Unternehmen müssen zu menschenrechtlicher Sorgfalt verpflichtet werden

70 Jahre ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte jetzt alt, auch UN-Menschenrechtscharta genannt. Sie ist aus der historischen Entwicklung, die sich seitdem vollzogen hat, nicht wegzudenken und wird doch ständig gebrochen. Die Zahl der Beispiele hierfür aus unserer Gegenwart ist groß. Die USA verletzen sie (Todesstrafe, Folter, Guantánamo), ebenso China in vielerlei Hinsicht (u.a. Umerziehung der Uiguren, Umgang mit Dissidenten und Pressefreiheit) und Russland (u.a. Einschränkung der Pressefreiheit, Diskriminierung von Minderheiten, Vorgehen im Kaukasus und in Tschetschenien). Ägypten verletzt die Menschenrechte, Syrien, Israel, und auch Deutschland nimmt sich hier und da etwas heraus und missachtet sie, findet zumindest Amnesty International (z.B. Abschiebungen nach Afghanistan trotz zunehmend unsicherer Lage dort). Das alles könnte zu dem Schluss verleiten, dass es schlecht um die Menschenrechte bestellt ist. Und dennoch: Es gibt sie! Darum können wir das verübte Unrecht ja erst benennen. Sie machen Mut: „Menschlich Mut zeigen“ nennt der Sozialphilosoph Gunzelin Schmidt Noerr diesen Effekt. Man kann sich auf die Menschenrechtscharta berufen, die einen hohen moralischen Status hat, auch wenn es mit der juristischen Umsetzung vielfach noch hapert. Doch es gibt viele Folgekonventionen der UNO, welche die Charta vertiefen, und die UNO arbeitet weiter mit und an den Menschenrechte, wie an der Verabschiedung des Migrationspaktes kürzlich in Marakesch zu erkennen war. An anderen Stellen hapert es. Dazu der folgende Gastbeitrag von Klaus Philipp aus Darmstadt. Der Leserbrief konnte im Print-Leserforum leider nur gekürzt erscheinen.

Unternehmen müssen zu menschenrechtlicher Sorgfalt verpflichtet werden

Von Klaus Philipp, Darmstadt

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Anlässlich des 70. Jahrestages der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) der UN am 10. Dezember erschien in der FR eine Betrachtung dazu. Es ging um eine Selbstverpflichtung der Staaten gegenüber ihren Bürgern, deren Elemente Eingang finden sollten in die Verfassungen. Auslöser der Initiative waren die Diktaturen und der 2.Weltkrieg mit seinen Verheerungen.

Herr Schmid Noerr führt in dem Artikel aus, dass die AEMR z.B. bei der Entkolonialisierung half , und Bürgerrechtsbewegungen können sich auch heute darauf berufen. Der Autor wirft aber auch die Frage auf, was ein Anspruch nutzt, den Bürger bzw. Organisationen nicht gerichtlich einklagen können. Auch weist er darauf hin, dass Rechte, die durch die globale Gefährdung der Umwelt virulent sind, in der AEMR noch keine Beachtung fanden. Inzwischen sind weitere UN-Konventionen, z.B. zu sozialen Rechten, dazugekommen, die sich wiederum alle an die Staaten wenden.

Was ist aus heutiger Sicht also anstrebenswert? Die Erfahrung heute ist, dass vor allem Aktivitäten transnationaler Konzerne menschliches Leid zur Folge haben, sei es Ausbeutung der Arbeitskraft, fehlende Arbeitsplatzsicherheit, Sklavenarbeit, Vertreibung vom angestammten Grund und Boden durch Landraub, Zerstörung der Natur als Folge der Produktion und entsprechende gesundheitliche Beeinträchtigungen.
Konzerne haben heute durch ihre schiere Größe eine Macht, die Staaten unter Druck bringt und es ihnen erschwert, Unternehmen, die Konkurrenzvorteile durch rigorose Ausbeutung von Mensch und Natur nutzen, in die Schranken zu weisen.

Sollte es also nicht an der Zeit sein, verbindliche und auch individuell einklagbare Menschenrechte in einem UN-Pakt weltweit zu kodifizieren?

