„Ein Debakel“, überschreibt FAZ-Herausgeber Berthold Kohler seinen Kommentar zur Wahl, und das ist er auch. Schröder, heißt es da, habe einen „Angstwahlkampf“ gemacht, was ja wohl heißen soll, dass es die „Angst“ vor der Kirchhof-Westerwelle-Merkel-Politik gar nicht wirklich gab und schon gar nicht zu Recht. Aber richtig schlimm ist die inzwischen weit verbreitete Art, in der eine bestimmte Ideologie zur objektiven Wahrheit erklärt wird.

„Angela Merkels Mut, den Deutschen halbwegs reinen Wein über die Krisen dieses Landes und die notwendigen Schritte zu deren Überwindung einzuschenken, ist dagegen nicht belohnt worden“, schreibt Kohler. Er macht sich gar nicht mehr die Mühe, die „Krisen dieses Landes“ und die „notwendigen Schritte“ aus seiner Sicht zu beschreiben, denn die klugen Köpfe wissen natürlich Bescheid. Sie dürfen ja täglich, und längst nicht nur in der FAZ, unter Decknamen wie „Selbstverantwortung“ oder „Bündnisse für Arbeit“ lesen, dass soziale Sicherung oder gewerkschaftliche Rechte von gestern sind.

Es ist zwar traurig, dass Journalisten so etwas unreflektiert mitmachen, aber Medienschelte bringt einen nicht viel weiter. Man sollte unbedingt Bücher wie „Ist Deutschland noch zu retten?“ von Heinz-Werner Sinn (ifo-Institut) lesen oder täglich die Börsenberichte. Dann bekommt man eine Ahnung, wo die Spin Doctors sitzen. Wenn etwas positiv ist an diesem Wahlausgang, dann die Tatsache, dass die Leute zu klug waren, um mehrheitlich auf diese Ideologie der Alternativlosigkeit hereinzufallen.

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21 Kommentare zu “Denk-Debakel

  1. Offensichtlich hat die FAZ von Wirtschaft genauso viel Ahnung wie die gescheiterte Kanzler-Kandidatin: keine. Aber das ist ja nichts Neues. Ist doch die FAZ ohnehin keine Zeitung, sondern ein Propaganda-Blatt. Man braucht die FAZ nicht zu lesen; man weiß eh, was drin steht.

  2. Debakel für wen?

    Ein Debakel – so kann man das Wahlergebnis doch durchaus beschreiben! Nur für wen? Die vom Kanzler so oft beschworenen „Demagogen“ – Entschuldigung: Demoskopen? Für die „Spin Doctors“ in der Wirtschaft und auf dem Parkett? Oder tatsächlich für das deutsche Volk?

    Unter den Parteien gibt es zumindest – sieht man die Eigeninszenierungen nach der Wahl – keinen einzigen Verlierer, obwohl sachlich gesehen alle (bis auf die „Partei von Herrn Lafontaine“) verloren haben. Bezeichnend ist jetzt, dass die großen Volksparteien massive Stimmverluste hinnehmen mussten, und nun eine gemeinsame Regierung der beiden vom Volk abgestraften Fraktionen am Wahrscheinlichsten wird. Obwohl sie die Wähler offenbar am meisten enttäuschten.

    Einen Angstwahlkampf haben beide großen Parteien geführt. Je nach Seite wurde die Angst vor der sozialen Kälte oder dem Zusammenbruch des Wirtschaftsstandortes Deutschland geschürt. Der Tenor beider: „Die anderen können es nicht“. Man fragt sich zurecht – wer kann es eigentlich? Und wem kann man überhaupt noch etwas glauben?

    Das Erklären der eigenen Ideologie zur objektiven Wahrheit ist ja nicht nur im konservativen Lager verbreitet. Auch die Linken, Grünen und insbesondere Chef-Sponti Joschka Fischer gehen hier nicht selten mit wehenden Fahnen voraus. Und gerade das macht sie wiederum Glaubhaft. Doch auch davon war im Wahlkampf wenig zu spüren: Nicht selten kam mir in diversen Talk-Runden zur Wahl der Gedanke: „Dafür hätte der junge Joschka dem heutigen Herrn Fischer aber ein ordentliches Ding verpasst.“ Partei-Poker wohin man sieht.

