Es ist etwas schier Unfassbares geschehen, was jeden, der sich mit den Beharrungskräften im Weltsport ein wenig auskennt, zu dem erstaunten Ausruf verleiten könnte: Und sie bewegt sich doch! Ich jedenfalls war baff. Ich hätte jederzeit gewettet, dass dem Welt-Leichtathletikverband IAAF irgendein Weg aus der aktuellen Dopingkrise einfallen würde, der es den russischen Sportlerinnen und Sportlern ermöglichen würde, in wenigen Wochen in Rio bei den Olympischen Spielen trotz allem als Mannschaft an den Start zu gehen. Irgendein Winkelzug, der es auch dem russischen Leichtathletikverband ermöglicht hätte, das Gesicht zu wahren. Doch der IAAF hat das Unerwartete getan: Er hat den russischen Stuhl vor die Tür gestellt. Die Russen haben es allem Anschein nach aber auch wirklich besonders dreist getrieben. Hier steht der Vorwurf organisierten Staatsdopings im Raum. Weitere Vorwürfe gibt es nun auch gegen die russischen Schwimmer. Auch kenianische Athleten wurden mit einer Sperre belegt.

Der Kampf gegen Doping war schon immer schwer und voller Tücken, und nicht jedem nationalen Dachverband konnte man das Bemühen um sauberen Sport abnehmen. Sich so gut wie jederzeit (!) unangemeldet (!) testen zu lassen, wie das deutschen Athletinnen und Athleten abverlangt wird, ist weltweit keineswegs die Regel. Wer argwöhnisch ist und von vornherein davon ausgeht, dass in anderen Ländern ohnehin flächendeckend gedopt wird, gibt damit indirekt zu, dass jene deutschen Sportlerinnen und Sportler, die nachweislich nicht dopen, einen Wettkampfnachteil hinzunehmen haben, wenn sie sich mit medikamentierten GegnerInnen zu messen haben. Ist das der Weisheit letzter Schluss? Streichen wir im Kampf gegen Doping also die Segel? Soll man Doping für alle freigeben, wie es FR-Leser Lothar Polläne aus Hannover in seinem nun folgenden Leserbrief fordert? Diese streitbare Forderung ist nicht neu, aber ist sie richtig?

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Medikamentierte Rekorde

von Lothar Pollähne

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Sport in seiner ursprünglichen Bedeutung steht für Zerstreuung. Im 19. Jahrhundert trafen sich die Söhne vermögender Klassen, um sich im Golf, Rugby, Tennis oder Segeln zu messen. Nach Abschluss der Wettkämpfe trafen sie sich in den Clubhäusern, um auf den jeweiligen Wettbewerb ein Gläschen oder mehr zu sich zu nehmen. Man wusste, man traf sich alsbald wieder, denn man konnte sich diese Form der Zerstreuung leisten.
Publikumssport sorgt für Massenzerstreuung. Besuche im Stadion oder an der Rennstrecke besorgen den Kick, der im Alltagsleben zu selten vorhanden ist. Niemand will im Sport Durchschnittliches sehen. Das langweilt. Wer ein international besetztes Leichtathletik-Meeting besucht und dafür viel Geld bezahlt, will die Chance auf wenigstens einen Rekord haben. Das ist Teil der Show. Die meisten Beteiligten wissen seit Jahren, dass solche Shows ohne Doping unattraktiv sind. Ob die Doper aus Russland, den USA, China oder Deutschland kommen, ist dabei unerheblich. Manche dopen besser, weil systematisch, andere eher punktuell. Das Ergebnis sind in jedem Fall medikamentierte Rekorde. In der Leichtathletik dürfte es kaum einen Weltrekord geben, der nicht dopinggestützt wäre.
Doping-Agenturen oder Selbstverpflichtungen sind auf diesem Spielfeld reine Augenwischerei. Es kommt einzig darauf an, nicht erwischt zu werden. Der konsequente Kampf gegen Doping müsste in der Leichtathletik – und nicht nur dort – mit der Annullierung aller Rekorde und einem anschließenden, mindestens dreijährigen Rekordmoratorium beginnen. Das könnte eventuell helfen, aber es wäre das Ende des Wettbewerbssports in der gewohnten Form und damit das Ende des Geschäfts. Das wollen aber weder die Veranstalter noch die Zuschauerinnen und Zuschauer. Und auch die Athletinnen und Athleten dürften kaum ein Interesse an solchen drakonischen Maßnahmen haben, denn es würde ihnen die Existenzgrundlage entziehen.
Von daher wird die Devise auch weiterhin lauten: The Show must go on, denn Rekorde sind das Salz in der Suppe.

