„Irgendwie kann einem kotzübel werden, wenn diese Radler vor der Kamera sitzen und versuchen, die geneigten Zuschauer zum Heulen zu bringen“, schreibt mir Gunther Schirmer aus Leipzig. „Und wenn diese Zuschauer ehrlich sind und sich nur ein wenig Gedanken über die gezeigten Leistungen bei der Tour gemacht haben, wussten sie, dass da was nicht sauber ist. Aber man hat es hingenommen, solange ein deutscher Fahrer vorne dabei war. Jahrelang haben wir uns in einer Weise anlügen lassen, dass man sich nachträglich schämen muss, das zugelassen zu haben. Und jetzt ziehen Herr Aldag, Zabel und Genossen eine derart lächerliche und widerliche Show ab, dass man nur noch die Glotze ausmachen kann. Aldag ist auch noch so impertinent und macht einfach weiter in seinem Job. Wenn das die Telekom mitmacht, dann hat sie es nicht anders verdient, als dass sie den Heuschrecken zum Fraß vorgeworfen wird.“

Derzeit hört man wenig Freundliches über die Radler des Team Telekom. Auch wir von der FR können momentan nur wenig Gutes daran finden. „Jetzt fehlt noch Jan Ullrich„, titelten wir. FR-Leser Manfred Schmitt aus Karlsruhe findet das nicht lustig:

„Heute geben Sie mir zum 1. Mal seit über 30 Jahren Anlass zu empörtem Einspruch. Mit Ihrer Schlagzeile „Jetzt fehlt noch Jan Ullrich“ und dem weißen Platzhalter für sein Konterfei begeben Sie sich nicht nur auf das Niveau der BILD-Zeitung, Sie unterschreiten dieses sogar. Die BILD-Zeitung würde hinter eine solche Schlagzeile wenigstens noch ein Fragezeichen setzen. Sie verzichten darauf. – Obwohl auch ich vermute, dass Jan Ullrich sich des Dopings schuldig gemacht hat, gilt vor dem Schuldbeweis oder dem Schuldeingeständnis die Unschuldsvermutung. Diesen Grundsatz verletzen Sie in einer Weise, die ich Ihnen nicht zugetraut hätte und die mich fundamental irritiert. Bitte gestehen Sie diesen Fehler ein, um Ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren.“

Burkhard von Pappenheim, Chef des Ressorts Politik, antwortet darauf:

„Sehr geehrter Herr Schmidt,
ich muss tatsächlich einen Fehler einräumen: Wir haben Missverständnisse provoziert. Wir sind allerdings der Meinung, dass wir mit dieser Schlagzeile Jan Ullrich nicht vorverurteilen. Die wichtigsten Fahrer des ehemaligen Team Telekom haben zu erhobenen Vorwürfen Stellung genommen. Es fehlt nur noch Jan Ullrich, gegen den eine schier erdrückende Last von Indizien spricht. Das sollte mit der – zugegebenermaßen zugespitzten – Schlagzeile transportiert werden.“

Derweil gibt es viel Neues: Erik Zabel darf weiterfahren. Aber es wird wohl noch Konsequenzen geben, denn die Dopingbeichten haben nun auch die Verbandsebene erreicht. „Alles auf den Tisch“, fordert Silvia Schenk, die frühere Präsidentin des Bundes deutscher Radfahrer.

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8 Kommentare zu “Doping

  1. „cosi fan tutte“
    Der Titel von Mozarts wunderbarer Oper scheint auf diese Inszenierung zu passen (na ja, hjs wird sicher dazu noch eine Anmerkung machen – wenn er denn aus dem Urlaub zurück ist ;-)).
    Es scheint zu einer Modeerscheinung geworden zu sein, seine von der Natur mitgegebenen körperlichen Fähigkeiten mit Hilfe von Drogen zu steigern
    .. aber verlangt es das (höchstleistungsgeile – Verzeihung, Herr Bronski!) Volk nicht so?
    Um zu überleben, sehen sich halt viele der modernen Gladiatoren gezwungen, sich so zu verhalten,
    .. nur damit „das Volk“ den Daumen oben lässt.