Länder des globalen Südens haben 2014 die Initiative gestartet, im Rahmen des UN-Menschenrechtsrates über einen solchen Pakt zu beraten. Der Pakt soll ein verbindlicher Vertrag zu transnationalen Konzernen und Unternehmen sein, er heißt international kurz Binding Treaty, Verbindlicher Vertag. Inzwischen sind es über 80 Staaten, die an den Beratungen bei der UN teilnehmen, dazu zivilgesellschaftliche Organisationen und andere Interessenvertreter. Deutsche Regierungsvertreter nehmen an den Sitzungen teil, beobachten aber nur, während z.B. Frankreich den Prozess aktiv voranbringt.

Wir alle können etwas tun. Nämlich von der Bundesregierung verlangen, dass sie sich für das Zustandekommen des Treaty einsetzt. Dafür, dass Gerechtigkeit und Verantwortung in der globalen Produktions- und Lieferkette verankert werden; dass Unternehmen zu menschenrechtlicher Sorgfalt verpflichtet werden, dass es Transparenz und Sanktionen bei Rechtsverstößen gibt; dass Rechtsmittel und Wiedergutmachungsmechanismen festgelegt werden.

Auch deutsche/europäische Unternehmen haben unrühmliche Praxis in ihren globalen Produktions- und Lieferketten. Beispiele: Brand in einer Textilfabrik in Karachi, Pakistan, 259 Todesopfer, mitverantwortlich v.a. Die Firma KiK; Landraub in Südamerika, Afrika und Südostasien unter Beteiligung der Deutsche-Bank-Tochter DWS.

Die neueren, in der Beratung oder Ratifizierung befindlichen Handels- und Investitionsabkommen, also CETA mit Kanada, JEFTA mit Japan, EU-MERCOSUR usw. schreiben (völkerrechtlich verbindlich!) Rechte von transnationalen Unternehmen auf Realisierung ihrer Gewinnerwartungen fest und geben diesen Klagemöglichkeiten. Die Handelsabkommen erwähnen auch Menschenrechte, soziale und Arbeitsrechte, bleiben aber da unverbindlich. Das fordert doch geradezu einen UN-Treaty heraus, der international die Menschenrechte über die Unternehmerrechte stellt und absichert.

Übrigens: Herr Schmid Noerr erwähnt in dem Artikel, dass damals gegenüber der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Europa die christlichen Kirchen Widerstand geleistet haben. Heute ist es anders: im deutschen Aktionsbündnis für den Treaty arbeiten Brot für die Welt und Misereor mit!

fr-debatteUpdate: Hier kommt ein zweiter Leserbrief zum Thema AEMR, den ich im Print-Leserforum nur gekürzt bringen kann. Der Einfachheit halber hänge ich ihn hier an und mache eine Debatte aus diesem Thread.