 

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22 Kommentare zu “Medikamentierte Rekorde

  1. Man sollte es sich endlich eingestehen: Der Leistungssport mit seinem ewigen „schneller, höher, weiter“ ist längst an seine Grenzen gestoßen. Ständige Rekorde lassen sich nun einmal nicht mehr mit dem erringen, was der menschliche Körper auf natürliche Weise leisten kann.
    Mir ist es ohnehin schleierhaft, wieso es in unserer modernen Gesellschaft, in der es für den Fortschritt und das Wohlergehen der Menschheit eher auf Intelligenz als auf Körperkraft ankommt, ein paar Hansels schaffen, ganze Stadien zu füllen, nur weil sie um Bruchteile einer Sekunde schneller rennen oder einen Viertel Zentimeter höher hüpfen können als andere. Zumal ja nun, wie Lothar Pollähne richtig anmerkt, solche Steigerungen nur noch mit Hilfe der parmazeutischen Industrie zu erzielen sind. Ist den Sportfans, die ihren Idolen begeistert zujubeln, eigentlich klar, dass sie weniger die Erfolge der Sportler feiern als die Leistungen der skrupellosesten Mediziner und trickreichsten Pharmazeuten?
    Hier wird der ursprüngliche Sinn des Sports, sich an der Bewegung des eigenen Körpers in der Gemeinschaft anderer zu erfreuen und zur Erhaltung der Gesundheit beizutragen, ad absurdunm geführt.

    Wenn ich mir diese Besessenen so anschaue, wie sie, nur um ihre eigene Eitelkeit zu befriedigen, durch die Stadien hetzen oder durchs Land strampeln, kommt mir manchmal der ketzerische Gedanke: „Wenn die ihre geballte Körperkraft zu sinnvollerem Tun einsetzen würden, etwa um täglich Alte und Kranke zu heben oder im Katastrophenschutz Verletzte zu retten, wäre der Menschheit mehr gedient.“

  2. Ich kann Lothar Pollähne nur voll unterstützen. Doping-Kontrollen haben den Zweck den schönen Schein zu wahren. Eigentlich hat der Sport den alten Zirkus ersetzt und dort werden bekanntlich auch keine Dopingkontrollen gemacht.
    Ausschliessen kann man natürlich nur Länder, die nicht in hohem Masse mit ihren Fernsehgebühren zur Finanzierung beitragen. Wir müssen uns deshalb wohl keine Sorgen, um die Teilnahme deutscher Sportler machen.
    Ich habe die Details nicht verfolgt, aber Bronski spricht davon, dass der Verdacht im Raume steht.
    Ist der Vorwurf, es sei unfair, alle Sportler eines Landes auf Grund eines Verdachtes auszuschliessen, nicht doch verständlich? Hat der einzelne Sportler kein Recht darauf, dass sein Fall separat betrachtet wird?
    Die Entscheidung ist wohl nur verständlich, wenn man das Wohl des grossen Geschäftes im Auge hat.
    Eigentlich ist der moderne Sport ein interessantes Phänomen, leider liest man über diese Aspekte im Sportteil nichts oder zu mindestens sehr selten. Warum hält sich der deutsche Staat eigentlich eine Olympia-Mannschaft, wäre doch z. B. eine interessante Frage. Aber die Sportberichterstattung ist wohl auch Teil der grossen Show inklusive Doping von Sportjournalisten.
    Falls jemand mit dem Gesundheitsaspekt und dem Vorbild für die Jugend kommt: das eigentliche grosse Dopingproblem gibt es im Breitensport, wo ohne ärztliche Kontrolle geschluckt wird, was der Markt hergibt. Aber das gehört nicht zur grossen Show.
    Damit ich nicht falsch verstanden werde, ich habe sehe mir manche Show an. Fussball interessiert mich zwar nicht, aber auf die Tour de France freue ich mich schon.

  3. @Brigitte Ernst
    „Wenn ich mir diese Besessenen so anschaue, wie sie, nur um ihre eigene Eitelkeit zu befriedigen, durch die Stadien hetzen oder durchs Land strampeln,…“
    Dieser „couch potato“-Satz ist aber weit unter Ihrem normalen Niveau.

