Fatale Toleranz oder Angst als Ratgeber?

Burka die 3756ste. Die Szene: Redakteur sitzt haareraufend am Computer und versucht verzweifelt, einem gewissen Thema eine neue Note abzuquetschen. Es will und will ihm nicht gelingen. Zu diesem gewissen Thema ist bereits alles gesagt, zum Beispiel –> HIER. Was sollte dem noch hinzuzufügen sein? Warum soll er sich überhaupt noch etwas Neues dazu einfallen lassen, der Redakteur? Die Debatte draußen im Land kommt ja ebenfalls ohne neue Facetten aus. Es ist eine reine Symboldebatte, die dröhnend darüber hinwegtönt, dass eigentlich alle ratlos sind. Bis auf die Rechten, die unentwegt weiterhin das Burkaverbot fordern, und jene Politiker, die glauben, sie würden die Ängste der Menschen ernstnehmen, wenn sie den Rechten nach dem Mund reden. So werden die Ängste natürlich erst geschürt. Wie viele Menschen im Land haben schon mal eine vollverschleierte Frau gesehen? Wie viele Burkaträgerinnen gibt es überhaupt? Machen sie tatsächlich Angst, oder glaubt man nur, Angst vor ihnen haben zu müssen, weil wieder und wieder behauptet wird, dies sei die natürliche Reaktion beim Anblick einer Burkaträgerin? Welche Gefahr geht von diesen Frauen aus? Ist es nicht ganz allein deren Angelegenheit, wie sie sich kleiden? Warum glauben so viele Menschen im Land, etwas dazu sagen zu sollen?

Da will sich eine Handvoll Menschen in Deutschland nicht nach der geltenden Kleiderordnung richten, sondern offen sichtbar zu erkennen geben, dass sie einer archaischen Kultur anhängen, die weit, weit von der westlichen Kultur entfernt ist, obwohl sie im selben Raum existiert. NA UND? Sollen sie doch! Solange sie niemandem außer sich selbst damit schaden. Haben wir denn keine anderen Probleme? Das Gerede über das Burkaverbot wird nur dazu führen, dass sich mehr und mehr Menschen auf diese Kultur besinnen und sich verschleiern, um zu zeigen: Wir sind anders. Man sieht es schon an der (gefühlten oder realen?) Zunahme der Kopftuchträgerinnen in deutschen Städten. Nein, die Ächtung der Burka und anderer Verschleierungen kann nur von den Frauen ausgehen, die selbst potenzielle Burkaträgerinnen sind. Deren Sympathie für eine Ächtung wird man jedoch nicht mit Verboten erreichen, nur mit Gesprächen. Denkt der verzweifelte Redakteur am Computer, doch das kann er nicht schreiben, das hat er alles schon mal geschrieben. Sinngemäß jedenfalls. So verzweifelt ist er, der Redakteur, dass er, wenn er eine Muslima wäre, vermutlich zur Burkaträgerin würde. Jetzt erst recht!

Die Burka-Debatte ist komplett unter Niveau, finden auch die ehemaligen Ratsvorsitzenden der EKD Manfred Kock und Margot Käßmann.

Bianca Garde aus Frankfurt meint dazu:

„Es ist eine Schande für unser Land und für unsere christliche Religion, dass die Diskussion über das Burka-Verbot verteufelt wird. Es kann doch nicht sein, dass wir, eine emanzipierte Gesellschaft, in der Mann und Frau gleichberechtigt sind, die Unterdrückung der Frau, durch eine Verschleierung, verteidigen. Ich bin entsetzt, wie sich Politiker und nun auch Repräsentanten der Kirche an dieser Stelle nicht entblöden, eine fatale Toleranz gegenüber der Vollverschleierung zu zeigen. Welche Werte vertritt die Kirche im Abendland und welche vertreten unsere Politiker? Der Islam mit der einhergehenden Unterdrückung der Frau bzw. der Nichtwertschätzung der Frau, dokumentiert durch jede Art von Verschleierung der Frau, kann doch tatsächlich nicht von Kirche und Politik vertreten werden. Wie weit soll denn noch unsere Selbstverleugnung gehen?“

Herbert G. Just aus Wiesbaden:

„In Gesprächen mit Kopftuch tragenden Schülerinnen bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass das Kopftuch oder eine andere Art von Verschleierung nicht freiwillig getragen wird. Ursache ist stets der Druck, den die Verwandtschaft auf die Familie der jungen Frauen ausübt.
In ihrem Buch „Warum hasst ihr uns so?“ beschreibt Mona Eltahawy den zähen Kampf gegen die Verschleierung in Äypten und ganz allgemein die weit verbreitete Frauenfeindlichkeit in einigen arabischen Ländern. Eine Kollegin, die Kontakte in den Iran hat, beschreibt den täglichen Kampf der iranischen Frauen, das Kopftuch ein paar Zentimeter nach hinten zu schieben und sich damit dem Zwang zum Kopftuch tragen zu widersetzen.
In Summe komme ich zu der Überzeugung, dass wir den Frauen einen Bärendienst erweisen, das Kopftuch oder andere Arten der Verschleierung in Deutschland als normal zu betrachten. Es mag einige wenige Frauen geben, die das Kopftuch aus religiöser Überzeugung tragen; das sei ihnen, wie z.B. den Ordensschwestern, gestattet. Vertreterinnen des Staates, also Richterinnen oder Lehrerinnen gehört das Tragen einer Verschleierung untersagt.“

Ingrid Dorner aus St. Lorenzen:

„Heute wende ich mich leidenschaftlich und zuversichtlich an alle Frauen in und außerhalb Europas, um zu ergründen, ob wir das Schlimmste noch rechtzeitig verhindern können. Der Angriff kommt radikal und unerbittlich daher und richtet sich auf die Tradition des Verhüllens in Europa.
Während Kriege die Welt und ihre Bewohner verstümmeln, frage ich mich, was wir Frauen in Europa tun können, um das unsägliche Leid der Flüchtlingsfrauen zu mildern. Oft sind sie der einzige Halt und Trost für die geschundenen Kinderseelen, und dafür brauchen sie wohl ihre ganze Kraft im fremden Land mit seinen befremdlichen Sitten und Herausforderungen.
Die Angst als Ratgeber und Führer lässt uns erblinden auf beiden Augen, so dass wir nicht mehr von Recht oder Unrecht unterscheiden können. Und aus Gründen der Sicherheit und Anpassung liebäugelt die Europäische Polit-Elite mit der Befreiung der Burka-Frau. Dass wir mit diesem Angriff auf Tradition und Religion unsere Grenzen überschreiten, muss dringend ins Bewusstsein der Menschen geführt werden.
Der Aufschrei der westlichen Schwestern muss hörbar sein und nachhaltig, um weitere Eskalationen zu verhindern. Gerade wir westlichen Frauen mit unseren bisher erworbenen Rechten auf Gleichheit und Freiheit wissen, wie man sich wehrt gegen Dummheit, Unwissenheit und Angst vor Machtverlust und die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen. Die Burka-Trägerinnen in unseren Ländern brauchen Zeit, um zu verstehen, wie und weshalb wir Frauen leben, wie wir leben. So lasst uns aufstehen, um den muslimischen Frauen unsere Solidarität und unser Verständnis zu bekunden! Männer sind natürlich als Unterstützer herzlich willkommen.“

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58 Kommentare zu “Fatale Toleranz oder Angst als Ratgeber?

  1. „Es ist eine reine Symboldebatte, die dröhnend darüber hinwegtönt, dass eigentlich alle ratlos sind. Bis auf die Rechten, die unentwegt weiterhin das Burkaverbot fordern, und jene Politiker, die glauben, sie würden die Ängste der Menschen ernstnehmen, wenn sie den Rechten nach dem Mund reden.“ (Bronski)

    Ist das wirklich so? Nur die Rechten?
    Mir ist da vor kurzen in einem Kulturmagazin des MDR folgender Beitrag aufgefallen:
    http://www.mdr.de/kultur/themen/artour-alle-themen-152.html#sprung3
    Der Videobeitrag „Wofür steht die Burka“ schließt mit den Worten „Einer der zentralen Werte des Grundgesetzes ist die Gleichheit von Frau und Mann. Politische Symbole der Ungleichheit verstoßen gegen unsere freiheitlichen Gesetze. Wir können sie nicht zur Freizügigkeit zwingen, aber wir lassen uns unsere Freiheit nicht nehmen, auch die nicht, Symbole totalitärer Denksysteme verbieten zu wollen.“

  2. Kock: „Ich bin nicht der Meinung, dass der Staat mit einem Burkaverbot zur „Frauenbefreiung“ antreten soll. Diese Freiheit können und müssen sich die Frauen selbst erkämpfen. Oder siehst du das anders, Margot?“

    Käßmann: „Kaum haben wir die Zeiten hinter uns, in denen Frauen sich nicht ausziehen durften und ein Bikini als Erregung öffentlichen Ärgernisses galt, will man uns weismachen, das gesunde Volksempfinden werde gestört, wenn eine Frau mit langärmeligem Badeanzug schwimmen geht. Absurd!“

    Nein, Margot hält die Burka natürlich nicht für einen langärmeligem Badeanzug. Sie widerspricht allerdings nicht Kocks Forderung, die Frauen müssten sich diese Freiheit selbst erkämpfen.

    Klar Herr Kock. Wo kämen wir denn da hin, wenn Frauen, die zu bequem sind zum kämpfen, irgendwelche Ansprüche stellen. Gleichbehandlung ohne Kampf? Um Gotteswillen. Frau sein ist doch kein Wunschkonzert.

  3. Eine Burkaträgerin habe ich tatsächlich noch nie gesehen. Wer aber gerne Niqabträgerinnen in beträchtlicher Anzahl anschauen möchte, möge sich nach Frankfurt ins Skyline Plaza hinter der Messe begeben, da findet man immer welche, bezeichnenderweise begleitet von Männern, die gekleidet sind wie jeder deutsche Durchschnittsmann.

    Ein generelles Verbot der Vollverschleierung wird nicht durchzusetzen sein, solange man Vermummungen an Karneval oder an Weihnachten (Weihnachtsmänner) erlaubt. An einigen konkreten Orten jedoch muss eine Person zu identifizieren sein, z.B. auf Ämtern, auf der Bank, bei Polizei- und Grenzkontrollen etc.
    Auch am Steuer eines Autos darf das Gesichtsfeld nicht eingeschränkt sein (Schulterblick) und die Fahrerin muss Gesicht zeigen, schon wegen der Radarkontrollen. Und wenn eine Frau ihr Kind vom Kindergarten oder von der Schule abholt, muss sie vom Lehr- und Betreuungspersonal zu erkennen sein. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Schülerinnen und Schülern eine Lehrerin zuzumuten ist, deren Mimik ihnen verborgen bleibt.
    Ich finde es richtig, dass hier klare Regeln aufgestellt werden, schon um zukünftige Gerichtsverfahren zu vermeiden.

    Dass Menschen aus unserem Kultutkreis sich vor solchen Verschleierten gruseln, kann ich gut verstehen. Nicht umsonst werden Gespenster als gesichtslose Wesen in konturlosen Gewändern dargestellt. Als meine Kinder im Vorschulalter waren, wären sie vor solchen Gestalten schreiend davongelaufen. Es liegt einfach in der Natur des Menschen, über die Mimik zu kommunizieren. Das sieht man ja schon bei Neugeborenen. Ihre erste Form der Kontaktaufnahme ist das Lächeln. Ein gesichtsloser Mensch löst, wenn nicht Angst, so doch Unbehagen aus.

