Wir bekommen jetzt eine Ampelkoalition, und da gebietet es sich, erfahren zu wollen, wie die Koalitionspartner ticken. Hier im FR-Blog wurde viel über SPD und Grüne gesprochen, selten über die FDP. Da passt es ganz gut, dass der junge FDP-Politiker Lukas Köhler (Jahrgang 1986, MdB seit 2017) der FR ein Interview gegeben hat. Lukas Köhler FDPEs trägt die Überschrift „Umverteilung hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun“ und zeigt recht gut, wie die Liberalen heutzutage ticken. Von der einstigen Bürgerrechtspartei, wie die FDP es zu Zeiten von Gerhart Baum war, ist da nicht mehr viel übrig. Entsprechend klar fallen die Reaktionen der FR-Leserinnen und -Leser aus, die ich gleich hier im Anschluss präsentiere.

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Das Kapitel muss frei agieren können

Lukas Köhler (FDP) versteht sein politisches Handwerk. Das muss man ihm lassen: aalglatt, hat auf alles eine Antwort, nur ist die aber eigentlich nichtssagend und weicht den konkreten Problemen unserer Zeit aus.
Hauptsache: Freie Fahrt für freie Bürger und mit 200 Sachen in die Klimakatastrophe, um es mal „symbolisch“ auszudrücken. Der Markt wird es schon richten! Bloß nicht zu viel Staat. Das Kapital muss frei agieren können. Bloß keine Umverteilung, sprich Steuergerechtigkeit, sonst könnten ja einige sehr Vermögende weinen, weil sie etwas abgeben müssten.
Aber was haben der Markt und ein Staat, der auf ihn setzt, bisher gerichtet? Soziale Chancengleichheit? Soziale Gerechtigkeit? Bildungsgerechtigkeit? Für jeden eine bezahlbare Wohnung? Kein Prekariat und keine Kinderarmut? Eine Landwirtschaft ohne Antibiotika und Pestizide? Eine Begrenzung der Erderwärmung? Wirksame Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe?
Aber jetzt ist ja die FDP am Zuge. Wird sie es richten? Fragt sich für wen? Für das Kapital? Oder wird der Markt uns letztendlich richten?

Heike Kuntze-Engemann, Seeheim-Jugenheim

fr-debatteVersprechen, egal welche, kosten bekanntlich nichts

Das aufschlussreiche Interview von Bascha Mika mit Lukas Köhler ließ bei mir die Frage entstehen, wie die FDP mit solchen Aussagen vor einer politisch interessierten Öffentlichkeit eigentlich bestehen kann.
Zwei Beispiel:
1.    Der schlanke und starke Staat
Die FDP kann Krisen im Kapitalismus nicht leugnen. So kann man im Erfahrungshorizont eines 35jährigen die Kenntnis der Krise aus dem Jahre 2008 wohl voraussetzen. Die zeigte, dass der Staat nicht mehr nur schlank, war das doch das Mantra der Liberalen vor der Finanzkrise, sondern vor allem stark sein muss. Das wirft Fragen auf. In den 60ern war Twiggy schlank und Muhammad Ali stark, um nur ein Beispiel zu nennen. Es wäre niemand auf die Idee gekommen beide in einer Figur zusammenzufassen und auch heute ist ein solches Ansinnen nur lächerlich. Mir kommt es so vor, als fordere man starke Regeln für die ökonomische Praxis, die aufgrund der Ausgezehrtheit des Staates kaum durchgesetzt werden können.
2.    Bildung als Voraussetzung für den sozialen Aufstieg.
Herr Köhler sagt: „Gerechtigkeit entsteht, wenn Sie ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten können und die Voraussetzungen dafür bekommen. Umverteilung hat aus unserer Sicht nichts mit Gerechtigkeit zu tun.“ Die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums hat nach ihm also keinen Einfluss auf Gerechtigkeit, die Umverteilung von Bildungszugängen und –chancen aber sehr wohl. Doch tatsächlich wird hier von einer Ursächlichkeit gesprochen, die sich heute gesamtgesellschaftlich nur noch sehr bedingt nachweisen lässt. Da muss es dann reichen das „soziale Aufstiegsversprechen“ zu erneuern, wie Herr Köhler ausführt. Für die FDP ist ein solches Versprechen ausreichend sozial. Er sollte aber schon den Unterschied kennen, der zwischen dem Versprechen auf einen sozialen Aufstieg und einem als sozial bezeichneten Versprechen besteht. Was aber in beiden Fällen vermieden werden kann: Kosten für die Wirtschaft – Versprechen, egal welche, kosten bekanntlich nichts.

Gerhard Bruckmann, Darmstadt

fr-debatteFreiburger Thesen – quo vadis?