    Keinem ist es gelungen, ein überzeugendes und ehrliches Bild zu skizzieren, wie Deutschland nach einem Wahlsieg wieder aus dem Tal der Tränen kommt. Man begnügte sich mit Angriffen auf die Konkurrenz und vor allem auf die Intelligenz der Wähler. Von politischen Wahrheiten waren und sind alle weit entfernt – und jetzt steht man in der Tat vor einem Debakel: weiterem Vertrauensverlust in die deutsche Demokratie und deren „Hauptdarsteller/innen“.

  3. Man braucht die FAZ nicht zu lesen, weil man ja eh weiß, was drin steht? — Na ja, das könnte man von der FR auch behaupten… Mehr noch: Je nach Autorenname liest man weiter oder läßt es eben auf der Stelle bleiben. Manche sind doch so voraussagbar, dass man auf keinerlei Überraschungen gefasst sein muss. Wo soll da der Unterschied zur FAZ oder zur WELT oderwelcherzeitungauchimmer sein?

    Daniel hat doch recht: Ein Monopol, „bestimmte Ideologie zur objektiven Wahrheit“ haben Neoliberalen und -cons doch nicht für sich gepachtet. Die Linke erhebt doch ihre Wahrheit schon immer gern zum Dogma (so weit weg ist man da nicht vom Papst 😉 )

    Aber macht sie das „glaubhaft“? Unfug. Im Gegenteil: Vorsicht vor denen, die da behaupten, ihre Wahrheit wäre keine Ideologie und kein Dogma undundund…

    P. Moran

  4. Tja. Es liegt wohl in der Natur der Dinge, dass die vertretenen ideologischen „Wahrheiten“ der Parteien, die einem persönlich nahe stehen, nicht so sehr hinterfragt werden. Die des vermeindlichen Gegners dafür um so mehr.

    Das ist ja prinzipiell auch gut so, denn ich bin der Meinung, dass jemand nur in der Sache überzeugend sein kann, wenn er auch selbst davon überzeugt ist. Schließlich wird auch nur ein Katholik Papst – wenn wir schon bei ihm gelandet sind 😉

    Doch von einer Sache überzeugt zu sein, befreit nicht davon, die Gegenargumente der anderen Seite ernst zu nehmen. Wer alle Bedenken und Ideen aus ideologischer Verblendung einfach bei Seite wischt, kann meiner Meinung nach ebenso wenig eine glaubwürdige Politik machen, da er in seinen eigenen Denkstrukturen gefangen ist und sich nie weiter entwickeln kann.

    Das ist – so empfinde ich es – auch das größte Problem, das die Politik derzeit hat. Sie ist derart in den Lagern verkrustet, dass eine konstruktive Zusammenarbeit kaum möglich erscheint. Vielleicht ist es an der Zeit für einen Generationswechsel. Ich habe zumindest das subjektive Gefühl, dass die jüngere Generation einen weiteren Horizont hat – und, was alle politischen Lager im Moment zu vergessen scheinen: Wer nicht Teil der Lösung ist, ist immer noch Teil des Problems!

  5. „…Schröder, heißt es da, habe einen „Angstwahlkampf“ gemacht, was ja wohl heißen soll, dass es die „Angst“ vor der Kirchhof-Westerwelle-Merkel-Politik gar nicht wirklich gab und schon gar nicht zu Recht. …“

    falsch gedacht.

    1. Schröder HAT definitiv eine Angst-schürende Kampagne gefahren. Verlogen, weil die Bürger genauso vor ihm (mindestens) „Angst“ haben sollten (s. 2002 nicht angekündigtes Hartz IV) wie vor Schwarz-Gelb.

    2. es gab die Angst vor Kirchhof. Aber zu Unrecht! DESSEN absurde Pläne wären (zum Glück) nie realisiert worden. Und den Leuten vorgegaukelt zu haben, dass nicht das CDU-Programm umgesetzt worden wäre, sondern Kirchhof, war Irreführung!

  6. Mag: Richtig tragisch – ein Wahlkampfcoup, der keinerlei praktische Auswirkungen hätte haben sollen, wurde Wahl entscheidend. Da schießt sich die PR ins Knie!