  4. Lieber Bronski,
    Sie tun so, als sei das Thema der Vollverschleierung schon tausendmal durchgekaut worden. Ich selbst, seit etwa zwei Jahren in diesem Blog unterwegs, erinnere mich nur an eine Debatte zum Kopftuch für Lehrerinnen. Um Vollverschleierung ging es in dieser Zeit nie, und zwar deshalb, weil sie in Deutschland kaum vorkam. Das ist aber mittlerweile, wie ich oben erwähnt habe, anders. Z.B. wollte im August eine vollverschleierte Frau in Osnabrück auf dem Klageweg den Zugang zu einem Abendgymnasium erreichen. Und offenbar sind noch mehr solcher Klagen in Deutschland anhängig. Das ist durchaus neu und nicht ausgelutscht.
    Besagte Frau in Osnabrück wollte im Unterricht ihren Schleier nicht ablegen, war aber bereit, sich zu Beginn des Unterrichts von einer Frau identifizieren zu lassen. Das wird in Zukunft lustig: In jeder Schule und neben jedem Hörsaal an der Uni wird ein Identifizierungsraum eingerichtet, und für die Fälle, in denen die Lehrperson ein Mann ist, wird noch eine weibliche Identifizierungskraft eingestellt. Ein zukunftweisendes Berufsbild!

  5. Die Threads, in denen über Burka/Kopftuch/Verschleierung diskutiert wurde:

    20.12.2014: Die Burka hat nichts mit Religion zu tun
    8. Juli 2014: Burka ist das Ergebnis gruppendynamischer Prozesse
    27. September 2010: Anti-intellektuelle Volksfrömmigkeit
    21. Juli 2010: Restaurative religiöse Tendenzen
    9. Juli 2010: Immer die armen Unterdrückten
    8. Februar 2010: Positives Auswahlkriterium
    2. Februar 2010: Das Ganzkörpergefängnis und der Bikini

    Darüber hinaus wurde das Thema in vielen anderen Threads gestreift. Das ist ziemlich viel für so ein Stück Stoff, finde ich. Aber wie Sie sehen, unterwerfe ich mich dem LeserInnen-Willen und mache das Thema erneut auf. 😉

    Zu Ihrer Osnabrück-Geschichte: So einfach kann es sein, öffentliche Empörung zu provozieren!

    Der Vorgang nahm übrigens einen Verlauf, der Sie befriedigen wird: Das Verwaltungsgericht Osnabrück entschied, dass die Frau im Unterricht ihren Niqab nicht tragen darf. Dieses Urteil wurde in ihrer Abwesenheit gesprochen, da sie es wegen des großen Medieninteresses nicht gewagt hatte, zur Verhandlung zu erscheinen (Quelle: Deutsche Welle).

    @ all

    Bei dieser Gelegenheit: Es wäre schön und auch sehr freundlich, wenn Sie begleitend zu solchen Geschichten auch gleich Links mitliefern würden.

  6. @Brigitte Ernst
    Die Frau, übrigens eine deutsche Konvertitin, ist mit ihrer Forderung nicht durchgekommen. Ihre Projektion in die Zukunft entbehrt also jeder Grundlage.
    Sie verwenden hier ein Grundmuster der Rechtspopulisten. Aus Einzelfällen wird ein Massenphänomen gemacht.

  7. Wenn man einen Rückblick auf die damalige Türkei unter Kemal Atatürk wirft, so kann man die Entwicklung der letzten Jahre in diesem Land nur bedauern. Wäre die Türkei noch kemalistisch, so hätten wir auch in Bezug auf andere islamische Herkunftsländer heute nicht diese Probleme, wie zum Beispiel mit Kopftuch und Burka. Ich kann eigentlich gar nicht verstehen, warum so viel diskutiert wird über die islamische Verschleierung der Frau. Warum fällt es unseren Politikern so schwer, was einst Kemal Atatürk mit seinem Kopftuchverbot gelungen ist. Damals gab er die Grundlagen zu einer modernen westlich orientierten Türkei, bei der auch den Männern das Tragen des Turbans verboten wurde. Man kann, wie hierzuland mit falsch verstandener Toleranz, was die Verschleierung anbetrift, auch die Schritte in eine moderne, gemeinsame Zukunft verbauen. Manchmal wünscht man sich heute Atatürks Türkei zurück. Ich kenne noch ältere Türken, die sehr vom Kemalismus geprägt sind, die ebefalls die Zustände in ihrem Heimatland nicht mehr verstehen. Unter Integration versteht man auch, sich der umgebenden Gesellschaft anzupassen. Ich bin eigentlich froh, dass ich hier in meiner Heimatstadt früh Kontakte zur ersten türkischen Einwanderungsgeneration hatte. In Hattersheim hatte Ende der 1960ger Jahre die damalige Schokoladenfirma Sarotti junge Türkinnen angeworben und eingestellt. Sie lebten in einem firmeneigenen Wohnheim. Es waren modern orientierte Frauen. Von Verschleierung war damals schon lange keine Rede mehr. Einige dieser Frauen, die damals nach Hattersheim kamen haben geheiratet und verbringen hier ihren Lebensabend. Sie sind ganz selbstverständliche Mitbürgerinnen geworden. Über Integration brauchte man damals nicht zu reden. Sie wurde ganz einfach sofort praktiziert. Ich selbst war als Tourist vor 45! Jahren zum ersten mal in der Türkei. Damals waren nicht nur die Einwohnerzahlen der Städte niedriger, die Küsten noch nicht so zugebaut, sondern die Kleidung der Damen ohne Verschleierung war ganz modern, genau wie bei uns. Unter Kemal Atatürk war durch seine völlige Gleichberechtigung auch der Anteil an Frauen im Parlament in Ankara höher gewesen, als in späterer Zeit. Unsere Politiker sollten was Verschleierung anbetrifft Kemal Atatürks Vorbild folgen. Mit zu viel falscher Toleranz verwässert man de Weg in diue Zukunft. Atatürk hat zwar im Vielvölkerstaat damals in der Türkei schwerste Fehler gemacht, aber mit seiner Verwestlichung eine Basis geschaffen, auf der man hätte weiter voranschreiten müssen. Dann gestaltete sich auch eine Beitrittsverhandlung zur EU heute realistischer und denkbarer.

  8. @Wolfgang Mohr
    Das Kopftuchverbot galt nicht generell, sondern hauptsächlich für den Bildungsbereich. Auch heute noch ist Staatsanwältinnen, Richterinnen, Soldatinnen und Polizistinnen in der Türkei das Tragen eines Kopftuches nicht erlaubt (Quelle: Wikipedia). Man muss sich m.E. fragen, ob solche Verbote nicht kontraproduktiv sind. Es versperrte in der Türkei Frauen aus konservativen Familien zu Zugang zu den Hochschulen. Islamisten benutzen es als Argument ihre angebliche Unterdrückung zu beklagen.

  9. @ Bronski
    Ich nehme einen etwas aggressiven Tonfall bei Ihnen wahr. „Der Vorgang nahm übrigens einen Verlauf, der Sie befriedigen wird.“ Sie also offenbar nicht. Dann teilen Sie uns doch mal Ihre Haltung zu diesem Thema mit. Vollverschleierung immer und überall oder doch die eine oder andere Einschränkung?

    @ Henning Flessner
    Ich hätte Ihnen mehr Humor zugetraut. Ich fand meine satirische Anmerkung sehr lustig. Auch Satiriker, nicht nur Rechtspopulisten, benutzen übrigens das Stilmittel der Übertreibung. Ist aber leider an Ihnen vorbeigegangen, schade!
    Auch von Ihnen würde ich mir wünschen, dass Sie endlich Farbe bekennen würden. Und reden Sie sich nicht damit heraus, die Vollverschleierung sei kein relevantes gesellschaftliches Problem. Welchen Umgang mit dem Phänomen schlagen Sie denn vor? Sollen die Schulen und Lehrkräfte, die zunehmend damit konfrontiert sind, alleingelassen werden?

  10. Liebe Frau Ernst,

    bitte ersetzen Sie „aggressiven“ in Ihrem Kommentar durch „ironischen“. Oder um Sie zu zitieren (an Henning Flessner): „Ich hätte Ihnen mehr Humor zugetraut.“ Es ist eben nicht so einfach mit der rein schriftlichen Kommunikation, wenn man keine Emoticons benutzen möchte. 😉

  11. @Brigitte Ernst
    Ich rate zu Gelassenheit und nicht zum ständigen Hyperventilieren.
    Ich versuche die Dinge, rational zu betrachten. Muss ich Angst vor Terroristen haben, obwohl die Wahrscheinlichkeit vom Ehepartner getötet zu werden, viel grösser ist und davor habe ich ja auch keine Angst. Muss ich mehr Angst im Auto oder im Flugzeug haben oder doch eher wenn ich unter die Dusche gehe? Ist es wahrscheinlich, dass jetzt deutsche Schulen von Burka-Trägerinnen überschwemmt werden?
    Es ist eine Masche der Populisten Einzelfälle aufzubauschen und daraus ein Massenphänomen zu inszenieren. Ein Beispiel: in der Schweiz leben 400’000 Muslime davon hat ein Elternpaar sich geweigert, dass ihre Tochter schwimmen lernt. Die Rechtspopulisten, die in der Schweiz mit etwa 30% die stärkste Partei sind, haben daraus eine riesige Geschichte gemacht. Dass die Frau meines moslemischen Kollegen im Schwimmbad arbeitet, war niemandem eine Meldung wert.

  12. Was Mann oder Frau vom Hals abwärts trägt interessiert, zum Glück, kaum noch jemanden. Vom Hals Richtung Himmel wird dagegen Diskriminierungsgeschichte (vorwiegend für Frauen) geschrieben. Für mich bedeutet die Begegnung mit einem verhüllten Menschen Eigene, oder vom Partner gewollte, Ausgrenzung (auch Kulturelle). Da dieser Mensch kein Interesse an mir hat, muss ich mich auch nicht um ihn kümmern. Das ist eindeutige Körpersprache.
    Wenn Mann oder Frau mich anspricht oder mit mir reden möchte erwarte ich, schon aus Respekt mir gegenüber, offenes Visier: Unverhüllte Sicht auf mein Gegenüber vom Haaransatz bis Kinn und vom rechten bis zu linken Ohransatz wie auch bei einigen christlichen Nonnenbekleidungen üblich (unsere abendländische Verhüllungskultur lässt grüßen), u.a. wegen der Mimik! Eine tolerante, für jeden tragbare Lösung in Bezug auf Verhüllung (s. oben) und freier Sicht auf die Gesichtspickel (z.B. Schule, Ämter vor und hinter dem Schreibtisch) ohne religiöse Diskriminierung und vorauseilendem Gehorsam muss doch möglich sein!

  13. @ Bronski
    Und noch immer haben Sie nicht gesagt, welchen Umgang mit dem Problem Sie vorschlagen.

    @ Henning Flessner
    Der/die eine hyperventiliert halt, wenn er/sie hinter Stoffbahnen versteckte Frauen sieht, der/die andere in diesem Blog geht hoch wie eine Rakete, wenn Reizwörter wie „Gutmensch“ fallen. So hat jeder seine persönlichen Aufreger und sollte sich nicht über die des anderen mokieren. Vor allem sollte man sich davor hüten, ständig mit der Populismuskeule um sich zu schlagen, wenn einem die Meinung des anderen nicht passt.
    Es hat niemand behauptet, dass deutsche Schulen jetzt mit Burkaträgerinnen überschwemmt würden (im Übrigen habe ich nur vom Niqab gesprochen),aber es ist doch nicht zu bestreiten, dass die Konfliktfälle zunehmen. Aber dass Schulen, Ämter und Polizei nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, scheint Ihnen gleichgültig zu sein.