  4. @ Henning Flessner

    Wie kommen Sie auf couch potato? Ich war jahrzehntelang im Tanzsport aktiv (jetzt wegen Partnermangels weniger). Es geht mir um den Sinn des HOCHLEISTUNGSSPORTS, wo erwachsene Menschen ihren einzigen Lebenssinn darin sehen, mit dem „höher, schneller, weiter“ ihr Ego zu pflegen und als Stars groß rauszukommen, sonst gar nichts. Den Breitensport als Freizeitbeschäftigung finde ich sehr wichtig und unterstützenswert.

  5. „Ausschliessen kann man natürlich nur Länder, die nicht in hohem Masse mit ihren Fernsehgebühren zur Finanzierung beitragen. Wir müssen uns deshalb wohl keine Sorgen, um die Teilnahme deutscher Sportler machen.“ (Henning Flessner)
    Ich bin ein ausgesprocheren Fan von Sarkasmus und möchte deshalb nur am Rande auf einen kleinen Unterschied zwischen dem staatlichen russischen und dem privatisierten westlichen Doping hinweisen:

    Staatssportler haben kaum einen Wahl und häufig auch nicht viel Chance zu erfahren, was sie da gerade schlucken. Bei den kurzfristigen Gefahren durch das Doping kann man davon ausgehen, dass die Ärzte von Staatssportlern die im Blick haben – es sollen schließlich Erfolge gezeigt werden und keine Tragödien.

    Die langfristigen Gefahren interessieren aber den Staat nicht, weil diese Tragödien sich nicht im Rampenlicht abspielen. Wer davon etwas erfahren will, z.B. von den Dopingopfern der DDR, der muss schon bewusst danach suchen.

    Es geht also nicht nur um den Anschein der Spiele. Staatlich organisiertes Doping besonders zu brandmarken hat konkret den Schutz der betroffenen Sportler als Ziel.

  6. @Brigitte Ernst
    Das war ein Missverständnis. Ich glaubte, sie meinen mich mit dem eitlen Besessenen. In 25 Jahren als Amateur-Marathonläufer habe mir so viele derartige Sprüche anhören müssen, das ich mich immer gleich angesprochen fühle.

  7. @Frank Wohlgemuth
    Ihre Bemerkungen erinnern mich an die 70er und 80er Jahre, als es zum Standardrepertoire eines Sportreporters gehörte, sich zu beklagen, dass die sowjetischen Sportler ja Staatsangestellte seien im Gegensatz zu unseren lupenreinen Amateuren. Heute besteht unsere Olympia-Mannschaft zum grossen Teil aus Staatsangestellten. Der Minister gibt Geld und erwartet dafür Medaillen und wer die nicht liefert, kriegt kein Geld mehr. Ganz einfach, alles natürlich ohne Druck und Stress. Als Staatssportler dürfen sie vielleicht als Polizeiwachtmeister oder Zöllner weitermachen. Als privat organisierter Sportler landen sie dann bei Hartz IV. Das ist ein brutales Showgeschäft.
    Ohne Geld funktioniert das Geschäft nicht und das kommt heute nicht hauptsächlich aus dem Verkauf der Eintrittskarten, sondern durch das Fernsehen. Immer wenn die deutsche Eishockey-Mannschaft abgestiegen ist, wurde die Teilnehmerzahl erhöht und sie waren wieder dabei. Als keine amerikanische Tennisspielerin mehr in der Spitze der Weltrangliste war, zog Steffi Graf zufälligerweise in die USA und die amerikanischen Zuschauer konnten sie «adoptieren». Sepp Blatter hat gerade zugegeben, dass bei den Auslosungen von Fussballwettbewerben dem Glück schon mal nachgeholfen wird.
    Wir wissen das und wollen es doch nicht wissen. Alle machen mit: Sportler, Trainer, Funktionäre, Presse, Fernsehen und ich freue mich auf die Tour de France.

  8. Ach, wenn es doch nur Doping- und Drogenkontrollen bei Politikern gäbe!
    So mancher wäre schnell disqualifiziert und auf Jahre hinaus gesperrt!

