Vielfach unzureichende Eigenkapitaldecke im Buchhandel

Der Buchhandel ist in der Krise. Nicht erst seit heute, natürlich; es ist der allgemeine Strukturwandel, der auch diese Branche im Griff hat. Ihre Krise hat viele Facetten, welche in der FR kürzlich am Beispiel Frankfurter Buchhandlungen behandelt wurden. Ich kann dazu persönliches Anschauungsmaterial beisteuern, da die Hamburger Traditions-Verlagsbuchhandlung Männerschwarm — beim gleichnamigen Verlag erschienen vier meiner bisher zehn veröffentlichten Romane — vor kurzem ihre Tore geschlossen hat. Mein Beileid an die Adresse Lange Reihe 102 in Hamburg-St. Georg! Ich könnte viel berichten über das Verhalten von Verlagen (und habe dies auf meiner Autoren-Webseite ybersinn.de auch getan) und hoffe, dass mir im Zuge der bei mir ins Haus stehenden Verlagsgründung andere Erfahrungen mit dem lokalen Buchhandel blühen als dem Seitenstraßen-Verlag, der in seinem Blog über seine Erfahrungen mit dem Sortimentsbuchhandel berichtet. Aber da brauche ich mir wohl keine großen Illusionen zu machen.

Ja, die lokalen Buchhandlungen haben zu kämpfen. Dabei können sie in der Konkurrenz mit den großen Online-Händlern, allen voran Amazon, durchaus auf Sympathien beim Publikum bauen: „Buy local“ funktioniert in Analogie zu „buy regional“, wo es um Lebensmittel aus der Region geht, in vielen Fällen anscheinend doch recht gut. Vielleicht sogar besser als im Fall der „Buch-Kaufhäuser“ wie Hugendubel und Thalia, die inzwischen auf einigen guten Prozenten ihrer Verkaufsfläche allerlei Schnickschnack anbieten (müssen oder zu müssen glauben). Das Buch auf dem Rückzug? Nein, es wird weiterhin viel gelesen in Deutschland. Mit den richtigen Konzepten kann sich der klassische Sortimentsbuchhandel vielleicht sogar in die nähere Zukunft hinüberretten, obwohl diese sicher durch das Online-Geschäft dominiert sein wird.

Zu diesem Thema, als Antwort auf die FR-Artikel, hat mir Klaus-Philipp Mertens aus Frankfurt wieder einen langen Leserbrief geschrieben, den ich im Print-Leserforum nur arg gestutzt veröffentlichen konnte. Hier kommt sein Leserbrief in der ungekürzten Fassung als Gastbeitrag im FR-Blog.

Vielfach unzureichende Eigenkapitaldecke im Buchhandel

von Klaus-Philipp Mertens

Die Krise des Buchhandels erscheint mir, der ich seit vier Jahrzehnten im Medien- und Verlagsbereich tätig bin und auch den Sortimentsbuchhandel in Ausschnitten kenne, als überwiegend hausgemacht. Denn die Nachfrage nach Büchern, egal ob in gedruckter oder digitaler Form und unabhängig von ihren inhaltlichen Kategorien (Belletristik, Sachbuch, Fachbuch, Wissenschaft etc.), ist im Vergleich zu den Artikeln anderen Branchen relativ groß und ziemlich stabil. Von den Verlagen, die in ihren jeweiligen Segmenten vor 50 Jahren mit tonangebend waren, existieren die meisten noch immer, auch wenn es häufiger zu Fusionen oder Inhaberwechseln kam (verlegen heißt auch vorlegen, nämlich Geld vorlegen, und das bedeutet immer häufiger, Kooperation einzugehen). Nicht so die Buchhandlungen und besonders nicht in Frankfurt am Main, der Stadt der Buchmesse.

Die Gründe dafür sind den Fachleuten eigentlich bekannt. So ist die Eigenkapitaldecke kleiner und mittlerer Buchhandlungen vielfach extrem eng bis unzureichend; vor allem steigende Mieten in den Zentren der Großstädte erweisen sich seit Jahren als existenzgefährdend. Dem wollten die Inhaber dadurch begegnen, dass die Läger in den Sortimenten immer kleiner wurden und in der Folge auch die Ladenlokale (der Kapitalbedarf also zurückging) und die Wünsche der Kunden vor allem durch Bestellungen beim Großhändler, dem Barsortiment, erfüllt wurden. Doch wer nicht mehr viel Ware im Laden anzubieten hatte und sich auf den Katalog des Grossisten und dessen 24-Stunden-Lieferservice verließ, stieß bereits ab den Siebzigerjahren auf die Konkurrenz von Versandhändlern (z.B. von Mail Order Kaiser), die dieses Geschäft besser beherrschten, etwa durch eigene, in engen Abständen aktualisierte Kataloge und einer preiswerten, ab bestimmten Auftragshöhen kostenlosen schnellen Lieferung per Postpaket.