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Von Gert Sommer

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Zum 70. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte legt die FR einen Schwerpunkt auf den Migrations- und Flüchtlingspakt. So wichtig diese Verträge auch sind – so wird leider versäumt, umfassender auf die Lage der Menschenrechte einzugehen. Aber auch bei den o.g. Pakten wäre es angemessen gewesen, auf die Ursachen von Migration und Flucht einzugehen. Und dabei hätte die unrühmliche Rolle westlicher Staaten aufgezeigt werden können bzw. müssen.
Von wesentlicher Bedeutung bei Migration und Flucht sind die unwürdigen und z.T. unmenschlichen Lebensbedingungen der Menschen in ihren Heimatländern. Diese werden – insbesondere in Afrika – mit verursacht durch die hoch subventionierten westlichen Agrarexporte und durch ungünstige Handelsverträge. Die Probleme fasste Norbert Blüm pointiert zusammen (SZ, 12.7.18) „Wir, die Bewohner der Wohlstandsinsel Europa, sind die Hehler und Stehler des Reichtums der sogenannten Dritten Welt. Auf deren Kosten und Knochen haben wir uns bereichert. Die Bodenschätze Afrikas haben wir ausgeraubt. Westliche Agrarkonzerne kaufen ganze Landstriche auf und entwurzeln so eine jahrhundertealte Subsistenzkultur, die ihre Menschen ernährte.“
Eine wichtige Fluchtursache sind zudem Kriege. Am Beispiel des Syrienkrieges wurde – u.a. von Michael Lüders‘ „Die den Sturm ernten“ – aufgezeigt, welch entscheidende Bedeutung westliche Staaten bei Eskalation und Dauer dieses Krieges hatten, indem sie mit dem Ziel des regime change auch radikale bewaffnete, terroristische Gruppen unterstützten.
Westliche Staaten sind also nicht nur bedeutsam an Menschenrechtsverletzungen beteiligt, sondern sie sind auch verantwortlich für dem Missbrauch von Menschenrechten: Menschenrechte werden missbraucht, (1) indem sie nicht umfassend, sondern gezielt selektiv thematisiert werden (selektive Darstellung), (2) indem hauptsächlich solche Staaten wegen Menschenrechtsverletzungen kritisiert werden, die nicht der eigenen „Wertegemeinschaft“ angehören (selektive Kritik) und dadurch gezielt Feindbilder erzeugt werden, die von der Verantwortung des eigenen Staates ablenken sowie (3) indem selektive Darstellungen von Menschenrechtsverletzungen durch fremde Staaten dazu genutzt werden, um Kriege zu begründen und damit andere Motive zu verschleiern, u.a. Interesse an Rohstoffen oder an Regimewechsel (Rechtfertigungsstrategie).
Dies ist ein Plädoyer dafür, die existierenden UN-Menschenrechtserklärungen als positive Wertedefinition für ein friedliches Zusammenleben zu nutzten. Dazu ist aber eine umfassende Menschenrechtsbildung notwendig, die die gesamte Bandbreite von Menschenrechten vermittelt. Insbesondere ist auch eine kritische Reflexion der Verantwortung der eigenen Gesellschaft für die Entstehung von Menschenrechtsverletzung notwendig. Diesbezüglich muss vor allem die radikale kapitalistische Wirtschaftspolitik kritisiert werden, weil sie zu massiven Menschenrechtsverletzungen führt. Daher sei zum Schluss an Artikel 23 und 25 der Allgemeinen Erklärung erinnert, da die wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte in westlichen Medien häufig „vergessen“ werden: “…Recht auf … Schutz gegen Arbeitslosigkeit…Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit… Recht auf angemessene … Entlohnung, die … eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert…“ (Artikel 23); “…Anspruch auf …Gesundheit und Wohlbefinden, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztlicher Betreuung…“

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4 Kommentare zu “Unternehmen müssen zu menschenrechtlicher Sorgfalt verpflichtet werden

  1. Vor wenigen Tagen wurde in aller Welt der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezember 1948 gedacht und daran erinnert, dass auch heute noch viele Staaten noch nicht einmal die grundlegendsten Rechte wie Meinungs- und Pressefreiheit garantieren. Umso schwerer wiegt es, dass der türkische Geheimdienst MIT ein Entführungsprogramm betreiben soll, mit dem Oppositionelle auch in der Bundesrepublik in türkische Gefängnisse verschleppt und in geheimen Gefängnissen gefoltert werden. Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen kritisieren immer wieder die Bundesregierung, weil sie den Schutz der in der Bundesrepublik lebenden Menschen einschließlich türkischer Oppositioneller nicht gewährleistet. Tatsächlich tut die Bundesregierung in den letzten Wochen so, als ob in der Türkei wieder alles in Ordnung sei. Doch die Recherchen der ZDF-Magazinsendung Frontal 21 und acht weiterer internationaler Medien zeigen, dass Folter an Oppositionellen in der Türkei an der Tagesordnung sind. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth von den Grünen kritisiert daher zu Recht, dass der türkische Staat unter Recep Tayyip Erdogan zur Autokratie verkommen ist. Tatsache ist, dass man die Türkei als Präsidialdiktatur bezeichnen muss, in der die minimalsten Menschenrechte außer Kraft gesetzt sind. Wenn die Bundesregierung in ihrem Eintreten für die Menschenrechte nicht unglaubwürdig werden will, müssen gerade angesichts von Kidnapping und Folter Konsequenzen gegenüber der Türkei erfolgen. Es kann einfach nicht sein, dass auf unseren Straßen ein quasi faschistischer Geheimdienst Menschen entführt, um diese in türkischen Gefängnissen zu foltern. Deklaratorische Erklärungen nützen nichts, sondern um die Menschenrechte zu gewährleisten braucht es ein energisches Eintreten für die Menschenrechte auch unter Einbeziehung von Sanktionen gegenüber der Türkei. Als demokratischer Staat dürfen wir die Opfer der türkischen Regierung nicht allein lassen. Sonst sind alle Bekenntnisse zu den Menschenrechten nur Lippenbekenntnisse.

