist es nicht getan, da kommt u.a. noch eine kostenlose medizinische Versorgung hinzu. Das muss man der eigenen Bevölkerung, die nicht nur die eigene medizische Versorgung, sondern auch die der Anderen zu bezahlen hat, noch schmackhaft machen. Auch stellen die Asylbewerber in Schweden Ansprüche an die Unterküfte und weigern sich, außerhalb von größeren Städten und Ortschaften untergebracht zu werden.

    Man darf gespannt sein, wie sich das alles – sowohl in Schweden als auch in Deutschland – noch entwickeln wird.

    zu # 4 W. Fladung
    Ihrer 86 jährigen „fundamentalistischen Tante“ traue ich jedoch nicht zu, dass sie einen „Ungläubigen“ köpfen würde. Oder irre ich mich da? Ich glaube nicht.

  6. Lieber Wolfgang Fladung, (#4)
    ich kann zwar den Zusammenhang Ihres Beitrags mit dem Thema nicht so richtig erkennen. Eine Bemerkung erscheint mir dennoch bedenkenswert:
    „Wenn alle gottlos sind, hebe ich mich durch meine Gläubigkeit empor. Wenn alle Alkohol trinken oder leicht bekleidet flanieren, bin ich anders durch meine Abstinenz und Verhüllung. Und wenn mir auf Erden kein Paradies mehr winkt, verlege ich dieses eben in die Dimension nach meiner Auferstehung.“
    Ich glaube, das ist eine richtige Beschreibung einer in Selbstkritik gekleideten Pauschalkritik, die in Wirklichkeit nur der Abgrenzung von anderen dient. Herr Seiler exerziert das im Gastbeitrag ja vor, indem er ständig von „wir“ spricht, in Wirklichkeit aber „ihr“ meint, da er sich dem Sinn nach ja selbst aus der Kritik ausschließt. Mag sein, dass ein solches Abgrenzungsbedürfnis auch bei fundamentalistischen Tendenzen eine gewisse Rolle spielt. Sich selbst von der „Masse“ abzuheben – wenn auch nur rein rhetorisch – hebt das Selbstbewusstsein (für jemanden, der das braucht). Freilich nur, wenn (ein Widerspruch) zugleich der Applaus einer gleichgesinnten Masse hinzukommt: Man ist gewissermaßen in konformistischer Weise non-konformistisch. Ob das allerdings ausreicht, um fundamentalistische Tendenzen zu erklären, möchte ich bezweifeln.
    Einen Teilansatz stellen sicher auch Ihre Bemerkungen über religiöse Einstellungen dar, obwohl mir diese deutlich zu pauschalisierend erscheinen. Es gibt ja auch die Beispiele, wo religiöse Überzeugungen erst die Kraft gaben, das Alleinsein auszuhalten, das mit einer mutigen Tat verbunden ist. So etwa bei Widerstandskämpfern der Weißen Rose oder dem Hitler-Attentäter Elsner.
    Richtig dürfte sein, dass das dogmatische Verständnis von Religion Rechtfertigung für Gräueltaten liefern kann: Es relativiert diese durch einen vermeintlich „höheren“ Sinn. Wobei aber Religion im Sinn einer pervertierenden „Ideologie“ zu verstehen ist. So etwa bei Goebbels oder Himmler beim Verständnis des Holocausts als vermeintlichem „Dienst an der Menschheit“ (Himmler: „…dabei anständig geblieben zu sein“, Goebbels: „Spätere Generationen werden uns dankbar sein.“)
    Rechtfertigungen, um sein Bedürfnis nach Grausamkeit austoben zu können, liefern aber auch andere Systeme. So etwa ist Henker in den USA ein sehr gefragter Beruf: Er erlaubt zu töten, und das mit bestem Gewissen, im Dienst der „Gerechtigkeit“. Sicher ein ähnlicher Zusammenhang wie bei den „72 Jungfrauen“.
    Freilich sollte gerade das Anlass sein, solche Systeme kritisch zu hinterfragen. Etwa: Wie lässt sich denn Todesstrafe mit „Gerechtigkeit“ vereinbaren? Oder: Welche Elemente der „Heiligen Schrift“, des Koran, oder welche Traditionen erlauben solch fundamentalistische Interpretationen? Etwa unhistorisches Verständnis, vermeintliche Unantastbarkeit u.a..
    Sehr vorsichtig sollte man m.E. mit der Ursachenforschung bei „Prägungen durch die Familie“ sein. Über Leid, auch Verzweiflung von Familien, die etwa Selbstmordattentäter hervorbringen, sollte man nicht leichtfertig hinweggehen. Auch z.B. RAF-Terroristen liefern Gegenbeispiele.
    Insgesamt halte ich alle bekannt gewordenen Erklärungsversuche etwa für die Motivation von IS-Kämpfern für unzureichend. Man wird wohl einem ganzen Bündel von Ursachen nachgehen müssen, um befriedigende Erklärungen zu liefern, auf denen sich Gegenstrategien aufbauen ließen.
    Im Zentrum müsste m.E. dabei stehen, woher denn das Bedürfnis nach Grausamkeit kommt, wie man es bei IS-Kämpfern sieht, aber auch bei denen, die sich davon angesprochen fühlen. Ich glaube nicht, dass dies vorrangig mit Benachteiligung oder „Verlierern“ zu tun hat. Das sind eher Schutzbehauptungen. Viele Selbstmordattentäter erschienen davor bestens integriert. Eher dürfte hier ein Überdruss an der Gesellschaft eine Rolle spielen, vergleichbar etwa dem, der unsere Urur-Großväter dazu brachte, mit Jubel in den ersten Weltkrieg als vermeintlicher „Reinigung“ zu ziehen.
    Deshalb halte ich auch die Pauschalkritiken, etwa an der EU, die solchen Überdruss zum Ausdruck bringen, für so gefährlich: Sie führen dazu, sich selbst in Wahnideen hineinzusteigern.