    Es kommt ja schließlich in unserer Gesellschaft nicht auf Leistung an, sondern auf Gesundheit und ungetrübte Wahrnehmung, geregelte Arbeitszeiten und geregelte Pausen, geruhsame Sonntage und entspannende Freizeit, auch und besonders auf das Recht, krank zu werden und krank zu sein und die notwendige Behandlung und Rekonvaleszenz, kurzum auf menschliche Produktionsbedingungen.
    Nicht so hoch, nicht so weit, nicht so schnell!
    Und vor allem: „Nicht so doof“ wäre der Maßstab.

    Hoppla, falscher Film?

    Naja, mein Mitleid mit den Sportlern hält sich in Grenzen, muß schon jeder selbst wissen, was er sich so einwirft.

    Aber sich mit Doping als Maßstab oder Sieger zu empfinden, ist ebenso schräg, wie der Studienkollege, der unter LSD glaubte, er könne fliegen. Die Illusion währte nicht lang…

    Mir als Zuschauer ist es egal, wer zuerst durchs Ziel läuft. Ohne die anderen Läufer ist er gar nichts. Wenn er sich dafür zerstören lassen will, der Erste zu sein, ist das sein Problem. Ich hab ihn schon vergessen, bevor das Zielband ganz zerrissen ist. Geht ja vermutlich auch wieder um Geld, da hilft das alte Rezept: Jeder kriegt das Gleiche! (Jeder..also auch Funktionäre)

    Meine Achtung gilt allen, auch den „Letzten“.
    Die Gedopten werden die Dümmsten sein.

  9. Ein gedopter Spitzensportler wird in eine Klinik eingeliefert, wegen Herzproblemen oder so, und wird von einem vor sich hinkichernden Arzt behandelt…

    „Müssen schon entschuldigen“, sagt er Arzt, „ohne Dope geht’s halt nicht mehr in meinem Job…“.

    „Ihr EKG sieht übrigens voll lustig aus!“

  10. @ BvG
    Da muss ich Ihnen ja mal voll zustimmen!
    Mich persönlich interessiert die ganze Leichtathletik ohnehin nicht.Ich kann diejenigen, die sich selbst dort betätigen, verstehen, aber Leuten beim Rennen, Hüpfen oder Werfen bloß zuzuschauen finde ich furchtbar öde. Da birgt doch ein Mannschaftsspiel mehr Spannung oder eine Sportart, bei der es auch um Eleganz geht, wenigstens einen gewissen ästhetischen Genuss.
    Das mit der gleichen Bezahlung wird leider nie funktionieren, denn der Leistungssport ist ja vor allem ein Riesengeschäft, einschließlich der in der Wirtschaft herrschenden Entlohnungsgepflogenheiten.

  11. @Brigitte Ernst
    Bezüglich der Dopamine kann ich Sie beruhigen. Da haben Sie nichts verpasst. Weder ich noch alle mir bekannten Läufer haben jemals eine Wirkung verspürt.
    Ich bin kein grosser Anhänger der Leichtathletik, aber das ist für mich immer noch interessanter als Fussball, wo in 90 Minuten 5 mal aufs Tor geschossen wird.
    Warum schauen Menschen sich Sportveranstaltungen an? Ich glaube, dass zwei Grundvoraussetzungen gegeben sein müssen.
    1. Man muss Partei nehmen. Wenn es einem egal ist, wer gewinnt, ist fast alles langweilig. Wenn ihr Enkelkind in Rio im Endlauf über 100 m stehen würde, wären sie sicherlich ein Sprintfan und es wäre das spannendste Rennen überhaupt.
    2. Das Ergebnis darf vorher nicht feststehen. Schon der legendäre Sepp Herberger hat gesagt, dass die Leute nur zum Fussball gegen, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht. Vor Jahren wurde mal gefordert, dass man die Tore beim Fussball grösser machen sollte, damit mehr Tore fallen. Das wäre aber nicht gut für den Fussball. Wenn es bei Halbzeit immer schon 8:0 für Bayern München steht, geht bald kaum noch einer hin.

  12. Über die Fernsehgebühren, die ja jetzt jeder zahlen muss, der ein Dach über dem Kopf hat, finanzieren wir ja gezwungenermaßen die Sportveranstaltungen mit. Wo unser Geld bleibt, dürfen wir aber nicht erfahren. Die ARD hat sich vertraglich verpflichtet, nicht bekannt zu geben, wieviel Geld sie für die Übertragungsrechte für die samstägliche Sportschau künftig zahlt.
    Das finde ich viel interessanter, als wer wann wo gewonnen hat.

