Frankreich geht mit großen Schritten der Stichwahl entgegen, die auch für die Zukunft der EU eine entscheidende Rolle spielen wird. Nach dem ersten Wahlgang am vergangenen Sonntag blieben für die entscheidende Stichwahl am 7. Mai der frühere Wirstchaftsminister und EU-Freund Emmanuel Macron und die rechtsextreme EU-Hasserin Marine le Pen vom Feront National übrig.

MacronMacron ist politisch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt, und die Auguren rätseln vielfach noch, wohin die Reise mit ihm gehen würde. Er präsentierte sich im Wahlkampf als Gegenentwurf zum Establishment, obwohl auch er an der Kaderschmiede ENA ausgebildet wurde. Vielen Linksdenkenden gilt er als wirtschaftsliberal. Er selbst nennt sich wohl sozialliberal. Es scheint, als ob er in das herkömmliche Links-Rechts-Muster nicht so recht hineinpasst. Wie er Frankreich umbauen will, das hat FR-Autor Thorsten Knuf in einem Artikel zusammengetragen. Besonders aufregend oder gar revolutionär klingt das alles zunächst nicht. Umso bemerkenswerter ist, dass er mit seiner Bewegung „En marche“ so viele Menschen begeistern konnte.

Man könnte Macron als den Kandidaten der Stadtbevölkerungen bezeichnen. Damit wäre er der „Anti-Le Pen“, denn seine Widersacherin Marine le Pen vom Front National gilt als die Kandidatin des ländlichen Frankreichs, obwohl der Front National bereits zehn Bürgermeister auch in mittelgroßen Städten stellt. Im Vergleich zu ihrem offen antisemitischen Vater hat Marine le Pen Kreide gefressen, denn sie weiß vermutlich, dass sie für einen etwaigen Wahlsieg zu Zustimmung breiter konservativer Bevölkerungskreise braucht, die von allzu extremen Positionen verschreckt werden könnten. Hier ein Porträt von ihr, gezeichnet von FR-Korrespondent Axel Veiel. Le Pen bezeichnet sich als patriotisch, will „Franzosen zuerst“ bedacht sehen, will raus aus dem Schengenraum, dem Euro und der EU.

MarineSo bietet sich ein Bild von den Optionen, die die französischen Wählerinnen und Wählern haben, das ein bisschen was von der Wahl zwischen Pest und Cholera hat. Vor eine solche Wahl waren die Menschen in Frankreich schon einmal gestellt: Im Jahr 2002 war Jean-Marie le Pen, der Vater von Marine le Pen, in die Stichwahl um das Amt des Staatspräsidenten gekommen, so wie jetzt die Tochter. Damals wählten die gebündelten demokratischen Kräfte des Landes den bisherigen Staatspräsidenten Jacques Chirac mit mehr als 82 Prozent der Stimmen. Eine solche Bündelung gibt es diesmal nicht, da Marine le Pen sich deutlich gemäßigter darstellt. Doch der im ersten Wahlgang unterlegenen Kandidaten der Republikaner Fillon rief seine WählerInnen bereits dazu auf, in der Stichwahl Macron zu wählen; ähnlich äußerten sich Staatspräsident Hollande und Ministerpräsident Cazeneuve. Trotzdem könnte Le Pen Umfragen zufolge auf 38 Prozent der Stimmen kommen. FR-Leitartikler Axel Veiel meint sogar: „Macron ist der Wahlsieg nicht gewiss“.

fr-balkenLeserbriefe

Alfred Bein aus Neu-Isenburg:

„Chapeau! Der erste wichtige, kleine Schritt zur Veränderung und Erneuerung der französischen Gesellschaft ist getan. Aber der Weg bis dahin wird noch lang und steinig werden. Gehen wir mal davon aus, dass Herr Macron die Stichwahl gewinnt (über die Alternative möchte ich lieber erst gar nicht spekulieren), so stehen dann am 11. und 18. Juni die Wahlen zur Nationalversammlung an. Dabei wird er erhebliche Schwierigkeiten haben, überhaupt geeignete Kandidten zu finden, und muss sich ohne Unterstützung mächtiger Parteistrukturen durchsetzen. Sollten bei dieser Wahl Sozialisten und Konservative die Mehrheit erringen, kommt es zur „Cohabitation“, d. h. Präsident und Parlament blockieren sich gegenseitig, ähnlich wie bei Obama und dem republikanischen Kongress. Das Land ist politisch gelähmt.
Außerdem, bis der Einfluss der Absolventen französischer Eliteschulen wie ENA, die seit Jahrzehnten die Macht im Staate ausüben und die Strukturen von Politik, Verwaltung Wirtschaft und Gesellschaft besetzen, entscheidend zurückgedrängt sein wird, um wirklich eine Modernisierung des Landes bewirken zu können, werden noch Jahrzehnte vergehen. Herr Macron – und wir – werden das selbst am Ende einer zweiten Amtsperiode nicht erleben.“

Ganz im Gegensatz dazu Thomas Ewald-Wehner aus Nidderau:

„Emmanuel Macron wird uns wahlweise als „Sozialliberaler“, als „Linksliberaler“ und als „Reformer“ vorgestellt. Jetzt ist er sogar „Europas Liebling“. Immerhin wird von der FR auch eingeschätzt, dass er „vielen Linken suspekt ist“. Das hat Gründe: Seine „Reformen“ sind dergestalt, dass er z.B. die 35-Stunden-Woche schleifen und den Renteneintritt erheblich erhöhen möchte. Didier Eribon weigert sich in der Sonntags-FAZ vom 16.4., Macron als „Progressiven“ zu bezeichnen. Macron möchte in Wahrheit eine konservative Restauration, er wolle die Errungenschaften aus einhundert Jahren sozialer Kämpfe kassieren: das Arbeitsrecht, die Versicherungen für Arbeitslose, Krankheit und Rente. Eribons Prognose: Wenn Macron im Mai zum Präsidenten gewählt werde, dann bekomme Le Pen beim ersten Wahlgang in fünf Jahren wahrscheinlich über 40 Prozent. Dynamisch gesehen wähle man also mit Macron schon heute Le Pen.
Macron outet sich selbst als „Edel-Neoliberalen“, der von Hollande zum Minister gemacht wurde. Er war Investmentbanker und ist als Absolvent der ENA-Elitehochschule fest mit den Herrschenden in Frankreich verbunden. Für mich ist – trotz der Ansagen der „Meinungsforschung“ – längst noch nicht klar, ob es Le Pen nicht schon dieses Mal schafft. Zu einem Erfolg könnte ihr das große Kapital („Finanzmärkte“ jubeln und sorgen für einen Börsen-Hype) und die aus „Europa“ sattsam bekannten Neoliberalen verhelfen, die ihre Begeisterung medienverstärkt für Macron verkünden. Deshalb ist eine (verständliche) Wahlabstinenz der Nichtbegünstigten nicht auszuschließen, weil sie mit Macron in eine düstere Zukunft blicken müssen, die sie noch mehr fürchten als eine Le Pen an der Regierung.“

Alfred Kastner aus Weiden:

„Marine le Pen hat angekündigt, im Falle eines Sieges die Außenpolitik Frankreichs alleine am nationalen Interesse auszurichten. Dies sei der einzige Leitfaden ihrer Politik, und damit ihres diplomatischen Handelns.
Die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen besitzt gute Chancen, zur neuen Präsidentin unseres Nachbarstaates und wichtigsten Verbündeten gewählt zu werden. Die Folgen für Deutschland und die EU wären katastrophal und dürften eine regelrechte Aufbruchstimmung bei den rechtsnationalen Kräften in ganz Europa bewirken.
Als in den Sechziger Jahren geborener war es für mich im Grunde unvorstellbar, dass die EU bzw. Europa eines Tages wieder auseinanderbrechen könnten. Die EU erschien mir als eine dauerhafte, unverrückbare Institution. Was sind die Gründe für diesen schleichenden Zerfall der EU? Bereits im Jahre 2013 ergab eine Studie des Pew Research Center, dass die Deutschen die nahezu alleinigen Nutznießer der Finanzkrise sind. In Deutschland sei der Optimismus bis heute ungebrochen, während die Stimmung in vielen anderen EU-Ländern am Boden liege. Das schürt Missgunst – und gefährdet den Zusammenhalt Europas. Die Bürger in den meisten anderen EU-Ländern glaubten dadurch immer weniger an das europäische Projekt. Von einer Solidarität Deutschlands gegenüber den schwachen EU-Partnern sei in den zurückliegenden wenig zu spüren gewesen. Bundeskanzlerin Merkel würde sich zudem, anlehnend an ihr großes Vorbild Katharina die Große, als „Herrscherin“ über die EU gebährden.
Die Sehnsucht nach dem Frieden ist so alt wie die Menschheit selbst. Trotzdem zeigt die Ideengeschichte von Krieg und Frieden in Europa, dass der Krieg durch alle Jahrhunderte ein unvermeidlicher Begleiter des Menschen war. Die EU wurde nach den schrecklichen Erfahrungen der beiden Weltkriege als Friedensprojekt gegründet. Gerade Deutschland würde von diesem Friedenprojekt angesichts seiner fürchterlichen Kriegserfahrungen in den vergangenen Jahrhunderten besonders profitieren. Aber für eine dauerhafte Überlebensfähigkeit reicht es offensichtlich nicht aus, ein reines Friedensprojekt zu sein. Dazu hat sich die deutsche und europäische Bevölkerung bereits zu sehr an die trügerische Sicherheit eines dauerhaften Friedens in Europa gewöhnt.
Aber auch die EU selbst sollte ehrlicher werden und nicht davor zurückschrecken einzugestehen, was in den vergangenen Jahrzehnten schiefgelaufen ist. Es gab einige Dinge gab, die im Rückblick nicht gut gelaufen sind und viele politische Maßnahmen, die nicht funktioniert haben. Vor allem gab es zu viel Bürokratie und Regularien. Manch eine Regulierung war nicht effizient, oder zielte nicht auf das Richtige oder war schlecht koordiniert. Gleichzeitig kamen Probleme auf, aber die EU-Politik stellte sich blind oder war zu ängstlich um kühne, beherzte Entscheidungen zu treffen. Dafür bezahlen wir jetzt den Preis. Wahrscheinlich einen sehr hohen Preis.“

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6 Kommentare zu “Frankreichs Modernisierung?

  1. Ich kann Thomas Ewald-Wehner nur zustimmen: Allein die Tatsache, wer sich für die Wahl von Macron ausgesprochen hat (Merkel, Schäuble), verdeutlicht, dass Macron eine neoliberale Politik vertreten wird, wenn er in der Stichwahl gewinnt.

    Eine neoliberale Politik, also Fortsetzung der bisherigen Anpassung Hollandes an Merkels Blamagepolitik (frei nach Stephan Hebels hervorragendem Buch), wird leider dazu führen, dass Le Pen weiter an Zuspruch gewinnen wird.

    Momentan kann Le Pen zwar noch verhindert werden, aber die Parlamentswahl wird schon zeigen, wie der Hase laufen wird.

    Aber die „Qualitätsmedien“ haben ihren „Liebling“ Macron in den Himmel gehoben und werden ihn bei nächster Gelegenheit in gleicher Weise wieder fallen lassen wie in Deutschland gegenüber Wulff, Steinbrück und Schulz geschehen.

    Mélenchon wurde in die gleiche Ecke gestellt wie Le Pen, linksextremistisch, Europa-Gegner etc.. Hätten sich Hamon und Mélenchon gleich zusammengetan, wäre Mélenchon statt Macron in die Stichwahl gekommen.

    Aber hier schienen wieder die gleichen Berührungsängste mit der Linken im Spiel gewesen zu sein wie bei uns.

    Lieber arrangiert man sich mit den Neoliberalen und wundert sich hinterher, dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird, und die Zurückgelassenen dann ihr Glück bei den Rechten suchen.