  7. zu # 6 Werner Engelmann bezüglich Motivation der IS-Kämpfer

    Hierzu ein Zitat aus einem Interview mit Nihad Latif Kodscha:

    „… Im sunnitischen Mossul ist das anders. Aber dennoch: Wie eine Garnison von 50.000 Mann dort einfach abziehen und ihre Waffen zurücklassen konnte, das ist noch immer eine Rätsel.

    War das Absicht?
    So sieht es aus. IS ist eine Truppe, die jeder mieten kann.

    Und wer war das im Fall Mossul?
    Die Regierung des damaligen schiitischen Premierminister Nuri al-Maliki. Nur dass die Aktion nach hinten losging. Maliki und seine Leute waren in den sunnitischen Gebieten nicht besonders beliebt und ihre Armee noch weniger, denn sie haben die Sunniten jahrelang unterdrückt. Malikis Leute hofften, dass die Grausamkeit des IS ihnen wieder den Rückhalt unter den Sunniten verschafft. Aber die Sunniten haben sich auf die Seite des IS geschlagen. Unser Geheimdienst hatte Monate lang gewarnt, dass IS in Mossul einmarschieren wird. Aber Bagdad hat nur geantwortet, wir Kurden sollten uns um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern
    Dann machte der IS den Durchmarsch und kurz bevor sie vor Bagdad standen, schwenkten sie in Richtung Kurdengebiete um. Maliki war ein Mann des Irans.“

    Nihad Latif Kodscha Bürgermeister von Erbil, lebte 23 jahre im Exil in Deutschland und kehrte 2004 in den Irak zurück.

    Aus: D. Alexander, D-D. Böhmer und C.Ch. Malzahn „Kobani soll geopfert werden“ in „Die Welt“ vom 9.10.2014 Seite 8 unten.

    Mich haben diese Aussagen doch sehr überrascht, rücken sie doch den IS in ein – zumindest für mich – neues Licht. Der IS ein Söldnerheer?

  8. Möglicherweise ist bei der Vermutung von runeB etwas Wahres dran, daß es sich bei den IS-Miliziohnären (das „h“ habe ich extra reingeschrieben) um eine Truppe handelt, die jeder mieten kann, Saudi-Arabien oder Karar z.B.
    Und es scheint auch viel Wahres dran zu sein, was Navid Kermani in seiner dreiteiligen SPIEGEL-Reportage berichtet, das die Führung des IS gut mit ehemaligen, natürlich sunnitischen, Offizieren aus dem Regime von Saddam Hussein bestückt ist.

    Trotzdem bleiben für mich viele Fragen offen, als da sind:

    Woher stammt das Geld, mit dem IS Waffen kauft, Truppen bezahlt, sicherlich auch Korruption betreibt bis tief rein in die Türkei und überhaupt den Laden am Laufen hält, wohl kaum aus Steuern?

    Wir wissen, das Saudi-Arabien und Katar zu den Hauptfinanzierern gehören. Welches Interesse verfolgen diese Staaten noch, außer Brüdern im konservativen Glaubensgeiste zu helfen? Öl, vielleicht andere Bodenschätze? Öl ist ja eine bekannte Finanzierungsquelle, aber wer kauft dieses noch ab, nach dem Motto: Geld für Öl für Blut?