  7. Ich gebs ja zu, Daniel und Cat_Chaser: Es ist kein Monopol der Konservativen, die eigene Ideologie zur Wahrheit zu erklären. Das machen wir (mehr oder weniger) Linken auch. Nur haben wir halt recht. Okay, schlechter Scherz.

    Aber im Ernst: Mir ging es nicht darum, dass einer die Welt nicht aus seiner Perspektive (oder auch Ideologie, oder Wertvorstellung) heraus betrachten soll. Das geht gar nicht anders, und insofern ist es auch glaubwürdig. Ich halte es aber für ein Gebot der Redlichkeit, diese Perspektive zu benennen und nicht so zu tun, als wäre es die einzig mögliche. Kohler und die FAZ dienten mir vor allem als Beispiel dafür, dass sich im Gefühl, auf der Siegerseite des politischen Diskurses zu stehen, eine Denkfaulheit, ein Ignorieren von Gegenargumenten eingeschlichen hat, wie es sich z.B. die FR gar nicht leisten könnte. Wenn wir das hier und da doch tun, bleiben wir unter den eigenen Ansprüchen.

    Übrigens: Gar nicht lesen, weil man eh weiß, was drin steht, würde ich nicht empfehlen, auch nicht bei der FAZ. Sonst kommt man doch in die gefahr, sich nur noch selbst zu bestätigen…

    Zu „Angstkampagnen“: Mag hat, finde ich, recht mit dem Hinweis, dass auch Schröder einem manchmal „Angst“ machen konnte, zum Beispiel mit der aus dem Hut gezauberten Agenda 2010. Seine Warnungen vor dem Merkel-Kirchhof-Programm halte ich allerdings für berechtigt. Aber das ist jetzt wieder meine subjektive Perspektive….

  8. Gratulation!

    Mir gefällt dieser Blog sehrr gut. Ich bin ganz kurz davor, ihn in meine Empfehlungsliste reinzunehmen. Ach was! Ich mach es. Wer so furios startet wie der FR-Blog, der gehört da rein.

    Außerhalb des Einheitsbreis: schön.

    Noch eine Stimme der Vernunft, die gegen das „alternativlose“ Schlechtbeten unseres Landes anschreibt, eine Stimme, die unsere Bürger ernst nimmt und auch deren Bedenken gegenüber den Bemühungen um eine neue Republik seitens der sogenannten „Bürgerlichen“.

    Weiter so! Pro Patria!

  9. Die CDU hat sich insofern gegenüber 2002 verbessert, als sie diesmal mehr Stimmen als die SPD hat; das gilt erst recht für das bürgerliche Lager zusammen gerechnet im Vergleich zu Rot-Grün. Daran orientiert sie sich, und, nüchtern betrachtet, ist dies auch die Kernaussage der Zahlen in Hinblick darauf, wer einen Regierungsauftrag hat. Natürlich hat A. Merkel grandios verloren gemessen am eigenen, von den Demoskopen massiv unterstützten Anspruch, den Regierungswechsel aus eigener Kraft zu schaffen. Vor allem hat sie überhaupt Stimmen verloren für die CDU gegenüber 2002: was nicht gerade wie ein Volks-Plebiszit für den Wechsel aussieht. Aber eine Partei kann mehrere Ziele mit einer Wahl verfolgen, nicht nur eins: der Wechsel, das Maximal-Ziel, ist gescheitert, und sogar das Ziel, das eigene Ergebnis zu verbessern, was das mindeste zu sein schien, ist gescheitert: aber das Ziel, Rot-Grün zu verhindern, ist ebenso erreicht worden wie das, stärkste Fraktion zu sein. Für A. merkel ist das Ergebnis ebenso vielschichtig wie für die SPD, die kommunikative Verwirrung bei der Bewertung des Resultats resultiert nur daraus, dass jede Seite sich an ihre Positiv-Ergebnisse klammert und die negativen ausblendet.