  13. „Ihre Bemerkungen erinnern mich an die 70er und 80er Jahre, als es zum Standardrepertoire eines Sportreporters gehörte, sich zu beklagen, dass die sowjetischen Sportler ja Staatsangestellte seien im Gegensatz zu unseren lupenreinen Amateuren. Heute besteht unsere Olympia-Mannschaft zum grossen Teil aus Staatsangestellten.“ (Henning Flessner)
    Das ist nicht erst seit heute – ungefähr so lange es die Bundeswehr gibt, gibt es auch Sportkompanien, in denen die Leute ihren Sold dafür bekommen, zu trainieren. Der kleine Unterschied zu einigen anderen Staaten (u.a. Russland) besteht darin, dass der Rechtsstaatscharakter bei uns etwas ausgeprägter ist, dass es also schwerer ist, jemanden gegen seinen Willen zu dopen. Was es ansonsten gab und gibt, sind Hilfen für Leistungssportler ab einer gewissen Höhe – das hilft die Kosten dafür zu decken, in diesem Zustand zu bleiben, aber reich wird man dadurch nicht. Das kann man höchstens als Sympathieträger werden, wenn man dadurch interessant für die Werbebranche wird.

    Was in meinen Augen nur etwas komisch wirkt, ist, dass das Publikum meint, betrogen zu werden. Als sei der Wettkampf dadurch anders. Ist er aber nicht – wie Sie auch richtig feststellen, wenn Sie scheiben, dass Sie sich auf die Tour de France freuen. Auch mit Doping hat nach der Veranlagung, für die keiner was kann, das Training mit großem Abstand den größten Einfluss auf die Leistung. Das Dumme ist nur, dass es sich bei dem Doping zum allergrößten Teil um undokumentierte Menschenversuche handelt – es ist dafür, dass sich da Leute mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit selbst kaputtmachen oder kaputtgemacht werden, also nicht einmal ein wissenschaftlicher Fortschritt zu erwarten.

    „Bezüglich der Dopamine kann ich Sie beruhigen. Da haben Sie nichts verpasst. Weder ich noch alle mir bekannten Läufer haben jemals eine Wirkung verspürt.“ (Henning Flessner)
    Mal abgesehen davon, dass es nicht um die Dopamine geht, sondern um Endocannabinoide (das ist aber eine relativ neue Erkenntnis), kennen Sie anscheinend die verkehrten Läufer. Sie können im Internet sogar Anleitungen finden, wie Sie am einfachsten das „Runners High“ erreichen. Flow ist ein anderes Stichwort zu diesem Thema. Im Prinzip handelt es sich meditative Zustände, die halt über Bewegungen genauso zu erreichen sind wie über Kontemplation oder reine Konzentration auf die Tätigkeit, die man gerade ausübt. (Zen und Yoga gehören auch in diesen Zusammenhang.) Ichh habe diesen Zustand füher beim Laufen wie beim Radfahren relativ regelmäßig gehabt. Jetzt beim Skaten komme ich nicht mehr ganz ran – dafür reicht mein Trainigspensum auch wahrscheinlich nicht mehr.

  14. @ Frank Wohlgemuth und Henning Flessener

    Sehen Sie, das ist der Vorteil des Tanzens: Es bedarf keines besondereen Trainingspensums, um ein immenses Glücksgefühl zu erleben, wenn man zu den Klängen flotter Musik seine Bewegungen koordiniert und einfach abhebt.

  15. @Frank Wohlgemuth
    Vielleicht ist es mit den Endocannabinoiden wie mit der Homöopathie. Wenn man nicht daran glaubt, wirkt es nicht oder 100 km pro Woche sind zu wenig dafür.
    Dass sich die Leute sich betrogen fühlen, liegt vielleicht auch daran, dass durch die Medien der Eindruck erzeugt wurde, dass die ehrlichen trainieren und die anderen dopen.