    Wir wissen ja aus Diktaturen, daß das Motto: Wasser predigen und Wein saufen dort immer hochgehalten wurde und wird. Bittere Medizin war nur für das Volk, oben wurde in Champagner gebadet. Von Saddams Offizieren wissen wir ja, daß hier leichte Mädchen und guter Whisky zusammengehörten – bei gedämpfter Beleuchtung hat das Allah nicht so gut sehen können.

    Es gab einmal vor nicht allzu langer Zeit ein Land, in dem für 12 Jahre Menschen verfolgt, eingesperrt, und ab 1941 systematisch zu Millionen umgebracht wurden, weil es gelungen war, diese als „unwertes Leben“ als Ungeziefer einzustufen. Wir leben in diesem Land. Wenn in den 20er Jahren jemand dieses in der eingetretenen Dimension vorausgesagt hätte, hätte man ihn zum Spinner erklärt. Alles einmalig, nicht wiederholbar? Ich möchte nicht wetten, weil ich es für gut möglich halte, daß bei einer sich derzeit bereits abzeichnenden größeren Wirtschaftskrise in den nächsten 3 Jahren – bis zur Wahl – wieder zu einer Situation wie 1932/33 kommen kann. Eine starke Führung wird gesucht, genauso wie Sündenböcke, die Schuld sind.

    Mittel zur Überwachung und Gestaltung stehen bereit und Personal von und bei NSA und BND. Wie die Abschaffung von Demokratie-Resten funktioniert, erleben wir derzeit bereits mit den Geheim-Verhandlungen rund um CETA und TTIP. Mit dem bißchen Opposition läßt sich gut leben, weil der neoliberale und bald national-konservative Virus bereits bis tief in die SPD und die Grünen Erfolg hatte, und sich schlechter bekämpfen läßt als Ebola. Nur eine Frage der Zeit, bis die AfD die SPD in der Anzahl der Wählerstimmen überholt, so wie Le Pen die französischen Sozialisten. Vizekanzler Lucke, why not? Merkel als marktkonforme Demokratin kann ja mit jedem, der Dinge so DDR-gestählt pragmatisch sieht wie sie, und die Uschi übt als Bundeswehr-Chefin schon mal die Verarsche des Volkes.

    Ich möchte mir nicht vorstellen, was passiert, wenn sich unter die jetzt aus dem vorderen Orient eintreffenden Flüchtlinge ein paar IS-Schläfer mischen.

    Und um noch die Frage von Werner Engelmann in # 6 nach der Motivation der IS-Kämpfer, auch der deutschen, zu beantworten: Sie haben Arbeit bzw. einen Job, wohl auch recht gut bezahlt. Eben „weß‘ Brot eß ich, des‘ Lied sing ich“. Ein bißchen Massakrieren wird dann zum Lokalkolorit.

  9. zu # Wolfgang Fladung

    Sehr geehrter Herr Fladung,

    nur zur Ergänzung:
    Die Aussage, der „IS sei zu mieten“ stammt nicht von mir. Das wäre der Ehre zuviel. Diese Aussage hat der Bürgermeister von Erbil (Hauptstadt der Kurden im Nordirak) Herr Nihad Latif Kodscha gemacht.

    Also jemand, der direkt vor Ort ist und in das gesamte Geschehen unmittelbar eingebunden ist und es daher viel besser als sämtliche westliche Journalisten beurteilen kann.
    Ich unterstelle ferner, dass Herr Kodscha keine Lügen aufgetischt hat, sondern uns eine wichtige Information zugespielt hat.
    Das macht diese Information für mich so gewichtig. Bislang geisterten immer nur vage Vermutungen über den IS herum, nichts Konkretes. Dass diese Nachricht, dieses Interview aus „Die Welt“ kommt (die Ihnen eher suspekt ist) müssen Sie mir bitte nachsehen.

  10. Bei geführten Reisen vor etwa zwei Jahrzehnten durch Marokko und Tunesien mit renomierten Reiseveranstaltern wurde u.a. auch versucht, uns Reisenden den Islam zu erklären, der zu dieser Zeit noch sehr friedlich anzuschauen war. Aber schon damals wurde auf die hohe Geburtenrate und auf die hohe Arbeitslosigkeit, vor allem der jungen Männer, hingewiesen.
    „Europa wird dadurch in naher Zukunft noch große Probleme bekommen,“ war der Tenor.
    Ein großes Potential, ohne Hoffnung, ist da herangewachsen. Daraus lässt sich gut schöpfen.
    Die Motive der paar hundert jungen Männer mit deutschem Pass – wieviele „Urdeutschen“ sind da eigentlich darunter? – möchte ich doch vorwiegend als „Abenteuerlust“ bezeichnen.

