„Manchmal werde ich aus der FR einfach nicht schlau“, schreibt Julian Berberich aus Darmstadt. „Da wird einerseits ein so hervorragender Artikel wie „Feindbilder und Sündenböcke schüren die Angst“ veröffentlicht , in dem es um den heutigen völlig übertriebenen Überwachungsstaat in Zeiten des globalen Terrors geht, der die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen immer weiter einzuschränken gedenkt und dann schreibt man völlig kritiklos Meldungen der Bundesanwaltschaft ab, die in der Durchsuchung linker Kulturprojekte wie der Roten Flora in Hamburg, die ja tatsächlich hauptsächlich ein Veranstaltungsort ist, an einen effektiven Schlag gegen den „linken Terrorismus“ sehen. Dabei wird doch auf den ersten Blick klar, dass hier der G8-Gipfel zum Anlass genommen wird, unliebsame linke Projekte zu beschädigen oder gar in ihrer Existenz zu gefährden. Hier geht es eindeutig um massive Repression gegen den legitimen demokratischen Protest der G8-Gegner, die sich vor allem nicht durch einen Bezug auf solch obskure Paragraphen wie 129a rechtfertigen lässt. Eine kritischere Berichterstattung seitens der FR wäre hier unbedingt wünschenswert.“

Was ist passiert? Die FR hatte getitelt: „G8-Gegner unter Terrorverdacht„. Inzwischen ist die Berichterstattung online erweitert worden: „G8-Gegner protestieren gegen Groß-Razzia„. Die Einleitung des ursprünglichen Textes: „Bei bundesweiten Razzien ist die Polizei gegen militante G8-Gegner vorgegangen. Sie sollen eine terroristische Vereinigung gebildet habe. G8-Kritiker sprachen von einem massiven Einschüchterungsversuch. Es kam zu Protesten.“ Das ist sachlich und neutral – ein typischer nachrichtlicher Text, dem aus meiner Sicht nichts vorzuwerfen ist, zumal er von einem kritischen Kommentar aus der Feder von Stephan Hebel begleitet wurde. Hinzu kommt eine Reportage von Jörg Schindler, die das Thema vertieft. Die Kritik, Herr Berberich, geht also fehl: Nachricht und Kommentierung bleiben bei uns säuberlich voneinander getrennt. „Plumpe Meinungsmache“, wie sie Ann Feldmann in einer weiteren Zuschrift erkennen will, sieht in meinen Augen anders aus.

Nachdenklicher fällt eine Zuschrift von von Niklas Reese aus Wuppertal aus:

„Die Aktionen der Bundesanwaltschaft überschlagen sich vor lauter Eventualitäten: Explizit sollte präventiv gegen mögliche Gewaltakte vorgegangen werden, die aus den Reihen der alternativern & linken Szene kommen mögen. Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft erklärte sogar im heute-journal, es gebe keine Hinweise auf Gewalttaten, sondern ‚wir erhoffen uns Aufschluss über die Zusammenhänge in der globalisierungskritischen Bewegung‘. Da sind die Diskussionen über Onlineüberwachung und Vorratsspeicherung ja geradezu putzig. Wenn die staatliche Justiz es für angebracht hält, schickt sie Polizisten los und lässt Computer, Drucker etc. beschlagnahmen. Schon den Kapitalismus zu kritisieren ist terrorismusverdächtig.

In einer Güterabwägung zwischen Sicherheit und Demokratie hat letztere zurückzustehen. Demokratie und Meinungsäußerung nur dann, wenn Null Risiko und Gefahr bei ihrer Ausübung zu erwarten ist. Da Risiko eine Grundtatsache moderner Großgesellschaften ist, heißt dies für dessen Bürger/innen: Demokratie darf nur in engen Grenzen wahrgenommen werden (während sich Regierende und Wirtschaft – siehe Klimaproblematik – weiterhin hoch riskant verhalten dürfen). Politische Betätigung ist ein Sicherheitsrisiko. Da wird eine gesamte Szene und eine gesamte (nicht herrschaftskonforme) politische Richtung unter Kriminalitätsverdacht gestellt. Mit ihren Positionen muss man sich dann nicht mehr auseinandersetzen. Die Fixierung auf die Gewaltfrage vor dem G8-Gipfel ist eine solche Ablenkungsstrategie.“