    Natürlich hat G. Schröder gemessen an den Umfragewerten der letzten Wochen eine grandiose Aufholjagd hingelegt. Aber was ist das wert in Hinsicht auf den Regierungsauftrag? es waren nur Umfragewerte, das Wahlergebnis ist zu betrachten, als habe man keine Ahnung gehabt, was die Wähler davor gedacht haben könnten. alles andere ist nur die Wirkung einer Medienmacht, wie gerade Schröder sie kritisiert, der er aber selbst erlegen zu sein scheint. So betrachtet ist seine Aufholjagd nicht messbar und auch keineswegs ein Wahlsieg, denn es gibt keine Überhangmandate für prozentuales Übertreffen von Umfragewerten. Rot-Grün hat Stimmen verloren, die SPD zudem mehr als die CDU im direkten vergleich, in Summe mehr als das bürgerliche Lager, das die Verluste untereinander kompensieren konnte, und so hat Rot-Grün die Wahl verloren: ganz einfach.

    Aber es gibt einen Trost für Gerhard Schröder, das ist sein Lohn, nicht die Kanzlerschaft: sein Erfolg ist es, dass er die schwarz-gelbe Mehrheit verhindert hat, weil die CDU/CSU fast ebenso viele Stimmen verlor wie die SPD und diesen Verlust keinesfalls durch Wähler aus dem anderen Lager kompensieren konnte: die waren viel zu gering an der Zahl (620.000). Die CDU konnte eben nur ihre Minimal-Ziele realisieren. Und so kann Schröder, der nicht einmal das schaffte, der oft als wenig parteiverbunden angesehen wurde, mit seinem eigenen Abtreten seiner Partei zumindest das Geschenk zurück lassen, dass sie an der Regierung beteiligt bleibt: in mehr als nennenswerter Form, denn bei der Gesetzgebung ist die dünne Mehrheit der CDU/CSU keinesfalls mehr so aussagekräftig wie bei der Kanzlerschaft.

    Ironie der Geschichte ist, dass ausgerechnet die bei der Neuwahlentscheidung nach der NRW-Wahl übergangenen Grünen, die in dem Moment absehbar vor der Zeit ihres Amtes enthoben wurden, so sie Posten inne hatten, per Jamaica-Koalition die einzigen sind, die Schröders Erbe an die Genossen noch zerstören könnten. Aber die Grünen werden dies ebenso höflich unterlassen wie sie sich still und brav in die Neuwahl gefügt hatten.

  10. Ich beglückwünsche Stephan Hebel zu dieser treffenden Analyse des Denk-Debakels der deutschen Journallie. Hoffentlich erlauben es sich Journalisten nach diesem grandiosen und furiosen Wahlsieg der SPD nun endlich wieder mutiger und hoffnungsvoller zu denken.

    Die Sozialdemokratie hat sich mit der Agenda 2010 neu erfunden, und nun können munter Vorschläge gemacht werden, welche Freiheiten wir dabei haben, wirtschaftliche Stärke mit sozialer Sicherheit in der postindustriellen Informationsgesellschaft zu verbinden.

  11. @“Parteibuch“-Marcel: Ob die FR allerdings die bloggerei eingerichtet hat, weil du parteibuch-fan sich despektierlich über eine FR-reportage geäußert hat, wie in deinem blog zu lesen steht – zum totlachen. Manche leute nehmen sich, ihren einfluss oder ihr blog doch zu wichtig.

  12. @ascola: So isses! Schröders Erfolg liegt in der Verhinderung von Schwarz-Gelb und nicht darin, dass er einen anspruch auf Kanzlerschaft erworben hätte. Ich meine, obwohl er mir wesentlich lieber wäre als jeder CDU/CSU-Kanzler, dass Schröder jetzt schwer aufpassen muss, im derzeitigen Stellungskampf der Parteien nicht zu unlauteren Mitteln zu greifen. Dass er – offensichtlich auf dem Weg in die große Koalition – möglichst viel herausholen will, bevor er abtritt, finde ich in Ordnung. Auch, dass er Kanzler bleiben will, mit wem auch immer. Aber diese Tricks mit der Berechnung des Wahlsiegers durch Aufteilung der Union in CDU und CSU gehen zu weit. Für jeden Wähler und jede Wählerin war die „Geschäftsgrundlage“ klar die, dass CDU und CSU zusammen betrachtet werden. Das hätte man vorher in Frage stellen können. Aber damit hinterher im Licht des Ergebnisses anzufangen, ist unfair. Nicht jedes Mittel wird von dem guten Zweck geheiligt, einen Unionskanzler (oder zumindest Frau Merkel) zu verhindern.