  2. Für Bronskis Einschätzung im Vorspann ist wohl eine Korrektur nötig:
    „…sie (LePen) weiß vermutlich, dass sie für einen etwaigen Wahlsieg zu Zustimmung breiter konservativer Bevölkerungskreise braucht.“

    Tatsache ist, dass Marine LePen die linksradikalen (und ebenso europafeindlichen) Mélenchon-Wähler umwirbt. (http://www.faz.net/aktuell/politik/wahl-in-frankreich/marine-le-pen-auf-stimmenfang-bei-melenchon-14987678.html)
    Und dafür gibt es wohl auch Gründe.
    Alle anderen nennenswerten Kandidaten haben sich für Macron oder zumindest, so Fillon, klar gegen LePen ausgesprochen – außer Mélenchon. Der blinkt links und fährt rechts. Was nicht verwundert und auch manchen Vertretern der Linkspartei in Deutschland (wenn man sich deren Kommentare anschaut) respektabel erscheint.
    Ohne exakte Analysen zu kennen: Es ist wohl davon auszugehen, dass auch ein nicht unerheblicher Anteil des Rückgangs von LePen im Vergleich zu den Umfragen auf das Konto von Mélenchon geht – wohl nicht ganz zu Unrecht von manchen als „LePen light“ bezeichnet.

    Zu den Details:
    Oben genannter Link der FAZ bietet auch eine detaillierte Aufschlüsselung der Wahlergebnisse nach Départements. Danach liegen in fast allen Départements am Mittelmeer und im Norden LePen und Mélenchon an der Spitze, zusammen um 50 %, z.T. sogar darüber. Auch in den ländlichen Regionen Ostfrankreichs und im Elsaß, wo Fillon vor Mélenchon liegt, kommen sie auf das etwa gleiche Ergebnis.
    Ganz anders in den Großstädten (außer Marseille). So kommt in Paris Mélenchon auf 19,5 %, LePen gerade mal auf 5 %.

    Fazit: Wenn Frankreich tatsächlich eine nationalistische, exrem rechte Präsidentin bekommen sollte, dann sind „Linke“ die Steigbügelhalter.

  3. „Dabei wollen unsere Nachbarn insgeheim doch nur eines: einfach wieder einen König.“ (Arte-Magazin, 4.2017)
    Ich denke, dass Frankreich Reformen braucht (welche, darüber wäre dann zu diskutieren), um wieder wirtschaftlich auf einen grünen Zweig zu kommen.
    Mit jedem neuen Präsidenten, der ja wie kein anderer in Europa mit einer großen Machtfülle ausgestattet ist, erwartet man das Heil. Man hat den Eindruck, dass Franzosen sich nicht fragen, wie sie die Probleme des Landes lösen können, sondern welcher Präsident das für sie machen soll. Die Franzosen erwarten die Lösung immer vom Staat. Es wunderte mich am Anfang, dass alle unsere französischen Freunde beim Staat arbeiten. Jetzt verstehe ich es.
    Als meine damalige Firma, die fast immer ums das Überleben kämpfen musste, französisch wurde, war man beruhigt. Wir sind zu groß, als dass der französische Staat uns pleite gehen lässt. (Was dann auch passierte.)
    Wenn eine Firma mangels Aufträgen eine Fabrik schließen will, gibt der Präsident einen Auftrag an eine vom Staat kontrollierte Firma, irgendetwas in Milliardenhöhe bei der Firma zu bestellen. Ob die Dinge dann gebraucht werden, interessiert erstmal nicht.
    Irgendwann schlägt sich das in der Mentalität der Menschen nieder. Warum soll ich mir das Gehirn zermartern, denn der Staat in Person des Präsidenten sorgt schon für mich.
    Die Heilserwartungen an den Präsidenten sind natürlich gar nicht erfüllbar und deshalb setzt schon kurz nach der Wahl die Enttäuschung ein. Was macht der Präsident dann? Er denkt daran, wie er die Schande nicht wiedergewählt zu werden, vermeiden kann. (Um diese Schande zu tilgen, ist m. E. Sarkozy zurückkehrt.) Er versucht, es allen Recht zu machen. Wenn mir etwas nicht gefällt, blockiere ich die Autobahn, zünde ein paar Reifen an und der Präsident gibt nach.
    Ich habe hier natürlich gewaltig überzeichnet.
    Vielleicht brauchte es auch ein paar Reformen im politischen System z.B. eine Stärkung des Parlaments (die Tagesordnung des Parlaments bestimmt die Regierung, das Parlament darf keine Gesetze vorschlagen, die Geld kosten).
    Aber insgeheim will man ja einen König.