  14. Ein Gespenst geht um in Europa , vollverschleierte Frauen ziehen plündernd und brandschatzend durchs Land…

    Interessant , welch skurrile Querfront sich da gebildet hat , aus klassischen Rechten und einem Rigorismus , der im Namen des vermeintlich Guten spricht.
    Und es ist keineswegs klar , wer gefährlicher ist.

  15. @ Brigitte Ernst/ Henning Flessner

    Ihr Argument, Herr Flessner, es handle sich nur um einen Einzelfall, kann ich nicht teilen. Schließlich wollte die Frau ihr „Recht“ auf Verschleierung per Gericht erstreiten, nicht anders als Frau Ludin wiederholt, bis zum Bundesverfassungsgericht. Es wäre naiv zu glauben, dies geschehe ohne politische Absicht und Rückhalt durch politisch interessierte muslimische Oganisationen (wohl eher islamistisch orientiert). Also ist der Einzelfall durchaus ein Präzedenzfall.
    Ebenso wenig überzeugt der Hinweis auf die noch wenigen Fälle in Deutschland. Dies verkennt das politische islamistische Religionsverständnis, das auf langfristige Veränderung der politischen Kultur angelegt ist. Und die islamistische Strategie ist m.E. durchaus in Analogie zur Entwicklung in der Türkei zu sehen.
    Als Lehrer in Berlin-Kreuzberg hatte ich übrigens schon zu Beginn der 80er Jahre mit islamistischen Schülerinnen zu tun. Die politische Strategie wurde damals schon deutlich. Dieses Bekenntnis nach anfänglich vorgeschobener religiöser Begründung habe ich durch den Verweis auf das (damals noch gültige) Kopftuchverbot an Schulen der Türkei herausgekitzelt: „Wenn deutsche Mädchen keine Miniröcke mehr tragen, legen wir auch das Kopftuch ab.“
    Das alles mit dem Verweis auf freie Wahl der Bekleidung oder auf historische Kleiderordnungen abzutun, halte ich für ausgesprochen oberflächlich und kurzsichtig. Wobei bei der Debatte allerdings zwischen dem Recht eines Landes auf Formulierung und Prägung des kulturellen Selbstverständnisses und rechtspolitischen Gegenmaßnahmen zu unterscheiden ist. Die Reduktion auf eine Burka-Verbotsdebatte gibt einer solchen oberflächlichen Debatte Vorschub.

  16. @ DH
    Am gefährlichsten bin mit Sicherheit ich, eine, die der Gruppe von Menschen (de facto ist es die Hälfte) angehört, die seit Beginn der Menschheit unterdrückt, bevormundet und vergewaltigt wurde und wird und deren Rechte bis heute denen der anderen Hälfte der Bevölkerung nicht gleich sind. Versuchen Sie einfach mal, diesen Tatbestand in Ihr männliches Gehirn vordringen zu lassen, dann können Sie meinen Ärger vielleicht besser verstehen.

  17. @ Werner Engelmann
    Danke für die Präzisierung.

    @ Bronski u.a.

    Wie ich dem Parallelthread entnommen habe, treten Sie und andere gegen die Benutzung des Wortes „völkisch“ ein. Eigentlich ein harmloses Wort, das aber Assoziationen weckt mit der menschenverachtenden rassistischen Ideologie der Nazis, die zu einem verheerenden Völkermord und im Krieg zum Massensterben geführt hat.

    Nun folgende Parallele: Für mich und für viele andere steht die Verschleierung der Frau, vom Kopftuch über den Hijab bis zum Niqab und zur Burka, stellvertretend für eine seit Jahrhunderten wenn nicht Jahrtausenden über den ganzen Erdball verbreitete Ideologie der Unterdrückung, Vergewaltigung und Tötung von Frauen, angestachtelt und sanktioniert keineswegs nur vom Islam, sondern von diversen anderen Religionen und sogenannten Kulturen, die diese Bezeichnung eigentlich gar nicht verdienen. Sie wollen das Wort „völkisch“ aus unserem Sprachgebrauch tilgen, ich gemeinsam mit vielen anderen möchten die Verschleierung der Frau aus unseren Straßen verbannen.
    Noch Fragen?

  18. @ Brigitte Ernst

    „Für mich und für viele andere steht die Verschleierung der Frau, vom Kopftuch über den Hijab bis zum Niqab und zur Burka, stellvertretend für eine seit Jahrhunderten wenn nicht Jahrtausenden über den ganzen Erdball verbreitete Ideologie der Unterdrückung, Vergewaltigung und Tötung von Frauen, angestachtelt und sanktioniert keineswegs nur vom Islam, sondern von diversen anderen Religionen und sogenannten Kulturen, die diese Bezeichnung eigentlich gar nicht verdienen.“

    Für mich auch.

  19. @Brigitte Ernst
    Ok, verbieten Sie Kopftücher, aber bitte lassen Sie meinem Busfahrer seinen Turban (wurde in der Türkei zusammen mit dem Kopftuch verboten) und mir meine Frisur und Bart (mir wurde schon gesagt, dass ich damit wie ein Muslim aussehe).

  20. @Werner Engelmann
    Ich habe Anfang der 80er Jahre fast 4 Jahre in Kreuzberg gewohnt. Das Massenphänomen kochtuchtragender Kinder ist mir nicht aufgefallen.
    Ich bin jetzt seit 6 Monaten wieder in Deutschland und habe noch keine Flüchtlinge gesehen, keine Niqab-Trägerinnen und eine unbedeutend kleine Anzahl an Kopftuchträgerinnen. Für ein Massenphänomen halte ich das für erstaunlich, obwohl ich das Haus jeden Tag für mehrere Stunden verlasse.
    Die Frau ist deutsche Konvertitin und wollte ans Abendgymnasium. Ich weiss nicht, wenn man mal von den Touristinnen am Hotel Plaza in Frankfurt absieht, wie gross eigentlich der Anteil der Konvertiten unter den Niqab-Trägerinnen ist. Ein moslemischer Kollege sagte mir einmal, dass nach seiner Erfahrung die radikalen Spinner alles Konvertiten sind. «Das sind doch alles Eure Leute, die Ihr erzogen habt und mir macht die jetzt diese Idioten zum Vorwurf.» Ich musste zugeben, dass die einzigen Salafisten, deren Name ich kenne (Sven Lau und Pierre Vogel) Konvertiten sind.

  21. @Brigitte Ernst

    Quatsch.Männer werden genauso häufig von Frauen unterdrückt wie umgekehrt , nur eben in den eigenen vier Wänden.
    Darf nur nicht mehr gesagt werden , obwohl wir da schonmal weiter waren.

    Warum eigentlich denken die meisten , daß die Frauen gezwungen werden müssen , die entsprechenden Kleidungsstücke zu tragen?
    Ganz einfach , weil es gefälligst so zu sein hat.

    Frauen , die das freiwillig tun , darf es nicht geben , das paßt nicht in unsere heutige Ideologie der Geschlechterrollen.
    Natürlich gibt es auch Zwang , aber den kann es auch ganz ohne Burka geben .

    Viele Frauen , ob bei uns oder im Islam , sind durchaus einverstanden mit reaktionären Geschlechterrollen , auch wenn Ihnen das nicht paßt . Viele wollen das so , sonst müßten sie nämlich über die klare Vorherrschaft verzichten die sie in jenem Bereich ausüben , den wir heute den Privathaushalt nennen.
    Übrigens sind Sie es selber , die Frauen als völlig inkompetent und schwach betrachten , nicht ich. Wie sonst soll es eine Hälfte der Menschheit schaffen , die andere dauerhaft zu unterdrücken?

  22. @ Henning Flessner
    Wenn Sie mein erstes Posting (20. September, 2.00 Uhr)aufmerksam gelesen hätten, wüssten Sie, dass ich nie ein generelles Niqab- oder Kopftuchverbot gefordert habe. Lediglich in Situationen, in denen eine Identifikation der Frau nötig ist, sowie am Steuer eines Autos (aus Sicherheitsgründen) und für Lehrerinnen.
    Übrigens ist es eine Masche von Populisten, sich die Argumente der Gegeseite gar nicht erst anzugucken, sondern sie gleich völlig undifferenziert in Bausch und Bogen vom Tisch zu wischen. 😉

    @ DH
    Wo haben Sie denn diese Weisheiten her? Vorherrschaft der Frau im häuslichen Bereich?! Bis 1958 brauchten Ehefrauen die Genehmigung ihres Mannes, wenn sie berufstätig sein wollten. Auch über Erziehungsfragen entschied bis zu diesem Zeitpunkt allein der Vater. Und das Verbot der Vergewaltigung in der Ehe wurde eher weniger deswegen eingeführt, weil böse Frauen massenhaft ihre Männer vergewaltigt haben. Haben Sie eigentlich noch nie historische Berichte und literarische Texte gelesen, die die Situation der Frauen in vergangenen Zeiten beschreiben? Die wurden sogar oft von Männern geschrieben, z.B. von Theodor Fontane.
    Dass sich die Frauen das alles haben bieten lassen, hing sicher mit ihrer durchschnittlich geringeren Körperkraft und der schwachen Position durch Schwangerschaften und Geburten zusammen. Aber natürlich spielt bis heute die Gehirnwäsche eine Rolle, die in patriarchalischen Religionen und Kulturen mit der Erziehung beider Geschlechter einhergeht und gegen die ich mich wende. Auch deshalb fällt es Frauen in bestimmten Kulturen so schwer, sich zu befreien. Und sicher gibt es auch Frauen, die mit einer abhängigen Rolle in der Ehe einverstanden sind, bis sie dann im Falle einer Scheidung ein böses Erwachen erleben. Deshalb habe ich während meiner Tätigkeit als Lehrerin meinen Schülerinnen immer zu einer soliden Berufstätigkeit geraten, damit sie sich nicht in die Heerscharen von alleinerziehenden Müttern in prekären Verhältnissen einreihen.
    Ich habe auch nie behauptet, dass es unter Frauen nicht Dummköpfe gibt, die gegen eigene Interessen agieren.
    Ich muss ehrlich sagen, Ihre Argumentationsweise erinnert mich an die der Holocaustleugner bzw. derer, die den Juden vorwerfen, warum sie sich nicht gewehrt haben. Warum wird es eigentlich nicht unter Strafe gestellt, die Verbrechen, die Jahrhunderte lang an Frauen begangen wurden, zu leugnen?