  16. @ Henning Flessner
    „Vielleicht ist es mit den Endocannabinoiden wie mit der Homöopathie. Wenn man nicht daran glaubt, wirkt es nicht oder 100 km pro Woche sind zu wenig dafür.“ (Henning Flessner)
    Mit Sicherheit nicht. Es hat auch nicht nur etwas mit dem Trainingsumfang zu tun, sondern sehr stark auch damit, worauf Sie sich konzentrieren (können): Wer im Sport läuft, meint, laufen zu können, und wird sich im Normalfall nicht mehr auf den Ablauf der Bewegung konzentrieren. Aber genau dahin sollte er die Konzentration lenken – beim Tanzen geht es nur darum, und das auch noch zu zweit. Das können habe ich eingefügt, weil es manchmal Gründe gibt, warum des besonders schwer fällt, Schmerzen gehören dazu.

    Das mit den Endocannabinoiden mit der Homöopathie zu vergleichen, passt nicht – aber der wissenschaftstheoretische Vergleich würde diese Diskussion sprengen, einen kurze Übersicht zu der Untersuchung der Endocannabinoide finden Sie hier: http://www.zeit.de/news/2015-10/05/wissenschaft-das-glueck-des-laeufers-und-die-endocannabinoide-05211402

    In der europäischen Leichtathletik wurde/wird? der Schwerpunkt des Trainings in vielen Disziplinen neben der rein körperlichen Anpassung in Muskulatur und Kreislauf zu sehr auf die Motivation (innerer Schweinehund usw.) gesetzt und zu wenig auf die Koordination. Wenn Sie immer nur gegen die eigenen Erschöpfung angelaufen sind, war das sehr schwierig. Ich bin nie im Sport gelaufen, sondern fing an zu laufen, nachdem ich über 10 Jahre lang sehr intensiv Hatha-Yoga gemacht hatte (das geht auch ohne begleitende Esoterik). Mit diesem Hintergrund habe ich Flow-Zustände auch als Ferienjobber am Fließband erlebt. Nicht als Hochgefühl, sondern als Erlebnis der Harmonie in der Funktion, in der die Zeit keine Rolle mehr spielt. Um es nicht beim allgemeinen Schwallern zu belassen und das zu quantifizieren: Ich habe 1981 bei der AEG Solarmodule gerahmt. Man hatte einen Lieferengpass, der Abteilungsleiter kannte mich und ging davon aus, dass ich den einzigen Spezialisten, der das angeblich in der Firma konnte, nach ein paar Tagen sinnvoll ergänzen würde. Der rahmte 80 Module in der Schicht und hatte ca. 10% Ausschuss, was bedeutete, dass die relativ aufwändig nachgearbeitet werden mussten. Ab dem dritten Tag, da stand mein „Rahmentanz“ und ich bildete mit dem rhythmischen Zischen der hydraulischen Maschine eine Einheit, war ich bei 140 Modulen je Schicht und hatte einen Ausschuss von ca 1%. Nebeneffekt war, dass ich nur noch 2 Std. „zusätzlichen“ Schlaf pro Tag brauchte. (Die Erinnerung ist deshalb so präzise, weil ich damals auch meine Frau kennengelernt habe – die durfte in den beiden ersten Tagen meinen Ausschuss nacharbeiten, und der war gewaltig, weil mir die Rahmen eigentlich scheißegal waren und ich mich nur auf die Harmonie des Bewegungsablaufes konzentrierte. Und, bevor die Nachfrage kommt: Ich habe dem Abteilungsleiter damals klargemacht, dass diese Leistung in dieser Form nicht auf andere übertragbar war. Wir haben uns dann auf eine Art Akkord geeinigt.)

    Derartiges war aber nie Thema im Leistungssport: Beispiel Laufen: Selbst nachdem die Dynamik der Anpassung an Leistungsnachfragen einigermaßen durchschaut waren, ging es vornehmlich darum: Da war zuerst van Aaken, der auf langanhaltende, niedrige (Puls 120- 130) Dauerleistungen schwor (Cooper ging mit seinem Bewegungstrainig auch in diese Richtung, auch wenn sein Ziel nicht Hochleistung war) dann begann, nachdem die „Lokomotive“ Zatopek gezeigt hatte, was damit erreichbar ist, langsam das Zeitalter des Intervalltrainigs. Und heute sind wir beim Hochintensitätsintervall. Und erst, wenn sie das alles bis zu einem gewissen physiologischen Ergebnis durchlitten haben, bringt man den Läufern das Laufen bei. 😉 Die umgekehrte Reihenfolge wäre auch für den Breitensport sinnvoller. (btw: Die Bedienungsanleitung für das Runner’s High http://de.wikihow.com/Ein-Runner's-High-erreichen stammt aus dieser Leistungssport-Tradition und ist eigentlich gruselig. 2. Anmerkung: Beim Sprint ist das alles etwas anders, weil der als Spitzensport weniger trainierbar ist und mehr von persönlichen Anlagen abhängt.)