  2. Herr von Pappenheim schreibt: „…ich muss tatsächlich einen Fehler einräumen: Wir haben Missverständnisse provoziert.“

    Da muss ich Herrn von Pappenheim widersprechen, da ich nicht sehe, dass die FR einen Fehler einzuräumen hätte. Als ich diese Schlagzeile las und die Fotos sah, fand ich diese Idee hervorragend – endlich mal eine satirisch angehauchte Darstellung in Wort und Bild. Bis dato hatte ich der FR so einen Aufmacher nicht zugetraut. Ich dachte mir: Wenn die FR so weitermacht, geht die Auflage hoch wie eine europäische Rakete.

    Gruß bakunix

  3. Ich stimme bakunix zu! Auch ich fand die Schlagzeile und das ausgesparte Bild sehr geistreich. Hoffentlich gibt´s jetzt keinen Rückzieher. Etwas mehr Satire wäre schon gut.

  4. Was mich viel mehr stört, ist der Tunnelblick der Massenmedien, also auch der FR, die den Fokus stets auf die je aktuellen „Enthüllungen“ und die Fahrer richten. Es fehlt eben nicht nur Jan Ullrich, es fehlen fast alle anderen Radprofis, es fehlen Verstand, Wissen und Ehrlichkeit. Und zwar die Ehrlichkeit dahingehend, daß Doping offenbar notwendig ist.
    Siehe dazu auch: http://feynsinn.org/?p=483

  5. @2. bakunix
    vielleicht versteh‘ ich es falsch, aber ich meine, zwischen Satire und Vor-Verurteilung ist doch wohl ein Unterschied, oder?

  6. @ Hajo Gebhart

    Wir wissen doch: Satire darf alles! Welche Gedanken sich im Kopf des Rezipienten entwickeln, wenn die Möglichkeit eines Denkanstoßes geboten wird, müssen wir dem Individuum überlassen. Alle werden Herrn Ullrichs unschuldiges Schweigen verstehen. Ich vorverurteile ihn nicht.

    Wer ist schon frei von Doping? Der Markt der Stimulanzien ist unendlich groß. Bier oder Kaffee würde ich für unseren Kulturkreis schon dazurechnen. In jeder mehr oder weniger zivilisatorischen Gemeinschaft sind diverse Mittel im Einsatz und prägen das Alltagsleben der Menschen. Da wir keine vernünftige Grenze ziehen können zwischen dem noch zu Akzeptierenden und dem was wegen der Gesundheitsvorsorge gerade noch gesellschaftliche Anerkennung findet, müssen wir darüber streiten. Lächerlich ist doch, wie in unserem Staat scheinheilig zwischen legalen und illegalen Drogen unterschieden wird. Ein Hanfgärtner wird bestraft, ein Schnapsbrenner erfährt gesellschaftliche Anerkennung.

    Gruß bakunix

  7. Ich möchte mal auf eins hinweisen, warum Doping verboten gehört. Und zwar nicht wegen der Leistungssteigerung. Nudeln und Wasser trinken ist auch leistungssteigernd. Doping gehört verboten, weil es in Verbindung mit Sport höchst Gesundheit gefährdend ist. Und deshalb dürfen Profisportler kein Doping nehmen um die Jugend zu schützen. Nur mal so, weil immer wieder die Forderung nach Abschaffung des Dopingverbotes zu lesen ist. Mit dem Erlaub von Doping würde man den Sport zu dem Kampf machen, wer traut sich seinen Körper noch weiter zu zerstören. Dabei ist Sport etwas so schönes, was dem Körper so gut tut und was für die Menschen auch wichtig ist. doch durch diese Skandale werden die Couch-Potatoes mit der „Sport-ist-Mord“-Mentatlität mal wieder gestärkt und irgendwann wird es keine Jugendlichen mehr geben, die bereit sind Leistungssport zu treiben. Schade, dass ihnen solch schlechte Vorbilder vorgesetzt werden. Schämen sollten sie sich so Geld geil und Ansehen besessen zu sein. Deutschland, wie tief bist du gesunken?

  8. @7 Fabian
    Ich stimme Ihnen ja zu: Doping bedeutet eine Gefahr für die Jugend, wegen der Vorbildfunktion und weil Jugendliche nicht ermessen (können), wie sehr sie sich auf lange Sicht schaden.
    Aber das Problem nur auf Deutschland zu beschränken wäre zu kurz gesprungen. Wir Deutsche haben leider nur die Eigenschaft der Sebstgeißelung und die sorgt schon dafür, dass vor Allem der deutsche Sport ins Gerede kommt.

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