  23. Hier mal Beispiele zum praktischen Umgang mit Islamisten. Als ehemaliger Kreuzberger Lehrer hat man mit diesem Phänomen ja schon viel früher Erfahrungen gemacht.
    Beispiel der genannten 2 islamistischen Schülerinnen:
    Zu einem dreitägigen Landschulheimaufenthalt in Berlin selbst habe ich die beiden Schülerinnen (nach Genehmigung, abends wieder nach Hause zu fahren) persönlich abgeholt. Als sie am zweiten Tag nicht erschienen, hanbe ich die Klasse meiner Kollegin übergeben und sie wieder von zu Hause abgeholt. Danach habe ich die Macho-Väter einbestellt, ihnen Anweisungen zum Schulbesuch ihrer Töchter diktiert, dabei klar gemacht, dass das Schulgesetz bei Verletzung der Schulpflicht auch Maßnahmen gegen Eltern vorsieht. Sie saßen vor mir wie dumme Schuljungen.
    Versetzung:
    Es gab mehrere Fälle versetzungsgefährdeter Mädchen aus islamistischen Familien (z.B. eines, das nach der Schule zu Hause eingesperrt wurde und, wenn der Vater weg war, nicht zur Schule kam). Der (sonst höchst penible) Rektor verpflichtete Kollegen, die eine Nachprüfung abnehmen mussten, dafür zu sorgen, dass sie bestehen. Dies, um zu verhindern, dass die noch nicht 16jährigen Mädchen zur Strafe für das „Versagen“ in die Türkei verfrachtet und mit einem „Cousin“ verheiratet wurden.
    Was das mit Burka zu tun hat?
    Die Beispiele zeigen, dass Fürsorge für minderjährige Mädchen aus islamistischem Elternhaus nur mit entschiedenen Gegenstrategien gegen islamistische Väter zu bewerkstelligen ist. Warum also ist beim Burka-Problem immer nur von Maßnahmen gegen die Opfer die Rede, nie davon, was gegen islamistische Paschas unternomen werden kann? – Man erzähle mir nicht, dass dies nicht möglich sei! Man lasse einmal Fantasie walten, forste Schulrecht, Strafrecht usw. durch! Ich bin überzeugt, dass man überrascht sein wird, was sich da an Möglichkeiten ergäbe. – So denn der politische Wille dazu besteht und es nicht nur darum geht (wie AfD und CSU), damit sein politisches Süppchen zu kochen.

  24. @ Henning Flessner
    Alle drei monotheistischen Religionen sind ursprünglich patriarchalisch und haben in der Vergangenheit Frauen unterdrückt. Schon die Tatsache, dass man sich Gott männlich vorstellte, spricht doch Bände. Auch im hinduistisch geprägten Indien herrschte und herrscht das Patriarchat.
    In den ursprünglich christlich, vor allem aber von der Aufklärung beeinflussten Staaten des Westens haben die Frauen mittlerweile an Macht und Einfluss gewonnen. Vor allem die protestantische Kirche geht da mit gutem Beispiel voran, immerhin erlaubt sie die Frauenordination. Da dies in der katholischen Kirche bisher nicht möglich ist, halte ich diese Religionsgemeinschaft für verfassungsfeindlich, weil sie Frauen nicht zu allen Berufen zulässt.
    Insgesamt muss gesagt werden, dass wir im Westen mit der Gleichstellung der Frau schon ein Stück weitergekommen sind, im Gegensatz zu vielen muslimischen Ländern und Indien.
    Die (statistisch erwiesene) größere Neigung des männlichen Geschlechts zu körperlicher Gewalt im Allgemeinen und gegen Frauen im Besonderen, vor allem sexueller Gewalt, innerhalb und außerhalb der Familie, steht der freien Entfaltung von Frauen in den westlichen Gesellschaften aber auch heute noch im Wege.

  25. @ Brigitte Ernst, 22. September 2016 um 10:31

    „Haben Sie eigentlich noch nie historische Berichte und literarische Texte gelesen, die die Situation der Frauen in vergangenen Zeiten beschreiben? Die wurden sogar oft von Männern geschrieben, z.B. von Theodor Fontane.“
    – Nun sollte man nicht die Bedeutung von Frauen in Kunst, Literatur und Philosophie im 18. und frühen 19. Jahrhundert vergessen, so vor allem bei den literarischen Salons in Frankreich (auch Philosophie und Naturwissenschaft, z.B. Emilie de Châtelet, die sich regelmäßig mit Voltaire in Cirey-sur Blaise – nicht weit von hier – traf), aber auch in der Romantik (z.B. Bettina von Arnim) und in der Musik (Clara Schumann). Freilich handelte es sich hier vorwiegend um Adlige. Die Rückführung der „Frauenbefreiung“ auf die Frauenbewegung der 70er Jahre ist, aus historischer Sicht, wohl selbst eine Ideologie, die sich selbst Lorbeeren anheftet, indem sie ausgesprochen paternalistische Regressionen des 19. Jh. und der 50er Jahre zum Maßstab nimmt.
    Dies aber nur nebenbei. Ich möchte hier ja keiner Feminismusdiskussion das Wort reden.

    Da Sie es ansprechen: Im Zusammenhang dieses Threads interessanter ist das Phänomen Fontane.
    Nun war ja der politische Fontane auch ein Kind seiner Zeit und durchaus konservativ eingestellt. In Effi Briest etwa scheint das noch durch in seiner insgesamt recht wohlwollenden Beschreibung der Motive Instettens für das Duell mit seinem Freund und Nebenbuhler Crampas („Es muss sein“). Das hindert ihn aber nicht an der ausgesprochen einfühlsamen Beschreibung von Frauengestalten, die seine eigene Weltanschauung widerlegt. Ein Beispiel dafür, was literarische Arbeit leisten kann, so sie sich denn nicht von Ideologie bestimmen lässt, sondern sich ehrlich und kompromisslos an der Realität orientiert. Literarische Arbeit ist in diesem Sinne in der Lage, die eigene Ideologie zur durchstoßen.

    Folgerung für das Thema „Burka“ und Islamisierung:
    Hier scheint mir der exakt entgegengesetzte Prozess vorzuliegen: Ideologisierung mit der Folge, Gespür und Empathie für konkrete Individuen zu verdrängen und schließlich ganz zu verlieren. Ob als „Opfer“ oder „Unterdrücker“ ist dabei zunächst mal unerheblich. Fühlen sich doch Täter immer auch als Opfer und sind es in gewissem Sinne auch: „Opfer“ des „uns Tyrannisierenden Gesellschafts-Etwas“, das zu seiner Aufrechterhaltung „eine Art Angstapparat aus Kalkül“ produziert („Effi Briest“). Im „Untertan“ von Heinrich Mann ist dies auch meisterhaft beschrieben.
    Wenn im Zusammenhang mit „Burka“ von „Freiwilligkeit“ die Rede ist, kann ich das nicht ernst nehmen. Das ist doch lediglich Ausdruck einer Selbstunterwerfung unter Anforderungen des ‚“Über-Ich“ (im Freudschen Sinne), um sich die Auseinandersetzungen des eigenen „Ich“ zu ersparen. Mit „Selbstbestimmung“ hat das nicht das Geringste zu tun – ist vielmehr Ausdruck des Gegenteils.
    Diese Einschätzung wird durch Berichte von früheren Salafisten, die sich in einem schmerzhaften Prozess vom Salafismus getrennt haben, durchweg bestätigt. Sie beschreiben sehr eindringlich diesen Prozess der Ideologisierung und die damit einhergehende Entindividualisierung und Enthumanisierung. Ein Prozess, der ausgesprochen ernst genommen werden muss, da uns im Zuge allgemeiner gesellschaftlicher Verunsicherung dieser Sog der Ideologisierung längst erreicht hat – wie bei uns aufgewachsene Konvertiten immer wieder bestätigen.
    Ein viel zu ernstes Thema, um es einer oberflächlichen Diskussion im Sinne eines „Laissez-faire“ zu überlassen, die sich zudem als pseudotolerant erweist. Die an einer naiven Übertragung eigener Einstellungen krankt, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was „Ideologie“ eigentlich ist und wie sie sich auswirkt.

  26. @ Werner Engelmann
    Als Germanistin, Anglistin und Romanistin kenne ich die Bedeutung von Frauen in der Kunst, Literatur, Philosophie etc. selbstverständlich auch. Da ich mich aber gegen DHs Leugnung der Frauenunterdrückung wandte, wäre es nicht opportun gewesen, hier die literarischen Zeugnisse von Frauen anzuführen, sondern ich wollte betonen, dass sogar Männer dieses Problem beschrieben haben.
    Bei Ihrer Interpretation von Fontanes Haltung gegenüber Instetten muss ich Ihnen widersprechen. Von Wohlwollen kann ich da beim Autor wenig erkennen. Den Gesprächen zwischen Instetten und Wüllersdorf entnehme ich eine deutliche Kritik an Instettens Entscheidung, gegen Wüllersdorfs Rat und seinem eigenen Gefühl widersprechend Effi zu verstoßen allein zur Verteidigung seiner männlichen Ehre und seiner gesellschaftlichen Position, weshalb er nicht nur Crampas tötet, sondern auch Effi, das gemeinsame Kind und letzlich sich selbst ins Unglück stürzt. Als positive Gegenfigur fungiert doch hier Roswitha, die aus Liebe und Treue zu Effi ihre Stellung in einem wohlhabenden und angesehenen Haushalt mit der bei einer geächteten und verarmten Frau eintauscht. Wüllersd. und Inst. nehmen das ja auch selbst wahr: Wüllersd.: „Die ist uns über“, woraufhin Inst. antwortet:“Finde ich auch.“

    Aber genug der literarischen Spitzfindigkeiten. Was Ihre Einschätzung der sogenannten Freiwilligkeit beim Befolgen irgendwelcher von Religionsvertretern aufgestellter Vorschriften anbetrifft, bin ich ganz Ihrer Meinung. Ich habe das Phänomen an anderer Stelle „Gehirnwäsche“ genannt.

  27. @ all

    Ich möchte daran erinnern, dass es hier um die Burka geht, und die Diskussion zurückführen auf das Kernproblem. Dies auch, weil Frau Ernst an anderer Stelle beklagt hat, von uns Männern nicht genug unterstützt zu werden. Ich möchte aber nicht mitdiskutieren, da ich heute, am Samstag, den Umbruch für mein nächstes Buch machen muss, damit es in Druck gehen kann.

    Rund 150 Jahre hat die Frauenbewegung gebraucht, um in den entwickelten Ländern die (fast) vollständige Gleichstellung der Frauen zu erreichen. Noch vor rund 60 Jahren mussten Frauen in Deutschland ihre Ehemänner um Erlaubnis fragen, wenn sie arbeiten wollten. Man sieht, es war ein langer Prozess, der immer noch nicht ganz abgeschlossen ist.

    Nun haben wir das Problem, dass unter uns Menschen leben, die diese Entwicklung nicht durchgemacht haben, weil sie in der Weltgegend, aus der sie kommen, nicht stattgefunden hat. Doch anstatt die Errungenschaften der Frauen hierzulande begeistert zu übernehmen, bestehen sie darauf, ihre kulturellen Eigenheiten, zu denen auch unterdrückerische Elemente gehören, auch in Deutschland leben zu wollen. Sie kommen aus Gesellschaften, die aus unserer Perspektive rückständig sind. Wir verstehen nicht, warum diese Leute darauf bestehen, so zu leben. Bei den Männern können wir es uns vielleicht denken, weil sie durch diese Strukturen Macht über die Frauen ausüben. Bei den Frauen können wir nicht nachvollziehen, warum sie sich in diese Strukturen fügen. Die einzige Erklärung, die mir halbwegs schlüssig erscheint: Diese Strukturen geben ihnen Halt in einem Land, dass sie vielfach nicht verstehen, obwohl sie teilweise schon lange hier leben. Aber wir können nichts dagegen tun, dass diese Menschen so leben wollen. Unsere Gesetze gestatten es ihnen, und unser Wertekanon gebietet uns, tolerant zu sein.

    Nun erleben wir etwas Paradoxes: Frauen, die ein Leben lang gegen patriarchalische und damit autoritäre Strukturen gekämpft haben, rufen nach einem Burka-Verbot, weil sie muslimische Frauen gegen deren Willen mit der Freiheit beglücken wollen. Das heißt: Sie fordern, autoritäre Strukturen zu errichten. Diese Muslimas leben nicht so, wie sie leben müssten, weil man bei uns in Deutschland eben so lebt. Darum müssen sie zu ihrem Glück gezwungen werden. Verbieten wir die Burka!