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9 Kommentare zu “Feindbilder

  1. Ja, ja der Herr Schäuble! Ich hätte heut morgen im Bad fast die Zahnbürste verschluckt, als ich in den Nachrichten die Meldung vernehmen musste, dass Herr Schäuble ernsthaft erwöge, die ach so gefährlichen G8-Gipfel-Protestler „wegen der zu erwarteten Ausübung von Straftaten“ sicherheitshalber vorab festnehmen zu lassen. Leute, Leute! Dann bräuchten wir ja massenhaft Gefängnisse, denn das wäre ja erst der Anfang. Denn, wenn es danach ginge, dann müsste man ja die komplette NPD, einen Teil des Bundestages und nicht zuletzt Herrn Schäuble selber einlochen …

    Man möchte so viel über Herrn Schäuble reden oder schreiben, aber das kann einem im zukünftigen Polizeistaat ja ganz schön auf die Füße fallen.

    Jetzt fängt der Mann schon an die alte SED zu kopieren und Gefallen den Methoden des verhassten Systems zu finden. Was eine Ironie!

    P.S. Erinnert ihr euch noch an Schäuble und Gollum im Magazin unter „perfekt geklont“. Das war die geilste Gegenüberstellung bisher, was haben wir gelacht!!!

  2. Vorabuntersuchung ?
    Vorabbeschlagnahme ?
    Vorabverhaftung ?

    Wenn diese Praxis vor wichtigen Events Schule macht, sollte man vor anstehenden Aktionärssitzungen mal den Aufsichtsrat des jeweiligen Konzerns vorab polizeilich befragen und unter die Lupe nehmen. Sicher könnte man damit zukünftig geplante Straftaten eruieren und bereits geschehene aufklären. Es ist unglaublich, in welchem Ausmaße die Angriffe auf die Verfassung zunehmen, ohne dass die Angreifer dingfest gemacht werden.

  3. Recht und Gesetz werden mit Füßen getreten, die Belange der Bürger nicht ansatzweise vertreten! Das ist auf vielen Politikfeldern zu beobachten, z.B. bei Tiefensee und seinem „Bahn an die Börse“ oder auch bei Herrn Seehofer in Sachen Verbraucherschutz.

  4. Sehr richtig Herr Bronski,
    natürlich ist meine Kritik daneben, die FR verhält sich journalistisch absolut korrekt.
    Vielleicht habe ich mir in meiner Erregung von einer erklärtermaßen links-liberalen Zeitung einfach ein klareres Statement erhofft, denn auch und gerade der Kommentar ist ja nun völlig daneben, da er nichts anderes macht als alle anderen Mainstreammedien auch, nämlich zu versuchen, die G8-Kritiker in gute friedliche und böse „gewalttätige“ Demonstranten zu spalten,unter völliger Verkennung der Tatsache, von wem hier eigentlich die Gewalt ausgeht. Das ist doch wohl die Politik der G8-Staaten in aller Welt sowie deren Apparate wie etwa die Polizei und nicht der ein oder andere Steineschmeißer. Aber das zu erkennen, dafür ist die FR dann wohl doch einfach zu bürgerlich oder sie hat Angst vor der eigenen Courage.
    Zum Thema selbst bleibt den heutigen Schäuble-Aussagen nicht mehr viel hinzuzufügen.
    Einfach alle wegsperren die Terroristen, oder gleich an die Wand mit ihnen.
    Es ist nur noch traurig.

  5. @ Julian, Stefan Hebels Kommentar

    Findest du ihn wirklich so abwegig?

    Gut, Stefan versucht in gewohnter Manier, einen Ausgleich zu finden und nicht anzuklagen, das muß man nicht mögen. Aber es ist nun mal leider so, das es ein paar steinewerfende Arschlöcher sein können, die eine friedliche Demonstration zum überkochen bringen. Ich habe das selbst schon erlebt.

    Es gibt natürlich aber auch die andere Seite, wenn gestresste Polizisten plötzlich auf friedliche Demonstranten einschlagen (und ja, sowas passiert auch in Deutshland).

    Letzlich müssen sich beide Seiten zusammenreißen, dann kann auch der Protest Gehör finden (ob es was hilft, vermag ich natürlich nicht zu sagen).