    Spannend wird übrigens, wie konsequent ein Kanzler Wulff (oder wer?) von dem Experiment einer eiskalt neoliberalen Union, mit dem Merkel gescheitert ist, Abstand nehmen wird… Dazu später mehr.

  13. @cat_chaser: Dito! *lol*

    Noch viel mehr als die (das unterstelle ich jetzt einfach mal) glaubhaft ideologisch untermauerten Beiträge eines Berthold Kohler, schockieren mich parteipolitische Meinungsmache auf breiter Front in den Boulevard-Medien.

    Die Bild-Zeitung hat hier meines Erachtens jegliche journalistische Regel gebrochen, die es zu brechen gibt.
    Sehr anschaulich in gestriger Zapp-Sendung auf dem NDR von Michael Jürgs dokumentiert.

    Sehr richtig wurde im Verlaufe der Sendung festgehalten, dass die BILD sich damit letztlich selbst ein Ei gelegt hat, da ihr durchschnittlicher Leser offenbar nicht ganz so dumm ist, wie sie selbst vermuten. Die Wochenlange Propaganda wurde vom Leser letztlich als meinungsmachend und damit unglaubwürdig eingestuft.

    Ein gelungenes Beispiel: Nach dem Fernseh-Duell bringt die Bild und viele andere plötzlich schröderfeindlicher Medien, wie Stern und Spiegel, eine Beurteilung des Duells, das Frau Merkel als klare Siegerin preist (Untermauert mit Pro-Merkel-Slogans von Jörges bis Riekel).

    Ausländische und unabhängige Beobachter sahen einhellig Herrn Schröder als klaren Sieger.

    Wenn zwischen dem, was man liest und dem, was man selbst sieht eine derart krasse Distanz liegt, fragt sich auch der Bild-Leser irgendwann zurecht: wollen die mich verarschen?

    Trotzdem verstehe ich nicht, warum die Medien hier nicht mehr Selbstkritik üben und diese Strategien versucht bloßzustellen.

  14. Von der Schwampel-Muse geküsst – Glosse zur augenblicklichen Politik

    Dass auch Politiker oft Sprachkünstler sind, ist eine Binsenweisheit. Ihre sprachliche Kreativität jedoch läuft in aller Regel genau entgegengesetzt zur Kreativität der Dichter. Analog zu diesem Befund könnte man sie auch als „Bläher“ bezeichnen, versuchen sie doch immer wieder, aus einem Furz einen Elefanten zu machen. Manchmal sprießen aber auch bei ihnen bemerke(l)nswerte Blüten.

    Als ich vorhin Claudia Roth in einer Nachrichtensendung mit dem Brustton der Selbstverständlichkei von der „Schwampel“ reden hörte und sah, schoss mir der Gedanke durch den Kopf, der hier seinen Niederschlag findet.

    Angesichts der verfahrenen Lage nach dem Wahlergebnis ohne einen eindeutigen Sieger, muss nach Koalitionsmöglichkeiten gesucht werden. Da den Parteien schon seit langem Farben zugeordnet sind, war es seinerzeit möglich, für eine Koalition aus Rot, Grün und Gelb den Namen „Ampelkoalition“ zu prägen, da auch die dem Bild zu Grunde liegende Verkehrsampel genau diese Farben vereinigt. Der Begriff veranschaulicht das Gemeinte an einem allgemein vertrauten Gegenstand.

    Und nun gibt es plötzlich die „Schwampel“, zweifellos eine originelle Bildung, aber genau so unsinnig wie originell. Was ist das eigentlich?

    Sprachlich handelt es sich bei dem Begriff um eine Kontraktionsform (Zusammenziehung) aus schwarze Ampel“. Aber schwarze Ampeln gibt es gar nicht. Dass der Begriff ein Gebilde meint, bei dem Rot durch Schwarz ersetzt ist, Grün und Gelb hingegen erhalten bleiben, muss man einfach wissen. Eine solche Ampel wäre im Straßenverkehr der reinste Horror, denn warum sollten die Fahrer ausgerechnet dann anhalten, wenn überhaupt kein Licht leuchtet? „Schwampel“ benutzt also allenfalls etwas Sinnloses zur Veranschaulichung.

