Gibt es wieder Krieg in Europa?

In der Ukraine-Krise ist nach wie vor keine Entspannung in Sicht. Vielmehr beunruhigt hierzulande viele Menschen, dass Verhandlungen zwischen der EU und Russland nicht weiterzukommen scheinen. Die Angst vor einem Krieg wächst und mir Ihr möglicherweise auch die Erkenntnis, das hier der Europäische Gedanke auf dem Prüfstand steht, war die EU nicht zuletzt gegründet worden, um einen weiteren großen Krieg zu verhindern.

Auch auf den Leserbriefseiten schlagen die Wogen hoch. Am 7. Mai hatte Stefan Hebel in der FR den Leitartikel „Die Farben des Friedens“ veröffentlicht. Daraufhin entsann sich eine interessante Debatte darüber wie man mit Putin über eine Lösung des Krimkonfliktes und der Ukraine-Krise ins Gespräch kommen könnte. Interessant daran finde ich, dass nur darüber spekuliert wird, ob Russland Interesse an Verhandlungen haben könnte. Könnte man die Frage nicht auch umdrehen und fragen, welches Interesse hat eigentlich der Westen an einer politischen Lösung? Doch nun zur Debatte im FR-Leserforum

Andreas Buro aus Grävenwiesbach:
Sanktionen gegen Konfliktpartner können leicht zu Eskalationen führen, die schwer zu beherrschen sein dürften. Wie will man dann noch einen Dialog auf Augenhöhe zustande bringen? Der durch Sanktionen Bestrafte ist ja vorverurteilt. Russland ist eine Großmacht, die man nicht demütigen sollte, wenn man mit ihr ernsthaft verhandeln will.
Der Westen muss Kiew immer wieder dazu auffordern, auf alle Provokationen zu verzichten. Wie konnte man dort auf den Gedanken kommen, Russisch als offizielle Zweitsprache verbieten zu wollen –haarsträubend!
Von Moskau ist auch von der hiesigen Friedensbewegung zu verlangen, die russophilen Kräfte im Osten der Ukraine von Gewalthandlungen abzuhalten. Eine Teilung des Landes würde eine Brückenfunktion zwischen West und Ost verhindern.

Der Westen sollte Russland gemeinsame Verhandlungen vorschlagen, unter Anknüpfung an die ehemals erfolgreichen KSZE-Verhandlungen, über Gemeinsamkeiten und gemeinsame Interessen in der Gestaltung des Europäischen Hauses. Unter Bezug also auf einen Begriff, der seinerzeit ausführlich diskutiert wurde.

Dabei ging es auf beiden Seiten nicht nur um wirtschaftliche Interessen, sondern auch um die Errichtung eines Systems kollektiver Sicherheit. Hier wieder anzuknüpfen wäre ein wichtiges politisches Signal an Russland. Das würde vermutlich die USA nicht erfreuen, stellte jedoch eine erhebliche Emanzipation europäischer Politik dar. Dabei könnte eine revitalisierte OSZE eine wichtige Rolle spielen.

Peter Schlotter aus Frankfurt zu Andreas Buro:

Andreas Buro fordert zu Recht Verhandlungen und geht naiver Weise davon aus, dass Russland daran ein Interesse hätte. Das kann sein, man muss es austesten, das kann aber auch nicht sein. Er verliert kein Wort über Russlands Wandlung zu einem autoritären Staat, die Putin seit einigen Jahren mit der Niederknüppelung jeder kleinsten Oppositionsregung vehement vorantreibt. Wenn Putin vom eigenen Versagen auf wirtschaftlichem Gebiet ablenken will, indem er die riskante Karte des Chauvinismus und der Aufwiegelung russischer Minderheiten in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion spielt, dann hat er möglicherweise gar kein Interesse an Verhandlungen und verhält sich – wie bisher – hinhaltend.

Bernd Schneider aus Frankfurt zu Andreas Buro:

Andreas Buros Ausführungen werden dann ärgerlich, wenn man sich klar macht, welche Aspekte er ausklammert, was er bereits akzeptiert hat: Akzeptiert hat er die völkerrechtswidrige Annektion der Krim, sie wird mit keinem Wort mehr erwähnt. – Ausgeklammert wird, dass es sich bei der russischen Politik gegenüber der Ukraine nicht um einen Einzelfall handelt, Transsinistrien, Tschetschenien, Südossetien werden mit keinem Wort erwähnt. – Ausgeklammert wird die russische Innenpolitik, die Wandlung zu einem autoritären Staat. – Ausgeklammert wird die russische Wirtschaftspolitik, der zunehmende Verfall der maroden russischen Wirtschaft, das Versagen Putins auf diesem Feld – und somit wird ausgeklammert, dass wir hier wieder mal den Beweis erleben, dass nationalistische Außenpolitik von inneren Schwierigkeiten ablenken soll.

Andreas Buro antwortet darauf:

Die Frage, ob der Kreml wirklich an Verhandlungen interessiert sei, kann gegenwärtig angesichts der vielfältigen Gemengelage von innen-, außen- und wirtschaftspolitischen Problemen niemand mit Sicherheit beantworten. Dies hängt jedoch bestimmt auch davon ab, welche Ziele in solchen Verhandlungen vorgegeben werden. Ich habe unter anderem die Ukraine als Brücke zwischen West und Ost, ein System gemeinsamer Sicherheit und Neutralität nach finnischem Muster genannt. Angesichts des NATO-Vormarsches gen Osten sind dies vermutlich für Moskau höchst interessante Themen.
Ich sehe es wie Peter Schlotter, dass sich besonders stark fühlende Mächte in Verhandlungen wenig zu friedenspolitischen Kompromissen neigen. Das Verhalten der USA von Vietnam bis zur Gegenwart in Afghanistan bietet dafür überwältigende Beispiele. Russland lieferte sie z.B. in Tschetschenien. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob sich das autoritäre Russland gesamtpolitisch wirklich in einer so starken Position befindet. Vor Ort durch eingeschleustes Militär wohl ja, aber wird das entscheidend sein?
In meiner Analyse hatte ich auf die Schwierigkeiten und Abhängigkeiten Russlands hingewiesen. Schlotter wendet gegen meinen Vorschlag einer ukrainischen Neutralität ein, dass die Völker nach der KSZE-Akte das Recht hätten, über sich selbst zu bestimmen. Das trifft zu. Er vergisst jedoch hinzuzufügen, in welchem Maße die Nationalstaaten Schindluder mit diesem Recht betreiben. Ich finde, auch für Friedensforscher sollte die reale Machtpolitik in ihre Überlegungen eingehen.

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Ein Kommentar zu “Gibt es wieder Krieg in Europa?

  1. „Ich finde, auch für Friedensforscher sollte die reale Machtpolitik in ihre Überlegungen eingehen.“

    Ganz wesentlicher Punkt , sowohl die Idealisten der Selbstbestimmung als auch die einseitig westlich Gestimmten tun gerade so , als hätte es heikle Situationen und den Umgang mit Diktaturen noch nie gegeben.
    Als der Westen noch nicht so selbstverliebt war wie heute , wurde das häufig begriffen , heute scheints da manchen einfach zu gut zu gehen .

    Darüberhinaus darf mal die Frage gestellt werden , wo diese ganzen Völkerrechtler eigentlich sind , wenn es z.B. in Afrika zum guten Ton gehört , zu putschen , Grenzen zu verletzen und Kriege immer gleich zu einem üblen Exzess ausarten zu lassen.

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