Aussicht auf einen politischen Frühling

245 Menschen sitzen noch in Guantánamo, dem US-amerikanischen Gefangenenlager auf Kuba, das der neue US-Präsident Barack Obama auflösen will. 245 Menschen, davon 60 wahrscheinlich Unschuldige, die jedoch nicht an ihre Herkunftsländer ausgeliefert werden können, weil ihnen dort Folter droht. Was soll mit ihnen geschehen? Die Entscheidung fällt auch deswegen schwer, weil es sich um sehr unterschiedliche Fälle handelt. Die EU plant nun die Aufnahme einiger Ex-Häftlinge. „Wir reißen uns nicht um die Aufnahme von Gefangenen“, sagt der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier. „Aber es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit, ob wir die Auflösung des Lagers durch die USA unterstützen oder nicht.“ Innenminister Wolfgang Schäuble, erst strikt gegen solche Unterstützung, signalisiert nun Gesprächsbereitschaft. Aufwändige Asylverfahren werden nicht erwartet; es sieht wohl eher so aus, dass die Ex-Häftlinge Aufenthaltsgenehmigungen bekommen. 

Die Kommentare der FR-Leser fallen gemischt aus. So meint Marc ten Busch aus Kerzers:

„Warum sollte die BRD, warum sollte die EU, die schon seit jeher den Autokraten Bush wegen Guantánamo kritisierten, jetzt die von ihm geschaffenen Probleme lösen müssen? In der Sache durch nichts zu begründen. Eher schon durch die Aussicht auf einen politischen Frühling jenseits des Atlantik, durch die Vorfreude, endlich wieder in einen echten Dialog mit den USA eintreten zu können. Und daher aus der Angst heraus, diese einmalige Chance zu verpassen, wenn sich der Wind in den USA wieder drehen sollte. Die Devise heißt, Obama gegen die Falken unterstützen. Ob es jemals eine Situation gegeben hat, in der der „Restwesten“ mehr als jetzt die Politik in den USA beeinflussen konnte?
Außerdem: Haben nicht auch die Kritiker von Guantánamo eine Teilschuld, die EU, die trotz des offensichtlichen menschenrechtsverletzenden Verhaltens der USA keine Konsequenzen hat folgen lassen und nur – quasi pflichtschuldig – wohltemperierte Worthülsen versandte?“

Werner Simon aus Quilpue in Chile:

„Es ist eine Schande, dass die Bundesregierung, und vor allem Herr Schäuble, diese Negativeinstellung hat. Man weiß doch, dass es viele Gefangene in Guantánamo gibt, deren Schuld sehr zweifelhaft ist. Schäuble, das wissen wir, war immer ein glühender Anhänger des George W. Bush, und es wird ihm schwer fallen – wenn überhaupt –, dem neuen Präsidenten entgegenzukommen und etwas Positives für den Menschenrechte zu leisten, die Bush so unbarmherzig unterdrückt und verachtet hat. Schäuble sollte seinen Kurs ändern, und die Welt nicht mit Hass und Groll ansehen. Er sollte auch, wie Obama, sagen: Yes, we can.“

Thorsten Perner aus Berlin:

„Wir haben so viele Migrationsbaustellen in Deutschland, warum um Gottes Willen eine neue? Diese Leute haben doch nun erst recht ein Integrationsproblem. Auch drängt sich mir dabei immer der Gedanke an die Piloten vom 11. September auf, die unter uns lebten.“

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3 Kommentare zu “Aussicht auf einen politischen Frühling

  1. Die Amerikaner haben dieses „politische“ Gefängnis, auf Guantanamo errichtet und über Jahre hinweg betrieben, mit all den Menschenrechtsverletzngen, welche sie den dort inhaftierden „Terroristen“ angetan haben.
    Für die erst vielleicht in Monaten bevorstehende Auflösung dieses „Folterlagers“, und Verlegung deren Insassen, sind ganz alleine die USA zuständig, bzw. verantwortlich! Warum drängt sich bereits jetzt schon der deutsche Außenminister Frank W.Steinmeier vor, um den einen, wie auch anderen „nicht“ Terroristen, in die BRD aufzunehmen, obwohl noch gar kein Ersuchen, seitens der neuen amerikanischen Regierung, erfolgt ist?
    Und, wer gibt die Garantie, das es „wirklich“ keine Terroristen sind,welche evtl. bei uns in Deutschland, aufgenommen werden? Einmal im Land aufgenommen und geirrt? Dann hat diese Republik wieder ein „zusätzliches“ gewaltiges Problem! Als wenn wir nicht schon genügend andere haben!

  2. Ich finde es großzügig und angemessen, den Häftlingen und den USA dieses Angebot zu machen.

    Kann sich jemand vorstellen, was es bedeuten würde, in dem Land leben zu müssen, welches einen so mißhandelt hat?

  3. Der Einleitungstext ist falsch.

    „245 Menschen sitzen noch in Guantánamo, dem US-amerikanischen Gefangenenlager auf Kuba, das der neue US-Präsident Barack Obama auflösen will. 245 Menschen, davon 60 wahrscheinlich Unschuldige, die jedoch nicht an ihre Herkunftsländer ausgeliefert werden können, weil ihnen dort Folter droht.“

    Dieser Text ist falsch, denn er legt nahe, daß JEDER der 245 Gefangenen in seinem Heimatland grundsätzlich von Folter bedroht wird; das ist aber nicht so. Es wäre schön gewesen, wenn die FR recherchiert hätte, wieviele Insassen denn nun wirklich in ihrem Heimatland mit Folter bedroht werden.

    Ein Großteil der Insassen wurde in Afghanistan und in Pakistan aufgegriffen, und hatte dort zuvor eine gewisse Zeitlang auch gelebt. In Pakistan wird wohl kaum jemand, der in Guantanamo war, mit Folter bedroht, und in Afghanistan auch nicht, wenn der Westen nicht entsprechende Befehle an seine Marionettenregierungen in diesen Ländern gibt. Pakistan und Afghanistan wären also perfekte Länder für eine Rückführung jener, die in ihren Heimatländern mit Folter bedroht werden (weil sie in terroristische Aktivitäten gegen die dortigen Regierungen verwickelt sind), und die sich in der Vergangenheit schon längere Zeit in einem dieser beiden Länder (oder in beiden) aufhielten.

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