    @ Schäuble, Feindbild:
    Vermutlich reicht das islamistische Bedrohungspotential nicht mehr (lange) aus. Osama ist mit seiner Dialysemaschine in den Bergen von Pakistan. Saddam ist tot und der kleine Iraner hat vermutlich schon Atomwaffen und ist deshalb eine Numme zu groß. Um also weiter Freiheitsrechte einschränken zu können, werden nun mal wieder die Linken rangenommen. Geht eigentlich auch mal jemand gegen Nazis vor oder ist das mittlerweile der Verfassungsschutz? 😉

    MfG Jan

  6. Jan schrieb:
    „Um also weiter Freiheitsrechte einschränken zu können, werden nun mal wieder die Linken rangenommen. Geht eigentlich auch mal jemand gegen Nazis vor oder ist das mittlerweile der Verfassungsschutz? ;)“
    Sehr richtig, dieser Einwurf.
    Nazis haben seit der Wende 89′ hunderte von Menschen totgeprügelt, verbrannt, und schwer verletzt. Taten, die man wirklich als Terror bezeichnen könnte. 18000 Straftaten waren es glaube ich letztes Jahr, allesamt aus niedersten Beweggründen zu Stande gekommen. Aber dass da von staatlicher Seite mal wirklich was gegen unternommen wird, darauf kann man lange warten. Von einem Mord auf Seiten der Linken habe ich seit der RAF nicht mehr gehört.
    Auf dem rechten Auge blind, so war es wohl schon immer. Solange hier Schönbohms, Oetingers und Schäubles, von dem ich bis vor kurzem gar kein so schlechtes Bild hatte, regieren, ist der Terror aber links oder islamisch.

  7. @ Julian

    „Vielleicht habe ich mir in meiner Erregung von einer erklärtermaßen links-liberalen Zeitung einfach ein klareres Statement erhofft … unter völliger Verkennung der Tatsache, von wem hier eigentlich die Gewalt ausgeht …“

    Dazu hier ein weiterer Kommentar von Stephan Hebel.

  8. der liebe herr bronski hat mich gefragt, ob ich nicht einen leserbrief, den ich an die Abendzeitung Nürnberg und u.a. an ihn verschickt habe hier nicht posten möchte, was ich hiermit gerne tue:

    Anton Tschechow hat geschrieben „wenn im ersten Akt ein Gewehr an der Wand hängt, wird es im letzen Akt auch abgefeuert.“
    unter diesem Gesichtspunkt halte ich das, was an Politik der sog. inneren Sicherheit die letzten jahre läuft für äusserst bedenklich. Die vorratsdatenspeicherung z.b. der Internetverbindungsdaten irgendwann einmal auf z.b. politisch unliebsame hin abzugleichen ist technisch ein Kinderspiel. Mit Anton Tschechow betrachtet ist es auch nur noch eine Frage der Zeit, wann es mit der Scheibchenweisen Einschränkung von Bürgerrechteung durch Überwachung, Registrierung und beobachtung dann so weit ist. Wenn man also Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung, Onlinedurchsuchung, Biometrischerpass, Einsatz der Bundeswehr im inneren, Frontex etc. auch noch mit der Faschismusanalyse des von den Nazis verfolgten Georgi Dimitrow in Zusammenhang bringt, kann einem Angst und Bange werden. Dimitrow sagte, dass „Faschismus die terroristische Dikatur des Finanzkapitals“ sei. nun leben wir ja (noch) nicht in einer Dikatur. Jedoch spätestens seit Gerhard Schröder 1999 öffentlich bekannte, er werde keine Entscheidung gegen die Wirtschaft treffen, kann man doch von einer unmittelbaren Herrschaft des Kapitals sprechen. Wenn man hier jetzt noch die oben und in ihrem Artikel genannten innenpolitischen Massnahmen ins Spiel bringt kann einem Angst und Bange werden, vielleicht nicht gleich morgen, aber doch zumindest übermorgen. Es gilt also wachsam zu sein.

  9. @ 8. Karsten

    Für Ihre sicher berechtigten langen Ausführungen, gegen die ich hier nichts einwenden will, hätte mein Großvater an gleicher Stelle gesagt: „Wer Mehl aus dem Speicher holt, der will auch backen“! mfg,hjs

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