  11. zu 8 # Wolfgang Fladung“

    „Ich möchte mir nicht vorstellen, was passiert, wenn sich unter die jetzt aus dem vorderen Orient eintreffenden Flüchtlinge ein paar IS-Schläfer mischen.“

    Ehrlich gestanden, sehr geehrter Herr Fladung,ich auch nicht.
    Aber diese Möglichkeit existiert sehr real. Deutschland ist bereits in das Visier der ausgesuchten Staaten für Terroranschläge von Islamisten gelangt.

    „Nur eine Frage der Zeit, bis die AfD die SPD in der Anzahl der Wählerstimmen überholt, so wie Le Pen die französischen Sozialisten. Vizekanzler Lucke, why not? “

    Sind die potentiellen Wähler der AfD die Übeltäter oder sind es nicht die Versäumnisse unserer Politiker, ehrlich mit Problemen umzugehen?

    Die deutsche Politik gleicht einem Emmentalerkäse voller Löcher, in jedem Loch versteckt sich ein Tabu-Thema, Themen über die nicht diskutiert werden darf. Wer dieses Haupttabu missachtet und dennoch den Mund aufmacht, kriegt eine aufs Maul mit der Naziklatsche.
    Was unsere Politiker gerne übersehen (und nicht wahrhaben wollen), ist das Nichtwählerpotential. Das sind nicht nur Menschen ohne jedes politische Interesse, sondern auch viele, die sich nicht mehr in der aktuellen Politik wiederfinden, aber mehr oder weniger frustriert den Mund halten.

    Wird dieses Wählerpotential effektiv angezapft – was angesichts der momentanen Situation – wohl gar nciht sehr schwer sein dürfte – dann hat das Folgen. Allerdings sollten dann bei einem unerwünschten Wahlergebnis unsere Politiker nicht die Wähler beschimpfen, sondern sich an die eigenen Nasen fassen

    zu 10 # werner.h
    “Europa wird dadurch in naher Zukunft noch große Probleme bekommen,” war der Tenor.

    Diese Probleme beginnen sich jetzt schon sehr deutlich abzuzeichnen. Der Flüchtlingsansturm – auch durch Schlepperbanden beeinflusst – ist ein Indiz. Auch wenn wir Europäer, insbesondere wir Deutschen, das nicht wahrhaben dürfen oder wollen.

    Es wird sich früher oder später die Frage stellen, was können wir Deutschen leisten? Wieviele Leute können wir aufnehmen? Wo ist die – bislang nicht erkennbare – Grenze. Gibt es überhaupt eine Grenze?

    Mein Eindruck ist, dass es genügend Leute gibt, die sich darüber noch keine Gedanken gemacht haben und glauben alle Probleme dieser Welt vom ach so reichen Deutschland lösen zu lassen.

    Diese Politik wird Schiffbruch erleiden .. weil unrealistisch.

  12. #8, Wolfgang Fladung
    „Und um noch die Frage von Werner Engelmann in # 6 nach der Motivation der IS-Kämpfer, auch der deutschen, zu beantworten: Sie haben Arbeit bzw. einen Job, wohl auch recht gut bezahlt. Eben “weß’ Brot eß ich, des’ Lied sing ich”. Ein bißchen Massakrieren wird dann zum Lokalkolorit.“
    Eine Bemerkung, die keine Antwort verdient. Freilich kommt man nicht darum herum, wenn man dabei selbst im Kontext beleidigender Unterstellungen namentlich genannt wird.
    (1) Es ist schon abenteuerlich genug zu behaupten, man habe für drängende Probleme, an denen andere sich die Zähne ausbeißen, eine Antwort parat.
    (2) Peinlich wird es aber, wenn man dann einen aus dem Mittelalter stammenden Spruch als Patent„lösung“ offeriert, ohne sich nur im Geringsten über dessen Stimmigkeit Gedanken zu machen.
    (3) Unerträglich (zumindest für den Betroffenen), wenn das Ganze dazu dient, einen Mitblogger der Käuflichkeit und politischen Blindheit zu bezichtigen.
    Es dürfte angebracht sein, daran zu erinnern, dass der Stil (bzw. die Stillosigkeit) des Umgangs mit anderen vor allem Auskunft gibt über den Verfasser selbst.
    Zu (2) Der Spruch „Wes’ Brot ich eß, des’ Lied ich sing“ (richtig zitieren!) stammt aus der feudal geprägten Minnezeit des 12./13. Jahrhunderts, spiegelt dementsprechend die Abhängigkeit des Minnesängers vom Feudalherrn auch im Wort wider. Alterssicherung konnte dieser nur in Form eines eigenen „Lehens“ als Gabe des Feudalherrn für seine „Dienste“ im Sinne von dessen Repräsentationsstreben (feudale Ritterspiele, Hohe Minne) erlangen. Wobei, zumindest bei Walther von der Vogelweide, trotz dieser Abhängigkeit eine Distanzierung vom feudalen Lehnswesen unverkennbar ist. So, indem er der „Hohen Minne“ – Mittel des Feudalherrn zur Selbstdarstellung auf dem Umweg über Verehrung seiner Ehefrau – das menschliche Konzept der „Niederen Minne“ als Ausdruck zwischenmenschlicher Beziehung gegenüberstellt. Auch in direkten Klagen über Verfallserscheinungen seiner Zeit, etwa in der „Elegie“ („O wê, war sind verswunden alliu miniu jâr“).
    Selbst ein solcher, von feudalen Herrschaftsbedingungen geprägter Mensch schlägt Zeitgenossen, die unreflektiert und verallgemeinernd ihr eigenes Weltbild an Sprüchen ausrichten, in Bezug auf geistige Unabhängigkeit noch um viele Längen.