    Diese Muslimas sollen sich ihre Befreiung also nicht erkämpfen müssen, sondern sie soll ihnen aufoktroyiert werden. Das ist das Gegenteil von einem Lernprozess und laboriert auch nur an einem Symptom herum, während das eigentliche Problem, nämlich das Patriarchat, in den Köpfen dieser Menschen, nicht angetastet wird. So ein Verbot wird den kulturellen Konflikt daher nur anheizen. Viele Muslime werden den Eindruck haben, dass ihnen etwas genommen werden soll, sie werden das als Angriff auf ihre Identität verstehen, die ohnehin unter einem Kritik-Dauerbeschuss durch uns tolerante Deutschen steht. Sie werden Wege suchen, ihre Identität anders erkennbar zu machen, und ich fürchte, das handfesteste Ergebnis eines solchen Versuchs, mit Autorität in ihre Leben hineinzuregieren, wird sein, dass die Muslime noch enger zusammenrücken und sich abgrenzen oder sogar abschotten, wo immer ihnen dies möglich ist. Mit einem Burkaverbot werden wir daher nicht mehr Integration erreichen, sondern weniger.

    Der Schlüssel zur Änderung dieser Sitte liegt bei den muslimischen Frauen allein, so wie der Schlüssel zur Gleichstellung von Mann und Frau in westlichen Gesellschaften bei den westlichen Frauen lag. Allein ihr stetes Engagement hat diesen Fortschritt bewirkt. Dabei mussten die Frauen auch untereinander lernen, dass sie keineswegs alle dieselben Forderungen hatten und haben. Das ist bis heute so, wie zum Beispiel bei den Themen Abtreibung oder Herdprämie zu sehen ist. Diese Spannung auszuhalten ist eine Fähigkeit, die Frauen (Männer auch) erst erwerben mussten. Das Spektrum reicht von Eva Hermann bis zu Alice Schwarzer. Muslimas sind noch dabei, dies zu lernen, aber auch bei ihnen gibt es bereits ein breites Spektrum verschiedenster Ansichten, von Lamya Kaddor bis zu den Burkaträgerinnen, deren Stimme wir kaum hören. Ich weiß nichts darüber, ob und wie solche Diskussionen innerhalb der muslimischen Community geführt werden, doch Veränderungen wird es nur geben, wenn es einen Lernprozess gibt, und darum muss darüber diskutiert werden.

    Das ist meines Erachtens der einzige Weg, wie wir nachhaltig etwas gegen die Burka unternehmen können: Gespräche führen und unterstützen, für Aufklärung eintreten und unsere Werte leben. Das bedeutet leider, dass noch einiges geschehen muss, denn bisher existiert ein solcher interkultureller Dialog höchstens in Ansätzen. Ansonsten bleibt uns nichts anderes übrig, als die Burka zu tolerieren — was nicht gleichbedeutend mit akzeptieren ist. Einschreiten können wir nur, wenn offenkundig ist, dass Frauen gewaltsam gezwungen werden, Burka zu tragen. Aber selbst dann muss der erste Schritt von den betroffenen Frauen ausgehen, denn sie müssen sich dazu durchringen, die Polizei zu Hilfe zu rufen. Dieses Vertrauen in den deutschen Staat werden derzeit wohl nur die wenigsten aufbringen. Wenn wir weiterhin nach neuen und schärferen Gesetzen rufen, um Integration zu erzwingen, haben wir dieses Vertrauen auch nicht verdient.

  28. @ Bronski
    Auch ich habe vielfach festgestellt, dass ein Korsett aus Ge- und Verboten Ängste bannen kann, auch bei ansonsten „gebildeten“ Menschen. Mein eigener Vater war ein sehr intelligter Mensch mit steiler beruflicher Karriere, aber den Geboten der katholischen Kirche hörig wie ein unmündiges Kind.

  29. @ Henning Flessner 21. September
    Gehen Sie doch heute mal nach Kreuzberg, da hat sich seit Beginn der 80er Jahre einiges geändert
    Ich frage mich, wo Sie heute wohnen. Sicher nicht in einer deutschen Großstadt, deren Innenstadt Sie ab und zu besuchen.

  30. @ Bronski

    Die Forderung, die muslimischen Frauen müssten sich ihre Freiheit schon selbst erkämpfen, wurde von Lutz Herzer bereits zu Beginn dieses Thread kritisiert. Auch ich halte das für eine reichlich undurchdachte Forderung. Wie steht es denn mit den vielen minderjährigen Mädchen, die in den Familien unterdrückt und gehirngewaschen werden? Geben wir denen genug Unterstützung, damit sie sich befreien können. Haben wir überhaupt so viel Einblick in die Familien und Moscheegemeinden, um festzustellen, ob Mädchen körperlichem und seelischem Druck ausgesetzt sind? Und wie helfen wir ihnen dann? Haben wir genug Frauenhäuser und SozialarbeiterInnen zur Unterstützung derer, die sich vor Gewalt und Unterdrückung retten wollen? Diese Bereiche wurden doch seit Jahren kaputtgespart. Haben wir genug Polizisten, um gewaltbereite Partner und Familien in Schach zu halten? Ich finde es einigermaßen zynisch, unter den Bedingungen, die derzeit in unserem Staat herrschen, von Selbsbefreiung der Frauen zu schwadronieren.

  31. @ Brigitte Ernst

    Ich bin nicht für die Verhältnisse bei den Streetworkern, in der Sozialarbeit, in den Jugendzentren, Frauenhäusern, Schulen, Kindertagesstätten und bei der Polizei verantwortlich. Das Kaputtsparen – und damit den Zynismus – dürfen Sie gern der Politik anlasten, aber nicht mir. Ich habe nie dafür plädiert, dass der Staat in dieser Weise „sparen“ soll. Im Gegenteil, ich habe verschiedentlich Artikel über das falsche Spardiktat geschrieben.

    Was die Burka betrifft, bin ich wie Sie der Meinung, dass etwas passieren muss, aber ich halte den autoritären Ansatz für falsch. Man kann eine Kultur nicht per Gesetz erlassen. Sie muss von den Betroffenen selbst erarbeitet bzw. verändert werden. Das ist gewiss mit Leid verbunden, so wie es auch in der Frauenbewegung der Fall war. Oder in der Schwulenbewegung, in der ich ein bisschen aktiv war. Ich weiß sehr wohl aus persönlicher Erfahrung, was Diskriminierung ist. Ich nehme Ihnen den Zynismus-Vorwurf dennoch nicht übel. Muslime in Deutschland haben nicht nur beim Thema „Gleichberechtigung der Frau“ einen Nachholbedarf, sondern auch beim Umgang mit Homosexualität. Es gibt vieles, worüber wir reden müssen.

  32. @ Bronski
    Ich hätte mir gewünscht, dass Sie diese Kritik am Kaputtsparen hier noch einmal mit Ihrer Forderung nach Selbstbefreiung der muslimischen Frauen verbunden hätten. Zu sagen, Sie seien nicht schuld an den Zuständen, reicht mir da nicht, da Sie die Zustände ja kennen. Sie hätten sagen können: „Ich bin der Ansicht, dass sich die muslimischen Frauen selbst befreien müssen, mir ist aber bewusst, dass ihnen da seitens unserer Gesellschaft wenig Hilfestellung gegeben wird, weil…..“ Dann hätte ich das akzeptiert. Aber Maximalforderungen an diese Frauen zu stellen im Bewusstsein, dass ihnen die Voraussetzungen zu deren Erfüllung fehlen, geht nicht. Wir sagen ja auch nicht zu den Eltern der armen Kinder, denen der Erfolg in unserem Bildungswesen erschwert wird: „Ihr müsst allein für die Chancengleichheit eurer Kinder kämpfen. Wir sind nicht veranwortlich dafür, dass ihr über Generationen nicht aus eurem materiellen und geistigen Elend herauskommt.“

  33. @ Bronski
    Beim Umgang mit Homosexualität gibt es in der Tat noch einigen Nachholbedarf. Ich beobachte aber, dass es unter den „Bio-Deutschen“ vorwiegend die ganz alte Generation (also noch älter als ich) ist, die da Akzeptanzprobleme hat. Und die stirbt ja früher oder später aus. In den muslimischen Communities ist das, so fürchte ich, noch etwas anders. Auch das ist meiner Ansicht nach Anlass zur Sorge (siehe den Anschlag auf den Schwulenclub in den USA).
    Dazu ein Gedankenspiel:
    Die muslimische Journalistin Hübsch wurde kürzlich bei „Hart aber fair“ dafür kritisiert, dass Sie den anwesenden Männern nicht die Hand geben wollte, weil ihr das ihre Religion verbiete. Einige der Anwesenden meinten aber auch, Männer müssten sich nicht beleidigt fühlen, wenn eine Muslima ihnen diesen „Körperkontakt“ verweigere. Wie stehen Sie dazu? Und was wäre, wenn jemand, egal ob Frau oder Mann, ihnen nicht die Hand gäbe, weil Sie homosexuell sind? Würden Sie das als Diskriminierung anprangern?

  34. @Bronski „Was die Burka betrifft, bin ich wie Sie der Meinung, dass etwas passieren muss, aber ich halte den autoritären Ansatz für falsch. Man kann eine Kultur nicht per Gesetz erlassen… Muslime in Deutschland haben nicht nur beim Thema „Gleichberechtigung der Frau“ einen Nachholbedarf, sondern auch beim Umgang mit Homosexualität…“

    Die Errungenschaften beim Kampf um die Gleichstellung von Frauen oder Homosexuellen würde ich nicht als eine Form von Kultur bezeichnen, allenfalls den Kampf dafür und die Protesthaltung selbst. Was jeweils erreicht worden ist, sollte hingegen als konstitutiver Bestandteil menschlicher Zivilisation betrachtet werden und nicht mehr erneut zur Disposition gestellt werden. Wer von diesen Dingen noch nichts mitbekommen hat, dem sollte möglichst bald in Form von Aufklärung geholfen werden. Bezüglich der Einhaltung der Straßenverkehrsordnung wird wird ja auch weder Rücksicht auf Kenntnisstand noch auf z.B. kulturell bedingte Männlichkeitsgebaren genommen. Und siehe da: der autoritäre Ansatz – im Gegensatz zum Appell an die Vernunft – er funktioniert.

  35. Freiheitliches Denken sowie eine Kultur, in der Freiheit ein zentraler Bestandteil ist, kann (nach meiner persönlichen Erfahrung) nicht verordnet werden. Sie müssen vorgelebt werden, damit sie wachsen können. Doch es bedarf dazu einiger Grundregeln. Solche werden üblicherweise in der Familie und in der Schule vermittelt, wobei die Schule aufgrund ihres Auftrags in der Lage sein müsste, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Falls aber beide elementaren Bildungseinrichtungen versagen, scheinen menschliche Katastrophen vorprogrammiert zu sein.