  4. Man nehme …
    Man nehme: einen jungen – optisch sympathischen – Politiker. Vergesse dabei, dass er bereits als Investmentbanker reüssierte und als Wirtschaftsminister unter Präsident Hollande diente. Füge dann Steuersenkungen für Unternehmen, den Abbau von 60 Milliarden im Staatshaushalt und den Verzicht auf 120 000 Stellen im „aufgeblähten“ Staatsdienst hinzu, schnipple dann noch das Versprechen, die 35-Stunden- Woche im Wesentlichen beizubehalten und Sozialabgaben zu senken in das Süppchen, würze das Ganze mit Empathie für Europa und einem Hauch nationalen Pathos. Voila – das schmeckt vielen: ein neuer Star am französischen Politikhimmel ist geboren. Er ergreift seine Marktchance und eine geschickte Strategie bringt ihn „En Marche“ und jetzt rüttelt er an den Toren des Elysee. Und erhält Beifall von allen Seiten. Auch von den Etablierten und Bossen in unserem Land und in den Spitzenpositionen der EU. Ist das der neue Weg das politische Establishment wach- und durcheinander zu rütteln? In Frankreich hat er es geschafft. Und das ist gut so. Viel besser als der reaktionäre Retrokurs der Zweitplatzierten in den Vorwahlen. Jetzt muss M Macron nur noch gewinnen. Und danach auch eine Basis in der Nationalversammlung. Und wenn er es schaffen sollte, darf er nicht aufhören. „En Marche“ muss weitergehen. In Europa und auch bei uns. Wenn ich mir die Plakate zur Wahl in NRW anschaue, sehe ich altbekanntes. Altbackenes bei den Konservativen. Etwas frischer im Wording und im Bild die SPD. 1. Schwer 2. Lesbar treten die Grünen auf. In Denkerpose die FDP. Kraftmeierisch die Linke. Eher unsichtbar – mit Blick auf die Plakatierung – die Alternative. Das Gefühl „En Marche“ – vorwärts – stellt sich – zumindest bei mir – nicht ein. Wo ist hier der (gerne auch mal jüngere) Dynamiker, der seine Marktchance erkennt, sich von allen und allem die Rosinen pickt, sie geschickt verpackt und sich dann in den politischen Ring begibt? Nicht in Sicht. Schade!

    Bertram Münzer

  5. @ Henning Flessner,26. April 2017 um 17:05

    Lieber Herr Flessner,
    was Ihre betrieblichen Erfahrungen betrifft, möchte ich diese ja keineswegs in Frage stellen. Mein Sohn, der luxemburgische, französische und englische Direktoren kennen gelernt hat, könnte da hinsichtlich mangelnder Flexibilität in französischen Firmen auch ein Lied singen. Das ist hier aber nicht das Thema.
    Unwidersprochen darf aber nicht bleiben, was Sie sich da in Anschluss an eine, wie mir scheint, eher dubiose psychologisierende Arte-Sendung über „unsere Nachbarn“ über französische Psyche zusammenreimen.

    1.“ Aber insgeheim will man ja einen König.“
    Es wäre schon von Interesse, ob der Autor/ die Autoren der genannten Sendung auch nur einen historischen Beleg anzuführen wusste, ein einziges Bild etwa von Demonstrationen in Frankreich, die auch nur im entferntesten auf royalistische Träume schließen lassen.
    Historisch handelt es sich nicht von ungefähr um das Land, in dem mit König und Adel gnadenlos und radikal abgerechnet wurde, nicht von konkurrierenden Machthabern, sondern „dem Volk“. Und wenn der blutrünstige Text der Marseillaise („… dass unreines Blut unsere Ackerfurchen tränke“) auch geeignet ist, das Blut in den Adern gefrieren zu lassen, so wird er doch mit Pathos (und eher gedankenlos) weiter gesungen.
    Nicht einmal einer Marine LePen fiele es ein, ihren Beschwörungen der laizistischen Republik mit dem obligatorischen „Vive la République! Vive la France!“ auch nur den Anschein von royalistischem Geist zu geben. Das Gegenteil ist der Fall. Selbst der Font National ist eine durch und durch republikanische Partei im nationalistischen Gewand.