    Vielleicht haben sich die Politiker etwas Ähnliches überlegt, die statt „Schwampel“ lieber „Jamaika-Koalition“ sagen. Das ist allein schon deswegen politischer, weil es die zweisilbige „Schwampel“ oder das dreisilbige „Rot-Grün-Gelb“ durch den achtsilbigen Begriff „Jamaika-Koalition“ ersetzt (Blähung!). Und in der anderen Hinsicht, nämlich im Blick auf das notwendige Vorwissen, um den Begriff verstehen zu können, ist er nicht weniger politisch als die „Schwampel“. Denn wer kennt schon alle Flaggen der Welt, selbst wenn er wissen sollte, dass sich das Wort auf eine Flagge bezieht?

    Wer allerdings die Flagge Jamaikas vor Augen hat, der sieht sofort sehr anschaulich, dass Gelb Schwarz und Grün durchkreuzt. Ob das auch mitgemeint ist?

    Jedenfalls erfüllen „Schwampel“ und „Jamaika-Koalition“ mustergültig die Grundregel der politischen Sprache:
    „Das Gedachte verhüllen!“ Vielleicht sogar: „Verhüllen, ob überhaupt gedacht wird!“

  15. nun schreibe ich doch mal an sie, als künstler, der sich der alchimistischen befreiung des geistes von der materie verschrieben hat, bin ich politisch gesehen letztendlich zwangsläufig anarchist und somit herrn gerhard schröder genauso skeptisch gegenüber stehend wie dem schwarzen block, dennoch ist das was da mal wieder als medienreflex durch die republik geistert und „unseren“ (immerhin einer der auf dem parteitag das wort „menschenbild“ in den mund nimmt und nicht „einsatz der bundeswehr im inneren“) herrn bundeskanzlen ans knie fährt, ist nicht mehr zum aushalten. sorry, aber man muss schwer den eindruck gewinnen, dass 70% der journalisten ihren eigenen job nicht verstehen und so die sogenannte medienschelte weit von sich weisen.
    da ich leider keinerlei archiv zur verfügung habe um meine these der medienverschwörung, soweit ich sie beobachtet habe, mit konkreten zu untermauern, bitte ich meine beispiele nicht wortwörtlich zu nehmen, aber dennoch den tenor zu verstehen, dem evt. im fr archiv detailiert nachzugehen und für unseren kanzler mal positiv in die bresche zu springen:
    nannte sich: „das war rotgrün“. und dies schon wochen vor dem wahlkampf. was sagt uns dieser imperfekt (is doch richtig so, oder?). das war und wird nicht mehr länger sein, ein klitzekleiner satz dersich ins unterbewusstsein des lesers pflanzt und so unheimlich stimmung macht. oder wieder das zdf, das bei rotgrün in den heutejournal_nachrichten bei rotgrün oft von hatte (abgeschlossenes perfekt, oder wie war das) bei schwarz gelb von sie tun gerade (gegenwart), so als wären sie schon an der macht, nicht die cdu/csu würde gerne dieses oder jendes steuerkonzept verwirklichet wissen, nein: sie legen vor und tun das so und so. sie senken die steuern, also nicht sie werden die steueren senken, wenn sie an die macht kommen etc.

    also das ist alles sinngemäss, aber zwischen den zeilen waren da super viele (!!!!) medienschweinereien, dass es mich echt wundert, dass fast alle journalisten (sogar die linken in der taz) über diese berechtigte schröderkritik nicht nur hinwegsehen, sondern sie sogar noch weit von sich weisen, so als ob sie ihren grammatikunterricht vergessen hätten und ihre visuelle betrachtung bestimmter zusammenhänge noch nie gehabt haben. interessant wäre, ob es da schriftliche anweisungen an die grafiker gibt? da würde dann eine bombe platzen die herrn brender dann selbst für die erzkonservativen nicht mehr tragbar machen würde.

  16. @ka_neu:
    Medienverschwörung würde ja implizieren, dass etwas im geheimen stattfand. das ist ja aber überhaupt nicht der Fall. Jedes Medium hat schließlich seine politische Tendenz, die in der Haltung der Zeitung zum Ausdruck gebracht wird, und die jeder Mitarbeiter unterschreiben muss. Natürlich auch die DTPler oder „Grafiker“.