Die warenentleerten Sortimente waren in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahren geradezu eine Einladung an kapitalkräftige Großbuchhandlungen, die so genannten Buchkaufhäuser zu errichten, die vor Büchern und Nonbooks geradezu überquollen und den Anschein hervorriefen, als sei jedes Buch vorrätig. Letzteres traf zwar nicht zu; auch dort war ein umfangreiches Bestellgeschäft unumgänglich. Hugendubel, Meyersche Buchhandlung, Thalia und die Weltbild-Läden waren und sind die Bekanntesten unter den diesen Großen. Hinzu kam und kommt im Fachbuchbereich der Direktvertrieb der Verlage.

Zwanzig Jahre später erwies sich das Internet als besondere Recherchemöglichkeit für jedermann und auch als Bezugsquelle, weil man alles von zu Hause ordern konnte und nicht auf im Angebotsumfang beschränkte Print-Katalogangebote und schon gar nicht auf ausgedünnte Läden angewiesen war. Das vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels verlegerisch mit verantwortete „Verzeichnis Lieferbarer Bücher -VLB“ öffnete sich in der Internetversion für den Endverbraucher und ebenso auch die nicht ganz so umfangreichen Kataloge der Grossisten. Der neu auf den Markt getretene US-Versandhändler Amazon benötigte faktisch keinen eigenen Online-Katalog mehr, sondern band das VLB in seine eigenen redaktionellen Seiten ein und erweckte beim Publikum den Eindruck, dass nur er den ungehinderten Zugriff auf über eine Million deutschsprachiger Bücher (und darüber hinaus) ermöglichte.

Der normale Sortimentsbuchhandel hätten sich all das auch jeweils zu bezahlbaren Preisen einrichten können, doch bis heute verfügt nur ein kleinerer Teil über einen Webshop, der sowohl eigene Empfehlungen enthält als auch VLB und/oder Großhändlerkataloge integriert.

Die traditionelle buchhändlerische Kundenberatung musste sich seit den späten Siebzigerjahren entscheidend den veränderten Erwartungshaltungen eines aufgeklärteren Publikums anpassen. Rezensionen in den großen Zeitungen ersetzten das traditionelle Beratungsgespräch, der Kunde erwartete bereits von den im Laden vorrätigen Titeln eine zumindest erste repräsentative Orientierungsmöglichkeit und zunehmend auch zusammenfassende Themenüberblicke in Print- und später Internetkatalogen.

Nicht nur in Frankfurt, aber dort besonders, stieß und stößt man hingegen auf kleine Läden mit ziemlich geringen Präsenzbeständen und extrem wenig Know how im Umgang mit den Recherchemöglichkeiten elektronischer Kataloge. Im Branchenauftritt „buchhandel.de“, der auf dem VLB fußt, sind aktuell nur 13 Frankfurter Buchhandlungen vertreten.

Das regelmäßige Erstellen kleiner literarischer oder themenorientierter Auswahlkataloge, die den Kunden im Laden mitgegeben oder zugesandt werden könnten, ist in dieser Stadt fast völlig unbekannt. Wer an einer literarischen Lesung in einer Buchhandlung teilnimmt, hört danach zumeist nichts mehr vom Veranstalter. Aber bei nahezu jeder Buchrecherche in den Internetsuchmaschinen macht in aggressiver Weise AMAZON als Bezugsquelle auf sich aufmerksam.

Bis vor zwei Jahren waren die meisten Titel des Online-Katalogs der Frankfurter Stadtbücherei sogar (über die Cover-Abbildung) mit Amazon verlinkt. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat das mit Teilnahmslosigkeit begleitet. Erst als zwei kleine Buchhandlungen und ein gemeinnütziger Förderverein beim zuständigen (grünen) Dezernat protestierten, wurden diese Links deaktiviert, die vor Jahr und Tag unbedacht bei der Installation einer neuen Bibliothekssoftware zugelassen worden waren. Auch die FR hat darüber leider kein Wort verloren.

Es ist nicht die Zeit für Krokodilstränen. Literatur, vor allem die so genannte schöne Literatur, braucht auch in Frankfurt ein Umfeld, das sie begleitet und zu Neuschöpfungen anregt. Dazu zählt auch die Presse mit ihren vielfältigen Informationsmöglichkeiten. So wäre es schön, wenn beispielsweise die Veranstaltungen der Frankfurter Stadtbücherei ausnahmslos in den FR-Freizeittipps ihren Niederschlag fänden.

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