Frau Bascha Mika hat in dem Interview mit dem FDP-Bundestagsabgeordneten Lukas Köhler genau die richtigen Fragen gestellt. Bis 1982 war ich ein sehr aktives Mitglied der FDP, sollte in Bremen sogar den Wahlkampf organisieren. Aber nach dem Tod des Generalsekretärs Karl-Hermann Flach 1973 kam unmerklich die Wende von oben, die 1982 zum Sturz der Regierung Helmut Schmidt führte ohne dass die Mitglieder vorher befragt wurden. Graf Lambsdorff & Co. warfen die fortschrittlichen Freiburger Thesen auf den Müllhaufen der Geschichte. Selbige waren nicht nur sozial-liberal, sondern hatten auch erstmalig für eine bundesdeutsche Partei Umweltschutz zum Thema. Bei einer Fortschreibung wäre es nie zur Gründung der Partei Bündnis90/Die Grünen gekommen. Turbokapitalismus ist seitdem das Markenzeichen der FDP. Und auch der studierte Nachwuchspolitiker Lukas Köhler hat mit seinen wohlgesetzten Worten im Interview verdeutlicht, dass sich an dieser Haltung nichts geändert hat. Die FDP war und ist seit 1982 die Partei der Besserverdienenden. Wie die SPD und die Grünen mit diesen Wirtschaftshörigen z.B. nachhaltige Sozial- und Umweltpolitik machen wollen, ist mir ein Rätsel.“
P.S.: Die Rowohlt-Ausgabe der Freiburger Thesen habe ich noch heute.

Reiner Hausbalk, Eppstein

fr-debatteDer Kapitalismus hat keine Antworten

Vielen , vielen Dank für dieses Interview . In diesem Gespräch wurde zum wiederholten Mal deutlich, dass dieses Land keine Partei wie die FDP braucht.
Das Loblied auf den ewigen Kapitalismus (nur etwas reformieren, ha ha) und die böse Alternative Sozialismus (welchen denn, der real existierende Stalinismus konnte die Fragen der Zeit nicht beantworten – AUS). So wird es mit dem Kapitalismus in nächsten 50 Jahren ebenfalls gehen – auch er kann die Fragen der Zeit nicht beantworten.
Ob die FDP es glaubt (weil bei politischen Fragen, glaubt die FDP immer) oder nicht, es wird eine gesellschaftliche Unwälzung geben. Und es wird kein neuer ISMUS entstehen, Das ist im Zusammenhang mit der FDP obsolet.