    Unlängst, noch während der Sommerferien, habe ich im benachbarten Offenbach in der Nähe des Bahnhofs vier Mädchen muslimischer Konfession beobachten können. Sie dürften zwischen 10 und 12 Jahren alt gewesen sein, alle trugen ein Kopftuch, das auch Hals und Schultern umhüllte. An diesem Vormittag war es bereits sehr warm, sodass andere Kinder eine typische leichte Sommerbekleidung trugen. So richtig wohl schienen sich auch die erwähnten Mädchen nicht zu fühlen. Aber eine mutmaßlich von der Familie aufgestellte Regel hinderte sie daran, Kinder sein zu dürfen. In zehn bis fünfzehn Jahren werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit diese Normen an ihre eigenen Kinder weitergeben. Und keine Schule und keine Behörde wird sie daran hindern, obwohl der Staat eine Fürsorgepflicht besitzt, nicht zuletzt zum Nutzen der Schwächeren. Voraussichtlich wird der größte Teil dieser muslimisch-autoritär Erzogenen erheblich geringere berufliche Chancen haben; denn wo und von wem sollen ihre Talente erkannt und gefördert werden, wenn sie bereits im Kindesalter ihre Persönlichkeit verhüllen müssen.

    Meine diesbezüglichen Hoffnungen setzten auf die Schule und auf Lehrer, die der Kunst der Pädagogik mächtig sind. In den Schulgesetzen sämtlicher Bundesländer habe ich keine Vorschriften gefunden, die für die Zeit des allgemeinen Unterrichts konfessionelle Bekleidung erlauben. Anscheinend liegt es an der Gleichgültigkeit und Mutlosigkeit der Unterrichtenden, dass Schülerinnen mit Kopftuch in den Klassen sitzen und künftige Paschas ihre subtilen Unterdrückungsmechanismen einüben dürfen. Der Staat besitzt in seinen allgemeinbildenden Schulen ein Erziehungsmonopol. Gegenüber evangelikalen Familien, die ihre Kinder nicht zur Schule schickten, hat er das auch mehrfach durchzusetzen gewusst. „Die Schule der Nation ist die Schule“ sagte Willy Brandt 1969 in seiner ersten Regierungserklärung. Dem ist nichts hinzuzufügen.

  36. @Brigitte Ernst
    Wenn man die übliche Definition von Grossstadt anwendet (mehr als 100’000 Einwohner) wohne ich zwar nicht in einer, aber ich war in der letzten Woche dreimal mehrere Stunden in einer und habe keinen Niqab gesehen.

  37. Es besteht sicher Konsens darüber, dass Bildung wichtig für die Emanzipation der unterdrückten islamischen Frauen ist.
    Da stosse ich auf folgendes:
    Im Iran sind 70% der Studenten in angewandter Physik weiblich. (Hier glauben immer noch viele, dass der geringe Frauenanteil in den Naturwissenschaften genetisch bedingt ist.) Die Physiker in Deutschland versuchen seit Jahrzehnten die Frauenquote im Studium anzuheben und schaffen die 20 Prozent nicht. 65% der Studenten sind weiblich. 20% der Professoren sind weiblich. Werte von denen wir noch Generationen entfernt sind. Die Regierung hat eine Männerquote eingeführt.
    http://www.derbund.ch/bern/dossier/175-jahre-uni-bern/Was-Iran-der-Uni-Bern-voraushat/story/13679489
    In Saudi-Arabien gibt es mehr Studentinnen als Studenten.
    Mein Weltbild hängt schief.

  38. @ Brigitte Ernst

    Ganz kurz zu Ihren beiden Kommentaren: Ja, ich hätte wohl erwähnen sollen, dass ich genau wie Sie den Sparzwang als einen der Gründe für die ganze Misere sehe. Da ich aber schon oft gegen den Sparzwang geschrieben habe – mindestens so oft wie über die Burka – habe ich mir gedacht: Meine treuen Leserinnen und Leser werden das mitdenken. Nun gut, tun sie nicht. Allerdings haben wir bisher noch gar nicht lösungsorientiert diskutiert, sondern zunächst nur das dämliche Burkaverbot besprochen. Da sieht man mal, wie die Diskussion verzerrt wird, wenn seitens der Politik die falschen Impulse in die Debatte gegeben werden. Ebenso sieht man daran, dass zumindest Teile der Politik nicht lösungsorientiert debattieren, sondern versuchen, Kapital aus der Angst der Wählerinnen und Wähler zu schlagen.

    Zu Ihrem Kommentar über Handkontakt: Sie machen da eine weitere Symboldebatte auf, die eigentlich nur wieder zeigt: Es gibt gewaltige Verständigungsprobleme, und viele von uns sind allzu leicht bereit, sich zu echauffieren. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ich finde die Aktion von Frau Hübsch als politische Provokation sehr gut und als zwischenmenschliche Geste genauso bescheuert wie die Verweigerung des Handschlags für Frauen durch muslimische Männer.

    In der Tat habe ich erlebt, dass mir jemand wegen meines Schwulseins nicht die Hand geben wollte: mein eigener Vater. Dazu haben ihn aber sicher nicht religiöse Gründe bewegt. Ich habe ihm inzwischen vergeben. Er hatte sich einfach verrannt. Das sah er letztlich selbst so. Ursache für seinen Sinneswandel waren: Zeit und Gespräche.

  39. @ Henning Flessner

    Ich lebe in der Stadt mit dem höchsten Ausländeranteil in Deutschland: Offenbach. Mit 120.000 Einwohnern ist Offenbach außerdem offiziell eine Großstadt. Gelegentlich ist hier ein Mensch in Niqak/Burka zu sehen. Das Erregungspotenzial ist gering.

  40. @ Bronski, 24. September 2016 um 14:06
    „Diese Muslimas sollen sich ihre Befreiung also nicht erkämpfen müssen, sondern sie soll ihnen aufoktroyiert werden. Das ist das Gegenteil von einem Lernprozess und laboriert auch nur an einem Symptom herum, während das eigentliche Problem, nämlich das Patriarchat, in den Köpfen dieser Menschen, nicht angetastet wird.“
    Brigitte Ernst, 25. September 2016 um 2:18
    „Die Forderung, die muslimischen Frauen müssten sich ihre Freiheit schon selbst erkämpfen, wurde von Lutz Herzer bereits zu Beginn dieses Thread kritisiert. Auch ich halte das für eine reichlich undurchdachte Forderung.“

    Ich schließe mich der Kritik von Brigitte Ernst an.
    Zunächst, lieber Bronski, halte ich es nicht für hilfreich, wenn Du die Diskussion wieder auf die Frage „Verbot“ einengst und mit Begriffen wie „aufoktroyiert“ oder „autoritär“ operierst. Auch Brigitte Ernst hat dies in ihrem einleitenden Statement nicht gefordert. Dann aber, meine ich, gehst Du das Problem ziemlich abstrakt an.
    Was heißt denn konkret dieser „Lernprozess“, „das Patriarchat in den Köpfen antasten“, die „Befreiung selbst erkämpfen“? – Unter welchen Bedingungen ist das überhaupt möglich? Welches sind die gesellschaftlichen, kulturellen, familiären, persönlichen Voraussetzungen dafür?

    Ich möchte es an einem konkreten Beispiel ausführen: Geschehen 80er Jahre in Berlin-Kreuzberg. Beteiligte: Werner Engelmann als Klassenlehrer, eine türkische Schülerin, 15 Jahre, eine türkische Sozialarbeiterin.
    Klassenkonferenz beendet. Die türkische Schülerin wurde nicht versetzt – wegen Sport! Natürlich habe ich mit dem Sportlehrer vorher geredet. Der insistiert auf seinem „mangelhaft“ – wegen „mangelnder Mitarbeit“. Draußen heulend das Mädchen. Sie traut sich nicht nach Hause, teilt mir unter Tränen mit, dass für den Versagensfall schon ein „Cousin“ in der Türkei wartet, mit dem sie verheiratet werden soll.
    Ich fahre mit ihr zum Rathaus Kreuzberg, mache dort eine türkische Sozialarbeiterin ausfindig, die sofort mit mir kommen kann, dann geht es zu den Eltern des Mädchens nach Hause – mein erster Besuch bei einer türkischen Familie. Die Sozialarbeiterin ist sehr geschickt. Ich brauche wenig zu erklären. Es geht um die Erlaubnis, die Klasse zu wiederholen und die Schule (und Deutschland) nicht verlassen zu müssen.
    Nach 3 Stunden beim Tee die Einwilligung – dank der „Autorität“ des Klassenlehrers, der in den Augen des Familienvaters sich glaubhaft für seine Tochter eingesetzt hat.
    Nun meine Fragen:
    – Habe ich diesem Mädchen „autoritär“ einen „Lernprozess aufoktroyiert“?
    – Welche Chancen hätte dieses Mädchen gehabt ohne diesen „autoritären“ Eingriff – als Minderjährige mit einem „Cousin“ in der Türkei verheiratet?

    Wenn jemand partout glaubt, bei Fällen, wo Soforthilfe notwendig ist, mit Begriffen wie „autoritär“ operieren zu müssen, dann stehe ich gern dazu. Denn mich interessiert nicht der abstrakte „Lernprozess“, sondern das konkrete Schicksal eines Mädchens. Und wer die konkreten Bedingungen in solchen Familien kennt, der weiß, dass „autoritär“ hier mit „Fürsorge“ und „Glaubwürdigkeit“ verbunden ist – und lediglich sehr vermittelt (und keineswegs notwenigerweise) mit Religion. Eine Erkenntnis, die sich auch auf mehren Klassenreisen mit türkischen Jungen und Mädchen bestätigt hat.
    Etwas später habe ich PNL-Kurse besucht, mit dem Thema des Umgangs mit Konfliktstituationen. Eine Grundregel: „Spiegeln“, d.h. Anpassung, auch äußerlich, an Haltung und Gemütslage des Gegenüber, um eine Akzeptanz von gleich zu gleich (aus der Sicht des Gegenübers) zu erreichen. Einer autoritären Persönlichkeit mit „Lernprozessen“ zu kommen, erscheint dieser eher ziemlicher Quatsch. Erfolgreich ist nur die Konfrontation als Gegenüber, den diese als „gleich“, und das heißt hier: „autoritär“ akzeptiert.

    Fazit: Ich könnte also den Spieß auch umdrehen und behaupten: „Aufoktroyiert“ wird Burkaträgerinnen fremdes Denken von denen, die meinen, mit „laissez faire“ das Problem lösen zu können oder ihnen Rezepte der deutschen Frauenbewegung anbieten. Mir kommt zudem der Verdacht, dass der eigentliche Grund dafür oft wohl eher Gleichgültigkeit ist.
    Noch ein letztes zu Frau Hüsch, die in deutschen Medien als eine Art Vorzeigefrau für „selbstbewussten“ und „toleranten“ Islam herumgericht zu werden scheint. Ich kann deren religiöse Begründung für die Verweigerung des Handschlags nicht ernst nehmen. Zu den inzwischen doch recht ansehnlichen Kontakten, die ich als „Ehrenamtlicher“ inzwischen habe, gehört auch eine sehr religiöse – doch aufgeschlossene – Libyerin, Mutter dreier Kinder (das letzte ist letzte Woche geboren), Kopftuch, doch nicht verschleiert. Die kann mit ihren ständigen Fragen nach „halal“ auch ziemlich nerven. Sie hat aber nicht das geringst Problem damit, mir spontan die Hand zu reichen.
    Fazit: Als ehemaliger Katholik würde ich sagen: Da ist die gute Frau Hüsch wohl päpstlicher als der Papst. Und sie möchte doch bitte ihre sehr persönlichen Interpretationen und Einstellungen nicht verallgemeinern und auf andere projizieren.