    2. „Heilserwartungen an den Präsidenten“ – „der Staat in Person des Präsidenten sorgt schon für mich.“
    Da scheinen Sie wohl nichts von dem Zorn der Franzosen auf fast alle Präsidenten, Kandidaten und Parteien mitbekommen zu haben. Der aber – LePen zum Trotz, und im Unterschied zu Trump-Fans in den USA – nicht jegliche Rationalität verschüttet. Der Absturz von Fillon zeigt, dass sich, anders als Trump, ein französischer Präsidentschaftskandidat nicht alles erlauben kann.
    Der erste Wahlgang kann so auch weitgehend als Zeugnis rationalen Kalküls verstanden werden. Zum Leidwesen der in sich zerstrittenen und gespaltenen Sozialisten – auch meines Sohns, der wacker, aber chancenlos für Hamon kämpfte. Chancenlos, weil die Wut z.Zt. überwiegt und die Zeit für dessen zukunftsorientiertes Programm (z.B. bedingungsloses Grundeinkommen) nicht reif ist. Rational deshalb, weil kein anderer Kandidat außer Macron in der Lage ist, dieser Wut zum Trotz, eine Mehrheit aus dem rechten und dem linken Lager an sich zu binden und die Katastrophe einer Präsidentschaft LePen zu verhindern.
    Mit „Heilserwartungen an den Präsidenten“ hat das nicht das Geringste zu tun, und mit einer behaupteten phantasielosen Versorgungsmentalität noch weniger.

    Auch so ist es ein Sprung ins kalte Wasser, der bei allen Unwägbarkeiten auch Respekt abnötigt. Zunächst, was die (im Vergleich zu den USA) kalkulierte Risikobereitschaft angeht. Natürlich auch in Bezug auf Macron, der – wohl wissend, dass ein Präsidentschaftsanwärter hierzulande gnadenlos seziert wird – binnen eines Jahres eine „Bewegung“ aus dem Boden stampfte und Erfolg hatte. Mich erfreut daran vor allem, dass realistische EU-Befürworter gegenüber destruktiver nationalistischer Zerstörungswut wieder eine Chance erhalten.
    Eine Prognose abzugeben wäre sicher gewagt. Hoffnungsvoll stimmt mich, dass hier eine positive Bewegung angestoßen wurde sowie, dass gute Frankreich- und Deutschland-Kenner, wie etwa Alfred Grosser, dies auch so sehen.
    Der gemäßigte Modem-Führer François Beyroux wird sicher in einer künftigen Regierung Macron eine zentrale Rolle spielen. Es wird wohl sehr darauf abkommen, dass vor allem Sozialisten schnell ihre Wunden lecken, interne Rivalitäten überwinden und wieder nach vorne schauen. Aber auch, dass Teile der Republikaner sich integrieren lassen, die ihr republikanisches Bewusstsein vor ihre Aversionen stellen gegen alles, was „links“ ist.

  6. @Werner Engelmann
    Beim Arte-Magazin handelt es sich um die empfehlenswerte Programmzeitschrift des gleichnamigen Senders.
    Natürlich gibt es in Frankreich kaum offene Royalisten. Der «republikanische» Pomp kann es aber durchaus mit jeder Monarchie aufnehmen.
    Da wir nur ein Fernsehgerät haben, muss ich häufig französisches Fernsehen schauen. Mein subjektiver Eindruck ist, dass das Verhältnis Ludwig XIV. im französischen Fernsehen gegen Friedrich den Großen im deutschen Fernsehen etwa 20:1 beträgt.
    „Da scheinen Sie wohl nichts von dem Zorn der Franzosen auf fast alle Präsidenten,…“
    Der schon kurz nach der Wahl einsetzende Zorn spricht m. E. ja gerade für die Heilserwartung. Je höher die Erwartung, desto größer die Enttäuschung und desto größer der Zorn auf den Präsidenten.
    Ich mache nur ungern Vorhersagen, aber ich würde erwarten, dass es E. Macron (so er denn hoffentlich gewählt wird) genauso ergehen wird.
    Ich glaube nicht, dass François Beyroux eine Rolle spielen wird in der neuen Regierung, aber vielleicht François Bayrou. ?

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