Und mein Großvater jubelte ihnen zu

Wie es bei uns gute Tradition ist, bringe ich hier einen Leserbrief in voller Länge, für den ich im Print-Leserforum der Frankfurter Rundschau nur in gekürzter Form Platz hatte. Es handelt sich um einen offenen Brief von Andreas Gaubatz aus Tholey an Alexander Gauland von der AfD. Gauland hatte einen Schlussstrich unter den Umgang mit dem Nationalsozialismus gefordert. „Man muss uns diese zwölf Jahre jetzt nicht mehr vorhalten“, sagte er am 2. September 2017 beim sogenannten Kyffhäuser-Treffen der rechtsnationalen AfD-Gruppierung „Der Flügel“. Weiter im Zitat: „Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr. Und das sprechen wir auch aus. (…) Und deshalb, liebe Freunde, haben wir auch das Recht, uns nicht nur unser Land, sondern auch unsere Vergangenheit zurückzuholen. Wenn die Franzosen zu Recht stolz auf ihren Kaiser sind und die Briten auf Nelson und Churchill, haben wir das Recht, stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen.“ Dazu der folgende Gastbeitrag.

Und mein Großvater jubelte ihnen zu

Von Andreas Gaubatz

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Sehr geehrter Herr Gauland, sicher werden Sie in Ihrer unerschütterlichen Überheblich- und Selbstgefälligkeit meine Zeilen gar nicht erst lesen. Eine Antwort erwarte ich noch weniger. Nichtsdestotrotz möchte ich Ihnen die Geschichte meines Vaters erzählen. In Anbetracht Ihrer Lobeshymnen auf die Leistungen der deutschen Soldaten in zwei Weltkriegen.

Mein Vater war Jahrgang 1920. Natürlich war für alle Knaben und Mädchen damals die Hitler-Jugend das Höchste, die pubertierenden Kinder durften nun endlich „Mann“ (oder „Frau“) sein. Beim Geländespiel, bei Wanderungen mit Karte und Kompass, beim Kochen und Backen, beim Bau von provisorischen Brücken über kleine Bäche. Und noch viel mehr, was HJ und BDM zu bieten hatten. Um aus Kindern und Jugendlichen einst Soldaten und Gebärmaschinen zu machen. Und mein Großvater jubelte ihnen zu.

Später war mein Vater beim Reichsarbeitsdienst in Frankreich stationiert. Kein aufregendes Leben. Aber er suchte diese Aufregung auch nicht, der Krieg bereitete ihm Sorgen. Er war zwar noch nicht verheiratet in jener Zeit und hatte auch noch keine Kinder. Aber einen Bruder, eine Mutter. Und einen Vater, der den Nationalsozialisten auf den Leim ging. Und mein Großvater jubelte ihnen zu.

Später landete mein Vater in Russland. Wer in der Geschichtsstunde aufgepasst hat, der weiß, was das zu bedeuten hatte. Vielleicht war das Gnädigste, was man dort erfahren durfte, ein schneller und schmerzloser Tod. Mein Vater fraß im Wortsinne Scheiße, hatte nur noch den Drang zu überleben. Er war das Opfer der Durchhalteparolen und des Wahns der Granden der Partei. Und mein Großvater jubelte ihnen zu.

Mein Vater geriet in Gefangenschaft. In Russland. Auch hier weiß man von überlebenden Zeitzeugen, was deutsche Soldaten in russischer Gefangenschaft zu erwarten hatten. Doch mein Vater überlebte es. 1946 kehrte er heim. In eine zerstörte Heimat. Ein gebrochener Mann, dem die Nazis, die Wehrmacht, seine besten Jahre stahlen. Und mein Großvater jubelte ihnen zu.

Später verstanden wir Kinder zunächst nicht, warum unser Vater einen großen Bogen um die Schießstände auf der Kirmes machte. Und uns gebetsmühlenartig, besonders zu Fasching, erklärte, dass man mit Waffen nicht auf Menschen zielen dürfe. Auch nicht, wenn es Spielzeug-Waffen sind. Und sogenannte „alte Kameraden“, die mehr oder weniger dem Führer hinterher heulten, hatten in ihm keinen besonders guten Freund. Auch mein Großvater jubelte ihnen weiter zu.

Nun kommen Sie daher und schwadronieren von den Leistungen der Wehrmacht und dass man stolz auf sie sein könne. Sie reden über den Krieg, als wäre es ein Schulausflug. Aber das ist nichts Neues. Sie wollen andere Menschen „entsorgen“ und lästern über dunkelhäutige Mitbürger, selbst wenn es berühmte Fußballer sind. Sie hetzen über andere Kulturen und Religionen und schüren die natürliche Ur-Angst der Menschen vor allem was fremd ist. Die vielen Entgleisungen aus Ihrem Munde, und dem Ihrer Partei-Schergen haben aber die AfD-Maske der bürgerlichen Partei herab gerissen und die hässliche Fratze des Rechtspopulismus zum Vorschein gebracht. Sie haben zwar bei der Bundestagswahl einen beachtlichen Wahlerfolg erzielt, aber nützen wird er Ihnen nichts. Sie möchten mit rund 90 Hanseln die Regierung vor sich her treiben. Realitätsverlust aus dem Lehrbuch.

Sie haben angekündigt, Sie würden sich „Ihr“ Land und „Ihr“ Volk zurückholen. Dazu hätte ich eine Bitte an Sie: Lassen Sie mich, wo ich bin. Denn ich gehöre ganz sicher nicht zu „Ihrem“ Land und „Ihrem“ Volk. Ich gehöre zu einem weltoffenen, liberalen, humanitären Deutschland. Und habe mit Ihren kruden Thesen und Ihrem Verständnis von Demokratie so rein gar nichts am Hut. Mein Großvater hätte Ihnen vielleicht zugejubelt. Mein Vater ganz sicher nicht. Und ich erst Recht nicht.