  2. Wer als Unternehmensmanagement eines global tätigen Konzerns so einfältig ist, gesellschaftliche Prozesse in Gang zu setzen, an deren Ende der Verlust menschlicher Arbeitskraft steht, dem ist nicht mehr zu helfen. Gegen Dummheit ist schließlich kein Kraut gewachsen. Insofern sind Zweifel daran erlaubt, ob ein Binding Treaty den von Klaus Philipp erhofften Effekt nach sich zieht, Managements in die Schranken zu weisen, die von vornherein ohnehin unfähig sind. Eher scheint es sinnvoll zu sein, wenn die Belegschaften der Konzerne selbst ein Interesse an einer Führung haben, die möglichst aufgeklärt handelt. Zumal das auch ihre eigene Gesundheit schützt. Anstatt Verträge auf der Ebene der Vereinten Nationen zu beraten, käme es somit sehr viel mehr darauf an, vor Ort um bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen und die Gewerkschaften nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen.

  3. „Sonst sind alle Bekenntnisse zu den Menschenrechten nur Lippenbekenntnisse.“ schreibt Manni Kirsch. Das „sonst“ kannst Du weglassen, denn es sind in der Tat nur Lippenbekenntnisse.

    Denn die derzeitige politische Situation in aller Welt ist alles andere als die Einhaltung der Menschenrechte. Und leider werden, nicht nur das diktatorische und menschenfeindliche System der Türkei, sondern viele andere Diktaturen von Deutschland und der EU sowohl mit Geld wie auch mit Waffen unterstützt. Ebenso stellt die Zustimmung zu Jefta im europäischen Parlament am 12.12.2018 einen weiteren Schlag ins Gesicht der Menschenrechte dar.

    Und wenn es die Koalition nicht schafft, nach Jahren das Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt zu ratifizieren, oder nach fast 30 Jahren(!) und entsprechenden Initiativen in drei Wahlperioden ein Gesetz zur Arbeitnehmerhaftung zu verabschieden, ist dies ein außerordentlich trauriges Bild für eine Koalition, die sich „christlich demokratisch“ bzw. „sozialdemokratisch“ nennt.

    Und wenn die Politik dieses Jubiläum feíert, will sie wohl schönreden, was sie falsch macht oder versäumt, und dies ist an Scheinheiligkeit und Falschheit kaum mehr zu überbieten. Deshalb sollten diejenigen, die das Wort „Menschenrechte“ in den Mund nehmen, diese entweder auch beachten oder besser schweigen!

  4. Die türkische Staatsmacht entführt und foltert unliebsame Oppositionelle, und das nicht nur innerhalb der Türkei, sondern auch in anderen Staaten – türkische Mitbürger in Deutschland werden aufgefordert, solche Menschen zu denunzieren etc. Die saudischen Herrscher lassen einen oppositionellen Journalisten in der Türkei bestialisch ermorden.
    Und nicht vergessen habe ich die Einrichtung von Folterlagern der USA in anderen Ländern, wobei auch unser Land eine unrühmliche Rolle spielte. Und das sollen „unsere“ Verbündeten sein!? Einen Aufschrei der deutschen Regierung sucht man vergeblich – es wird ausgesessen um dann weiter Business as usual zu praktizieren. Es gibt keinerlei Konsequenzen – die Erwähnung von Menschenrechtsverletzungen bei Staatsbesuchen sind zu einer leeren Floskel verkommen die wahrscheinlich inzwischen von vornherein protokollarisch vorgesehen sind und die niemand mehr ernst nimmt. Waffen werden in nie gekanntem Ausmaß in Krisengebiete geliefert und eingesetzt.
    Wer das alles – wie der deutsche Staat – mitmacht und wie in diversen afrikanischen Staaten sogar initiiert und finanziert (z.B. um Flüchtende bereits südlich der Sahara zu stoppen und zu internieren), ist nicht besser als die betreffenden Regimes selbst. Schlimm, wenn wir uns daran gewöhnen. Es könnte uns eines Tages wieder selbst treffen und möglicherweise ist dann niemand mehr da, den das kümmert. Die Menschenrechte und deren Umsetzung und Verteidigung gehören ins Zentrum einer Demokratie, sonst ist alles Nichts.

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