    #7, runeB
    Die Einschätzung des IS als Söldnerheer stellt sicher einen bedenkenswerten Ansatz für die Erklärung solcher Grausamkeit dar. Das würde mit der von mir in #6 geäußerten Vermutung übereinstimmen, dass es nur sehr oberflächlich um Religion, im Kern aber um die totale Enthemmung atavistischer Instinkte, einen Freibrief für pure Mordlust geht. Historisch würde das auf Bedingungen des 30jährigen Kriegs verweisen, wo – nach außen hin als religiöse Auseinandersetzung deklariert – erstmals in großem Maßstab die auf „Treue“ eingeschworenen mittelalterlichen Ritterheere durch marodierende, zu jeder Schandtat für jeden beliebigen „Herrn“ bereite Banden ersetzt wurden. Die in jeder Hinsicht verheerenden Auswirkungen sind bekannt.
    Allerdings erhebe ich 2 Bedenken:
    (1) Ob jemand wie Nihad Latif Kodscha, der zwar zweifellos die Bedingungen kennt, aber zugleich so sehr in das Geschehen involviert ist, zu einer ausreichend rational geprägten Einschätzung des Gegners – was auch eine gewisse Distanz voraussetzt – in der Lage ist, kann man bezweifeln.
    (2) Die Motivlagen von IS-Kämpfern vor Ort zu ergründen, erscheint mir zwar für politische Strategien durchaus wichtig, für unseren Lebensbereich aber von untergeordneter Bedeutung. Anders dagegen die Frage nach den aus unseren Regionen rekrutierten IS-Kämpfern. Hier sprechen nun alle vorliegenden Berichte dafür, dass diese, von Naivität und psychischer Labilität geprägt, als Kanonenfutter missbraucht werden. Dabei scheint mir die Ermittlung etwa der psychischen Bedingungen für solche Rekrutierung nur bezogen auf den jeweiligen Einzelfall hilfreich. Weit erfolgversprechender erscheint es, der Frage nachzugehen, mit welchen gesetzlichen und gesellschaftlichen Maßnahmen den rekrutierenden Islamisten und Heilspredigern das Handwerk zu legen ist.

  13. zu 12 # Werner Engelmann

    Eines scheint sicher, die Bildung des IS ist sehr gründlich vorbereitet worden. Es ist bereits eine deutlich gegliederte Befehlshierarchie vorhanden. An Geld und auch an Waffen fehlt es offensichtlich nicht.
    Ich persönlich glaube, dass Herr Nihad Latif Kodscha an der tatsächlichen Realität und richtigen Einschätzung derselben näher dran ist als sämtliche westliche Journalisten, die mitunter auch nur voneinander abschreiben.
    Das ist jedoch nur meine höchst unmaßgebliche Meinung.

    Es würde schon genügen, dass das Offizierschorps des IS eine Söldnertruppe ist, den Rest erledigen dann schon willfährige Mitläufer, die es ja anscheinend in ausreichendem Umfange gibt.

    Es reisen sogar junge Mädchen aus Europa in den Dschihad und werden dort mit Dschihadisten vermählt. Das zeigt doch, welch eine Faszination von der Propaganda des IS auszugehen scheint.

    Der IS scheint den Islam an sich zu verkörpern, der sich im blutigen Kampf mit allen Ungläubigen (hierzu zählen mit Sicherheit auch schiitische Glaubensbrüder und selbstverständlich Christen und der Westen insgesamt).
    Es drängt sich mir der Vergleich mit „Ragnarök“ auf, wo die Götter (die Guten, der Islam vertreten durch den IS) und die Mächte der Finsternis (der Westen) gegeneinander kämpfen.