Wolfgang Frank, Frankfurt

fr-debatteIch habe ein anderes Verständnis von Zivilisation

Nachdem in der letzten Zeit die FDP aus unerfindlichen Gründen zunehmende mediale Aufmerksamkeit erfährt, möchte ich das Interview der FR mit dem FDP MdB Herrn Köhler vom 19.11. zu Anlass nehmen, die FDP und vor allem ihr selbstgemachtes Image als Verteidigerin der Freiheit zu hinterfragen.
Ein ganz großes Freiheitsthema scheint ja die Frage zu sein, ob es ein Tempolimit geben soll und darf. Nicht nur Herr Köhler widmet sich der Frage ausführlich, sondern auch Herr Lindner hat das Tempolimit ja zu Gretchenfrage der Regierungsbildung erhoben und Frau Brandmann (neue Vorsitzende der Jungen Liberalen) hat in Bewerbungsrede ebenfalls betont, dass sie auch für die Freiheit derjenigen eintreten wolle, die mit 170 km/h auf der Autobahn fahren wollen. Damit reiht sich die FDP in die Phalanx von so berühmten Freiheitskämpfern ein wie den Taliban in Afghanistan, dem autoritären Folterregime in Burundi, dem Generälen in Myanmar, Kim Jong-un in Nordkorea und den Warlords in Somalia (um nur die bevölkerungsreichsten Länder zu nennen, in denen es meines Wissens neben Deutschland auch kein Tempolimit gibt).
Aber jetzt mal ernsthaft: Was spricht denn aus Sicht der FDP / Herr Köhler gegen das Tempolimit? Dass „wir jeden Euro effizient ausgeben“ müssen? Die Einführung eines Tempolimit kostet nichts – eine (ökonomisch) effizientere Maßnahme kann es also kaum geben. Inwieweit die Einführung eine Tempolimits eine volkswirtschaftliche Belastung darstellen soll, wie von Herrn Köhler behauptet, erschließt sich mir nicht. Wenn hier jemand also von „seinen subjektiven Vorstellungen über die Welt ausgeht“, dann sind es nicht die Umweltaktivisten sondern in diesem Fall Herr Köhler.
Das aus meiner Sicht Schlimme ist aber, dass das Thema Tempolimit kein singulärer Punkt ist, mit dem man verpeilte Pubertäre als Wähler gewinnen will, sondern symptomatisch für weite Teile der FDP steht. Herr Köhler formuliert es treffend: Es geht der FDP um die „Idee von der Stärkung des Individuums gegenüber der Gesellschaft“. Das ist die deutsche Version der US-amerikanischen Republikaner! Jede(r) soll tun dürfen, was er/sie (sich leisten) will und kann. Das unterscheidet sich ziemlich von meinem Verständnis von Zivilisation. Diese basiert nämlich auf einem ausgewogenen Verhältnis von Rechten, Pflichten und Freiheiten, die das Individuum in der Gesellschaft hat. Und wenn ich eine Maßnahme, die NICHTS kostet (abgesehen von den rückläufigen Gewinnen der Mineralölindustrie), aber die Gesellschaft um 2 Mio. t CO2 pro Jahr entlastet, ablehne, weil sie einzelne Individuen einschränkt (welche und wie viele?), hat das nichts mit Verteidigen von Freiheit zu tun. Auch das ewige Gerede von Schaffen von Chancengleichheit statt „Umverteilung“ ist bei näherer Betrachtung nur ein Ablenkungsmanöver: Ich kann einer 1,50 m großen Person die gleichen Sportschuhe und Klamotten geben, die Usain Bolt hat – die Person wird deshalb niemals so schnell laufen können wie Usain Bolt.
Der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz hat kürzlich vor Christian Lindner als Finanzminister gewarnt, nicht nur weil seine Wirtschaftslehre eine Aneinanderreihung konservativer Klischees sei, sondern vor allem weil es die Klischees einer vergangenen Ära seien: der 1990er Jahre! Und diese Klischees prägen auch die die gesellschaftspolitischen Vorstellungen der FDP, und daher habe ich Angst vor einer faktisch FDP-geführten Bundesregierung in den nächsten Jahren.

Klaus Vernie, Bad Honnef

fr-debatteAls Finanzminister nicht geeignet

Wenn die FDP aus ideologischen Gründen („Freie Fahrt für freie Bürger“) dem Tempolimit 130 km/h und damit einer kostenneutralen Klimaschutz-Sofortmaßnahme nicht zustimmen kann, ist Herr Lindner als Finanzminister nicht geeignet.

Rosemarie Mika, Frankfurt

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7 Kommentare zu “Wird der Markt uns jetzt richten?

  1. Dem Kommentar von Reiner Hausbalk kann ich nur beipflichten. Gerade in den letzten Jahren habe ich mehrmals in den Freiburger Thesen nachgelesen und feststellen müssen, dass diese in vielen Punkten fortschrittlicher waren als manches, was die SPD heute publiziert.

    Gegenüber der heutigen FDP-Politik war es sogar revolutionär. Denn das Verhindern einer gerechten Steuerpolitik oder eines Tempolimits
    widerspricht allen Grundsätzen einer echt-liberalen, nicht neoliberalen Ausrichtung.

  2. Dass sich Friedrich Merz in dem FR-Interview vom 24. November entschieden gegen eine Vermögenssteuer, Änderungen bei der Erbschaftssteuer und gegen eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes aussprechen würde, war ja von einem zu erwarten, der BlackRock gedient hat, einem der größten Vermögensverwalter für die Reichen und Superreichen dieser Welt. „Aber eine Erbschaftssteuer steuerrechtlich so umzusetzen, dass man mehr Einnahmen als bisher erzielt, ist extrem schwierig.“, lässt er uns wissen. Dabei ist es eigentlich ganz einfach. Nach § 14 ErbStG können Ehepaare ihrem Kind zu Lebzeiten je 400.000 Euro schenken, ohne dass Steuern anfallen, und das alle zehn Jahre aufs Neue. So kann in dreißig Jahren ein Vermögen von 2,4 Mio. Euro völlig steuerfrei übertragen werden. Den gleichen Betrag gibt es noch mal oben drauf, wenn die vermögenden Omas und Opas des Enkels noch leben. Streicht man die 10-Jahres-Regelung im Erbschaftssteuergesetz ersatzlos, kommt sofort Geld in die Kasse und ein kleines Stückchen Gerechtigkeit in die Welt, denn die steuerfreie Übertragung von Vermögen erfolgt ja völlig leistungslos. Einmal erben im Leben reicht. Die meisten Menschen erben gar nichts. Vielleicht befasst sich Herr Merz ja mal mit dieser Thematik, statt Falschmeldungen zu verbreiten, die nur denen nützen, die schon viel haben.