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6 Kommentare zu “Und mein Großvater jubelte ihnen zu

  1. Dieser Leserbrief verdient Anerkennung; er hätte vor der Bundestagwahl überall verbreitet werden müssen.
    Ich habe in der Lokalpresse erlebt, wie die Neurechten massiv polemisieren und leider sehr viele Menschen auf deren Theorien hereinfallen anstatt sich mit den eigentlichen Vorhaben der Rechten zu beschäftigen.
    Es müsste viele Andreas Gaubatz geben.

  2. Hallo,

    ich kann Herrn Gaubatz nur zustimmen. Die Verharmlosung des Waffengebrauchs oder auch nur das Zielen mit einer Waffe auf eine Person wurde mir von meinem Vater auch „ohne wenn und aber“ ausgetrieben. Heute weiß ich auch warum. Auch er war in Gefangenschaft und hat das Leid an eigenem Leib erfahren, welches durch Waffen angerichtet wird. Schämen wir uns für Leute, die den Rechtspopulismus / Rassismus heute bei allen gegebenen Informationsmöglichkeiten darüber verharmlosen!

  3. Herr Gauland denkt etwas sehr kurz,oder er verkürzt strategisch, um in eine bestimmte Richtung zu manipulieren. Das eine ist dumm, das andere verlogen. Er meint, wenn andere Nationen auf ihre Armee stolz seien, dürften Deutsche das auch bezüglich der Wehrmacht. Diese Überlegung ist kurzsichtig und blödsinnig und offenbart seine ‚Unfähigkeit zu trauern‘. (Alexander und Margarethe Mitscherlich) Außerdem weiß er nicht, worüber er redet. Herr Gaubatz belegt dies im obigen Leserbrief. Ich kann dies durch Erfahrungen meines Vaters (Jahrgang 23) bestätigen. Aber Herr Gauland will nicht argumentieren, sondern hetzen, um seine Themen zu heraus zu stellen. Ich kann mich Herrn Gaubatz nur anschließen: Ich will sein Deutschland nicht. Herr Gauland und seine sog. Partei sollen sich verhalten wie richtige Deutsche und sich an das Grundgesetz halten.

  4. Vielen Dank für die Veröffentlichung dieses sehr beeindruckenden Leserbriefs, den ich mit jeder Zeile unterschreiben kann.
    Mir erscheint die Verbindung von politischer Aussage und persönlichem Erleben sehr gelungen. In dem verbohrten Großvater sind unschwer menschenverachtende Ideologen vom Schlage eines Alexander Gauland zu erkennen, die heutzutage wieder als große Wortführer auftreten.

    Ein Wort zur Funktion dieses Leserbriefs:
    Er ist formal als offener Brief an Alexander Gauland gerichtet.
    Natürlich geht niemand davon aus, dass dieser sich überzeugen ließe oder einen solchen Brief überhaupt nur zur Kenntnis nähme. Darum geht es nicht, sondern darum, ein Signal zu setzen:
    Ein Demagoge wie Herr Gauland gehört nicht in den Bundestag, sondern vor den Kadi. Das dürfte der einzig adäquate Umgang mit solch üblen Zeitgenossen sein.
    Der Tatbestand einer Volksverhetzung nach §130 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs erscheint im Falle des Herrn Gauland mehrfach erfüllt. Sowohl nach Absatz 1 (Aufstachelung zum Hass), als auch nach Absatz 2 (Verletzung der Menschenwürde), zuletzt in seinen Ausfällen gegen die Integrationsbeauftragte.
    Funktion eines solchen Leserbriefs kann vielmehr sein, auf die Mitverantwortung all derer hinzuweisen, die sich solchem Treiben anschließen, es billigen oder zu verharmlosen suchen. Letzteres ist gerade in verschiedenen Online-Foren massenhaft geschehen und kann so nicht hingenommen werden.

  5. Ich gehe davon aus, dass Herr Gauland schon genau weiß, was die Wehrmacht an Verbrechen zu verantworten hat, besonders im Osten. Umso gefährlicher ist sein gewissenloses Tun, das leider viele Nachbeter findet, die leichtfertig vom Strichziehen unter die Vergangenheit sprechen und die sich nicht weiter mit unserer jüngsten Geschichte befassen wollen.

  6. @Josef Ullrich

    „Ich gehe davon aus, dass Herr Gauland schon genau weiß, was die Wehrmacht an Verbrechen zu verantworten hat, besonders im Osten.“
    Ihr Beitrag veranlasst mich zu einer Überlegung.
    Leugnung des Holocausts ist in deutschsprachigen Ländern ein eigener Straftatbestand. Darüber hinaus gibt es ähnliche Beschlüsse der EU:
    „Seit 2008 sind die EU-Mitgliedsländer per Rahmenbeschluss verpflichtet, „das öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen“ unter Strafandrohung zu stellen, wenn diese Verbrechen „nach den Kriterien der Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft“ begangen wurden.“
    (Wikipedia, Gesetze gegen Holocausleugnung)
    Die Äußerungen von Herrn Gauland zur Wehrmacht laufen auf eine Leugnung von deren Verbrechen hinaus und könnten analog zur Holocaustleugnung gesehen werden.
    Es wäre m.E. zu prüfen, ob Herr Gauland auch wegen dieser Äußerungen strafrechtlich belangt werden kann.
    Vielleicht könnte sich jemand dazu äußern, der sich in juristischen Dingen etwas besser auskennt.

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