  14. # 12, Werner Engelmann: Möglicherweise ein Mißverständnis, oder von mir falsch ausgedrückt. Mit „Sie haben Arbeit …“ meinte ich die IS-Kämpfer in Syrien und im Irak, und selbstverständlich nicht Sie, Herr Engelmann. Und der Rest, für Sie wohl voller Sarkasmus bzw. Zynismus“, resultiert aus meiner Unfähigkeit des Begreifen-Wollens. Habe ich Sie in diesem Kontext irgendwie beleidigt? Dann bitte erklären, dto. bitte dann auch I h r e Übersetzung des aus dem Mittelalter stammenden Spruches. Meine Übersetzung resultiert aus meinen Medien-Informationen, das es sich bei den deutschen IS-lern um deprivierte, chancenlose junge Männer handelt, welche dort im Orient nicht nur eine vermeintliche Aufgabe, Ziele, sondern auch Anerkennung und damit verbunden finanzielle Unterstützung erfahren. Liege ich da falsch?

    Und wer hat hier mit welchen Worten einen Mitblogger der Käuflichkeit und politischen Blindheit bezichtigt? Wenn ich dies gewesen wäre, hätte mich Bronski sicherlich sofort – zu Recht – gerügt. Also, bitte, zum Feindbild tauge ich nicht, zumal ich Ihre Beiträge immer sehr gut und erhellend finde.

  15. @ Wolfgang Fladung #14

    Ihre Antwort und Erklärung erleichtert mich sehr. In der Tat erscheint mir Ihr Hinweis auf ein Missverständnis überzeugend. Verflixte Grammatik! Es kommt eben immer darauf an, aus welcher Perspektive man das Gleiche sieht. (Was im Zusammenhang des Blog-talks „Gerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit“ noch zu thematisieren sein wird.) Was mich vor allem irritiert hat, war der letzte Satz („Ein bißchen Massakrieren wird dann zum Lokalkolorit“) – wobei m.E. das Wort „Lokalkolorit“ nur aus der Perspektive des unbeteiligten (und dem Geschehen gleichgültig gegenüberstehenden) Betrachters, nicht aber des daran Beteiligten verständlich ist.
    Danke also für die Klarstellung – und nichts für Ungut!

    Zur Einschätzung der IS-„Rekruten“:
    Ich erinnere mich an verschiedene Berichte vor allem von Islamisten aus England, in denen von gesellschaftlicher Integration der „erwachten“ Islamisten die Rede ist. Ebenso auch ein jüngerer Bericht aus Deutschland (mir ist die Stadt entfallen), wo von Integration (z.B. im Sportverein) die Rede ist.
    Auf jeden Fall würde die These von sozialem Außenseitertum – so es denn so sein sollte – nicht viel erklären. Denn davon gibt es ja viele. Und es würde sich keine Handlungsperspektive daraus ableiten lassen.
    Einzig vielversprechend erscheint mir, wie schon oben erwähnt, eine klare und illusionslose Strategie gegenüber islamistischen Werbern. In dieser Hinsicht halte ich die jüngste Talkshow eines Günther Jauch in der ARD, in der dem Salafistenprediger der Al-Nur-Mosachee, der zentnerweise Kreide gefressen hatte, die denkbar beste Plattform geboten wurde, schlicht für einen Skandal.

  16. runeB, #13

    „Es reisen sogar junge Mädchen aus Europa in den Dschihad und werden dort mit Dschihadisten vermählt. Das zeigt doch, welch eine Faszination von der Propaganda des IS auszugehen scheint.“
    Zum 1. Satz:
    Wie ich gelesen habe, werden europäische Mädchen unverzüglich von Dschihadisten geschwängert, um eine Rückkehr weitgehend unmöglich zu machen.
    Zum 2. Satz:
    Zu dieser „Faszination“ gehört m.E. gerade auch demonstrative Grausamkeit.

    „Der IS scheint den Islam an sich zu verkörpern“:
    Hier habe ich große Bedenken. Nicht nur, weil inzwischen auch unter islamischen Verbänden – hoffentlich – ein Erwachen festzustellen ist, was es für ihren Glauben bedeutet, als Inbegriff für Grausamkeit zu gelten. Es gibt eben im Islam keine „ordnende“ und „ex cathedra“ anordnende Instanz wie den Papst, der für die „richtige“ Interpretation zuständig ist. Das erleichtert selbsternannten Propheten natürlich das Geschäft: Je grausamer und je dogmatischer – desto authentischer.