  41. @ Werner Engelmann

    Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als unsere persönlichen Interpretationen und Einstellungen zu verallgemeinern. Das ist die Ausgangssituation in einer jeden Debatte. Übrigens tust Du dasselbe mit Deinen persönlichen Erfahrungen. Also wollen wir der Frau Hüsch diese Technik ebenfalls lassen. Genauso sei es mir gestattet, Ansätze wie das Burkaverbot, das ich für falsch halte, mit Begriffen wie „aufoktroyiert“ zu geißeln. Ich würde mich freuen, wenn Du mir diese Freiheit lassen würdest. Du darfst das natürlich für „nicht hilfreich“ halten. Im Übrigen habe ich die Diskussion nicht eingeengt, sondern ich habe sie damit erst geöffnet. Seitdem ist das hier keine Symboldebatte mehr, sondern eine lösungsorientierte Debatte, wie Dein Kommentar sehr schön zeigt.

    Darüber hinaus fühle ich mich von Dir missverstanden. Was Du mit der Sozialarbeiterin im Fall der türkischen Schülerin erreicht hast, ist genau das, was ich meine, wenn ich zu Gesprächen auffordere statt zu autoritären Eingriffen, wie ein gesetzliches Burkaverbot einer wäre. Du bist in die Familie gegangen und hast Überzeugungsarbeit geleistet. Wunderbar, vorbildlich! Um den Kritikpunkt von Frau Ernst aufzugreifen: Dann wollen wir mal hoffen, dass das Geld immer noch reicht, um die Stelle dieser Sozialarbeiterin zu bezahlen. Und sollte es wegen irgendwelcher Sparzwänge nicht reichen, dann sollten wir bei unseren Politikern auftreten und fordern, dass Geld für solche sinnvolle Arbeit bereitgestellt wird, statt es in Steuergeschenke zu stecken.

  42. @ Bronski
    „Verallgemeinern“:
    Natürlich hast Du Recht, dass Verallgemeinerung bei Argumentation notwendig ist, vorausgesetzt, sie erfolgt korrekt. Will heißen, dass von konkreten Erkenntnissen ausgegangen wird und diese (als These, nicht als unumstößliche „Wahrheit“) auf andere, ähnliche Fälle mit vergleichbaren Voraussetzungen übertragen werden.
    Die Aktion von Frau Hübsch bei „Hart aber fair“, ist demnach – wie Du richtig schreibst – als „Provokation“ einzuordnen, in der religiösen Begründung aber – ihre Religion „verbiete“ ihr das – als „bescheuert“ anzusehen. Weder ist sie in der Lage, für diese bescheuerte Begründung eine legitimierte und kompetente Koranauslegung anzuführen, noch wird ihre Auslegung (dazu mein Beispiel der Libyerin) von anderen, mindestens ebenso kompetenten und strengen Glaubensgenossinnen geteilt. Ihre Verallgemeinerung ist inkorrekt, da sie sich selbst als Autorität aufführt, die sie nicht ist. Genau genommen, hat sie mit dieser Aktion eher die Absurdität ähnlicher religiöser Begründungen vorgeführt. Denn mit diesem Verfahren wäre jede Provokation und jede gegen die Gesellschaft gerichtete Handlung religiös zu rechtfertigen, jeder könnte sein eigenes Moralsystem errichten und als „gottgegeben“ erklären – bis hin zum Mord an „Ungläubigen (was der IS ja auch tut). Was als Befolgung einer „gottgegebenen Ordnung“ erklärt wird, bedeutet – in letzter Konsequenz – totale Willkür und Rückkehr zu steinzeitlichem „Recht“ des Stärkeren.
    „Burkaverbot“:
    Ich habe mit keinem Wort demselben das Wort geredet. Natürlich ist das in die Reihe „CSU-Aktionismus“ einzuordnen, um der AfD das Wasser abzugraben, entsprungen der „Erkenntnis“, dass mit dem Verlust der absoluten Mehrheit in Bayern jedenfalls der Weltuntergang bevorsteht. (Ich hege eher die Befürchtung, dass in dieser Hinsicht die US-Wahlen etwas bedeutsamer sein könnten.)
    Meine Skepsis besteht darin, dass sich dies gegen die Falschen, d.h. die Schwächeren richtet, dass aber nicht die eigentlich verantwortlichen Patriarchen zur Rechenschaft gezogen werden (Kommentar 21. September 2016 um 2:32). Dennoch ist nicht zu vernachlässigen, dass nach Interpretation des Islamismus Religion, „Moral“ und staatliche Ordnung bzw. Rechtssystem nicht trennbar sind – nach Bassa Tibi die entscheidende Abgrenzung zum Islam, für den ein solcher notwendiger Zusammenhang nicht existiert. „Freiwilliges“ Tragen der Burka, weil der Koran dies so „vorschreibe“ (ein Widerspruch in sich!) ist dabei eindeutig dem Bekenntnis zu Islamismus zuzuordnen. Denn nur danach ist eine solche (pseudo)religiöse Begründung überhaupt möglich.
    Wenn also solch ein „religiöses Bekenntnis“ ernst genommen wird, kann das nur heißen, dass die Übernahme von Vokabular und Argumentationssträngen etwa der Frauenbewegung rein taktischer Natur sein muss. Eine Auseinandersetzung mit Islamismus kann nur erfolgreich sein, wenn dessen autoritärer Struktur eine andere „Autorität“ entgegengesetzt wird. Und das ist in diesem Fall – durchaus mit Berechtigung – eine rechtsstaatlich legitimierte Gesetzgebung.
    Aus den genannten Gründen halte ich, in Übertragung von Strategien der Frauenbewegung, die Hoffnung auf einen immanenten „Lernprozess“ – für den m.E. die Voraussetzungen fehlen – für noch hilfoser als den CSU-Vorstoß.
    Im Übrigen plädiere ich dafür, uneingeschränkte Respektierung der Verfassung auch und vor allem von „Patriarchen“ einzufordern. Das heißt z.B. deutlich zu machen, dass Kinder kein Privatbesitz sind, und dass für Erziehung nicht nur das Elternhaus, sondern auch eine demokratisch legitimierte Schule zuständig ist, die ihrerseits ebenso wenig Übergriffe aus einem patriarchalen Verständnis bestimmter Familien zu dulden hat wie umgekehrt die Familie Eingriffe des Staates. Die Konzentration auf die Frage der patriarchalen Gewalt gegen Minderjährige, dabei das Geltendmachen von Schulrecht und Familienrecht bieten m.E. die besten Voraussetzungen für diese Auseinandersetzung.
    Eine Einschätzung, die im Übrigen an Kreuzberger Schulen bereits in den 80er Jahren klar war. Nach meinem Eindruck hat sich die Debatte aber, überwiegend aus falsch verstandenen Formen der „Liberalität“, seither eher rückwärts entwickelt.

  43. Aber lieber Werner,

    Du wirst doch erkennen, dass die Aktion von Frau Hübsch schlicht eine Retourkutsche ist, mit der sie auf das Verhalten muslimischer Männer anspielt, dieses also anprangert? NATÜRLICH steht das so nicht im Koran, dass sie Männern nicht die Hand geben darf. Damit zeigt Frau Hübsch doch gerade, wie unsinnig manche Regeln sind. Und natürlich ist Frau Hübsch eine Autorität – nicht im religiösen Sinn, aber sehr wohl als Frau, die sich mit den Geboten und Sitten auseinandersetzt und darüber schreibt. Man muss nicht ihrer Meinung sein, aber sie ist eine der wenigen muslimischen Frauen, die echte Debatten in Schwung bringen.

    „„Freiwilliges“ Tragen der Burka, weil der Koran dies so „vorschreibe“ (ein Widerspruch in sich!) ist dabei eindeutig dem Bekenntnis zu Islamismus zuzuordnen.“

    Das mag Bassam Tibis Meinung sein — eine von vielen, über die wir debattieren können. Auch hier gilt meines Erachtens analog zu meinen Kommentaren zum Burka-Verbot: Die Entscheidung über die Burka kann nur islamintern herbeigeführt werden – jedenfalls sofern niemand zu Schaden kommt und ansonsten unsere Gesetze befolgt werden. Ich als Agnostiker bin nicht dazu befugt, in die Sitten dieser kulturellen Identitäten einzugreifen, und auch nicht befähigt, ich kann dazu nur sagen: Im Koran steht nichts über Burka, Niqab und auch nichts zum Kopftuch, sondern dort gibt es lediglich eine Passage, die Frauen gebietet, sich „sittlich“ an Körperstellen zu verhüllen, wo sie Schmuck tragen; dieses Gebot soll bescheidenes Auftreten fördern. Ich persönlich lehne Burka und jede andere Vollverschleierung ab. Darüber hinaus sage ich den Muslimen: Lasst uns darüber reden, warum ich so denke und warum ich glaube, dass Ihr Euch im Irrtum befindet, wenn Ihr glaubt, Frauen stigmatisieren zu müssen.

    Auch ich glaube, dass sich die Debatte rückwärts entwickelt hat, aber nicht aus Gründen der Liberalität, sondern weil von Seiten der Politik Pflöcke eingerammt wurden, durch die sich die muslimische Community zur Abgrenzung gezwungen fühlt. Die Burka-Debatte ist ein Beispiel dafür. Gesprächsangebote, wie Du sie seinerzeit mit Deinem Hausbesuch in Kreuzberg gemacht hast, sehen wahrlich anders aus.

  44. @Bronski (26. September 2016 um 1:47)

    Sie müssten eigentlich wissen, dass es so etwas wie islaminterne Debatten nicht gibt.

    Ebenso müssten Sie wissen, dass es in Deutschland keine „muslimische Community“ gibt, obgleich es Personen gibt, die so tun, als seien sie Vertreter einer solchen.

    Frau Hübsch repräsentiert niemand anderen als sich selbst. Mit ihren Auftritten möchte sie dem Fernsehpublikum suggerieren, der Islam sei doch so was von frauenfreundlich und auch sonst sei Alles gut.

    Der staatlich anerkannte Islamkritikgegner Mazyek meinte im Januar 2016 sogar, der Islam ehre die Frau. Na denn.

    Im Übrigen halte ich es für einen grundsätzlichen Fehler, sich jemals darauf einzulassen, was im Koran steht und was nicht. Exegesen durch islamische Hochschullehrer mögen ja schön und gut sein, haben bis heute aber zu nicht viel mehr geführt als Polizeischutz.

  45. @ Lutz Herzer

    Allein der Auftritt von Frau Hübsch bei Plasberg ist schon ein Debattenbeitrag. Und selbstverständlich gibt es innerhalb des Islam Debatten. Zum Beispiel gibt es auch einen Diskurs über die Verschleierung, wenn der Großscheich der Al-Azhar-Moschee von Kairo das Tragen des Gesichtsschleiers geißelt. Dieser Diskurs verläuft allerdings sehr langsam und wird nicht in Talkshows ausgetragen.

    Ich ziehe mich jetzt aus den Diskussionen hier zurück, denn das Wochenende ist vorbei, und ich habe viel zu tun.

  46. @Bronski

    Sie haben Recht, natürlich gibt es Debatten.

    Was ich jedoch meine: es gibt keinen einheitlichen islamischen Binnenraum als Pendant beispielsweise zum vatikanischen Konzil, innerhalb dessen (islaminterne) Debatten stattfinden können, die zu halbwegs verbindlichen Standpunkten führen würden.

  47. Nehmen wir mal an, dass der Gesichtsschleier verboten wird. Wie soll dieses Verbot dann durchgesetzt werden? Die Polizei fährt durch die Strassen und fängt Burkaträgerinnen ein? Ich habe im Familien- und Bekanntenkreis Polizeibeamte. Als ich mich mal beschwerte, dass das Rauchverbot in Kneipen nicht durchgesetzt wird, erhielt ich als Antwort, dass man sich sofort darum kümmern werde, sobald alle anderen Straftaten aufgeklärt seien.
    Oder sollen Angestellte des Ordnungsamtes rumlaufen und Bussgeldbescheide verteilen?