  3. @ Hans Schinke:

    zu BlackRock-Merz:
    Das Landgericht Frankfurt/M. hat vor wenigen Tagen eine Klage von Merz gegen den früheren Abg. Fabio de Masi abgewiesen, wonach Merz von de Masi verlangt hatte, folgende Wiedergaben von Aussagen, die Merz getätigt hatte, zu unterlassen:

    „Friedrich #Merz auf einem Bierdeckel. 1997 votiert er gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung, wenn sie in der Ehe stattfindet. 2000 fordert er Rente ab 70, 2004 Abschaffung Kündigungsschutz und 2006 klagt er gegen Veröffentlichung Nebeneinkünfte von Abgeordneten.“

    So hält es ein Politiker der „C“DU mit der Wahrheit und den fundamentalen Rechten seiner Mitmenschen.

  4. Ich weiß nicht was ein Friedrich Merz mit Marktwirtschaft zu tun hat. Seine Politik die er vertritt ist eher als negativ Beispiel geeignet. Dem was Lukas Köhler gesagt hat möchte ich nicht unbedingt widersprechen. Als ich es gelesen habe habe ich an den Bibelspruch gedacht: An ihren Taten werdet ihr sie erkennen. Dem Markt klare Regel zu geben ist wahrscheinlich sogar der richtige Weg. Es müssen halt die richtigen Regel sein und daran fehlt es zur Zeit immer mehr. Vielleicht kommt die Ampel auf die richtige Spur. Ausschießen möchte ich das nicht.

  5. Dem Kommentar von Reiner Hausbalk, „Freiburger Thesen – quo vadis?“ kann ich nur beipflichten.
    Sein politischer Weg ähnelt übrigens dem meinen durchaus.
    Auch ich bin während meiner Studentenzeit wegen der „Freiburger Thesen“ in die FDP eingetreten und wegen H.D. Genscher wieder ausgetreten. Und zwar, als er dem marxistischen Philosophen und Sozialwissenschaftler Ernest Mandel (als „liberaler“ Innenminster!) die Einreise nach Deutschland verweigerte.
    Sein Slogan für den Umgang mit kritischen Studenten übrigens lautete: „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit!“ Versteht sich, dass die FDP zu bestimmen hat, wer die „Feinde der Freiheit“ sind.

    Ein Hinweis darauf, wie verlogen die „Freiheits“-Sprüche der heutigen FDP-Oberen sind. Die geflissentlich verschweigen, dass ihr „Freiheits“-Begriff die Freiheit der wirtschaftlich Starken meint, ihre „freien“ Interessen, ungehindert vom Staat, überall durchzusetzen. Da bleibt dann keine Empathie für die zahllosen Gestrandeten mehr übrig, die an ihrer Misere selbst schuld sind und für die „Leistungs“- Ideologen nur noch Verhöhnung für eine angebliche „Neid“-Gesellschaft übrig haben.
    Ergo: Es handelt sich hier vom Gesellschafts-Verständnis her um den reaktionärsten Teil unserer Gesellschaft. In der Hinsicht gehört der „Mittelständler“ Friedrich Merz auch zu den „Liberalen“, der seine Millionen natürlich ausschließlich durch seine „Leistungen“ erworben hat.

    Bei alledem sollte man aber nicht vergessen, dass ähnliche Einstellungen auch vor der sozialliberalen Koalition Brandt-Scheel und dem „Freiburger Thesen“ geherrscht haben. Das interne Kesseltreiben gegen die Parteigänger von Karl-Hermann Flach habe ich damals in Köln hautnah miterlebt.
    Der „Freiheits“-Begriff der Liberalen ist also ambivalent und lässt auch eine andere Interpretation, eben im Sinne der „Freiburger Thesen“ zu. Insofern besteht heute eine ähnliche Situation wie in der Anfangszeit der sozialliberalen Koalition. Und die Realität unter Corona-Bedingungen und drohender Klimakatastrophe lässt das plumpe „Freiheits“-Verständnis von der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr zu.
    Es ist also durchaus möglich und zu erhoffen, dass ein Wandlungsprozess auch in FDP-Kreisen einsetzt. Es kann also spannend werden.
    Tun wir in dieser Hinsicht das in unserer Macht Stehende dazu!

  6. Hallo Herr Engelmann,

    Sie sprechen – angesichts der Corona-Krise und der drohenden Klimakatastrophe – zurecht von einem „plumpen Freiheitsverständnis“, das sich inzwischen in dieser merkwürdigen Protestgesellschaft breit gemacht hat und das nur noch wenig mit wirklicher Freiheit (und damit verbundener Verantwortung) zu tun hat.

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