  17. zu 16 # Werner Engelmann

    Zu Satz 1:
    Das habe ich auch gelesen, Zwangsverheiratung und Schwängerung. Zwei Mädchen aus Wien bosnischer Herkunft, gut integriert, sind nach Syrien , wurden verheiratet sind jetzt schwanger und möchten jetzt wieder zurück.
    Ich glaube nicht, dass sie aus freien Stücken jemals die Dschihadisten verlassen werden dürfen.
    Die beiden Teenager Samra K.17 und Sabina S. 15 Jahre alt schrieben zum Abschied an ihre Familien: „Sucht nicht nach uns. Wir gehen nach Syrien, kämpfen für den Islam. Wir sehen uns im Paradies.“
    Es fehlen einem die Worte! Mich schaudert es beim Lesen dieser Zeilen!

    Zu Satz 2:
    „Der IS scheint den Islam an sich zu verkörpern“: Bezog sich auf die Außenwirkung auf diejenigen, die in den Dschihad ziehen wollen und den Lügenmärchen der IS-Propanda erliegen. Der IS wird hochstilisiert als der kämpfende siegende Islam gegen die bösen Mächte auf dieser Erde.
    Es wird den Sympathisanten weisgemacht, dass alle Vorwürfe, die man dem IS macht auf Lügen des Westens, insbesondere der US-Amerikaner beruhen. Hinrichtungen, Köpfungen und sonstige Gewalttaten sind böse Erfindungen, sind Verleumdungen der Gegner des IS.
    Insofern ist der eingangs erwähnte Satz gemeint.

  18. Derzeit wird der ganzen Welt vorgeführt, wie „verantwortliche Weltpolitik“ gemacht wird.
    Ich bewundere, oder besser, bedauere unsere Politiker, wie z.B.Herrn Steinmeier, wie diese das alles aushalten…
    Sie müssen mitspielen im großen Hamsterrad.Doch wer ist es denn, der es dreht ??
    Als die beiden Ost- Westblöcke sich noch gegenüber standen, war es doch noch reletativ ruhig. Verträgt die Menschheit keinen Frieden ??

  19. Zunächst eine – mögliche – Antwort auf werner.h, # 18: Als sich die beiden Blöcke gegenüberstanden, waren die Zuständigkeiten noch klar verteilt: hie die Guten und Lichtgestalten, wie Kennedy (?) und drüben die Polterer wie Chrustschow, hier die Freiheit und dort die Sklaverei. Ein Krieg bzw. Atomkrieg hätte allen geschadet, deshalb sprachen wir auch vom Gleichgewicht der Kräfte, oder besser, des Schreckens. Seitdem sind mehr als 25 Jahre vergangen, weil bereits unter Gorbatschow Tauwetter einsetzte. Und seitdem hat sich die Weltbevölkerung um mehr als 2 Milliarden vergrößert, mit allen Folgen und Nebenwirkungen.

    Ich sehe das ganz nüchtern, um nicht zu sagen, darwinistisch, denn der Kampf um Ressourcen allenthalben geht inzwischen auch an unser Eingemachtes. Es kämpfen weltweit immer mehr um immer weniger und immer knapper werdende Ressourcen. Die Menschen rücken sich dabei immer mehr auf die Pelle. Wo früher irgendwo im Busch Ebola mal ein Dorf ausrottete, gefährdet es jetzt durch die Paarung von viraler mit menschlicher Mobilität nicht nur Westafrika. IS plündert für die Finanzierung seiner Schreckensherrschaft genauso das Blut der Erde, Erdöl, wie wir „Zivilisierten“ all das, für dessen Bildung Gaia Millionen Jahre gebraucht hat, Kohle, Erdgas, Öl, Wasser etc. pp. Nehmen wir Rücksicht auf die Umwelt, auf Anrainer, auf Arten? Niente! Ist uns doch egal; hauptsächlich, in der Stube wird es warm, das Licht brennt und im Kühlschrank bleibt genügend Auswahl zum Wegwerfen.

    Uns erschrecken die unfaßbaren Grausamkeiten von IS, und wir vergessen dabei die kleinen Grausamkeiten und das alltägliche Sterben jeden Tag im Verborgenen. Wer lebt bei uns länger, ein Hartzer oder ein Millionär, bzw. wer hat die besseren Chancen? Warum liegt die Lebenswerwartung in Afrika und anderswo rund 20 Jahre niedriger als bei uns?