    Im Idealfall ist diese Haltung der Zeitung tendenziell festzustellen, aber nicht meinungsmachend oder gar hetzerisch oder verleumderisch. Das kommt letztendlich auf die Leute an der Spitze – und im Zweifel (leider) auf die Investoren und Lobbyisten an. Genau diese Leute sind in diesem Wahlkampf über das Ziel und somit den journalistischen Anstand hinausgeschossen.

    Die Türkei-Kampagne gegen Schröder, Suggestiv-Fragen, das berüchtigte „das war rot/grün“… Als ich kurz vor der Wahl im Schnellrestaurant eine liegen gebliebene B*** laß, kurz war ich wirklich schockiert, wie man es schaffen kann, 3 Seiten einer „Zeitung“ mit der allerplumpesten und zudem ausländerfeindlichen Polemik zu füllen, die Stilblüten trug, wie:

    „SPD lügt – Die Familie, die auf einem Wahlplakat abgedruckt ist und sinkendes real-Einkommen unter einer schwarzen Regierung beklagt, ist in Wirklichkeit gar keine deutsche Familie, sondern das Bild ist aus einem amerikanischen Bildkatalog – also von den bösen Neokonservativen – und denen wirft die SPD auch noch Geld in den Rachen.“

    So etwas krass plumpes und an den Haaren herbeigezogenes ist mir wirklich lange nicht untergekommen. Schließlich behauptet die B*** ja auch, sie sei eine „Zeitung“ und wird deswegen nicht der Lüge bezichtigt 😉

  17. @daniel

    sicherlich ist verschwörung ein grosses wort, dennoch sei erlaubt, auch in der annhame, dass es gewisse „linke“ ard tendenzen gibt, die jedoch bei weitem nicht so ausgeprägt sind, wie die rechten tendenzen (ich erinnere nur an den unsäglichen guido knopp), dass es sich beim zdf um einen öffentlich rechtlichen sender handelt, der fast durchweg soclehe dinge wie „das war rot grün“ gerbacht hat. und bei der bildmontage fällt es mir schwer zu glauben, dass zufällig alle grafiker gerade eine antischröder gesinnung hatten.
    insgesamz gehsehn, sollte man doch gerade von studierten journalisten, germanisten usw. ausgehen, dass die die wirkung ihres sprachumgangs kennen und im nach hinein nicht auch noch lauthals den unschuldigen markieren, wenn man ihnen vorwirft eindeutig zu suehr partei bezogen zu haben und das auch noch bei öffentlich rechtlichen.

  18. @Stephan Hebel: genau; es war zwar ganz liebenswert, wie Münte mit den Rechentricks versuchte, seinem krawalligen Kanzler schnell den Boden unter die Füße nachzuschieben, der dem abhanden gekommen war, aber irgendwann reicht’s dann auch damit. Ich finde es in Ordnung, wie Schröder jetzt zurück zieht, Kompromisse anbietet, angeblich schon nur noch kürzer Kanzler sein will als Merkel, wenn sie sich die Amtszeit teilen. Sie wird denken: besser drei Jahre als gar nicht, also kein übler Schachzug vom Kanzler. Wulff hat ja noch so viel Zeit, wieso soll er sich jetzt die Hände schmutzig machen und als ungewählter Kanzler auftreten? der wird ja früh genug richtig gewählt werden.

    Nicht in Ordnung ist, was Dirk Kurbjuweit auf Spiegel Online macht: den Kanzler fertig. Kurbjuweit bestätigt mit seinem Artikel, dessen beleidigter Ton nur schwer erträglich ist, genau das, was Schröder am Wahlabend andeutete – bloß diesmal von journalistischer Seite: es gibt ihn, den schmutzigen Kampf zwischen Kanzler und Medien. Also hat Schröder doch nicht nur geträumt. Dieser Kurbjuweit breitet in seinem Artikel endlos alles aus, was ihn anscheinend persönlich frustriert hat – muss/ will man das lesen? es liest sich wie eine Sitzung beim Analytiker, mit protokolliert, was der Klient vor sich hin redet, ohne Gegenüber. Ist das noch Journalismus, oder eine persönliche Abrechnung, zu der die politische Website mit den meisten Lesern – Spiegel Online – sich missbrauchen lässt? ich finde letzteres.

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