    Und da sind wir dann wieder beim Thema: Wer Sport um der Leistung Willen betreibt, wird tun, was die Leistung erhöht. Wenn das risikobehaftet ist, kann ich das bei Profis noch als geschäftlich kalkuliert verstehen – und hoffe, dass sie über genügend Information verfügen, dieses Kalkulation vollständig durchzuführen. Schlimm wird es für mich, wenn dieses Doping im Amateurbereich um sich greift, in dem die Leistung über andere Defizite hinweghelfen soll. Da wird nämlich nicht mehr kalkuliert, sondern nur noch (über-)kompensiert und das ganze ist nur kaufmännisch und nicht medizinisch begleitet.

    Das andere Thema, das Sie ansprechen, ist der passive Sport als Couch-Potato. Da wird an ein „Wir“ appelliert und nach den Gründen gesucht, wenn „Wir“ nicht die besten sind, und solange „wir“ es sind, ist alles paletti. Das wird dann hervorragend von der Sportberichterstattung bedient, und da gibt es von mir keinen Widerspruch.

  17. @ Henning Flessner
    Da verpassen Sie aber was! Wenn einem die Klänge einer Salsa, eines Jive oder Cha Cha nicht in die Beine fahren, kann man das Tanzem natürlich vergessen – es sei denn, man orientiert sich am Schwänzeltanz der Bienen, der kommt ohne Musik aus :).

  18. @Frank Wohlgemuth
    Von der Art des verlinkten Artikels aus der Zeit sind in den letzten 30 Jahren bestimmt hunderte erschienen. Die Tendenz ist immer die gleiche. Die Langstreckenläufer sind alle süchtig. In meinen Augen ist das vollkommener Unsinn. Dass man die Schmerzen am Ende eines Marathons nicht mehr merkt, gehört m. E. in den Bereich der Mythen. Man frage nur mal Arne Gabius.
    Ich habe mich oft gefragt, warum Langstreckenläufern so viel Aggressivität entgegengebracht wird (Beschimpfungen, Anspucken, mit leeren Getränkedosen bewerfen, mit der Autohupe erschrecken, festhalten, Weg versperren, etc.) und dauernd Sucht unterstellt wird. Ich kann es mir dadurch erklären, dass man eine Entschuldigung braucht, dass man seinen Hintern nicht hochkriegt.

  19. @ Brigitte Ernst

    „es sei denn, man orientiert sich am Schwänzeltanz der Bienen, der kommt ohne Musik aus :).“ (Brigitte Ernst)
    Der hat auch ein konkreteres Kommuikationsziel als die Signalisierung der Paarungsbereitschaft. Die Variationen des Bienentanzes werden nicht sportlich improvisiert sondern haben eine konkrete Bedeutung (bzw. konkrete Ursachen).

    Aber darin, dass rhytmische gemeinsame Drehungen besonders leicht in den Flow führen haben Sie Recht. Das haben die Sufis (> tanzende Derwische) auch erkannt und unsere Forschung auch, und sogar ich habe das schon bemerkt.

  20. @ Henning Flessner
    Dass Langstreckenläufern so viele Aggressionen entgegengebracht werden, finde ich bedauerlich und überflüssig. Selbst wenn der Antrieb dazu darin bestünde, dass man bestimmte angenehme Körpergefühle beim Laufen entwickelt, ist das doch jedermanns/-fraus eigene Angelegenheit. Ich persönlich habe nichts gegen Läufer, sie gefährden ja niemandem (im Gegensatz zu manchen Radfahrern auf Gehwegen.) Allerdings kann ich nicht ganz nachvollziehen, was jemanden dazu treibt, sich freiwillig solchen Schmerzen (von denen Sie berichten) auszusetzen. Ist es das Gefühl, den eigenen Schweinehund überwunden zu haben, Herr über Schwäche und Schmerz zu sein? Ich verstehe es nicht.

    @ Frank Wohlgemuth
    Ich weiß, welche kommunikative Bedeutung der Schwänzeltanz der Bienen hat. Das lernt man ja spätestens im 10. Schuljahr. Meine Bemerkung sollte ein Witz sein, daher auch das Smiley.

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