    Wäre vielleicht auch ein Punkt für die Gerechtigkeits-Debatte. Jedenfalls ist viel Heuchelei im Spiel. Und konkret:

    Für die Türken scheinen die Kurden und zuvörderst die PKK gefährlicher zu sein, als IS. Man gefällt sich darin, mit Hilfe von IS die Kurden zu dezimieren und hofft auf eine Art Agreement mit IS, selbst als Türkei vom IS-Expansionsdrang verschont zu bleiben. Eine Rechnung, die nicht aufgehen kann und wird. Und ein NATO-Land, das mit Aufkäufen von geraubtem Erdöl, dem Durchleiten von Transporten an Öl, Waffen und Kämpfern indirekt IS unterstützt, müßte eigentlich jetzt die anderen NATO-Länder auf den Plan rufen. Aber seltsame Stille, überall. Und diese Türkei will in die EU? Why not, machen wir dann zusammen mit der Ukraine.

    Woher erhält IS eigentlich das Geld für seine Infastruktur bzw. über welche Banken fließen die Ströme?

  20. wenn Mann die Beiträge alle gelesen hat, ist doch erstaunlich zu sehen, wie schnell Mann mit der Botschaft fertig wurde, um dann wortreich die eigene Kompetenz unter Beweis zu stellen – im Alltagsgeschäft der politischen Grabenkriegsargumentationssplitter. Wäre etwas Geduld und Nach-Denken nicht eine echte Alternative gewesen? Es geht doch gar nicht um Schuldzuweisung oder Entschuldigung oder ein Sich-Verstecken hinter einer wie auch immer gestalteten WIR-Gruppe. Es ging meineserachtens lediglich um etwas mehr Klar-Sicht: Weder das Auf- oder Abrechnen stand in meinem Beitrag im Vordergrund, sondern „nur“ das vorsichtige Erinnern an die eigene Geschichte und wie Mann sie in den letzten Jahrhunderten aufschrieb und weiterreichte. Der sogenannte Fortschrittsvektor – hell beleuchtet von dem Licht der Vernunft, der größten Errungenschaft des kleinen Europas – weise unübersehbar in e i n e Richtung: Die Welt möge doch bitte am europäischen Modell genesen. Als gäbe es keine Naturvölker mehr, die nach ganz anderen selbstgewählten Regeln schon lange und noch immer lebten (Moment, das soll doch nicht heißen, dass das jetzt die Vorbilder sein sollen, beileibe nicht; nur ein weiterer Hinweis, wie sehr es immer auf den Blickwinkel, dem Mann sich zugehörig fühlt!) Der Autor des Artikels stellt sich nicht außerhalb der eigenen Geschichte, weiß sich nicht als besser oder schuldlos zu bezeichnen. Er wollte nur ein paar Fragen aufwerfen: Woher kommt der Furor, mit dem Mann ISIS verteufelt, wozu diese Pontius-Pilatus-Weiß-Wasch-Wäscherei? Könnte es nicht sein, dass sie so manchen nur blind macht für die eigenen Beiträge am Geworden-Sein der Verhältnisse? Und wieder: Es geht nicht um Entschuldigen dabei, nicht um Schuld-Zuweisung und überhaupt nicht um Besser-Wisserei, Anmaßung, Eitelkeit oder ähnliche Dreibastigkeiten. Nein. Es geht um das HUMANUM – aus dem Mann genauso schöpfen sollte wie Frau. Es gelang immer schon, es misslang immer schon. Die vielen Irrwege die Mann gegangen ist – im Osten wie im Westen, im Süden wie im Norden – könnten vielleicht hilfreich sein, vorsichtiger, bescheidener und langsamer im Urteil über den Fremden zu sein, weil er ein Verwandter bleibt. Warum nicht daran erinnern dürfen, dass der erste Kreuzzug der Christen gegen Christen, die „leider“ die Bibel falsch verstanden hatten, die Katherer meine ich, gegangen war? Warum nicht erwähnen dürfen, dass es Christen waren, die das christliche Konstantinopel belagerten, um mit dem geplünderten Gut die Kosten der Überfahrt ins sogenannte Heilige Land zu begleichen? In Abwandlung an Brecht Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“ könnte Mann auch sagen: So viele Fragen, so viele Antworten – hatten die Christen wenigstens ein schlechtes Gewissen dabei? Wohl kaum. Es ging mir wirklich nur darum, eine selbstgerechte, pharisäische Haltung in Sachen ISIS zu unterlaufen, damit Mann den Blick frei bekommt auf anstehende Solidarität mit Flüchtlingen, auf nachhaltiges Helfen, wenn es gewünscht wird – ohne den Dünkel des Siegers, des Mächtigen, des Könners. Dann besteht auch keine Not, die eigene Geschichte, die leidvolle, selbstgerecht umzuschreiben und den anderen, den Fremden vor das Gericht der westlichen Kulturzensur zu zerren oder ihm die eigenen waghalsigen Beglückungsangebote aufzuschwatzen als Allheilmittel auf dem Weg in so viele verschiedene Zukünfte wie es Völker und Religionen gibt, damals, heute, morgen.

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