  48. @ Henning Flessner
    Meine Vorstellung eines pragmatischen Burka/Niqab-Teilverbots sieht so aus:
    Auf dem Amt: Lappen hochgeklappt. Bei der Burka wird das schwieriger, da muss dann eben der Gittereinsatz vor dem Gesicht die Form eines Türchens bekommen (ich sollte mir die Idee patentieren lassen).
    Auf der Bank: Lappen hochgeklappt/Türchen auf.
    Desgleichen an der Grenze, bei sonstigen Polizeikontrollen, in der Schule und im Hörsaal.
    Beim Autofahren muss ein freier Rundumblick gewährleistet sein, Burka mit offener Klappe reicht da vielleicht nicht.
    Ist doch alles leistbar, oder?

    @ all

    Zu Frau Hübsch: Die bisherige Diskussion verfällt in den alten Fehler, von „dem“ Islam zu sprechen. Frau Hübsch gehört der Frankfurter Ahmadiyya-Gemeinde an, und in dieser Glaubensrichtung ist das zwischengeschlechtliche Händeschütteln wohl stärker verpönt als in manchen anderen Ausformungen des Islam. Immerhin gab sie sich bei Plasberg so demokratisch, dass sie auf seine Frage, wie sie reagieren würde, sollte sich ihre eigene Tochter vom Islam abwenden, behauptete, das müsse sie jedem freien Menschen zubilligen.

    Sehr wichtig finde ich Werner Engelmanns Hinweis darauf, dass Kinder nicht ihren Eltern gehören. Hier zeigt sich nämlich die Crux mit der sogenannten Religionsfreiheit, die de facto leider auch die Freiheit der Eltern ist, ihre Kinder zu indoktrinieren, ihnen die Möglichkeit zur freien Entwicklung zu nehmen oder, schlimmer noch, Eingriffe in deren körperliche Unversehrtheit vorzunehmen.

  49. @ Bronski

    Ein Thema, das bisher kaum in der Öffentlichkeit behandelt wird, ist das Problem mit dem Ramadan an Schulen, vor allem, wenn er in den Sommermonaten während einer Hitzewelle liegt. Das bedeutet, dass von Kindern und Jugendlichen ab der Pubertät, zum Teil auch schon früher,verlangt wird, dass sie 16 Stunden und mehr nicht nur ohne feste Nahrung, sondern auch ohne Flüssigkeit auskommen müssen. Das hat natürlich zur Folge, dass es zu Schwächeanfällen kommt und die Kinder trotzdem die Flüssigkeitsaufnahme verweigern. Unter normalen Bedingungen würde man da von Kindesmisshandlung bzw. -vernachlässigung seitens der Eltern oder der Gemeinde reden. Aber auch hier scheint, wie bei der Beschneidung, das Kindeswohl mit staatlicher Billigung der Religionsausübung untergeordnet zu werden.

  50. Die Vollverschleierung findet keine Grundlage im Koran – und dies auch noch bestätigt durch die beiden höchsten Lehrautoritäten des sunnitischen Islam in Ägypten. Verstörend ist er deswegen, weil die ägyptische Justiz parallel dazu die Vollverschleierung unter dem Gesichtspunkt der Religionsfreiheit zulässt. Daraus ergibt sich die paradoxe Situation, dass unter dem Dach der Religionsfreiheit religiöse Pflichten „abgesegnet“ werden, die sich aus den einschlägigen religiösen Texten offentsichtlich nicht begründen lassen.
    Nun könnte uns ein solches Paradoxon hierzulande gleichgültig sein; denn Ägypten ist weit. Allerdings ist damit zu rechnen, dass sich das Bundesverfassungsgericht spätestens dann damit beschäftigen muss, wenn das erste „Burkaverbot“ im Gesetzblatt steht. Nun wäre in diesem Zusammenhang denkbar, die Religionsfreiheit so weit zu fassen, dass sie das gesamte Spektrum von Musliminnen abdeckt – nämlich solchen, die gänzlich ohne Verschleierung auskommen, und solchen, die an der Vollverschleierung festhalten. Somit würde man akzeptieren, dass jeder Gläubige nach eigenem Gutdünken festlegt, was seine religiösen Pflichten sind. Wenn das aber so wäre, würden im übrigen auch die Morde des IS der Religionsfreiheit unterfallen; denn diese werden ja auch als religiöse Pflichterfüllung ausgegeben.
    Somit ist offensichtlich, dass eine religiöse Argumentation zur Begründung der Vollverschleierung unter dem Gesichtspunkt der Religionsfreiheit nicht trägt. Deswegen sollte uns allen klar sein, worum es hier wirklich geht – nämlich um den Versuch, ein völlig anderes – von westlicher Zivilisation abweichendes – Menschen- und Gesellschaftsbild hierzulande hoffähig und im Grenzfall oktroyierbar zu machen. In diesem Zusammenhang sollte man sich daran erinnern, dass es in den vergangenen zweieinhalb Jahrhunderten schon einmal den Versuch gab, anderen die eigene Kultur und Zivilisaation überzustülpen: Das nannte man „Kolonialismus“ – und gegen den haben sich die betroffenen Völker und Gemeinschaften mit Recht erfolgreich gewehrt. Es liegt auf der Hand, dass wir es heute mit anderen Mitteln zu tun haben – aber eines davon dürfte die Berufung auf die Religionsfreiheit sei – und der zu naive Umgang von Politik und Justiz mit diesem Grundrecht.

  51. In einem freien Land kann sich jedermann und jede Frau so an- oder ausziehen, wie er oder sie es für richtig hält – oder meint, es seiner Mitwelt zumuten zu können. Das gilt (bis zur manchmal fließenden Grenze des sexuellen Exhibitionismus) für Bierbauch und Kapuzenpullover ebenso wie für tiefe Ausschnitte, weiße Männerbeine und wallende Bhagwangewänder. Auch ist es gleichgültig, ob die Kleidung aus religiösen Gründen oder wegen guten oder schlechten Geschmacks getragen wird.
    In einem freien Land kann aber auch niemand gezwungen werden, eine bestimmte Kleidung zu tragen oder nicht zu tragen. Und hier beginnt eine Problemzone: Bei der oft in diesem Zusammenhang genannten Bekleidung von Nonnen, aber auch bei Priestern, Imamen oder strenggläubigen Jüdinnen und Juden steht die Freiwilligkeit außer Zweifel. Aber wie freiwillig ziehen sich muslimische Frauen eine Burka an oder tragen ein Kopftuch? Ist es persönlicher Geschmack, Protest oder religiöse Überzeugung, oder beugt sich die Trägerin einem Gruppenzwang? Wie frei ist die Frau (in salafistischen Kreisen auch der Mann hinsichtlich des Bartes) in einem vorwiegend von Muslimen bewohnten Stadtviertel oder einer solchen Wohnanlage, ohne Burka oder Kopftuch aus dem Haus zu gehen? Das Problem besteht in gleicher Weise in Schulklassen mit einer nennenswerten Anzahl muslimischer Schülerinnen.
    Wie kann man hier dafür sorgen, dass diejenigen, die sich nicht den religiösen Vorstellungen ihrer Mitbewohner oder Mitschüler anpassen wollen, nicht durch Gruppenzwang dazu faktisch genötigt werden? Leider heißt die Antwort oftmals: überhaupt nicht.
    Mit durchaus zwiespältigen Gefühlen neige ich deshalb dazu, ein Verbot bestimmter, religiös determinierter Kleidungsstücke in der Öffentlichkeit für sinnvoll zu halten. So ist es z.B. in Tunesien den Schülerinnen und Studentinnen verboten, in der Schule und Universität oder auf dem Weg dorthin ein Kopftuch zu tragen. Ein vergleichbares Verbot bestand in der Türkei bis zu Erdogans muslimischen Rollback für Lehrerinnen und Dozentinnen sowie im öffentlichen Dienst.
    Natürlich bedeutet dies für manche Frau, dass sie bestimmte Kleidungsstücke nicht tragen darf, obwohl sie das aus religiöser Überzeugung tun möchte. Aber das Verbot gibt den nicht so denkenden Frauen die Möglichkeit, sich auch in einer anders denkenden Gemeinschaft so zu kleiden, wie sie es für richtig halten. Denn sie können immer darauf verweisen, dass sie sich ja gern so kleiden würden, wie ihre Nachbarn oder Familienangehörigen es für richtig halten, dass sie das aber – leider (?) – nicht dürfen.
    Das Dilemma, in dem wir beim Verbot von Burka, Burkini oder Kopftuch stecken, heißt also: Wen wollen wir schützen? Wiegt das Bedürfnis, sich nach seiner religiösen Überzeugung zu kleiden, schwerer als das Recht anderer, vor Gruppenzwang hinsichtlich der Kleidung geschützt zu werden?
    Auch wenn es keine Patenlösungen gibt, sollte man sich bei der Diskussion über diese Fragen jedenfalls dieses Dilemmas bewusst sein.
    Walter Unger, Maintal

  52. @Harald Brecht
    Sie haben mich auf einen interessanten Gedanken gebracht. Wenn ich mich bei einer Handlung auf meine Religionsfreiheit berufe, muss dann mein Handeln durch eine Autorität einer Religionsgemeinschaft abgesegnet werden oder bedeutet Religionsfreiheit nicht auch, dass ich selber definiere, was mir meine Religion vorschreibt? Im zweiten Fall würde ihr Argument, dass die Vollverschleierung im Koran keine Grundlage findet, in sich zusammenfallen.

  53. @Walter Unger
    Vor einigen Jahren sah ich morgens am Bahnhof sehr häufig junge Frauen mit freiem Bauchnabel, selbst bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt und kaltem Nordostwind.
    Es ist doch schwer vorstellbar, dass jemand so etwas freiwillig macht. Wie können wir diese Frauen schützen? Ein Gebot der Bauchnabelbedeckung?

  54. „…dass ich selber definiere, was mir meine Religion vorschreibt“
    Hier wird die ganze Absurdität und auch Perfidie von Religin sichtbar. Ich folge einer Vorschrift, weil sie mir meine Religion vorschreibt, entscheide aber im Grunde doch selbst darüber, worin diese Vorschrift besteht. Aber jeder ist seiner eigenen Versklavung Schmied, die vom eigenen Über-Ich oktroyiert wird. Ich wünsche allen Betroffenen von Herzen, dass sie sich daraus befreien können.

  55. Ich stimme Harald Brecht voll und ganz zu.

    Auch Herrn Walter Unger ist überwiegend (!)zuzustimmen, dass die Kleidung von Nonnen, Priestern, Imamen oder strenggläubigen Jüdinnen und Juden freiwillig getragen wird.

    Diese sind aber insofern nicht mit der Burka bzw. dem Burka-Verbotsproblem vergleichbar, da

    – Menschen jüdischen Glaubens in der Regel keinerlei Missionierungsabsichten gegenüber nicht- oder andersgläubigen haben und

    – es klar ist, dass weder Nonnen, noch Priester, noch Imame jemals davon ausgehen, dass die restliche Bevölkerung auch zu Nonnen, Priestern oder Imamen werden.
    Es handelt sich dabei jeweils um einen Sonderstatus.

    Burkaträgerinnen bzw. deren Umfeld gehen meines Erachtens jedoch davon aus, dass es sich hierbei um die einzig legitime Bekleidung für Frauen handelt.

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